Blechs „Alpenkönig und Menschenfeind“

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Es ist tatsächlich eine „unglaublich schöne Musik“, wie Aachens GMD Christopher Ward vor der Premiere behauptete. In romantisch schwärmerischer Manier erklingt das umfangreiche Vorspiel, werden alle Instrumente schwelgerisch vorgestellt, tönen die Hörner so betörend als ginge es gleich in Carl Maria von Webers Wald. Romantisch, spätromantisch, immer wieder ein wenig nach Humperdinck klingt es, bei dem Leo Blech Mitte der 1890er Jahre seine Ausbildung vertieft hatte. Was Oskar Bie über Leo Blechs komischen Einakter Versiegelt von 1908 sagte, gilt im gleichen Maß für den 1903 unter Ernst von Schuch in Dresden uraufgeführten Alpenkönig und Menschenfeind, „Die Musik ist unbeschreiblich gut. … Alles, was wir ersehnten an Leichtigkeit des Rhythmus, liebenswürdiger Melodie, Geistreichtum des Orchesters, lebendiger Charakteristik, war hier gefunden. Kein falscher Ton, keine Verschiebung der Empfindungen, kein Schielen und Renommieren, es ist Champagnerblut darin und schwebende Laune“. Und so geht die Schwärmerei noch eine halbe Seite weiter und lässt sich ebenso auf den Alpenkönig münzen, der nun in Aachen, wo Blech 1871 geboren wurde, erstmals wieder auf eine Bühne gelangte.

Leo Blech auf einer Fotografie, die in der Sammlung Manskopf der Frankfurter Universitätsbibliothek aufbewahrt wird.

Rappelkopf ist, wie der Name verrät, ein rappeliger Hitzkopf und Haustyrann, der es seiner Frau Sabine (Irina Popova), seiner Tochter Marthe und seinen Bediensteten Lieschen und Habakuk alles andere als angenehm macht. Ständig müssen sie sich vor seinen Tobsuchtsanfällen in Sicherheit bringen. Beim österreichischen Volksdichter Raimund wird der Menschenfeind durch Zutun des Alpenkönigs Astragalus geheilt. Der wundertätige Berggeist hält Rappelkopf nicht einfach nur den Spiegel vor, sondern lässt ihn die unhaltbare Situation in seinem Hause hautnah erleben indem er ihm die Gestalt seines Schwagers verleiht, während der Alpenkönig höchstpersönlich in die Rolle des Rappelkopf schlüpft und genauso poltert und wütetet wie der richtige Rappelkopf. „Ich gehe mir lieber aus dem Weg“, witzelt der echte Rappelkopf deshalb, als er auf seinen Doppelgänger-Widerpart trifft. Rappelkopf ist auf einen Schlag geheilt, gibt seine Einwilligung zu Marthes Hochzeit mit dem Musikus Hans (Soon-Wook Ka kann seine tenoralen Trümpfe nur ansatzweise ausspielen), der im ursprünglichen Stück eigentlich ein Maler ist, und lässt Lieschen mit Habakuk glücklich werde. Eine zauberische Besserung. Das Thema von Blechs fünfter Oper war einigermaßen ungewöhnlich, scheinen doch die zutiefst im Wiener Volkstheater verankerten Zauberpossen und Zaubermärchen Ferdinand Raimunds eine speziell österreichische Angelegenheit zu sein, die zudem durch ihre Struktur mit Liedern und Couplets selbst schon halbe Liederspiele sind.

Vielleicht hatte ihn der Prager Librettist und Kritiker Richard Batka darauf gestoßen, der um 1900 ein Libretto nach Nestroys Der Zerrissene verfasst hatte und seit der Dorfidylle Das war ich! (uraufgeführt 1902 Dresden unter Ernst von Schuch) Blechs Hauslibrettist blieb.

Blechs „Alpenkönig und Menschenfeind“/ Szene/ Will van Iersel

Die Musik ist federleicht und gewaltig, zugleich volkstümlich, beispielsweise im Duett Marthe- Lieschen „So viele Blumen ziehen“, das die beiden jungen Frauen parlandierend unterbrechen, um es wieder und wieder aufzunehmen, während die lyrische Koloratursopranistin Netta Or als Marthe ein paar Verzierungen drüberstreut. Den Ton nehmen sie im dritten Akt in „Schön sind Rosen und Jasmin“ nochmals auf. Gefällig, nie einfältig. Hurtig geht es in Marthas Duett mit dem heimgekehrten Geliebten Hans weiter. Der Alpenkönig (würdevoll: Roman Collett) dagegen singdeklamiert geheimnisvoll wie ein Anzengruber‘scher Wotan, und Habakuk verweist mit der wiederkehrenden Zeile „Zwei Jahre war ich Diener in Paris“ nicht nur auf seine berufliche Laufbahn, sondern auch auf seine Herkunft aus der opéra comique, was Joshua Owen Mills mit seinem luftig leichten Tenor, der wie gemacht scheint für solche Partien, bestens gelingt. Sein Duettchen mit Lieschen (soubrettenspitz und flach: Anne-Aurore Cochet) im dritten Akt ist so eingängig wie die Gassenhauer der zeitgenössischen Operette. Altwiener Gemütlichkeit und böhmisches Musikantentum à la Smetana verbreitet die Szene beim Tischler und seiner musizier- und tanzfreudigen Familie. Im Original handelt es sich um eine Köhlerfamilie, doch das „musikalische Faulenzerpack“, wie die von Ayaka Igarashi wunderbar charakterisierte Tischlersfrau ihre Familie beschreibt, wird von Rappelkopf genauso kaltherzig bezahlt und aus seinem Heim vertrieben wie die armen Köhlersleute. Wunderbare Orchestermusik bringen die Vorspiele zum zweiten und dritten Akt, gelungen ist das Sextett am Ende des ersten Akts, großartig das Final-Sextett am Ende der Oper, wobei das Orchester fast schon straussisch anschwillt als ginge es um eine ganz andere Menschen- und Geisterwelt. Überhaupt greift das Orchester oft wirkungsvoller ins Geschehen als es die raschen Dialoge vermögen. Es fehlt, wenngleich die Schwurszene zwischen dem Alpenkönig und Rappelkopf ein wenig Schauerromantik verströmt, an Dramatik und spannender Entwicklung, worunter auch die undeutlich umrissene Figur des Rappelkopf leidet. Paul Armin Edelmann singt den Rappelkopf mit sanftem und weich timbriertem Bariton, fast zu schön als dass man vor ihm Angst haben könnte. Aber im Grund ist damit auch schon der komödienschnelle Heilungsprozess angedeutet, der im balsamischen Schlaflied am Ende des zweiten Aktes, wieder fällt einem Humperdinck und sein „Abendsegen“ ein, eingeleitet wird. Alles sehr gut gemacht, aber nicht unbedingt originell. Biedermeier dritte Zeit, wie es die Dame im Antiquitätenladen ausdrücken würde. Auch auf der Bühne Biedermeier dritte Zeit oder Biedermeier ironisch gebrochen. Schmetterlinge flattern allerliebst über die von Henriette Hübschmann im Kreis verteilten Erdhaufen, ein weißes Pferd erhebt als Statue freudig seine Vorderbeine, die Pferdeköpfe an Rappelkopfs überdimensioniertem Lehnsessel dampfen aus ihren den Nüstern, der Tischler hat Werkzeughände wie Edward mit den Scherenhänden und eine riesige Rose entfaltet zum Finale ihre Blätter. Ute Engelhardt arrangiert das Spiel auf der kreisrunden Fläche so übersichtlich und treffsicher wie es einer bürgerlichen Komödie gut ansteht, die das entfesselte Zaubertheater und die „Schaubühne ohne ideale Ansprüche“ hinter sich gelassen hat.

Christopher Ward hat das mit Pause gerade mal 2 ½ Stunden kurze Stück mit Liebe zum liedhaften Detail wie orchestralen Alpenglühen sorgfältig einstudiert, so dass es dem Sinfonieorchester Aachen im Lauf der Aufführung immer besser gelang der anspruchsvollen Musik gerecht zu werden (11. September 2022).  Ward hatte bereits im Vorjahr pünktlich zu Blechs 150. Geburtstag unter Coronabedingungen eine konzertante Aufführung in nahezu gleicher Besetzung realisiert, die nun bei Capriccio als Mitschnitt vorliegt und das Augenmerk auf den Opernkomponisten Blech lenken könnte, dessen Werke aufgrund seiner jüdischen Herkunft in den 1930er Jahren von den Konzert- und Opernbühnen verschwanden.

Blechs „Alpenkönig und Menschenfeind“/ Szene/ Will van Iersel

Mit Alpenkönig und Menschenfeind versucht das Theater Aachen jetzt eine Wiederentdeckung des vor allem als Dirigenten bekannten Leo Blech. Begonnen hatte er als zweiter, dann erster Kapellmeister in Aachen, wo auch seine erste Oper herauskam. Über Prag, wo er u.a. die UA von d‘ Alberts Tiefland leitete, kam er 1906 an die Berliner Hofoper, die ihn 1913 zum Generalmusikdirektor auf Lebenszeit ernannte. Nachdem er die Staatsoper 1923 wegen eines Zerwürfnisses mit dem Intendanten Max von Schillings verlassen hatte, kehrte er 1926 in seine alte Position zurück, die er unter der schützenden Hand von Göring und Tietjen bis 1937 innehatte. Blech wurde zur Emigration gezwungen. Er dirigierte in Riga, gastierte in Tallinn, Moskau und Leningrad und erlebte in Stockholm, wo er an der Königlichen Oper seit 1925 gastiert hatte und 1935 zum Hofkapellmeister ernannt worden war, eine erfolgreiche Alterskarriere. 1949 kehrte er für wenige Jahre als Generalmusikdirektor der Städtischen Oper nach Berlin zurück, bevor er 1953 nach einem Sturz seine Dirigententätigkeit aufgeben musste. Fünf Jahre später starb er in Berlin, wo er auch beerdigt wurde. Zu seinem 60. Geburtstag hatte ihm das Theater seiner Heimatstadt 1931 die Ehrenmitgliedschaft verliehen, für die er sich artig mit einer Aufführung seines Erfolgsstückes Carmen bedanke. Bereits 1937/38 tilgte das Jahrbuch des Deutschen Bühnenvereins jedoch den Hinweis auf Blechs Ehrenmitgliedschaft. Erst jetzt wurde diese Ehrenmitgliedschaft im Rahmen einer erfreulich gut besuchten Gedenkveranstaltung mit einer Ehrentafeloffiziell wiederhergestellt; Intendant Schmitz-Aufterbeck, die Oberbürgermeisterin und die Musikwissenschaftlerin Jutta Lambrecht beleuchteten dabei Blechs Wirken und Bedeutung und nahmen den Akt der Wiedergutmachung auch zum Anlass einer Aufarbeitung der Aachener Theatergeschichte. Mit zwei Chorwerken stimmte der Opernchor Aachen unter Jori Klomp auf die folgende Premiere und Blechs Musik ein, von der GMD Ward sagte, „Es ist eine unglaublich schöne Musik“.  Rolf Fath

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie hier

  1. J. Lambrecht

    Ja, es war wirklich eine schöne Musik und eine gelungene Prmiere.
    Die Aufnahme mit den Aachenern unter Christopher Ward ist auch gerade auf CD erschienen.

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