Archiv für den Monat: September 2015

Mahler aus Hamburg und Kiel

 

Klaus Tennstedt war ein überaus tüchtiger Dirigent. Obwohl er sehr viele Platten eingespielt hat – darunter den kompletten Mahler bei der EMI –, kam er aus dem Schatten seiner berühmteren zeitgenössischen Kollegen nie heraus. Als ich mir vor vielen Jahren eine der Mahler-Sinfonien anschaffen wollte, wurde ich gewarnt. Lass das sein, der Tennstedt ist langweilig. Solche Urteile werden dem Mann, der 1971 aus der DDR in den Westen geflohen war, nicht gerecht. Das habe ich inzwischen selbst herausgefunden. Jetzt ist bei Profil Günter Hänssler die 5. Sinfonie von Gustav Mahler herausgekommen, aufgenommen 1980 mit dem NDR Sinfonieorchester (PH 13058). Tennstedt war um diese Zeit dessen Chef, bis er 1983 von Georg Solti die Leitung des London Philharmonic Orchestra übernahm.

Tennstedt ist sehr um Ausgleich bemüht. Sein Mahler klingt weniger wild und aufbrausend. Brüche sind sanfter. Das berühmte Adagietto wirkt schlichter und nicht ganz so entrückt. Er schützt es vor Anfechtungen ins Kitschige. Ist das ein Grund, warum der Dirigent auch missverstanden wurde? Die Hamburger Aufnahme entstand an nur einem Tag, nämlich am 19. Mai. Das spricht für einen Mitschnitt, was aber nicht sein kann. Tontechniker hätten Wunder vollbringen müssen, um auch das letzte Hüsteln und Knistern des Publikums herauszuwaschen. Es ist aber kein Laut zu vernehmen – außer Musik. Als Ort der Aufnahme wird die Laeiszhalle genannt, das schöne Stammhaus des NDR-Orchesters, das den Zweiten Weltkrieg überlebt hat. Wie mancher Hamburger, kann auch ich mich als Berliner an diesen Namen noch immer nicht gewöhnen. Und ich muss jedes Mal nachdenken, wie der sich nun eigentlich schreibt. Dabei hat er in der empfohlene Aussprache einen schlichten Klang – nämlich Leißhalle. Sei’s drum. 1980, zum Zeitpunkt der Produktion, war das berühmte Haus, das 1908 fertig gestellt wurde, gemeinhin als Musikhalle bekannt. Dabei ist Laeiszhalle nicht neu. Gleich nach der Eröffnung sollen beide Namen parallel verwendet worden sein. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bürgerte sich Musikhalle ein – alles kurz und gut nachzulesen bei Wikipedia. Wer es noch genauer wissen will, findet auch Bücher zum Thema. Nun also ausschließlich Laeiszhalle, was auch als Referenz an das Hamburger Reederer-Ehepaar Carl Heinrich und Sophie Christine Laeisz zu verstehen ist, die zwei Millionen Mark für den Bau spendeten.

Im zweiten Programmteil bleibt Tennstedt bei Mahler. Die Kindertotenlieder werden von Brigitte Fassbaender mit viel Bruststimme in den dramatischen Steigerungen und großer Ruhe in den verinnerlichten schwermütigen Passagen gesungen. Auffällig ist die atmosphärische Nähe zwischen der Sinfonie und diesem Liederzyklus. Beide Werke in ein CD-Album zu packen erweist sich als vorzügliche Idee der Herausgeber. Wieder spielt das Sinfonieorchester des NDR. Die Aufnahme stammt ebenfalls von 1980, allerdings nicht aus der Hamburger Musikhalle, sondern aus dem Kieler Schloss. Wobei der Name dieses Gebäudes etwas sehr hoch gegriffen ist. Das richtige Schloss ist verschwunden. Es brannte nach einem Bombenangriff 1944 bis auf die Grundmauern herunter, die Ruine wurde abgetragen und 1961 durch einen strengen Neubau auf den historischen Fundamenten ersetzt, der mehr an ein Bürohaus denn an eine Residenz aus dem 16. Jahrhundert erinnert. In diesem Gebäude, das im unteren Teil durch einen Anbau erweitert wurde, befindet sich auch das Kieler Schloss genannte Kulturzentrum mit einem großen Saal.

Tennstedt hatte eine besondere Beziehung zu Kiel. Das Opernhaus der Stadt berief ihn 1972 zu seinem Generalmusikdirektor – ein Jahr, nachdem er die DDR Richtung Westen verlassen hatte. Das war ein Aufstieg. In der DDR hatte er eher eine Nebenrolle gespielt. Tennstedt wirkte in Halle und Chemnitz (damals noch Karl-Marx-Stadt), stieg schließlich an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul sowie am Staatstheater Schwerin zu leitenden Positionen auf und war auch der Komischen Oper Berlin mit einem Gastvertrag verbunden. Diese Spuren seines Wirkens sind weitgehend verwischt. Erfreulich ist, dass sein Name in der Dokumentation „Richard Wagner in der DDR “ von Werner P. Seiferth auftaucht. Darin werden beispielsweise in den 1950er Jahren eine Walküre in Karl-Marx-Stadt und ein Fliegender Holländer als Repertoirevorstellungen in Leipzig nachgewiesen. Als Dirigent der Premieren wird Tennstedt schließlich beim Rheingold am 27. Oktober und bei der Walküre am 1. November 1962 in Schwerin genannt. Daraus sollte eigentlich eine zweite Nachkrieg-Gesamtproduktion des Ring des Nibelungen werden, die aber in den ersten beiden Teilen stecken blieb.  Rüdiger Winter

Lukasz Borowicz

 


Der RIAS Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin sind nach bald 25-jähriger Zusammenarbeit ein gut erprobtes Gespann. Für frischen Aufwind sorgte der 38-jährige Warschauer Dirigent Lukasz Borowicz: „Heute geht es uns darum, Musik wieder neu zu entdecken. Wenn Beethoven Wranitzky darum gebeten hat, seine Kompositionen zu dirigieren, sollten wir seinem Urteil vertrauen. Wranitzkys Zeit wird kommen und bald schon werden seine Stücke in den Konzertprogrammen häufiger zu finden sein, davon bin ich überzeugt!“ Mit einem buchstäblichen Paukenschlag gab Borowicz am 4. Oktober 2015 im Konzerthaus Berlin sein Debüt beim RIAS Kammerchor. Auf dem Programm stehen Joseph Haydns Te Deum und die Missa in tempore belli sowie die „Friedens“-Symphonie des Wiener Hofoperndirektors Paul Wranitzky. Fesselnder als in dieser Saisoneröffnung lässt sich Zeitgeschichte nicht vermitteln. Und Lukasz Borowicz sagt: „Eines meiner ersten Stücke als Konzertmeister des Jugendorchesters war Haydns Schöpfung – in diesem Moment entstand in mir der große Wunsch, Dirigent zu werden! Ich verehre Haydn sehr und stoße immer noch auf mir unbekannte Werke.“ (Quelle Rias Kammerchor)

 

Der Rias Kammerchor/ Foto matthias Heyde/ Rias kammerchor

Der RIAS Kammerchor/ Foto matthias Heyde/ Rias kammerchor

Dazu der Dirigent im Gespräch mit Nina Jozefowicz: Sie sind das erste Mal zu Gast beim RIAS Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin. Wie begegnen Sie dieser neuen Zusammenarbeit? Das Repertoire des 18. Jahrhunderts begeistert mich sehr und die Geschichte der Französischen Revolution ist und bleibt faszinierend. Ich bin sehr dankbar dafür, bei diesem spannenden musikalischen Abenteuer zwei so bedeutende Ensembles an meiner Seite zu haben, die für ihre bemerkenswerten Interpretationen genau jener Musikepoche weltweit bekannt sind. Ich bin der Meinung, dass die Musik aus der Zeit Beethovens, aber auch früher, auf historisch authentischen Instrumenten gespielt werden sollte. Denn nur auf diese Weise können wir jene Klangfarben erzeugen, die den Komponisten tatsächlich vorschwebten.

Das Konzerthaus Berlin ist Ihnen bereits vertraut: Erst im Januar erhielt Ihre Gesamteinspielung des Orchesterwerks von Andrzej Panufik mit dem Konzerthausorchester den International Classical Music Award. Welche Rolle spielt Berlin für Sie? Berlin ist die Musikmetropole Europas. Ich bin sehr glücklich darüber, häufig in Berlin zu sein und träume davon, eines Tages sagen zu können: „Ich bin ein Berliner!“ Für’s Erste gebe ich mich damit zufrieden, die Stadt ein bisschen besser kennengelernt zu haben. Ich hatte das große Glück, an der Komischen Oper Berlin und mit dem Konzerthausorchester arbeiten zu dürfen. Letztes Jahr haben wir mit der Poznań Philharmonic im Haus des Rundfunks das Requiem von Roman Maciejewski uraufgeführt.

Der Komponist Paul Wranitzky/ Wiki

Der Komponist Paul Wranitzky/ Wikipedia

Ihr Lebensmittelpunkt ist Warschau: Sie sind dort geboren und studierten zunächst Geige. Stimmt es, dass eine Aufnahme von Dietrich Fischer-Dieskau Sie Ihre Liebe zum Gesang entdecken ließ? Ja, das stimmt. Die Violine ist mein Hauptinstrument gewesen und meine erste große, lang-andauernde Liebe. Dabei ist ihre Nähe zum Gesang ganz offensichtlich. Ich erinnere mich daran, bereits sehr früh, viele große Sänger gehört zu haben. Die Aufnahmen von Dietrich Fischer-Dieskau bedeuteten mir besonders viel. Ich werde niemals vergessen, wie begeistert ich von seiner Interpretation des Wozzeck unter Karl Böhm war, aber natürlich auch von seiner Einspielung der Schubert-Lieder.

Mit der Missa in tempore belli steht ein Spätwerk von Haydn auf dem Programm. Der besonders prächtige Klang des groß besetzten Orchesters und des Chores verweisen auf sein Meisterwerk Die Schöpfung. Was verbinden Sie persönlich mit der Musik von Joseph Haydn? Eines meiner ersten Stücke als Konzertmeister des Jugendorchesters war Haydns Schöpfung – in diesem Moment entstand in mir der große Wunsch, Dirigent zu werden. Ich verehre Haydn sehr und stoße immer noch auf mir unbekannte Werke, Sinfonien, Quartette, Klaviersonaten. Ich bin von seiner Entwicklung als Komponist fasziniert, die sich über viele Jahrzehnte hinweg erstreckte. Haydns Musik war in Polen immer schon sehr beliebt. Der polnische Komponist Franciszek Lessel war in Wien Haydns Schüler gewesen. In Lessels Memoiren habe ich eine Anekdote gefunden, wo er davon berichtet, dass Haydn seine Schüler auf sehr prosaische Art und Weise unterstützte: Er besorgte ihnen das beste Notenpapier!

Paul Wranitzky, Wiener Hofoperndirigent, gehörte zu den einflussreichsten und beliebtesten Komponisten der österreichischen Hauptstadt. Seine Sinfonien und Opern werden heute jedoch nur noch selten aufgeführt. Auf welche Weise haben Sie die Friedens-Sinfonie von Wranitzky kennengelernt? Seit vielen Jahren sammle ich Aufnahmen und CDs. Es gibt bereits zwei sehr gute Aufnahmen der Friedens-Sinfonie. In den letzten Jahren konnten wir ein steigendes Interesse an vergessenen Komponisten beobachten. Wranitzkys Geschichte ähnelt der von Johann Adolph Hasse, einem der populärsten Komponisten seiner Zeit, der jedoch fast vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Heute geht es uns darum, Musik wieder neu zu entdecken. Wenn Beethoven Paul Wranitzky darum gebeten hat, seine Kompositionen zu dirigieren, sollten wir seinem Urteil vertrauen. Wranitzkys Zeit wird kommen und bald schon werden seine Stücke in den Konzertprogrammen häufiger zu finden sein, davon bin ich überzeugt.

Der Komponist Josef Haydn/ (Ölgemälde von Thomas Hardy, 1791)/ Wiki

Der Komponist Joseph Haydn/ (Ölgemälde von Thomas Hardy, 1791)/ Wikipedia

Als Dirigent setzen Sie sich besonders dafür ein, selten gespielte Werke polnischer Komponisten bekannt zu machen. Welche Werke zählen für Sie zu den größten Entdeckungen? Ich dirigiere sehr häufig polnische Musik, deswegen fällt es mir schwer, einige wenige Aufnahmen hervorzuheben. Doch sicherlich ist es der Gesamteinspielung der sinfonischen Werke von Panufnik zu verdanken, dass diesem großen Komponisten des 20. Jahrhunderts wieder größere Aufmerksamkeit zukommt. Außerdem würde ich die Violinkonzerte von Grażyna Bacewicz nennen, die romantische Oper Monbar von Ignacy Dobrzyński sowie die Sinfonien von Zygmunt Noskowski. Vor kurzem habe

ich eine weitere Aufnahme mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra für Hyperion Records in der Reihe Romantic Piano Concerto gemacht. Und mit dem Pianisten Jonathan Plowright haben wir bereits Werke von Zarzycki, Żeleński, Różycki eingespielt. Und immer wieder kommen neue Ideen!

Seit Ihrer frühen Jugend sammeln Sie leidenschaftlich gerne CDs und Schallplatten. Ihre eigene Diskographie umfasst mittlerweile über 70 Aufnahmen. Mit wem haben Sie die Wette abgeschlossen, dass Sie bis zu Ihrem 40. Geburtstag die hundertste Einspielung veröffentlichen werden? Oder haben Sie vielleicht andere Ziele? Ich liebe es, Musik aufzunehmen und CDs zu produzieren. Man könnte sagen, es ist meine Leidenschaft. Ich empfinde es als großes Glück, meinen Beruf als meine Leidenschaft bezeichnen zu können. Und als Sammler weiß ich, dass jede einzelne CD, die ich aufnehme, „die bedeutendste“ ist. Deshalb konzentriere ich mich auf jedes einzelne Projekt. Die Anzahl der aufgenommenen CDs ist dabei nicht von Bedeutung. Was wirklich zählt ist der Inhalt, die Botschaft und die Qualität. Das ist mein persönliches Credo. Wenn ich eines Tages die 100ste Aufnahme produzieren könnte, dann würde mich das wirklich sehr freuen, doch es ist kein persönlich auferlegtes Ziel.

Schauspielhaus/ Konzerthaus Berlin/ tr.wikipedia.org

Schauspielhaus/ Konzerthaus Berlin/ tr.wikipedia.org

Im Januar 2016 steht Ihr Amerika-Debüt beim Los Angeles Philharmonic Orchestra an, und es warten weitere neue Herausforderungen auf Sie. Worauf freuen Sie sich besonders? Ich freue mich sehr darauf, mit den fantastischen LA Philharmonics dieses schöne Programm mit polnischer Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu erarbeiten! Ich fühle mich geehrt und bin voller Vorfreude, diese zeitgenössischen Werke in Amerika aufzuführen. Ich glaube, ein Dirigent sollte immer in beiden Bereichen aktiv sein, sowohl Opernrepertoire als auch sinfonische Werke dirigieren, und moderne sowie ältere Werke aufführen. Denn beide Seiten bedingen einander und beeinflussen sich gegenseitig, auf diese Weise gewinnt das Musizieren an Tiefe. Außerdem freue ich mich sehr über meine Pläne mit verschiedenen Orchestern in Europa sowie in Asien. Dabei versuche ich dem lateinischen Motto treu zu bleiben, das mich seit meiner Studienzeit in Siena begleitet: Micat in vertice! – was für mich so viel bedeutet wie: „Arbeite hart, und Du wirst den strahlenden Gipfel erreichen.“

 

Mit Łukasz Borowicz sprach Nina Jozefowicz; wir danken der Interviewerin und dem RIAS Kammerchor für die Überlassung des Gespächs, das sich im Programmheft des Abends wiederfand. Weitere Informationen zum Konzert und zur laufenden Saison des RIAS Kammerchors gibt es hier; dort auch Tips für den Kartenverkauf etc. Foto oben: Lukasz BOROWICZ/ c. Justyna Mielniczuk/ RIAS Kammerchor.

I tedeschi in Egitto

 

Eine ungewöhnliche Aida-Aufnahme gibt es aus Rom, wo eine der ganz, ganz wenigen Studio-Produktionen unserer Zeit entstand und ihre Geburt wohl nur dem Umstand einer ungewöhnlichen Besetzung verdankt. Anja Harteros und Jonas Kaufmann, als bewährtes Traumpaar der Operngegenwart gehandelt, sangen ihre erste Aida und seinen ersten Radamès. Womit deutlich wird, dass nicht nur die Tatsache der Studioaufnahme ungewöhnlich – und das ist ganz wertfrei gemeint -, sondern auch die Gestaltung zumindest dieser Partien es ist. Wer mit Aida eine Arena-di-Verona-Produktion und Maria Chiara (oder die Met mit Leontyne Price) verbindet, wird seinen Ohren nicht trauen, wie ganz anders das Werk klingen kann. Damit soll den beiden deutschen Sängern nicht abgesprochen werden, italienische Partien singen zu können und zu dürfen, aber unüberhörbar bleiben doch die Unterschiede zu den „klassischen“ Aufnahmen, schon einmal was das Verhältnis zwischen Wortdeutung und Melodienfluss betrifft, Wobei man auch konstatieren kann, dass die beiden Künstler die Agogik-Vorgaben des Komponisten sehr ernst nehmen, auch da wo es fast unmöglich erscheint, sie einzuhalten.

Das beginnt bei Kaufmann mit „Celeste Aida“, wenn in der Arie auf ausgesprochen heldische Töne, mit denen sich viele italienische Sänger bis zum Schluss begnügen, sehr intime Passagen mit viel dolcezza folgen, ein schneller Wechsel vom Forte-„trono“ zum Piano-„Sol“ stattfindet, „del mio pensiero tu sei regina“ sehr langsam, weil nachdenklich gesungen wird, der Sänger sich als Meister des feinen Verklingens und eines wirklichen morendo am Schluss erweist. Dass er auch anders kann, zeigt das strahlende „Immenso Fthà!“ am Schluss des zweiten Bilds. Ein fast gesprochenes „sogno, delirio è questo“ ist diskussionswürdig, bewundernswert die letzte Szene, in die auch ein kleiner colpo di glottide eingebaut ist.

Anja Harteros ist eine sehr hell klingende, sehr lyrische Aida, die mit den vielen rund- und warmstimmigen Aiden der instrumentalen Stimmführung nicht allzuviel gemein hat. Zum Niederknien schön ist die Schlussszene, das „Son io“ voll tenerezza, „invan“ mit leicht bitterem Unterton, traumhaft schön „O, terra addio“ im ätherischen Schwebeton. Zuvor überstrahlte der Sopran oft die Ensembles, wurden innige „Numi, pietà“ gesungen, werden dem „patria mia“ zarte Tongespinste gewidmet, die Arie im Nilakt von einem wunderschönen C gekrönt. Aber obwohl Ludovic Tézier kein stimmorgelnder Barbarenkönig ist, klingt der Sopran bei dramatischen Anforderungen besonders in der Höhe zu hart und vor allem angestrengt.

Ungewöhnlich also auch die Besetzung des Amonasro mit einem Sänger, der mehr Wert auf kultivierten Gesang als auf vokale Überwältigung legt. Téziers „suo padre“ klingt zärtlich, als wenn die Vater ihm in diesem Moment wichtiger ist als die Herrscherrolle. Eine hochsolide Amneris der gesunden stimmlichen Mittel, höchst sparsam mit der Bruststimme umgehend und die Stimme schlank haltend, so im wirklich „fra se“ gestalteten Sehnsuchtsruf im Boudoir ist Ekaterina Semenchuk. In der dramatischen Gerichtsszene bleibt die Stimme stets rund und kontrolliert. Ihre Amneris steht in der soliden Tradition der italienischen Diven. Einzudunkeln und ihn damit manchmal dumpf werden lassend scheint Erwin Schrott seinen Bass für den Ramfis, gute Besetzungen sind Marco Spotti für den Rè, Paolo Fanale für den Messaggero und besonders aufhorchen macht Eleonora Buratto mit der Sacerdotessa. Erstklassig ist der Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, wie aus dem Nichts kommend lässt Antonio Pappano mit eben deren Orchester die Sphärenklänge zu Beginn erklingen, kontrastreich ist er auch, was die Tempi betrifft, Ballettmusik wird als solche glatt, eher beiläufig und nicht tiefgründelnd musiziert. Der Studioaufnahme folgte eine konzertante Aufführung im Renzo-Piano-Konzertsaal, die ein ungeheuer positives Echo bei Publikum und Presse fand (3 CDs, Warner Classics 0825646106639). Ingrid Wanja

„Der Freischütz“ als Filmmusik

 

Diesmal wurde gespart. Die Prachtausgabe von Carl Maria von Webers Werk Der Freischütz ist nicht ganz so üppig ausgefallen wie die gleichfalls von Mercedes gesponserte Dokumentation über Richard Wagners Zürcher Liaison. Herausgeber ist wiederum die Syqouali Crossmedia AG (ISBN 978-3-9524329-2-1). Sie wurde 2008 von Jens Neubert und Peter Stüber gegründet. Der 1967 in Dresden geborene Neubert betätigt sich als Regisseur, Filmproduzent und Autor. Er hat den Freischütz-Film gedreht, der vor fünf Jahren in die Kinos kam und bei Kritik und Publikum freundliche Aufnahme fand. Inzwischen ist diese Produktion als DVD bei Constantinfilm (HC087848) herausgekommen. Ihr Weiterleben ist gesichert. Nun also der Soundtrack, besser gesagt, die Gesamtaufnahme der Oper aus dem Londoner Abbey Road Studio, die dem Film als musikalische Untermalung diente. Im umfänglichen Textapparat dieser großformatigen Neuerscheinung, die mehr Bildband und Reiseführer denn CD-Album ist, wird darauf kein deutlicher Bezug genommen, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Rechtliche Gründe dürften dafür nicht ausschlaggebend gewesen sein, denn alle Mitwirkenden werden genau in den Kostümen abgelichtet, die sie im Film tragen. Wer vom Film nichts weiß, fragt sich, wie kommen die zu diesem Putz?

Es hätte Sinn gemacht, richtig zuzulangen, DVD und CDs zusammenzuführen, anstatt knauserig den einen Teil vom anderen abzukoppeln. Und es wäre Gelegenheit gewesen, einige irreführende Bemerkungen auf dem DVD-Cover klarzustellen. Dort wird nämlich unter Hinweis auf die „Originalschauplätze in Sachsen“ der Eindruck erweckt, als sei Webers Oper ein dort angesiedeltes Volksstück. Das ist sie nicht. Neubert hatte die Handlung seiner Version zwar in das Jahr 1813 nach Dresden verlegt, lässt sie nicht in Böhmen nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges spielen, wie es bei der Uraufführung der Oper 1821 angezeigt wurde. Das ist ein nicht unproblematischer Kunstgriff. 1813 erreichten die Befreiungskriege gegen Napoleon auf sächsischem Gebiet ihren Höhepunkt. Dörfer und Städte wurden zerstört, die Zivilbevölkerung in das militärische Geschen hineingezogen. Ende August 1813 tobte die Schlacht um Dresden, bei der Napoleon zum letzten Mal gegen die verbündeten Armeen Österreichs, Preußens und Russlands siegte, bevor im Oktober bei Völkerschlacht sein machtpolitisches Ende eingeleitet wurde.

DVD Freischütz Harding

Der Freischütz-Film ist auch auf DVD erschienen – Constaninfilm (HC087848)

Vor diesem Hintergrund setzt Neubert seinen Freischütz in Szene. Die Geschichte um den Probeschuss geht nach meinem Dafürhalten in diesem historischen Ambiente nicht ganz auf. Offenbar trieben auch Neubert selbst Zweifel um. Er stützt sein Konzept durch einen zusätzlichen Kunstgriff. Noch vor Beginn der Ouvertüre, die nach wenigen Takten von Kanonendonner regelrecht zerschossen wird, lässt er den Mythos als sagenhaftes Puppenspiel anklingen, bei dem sich echte Kinder in echtem Gras unter echten Bäumen räkeln. So realistisch und üppig bleibt die Optik den ganzen Film über. Es wurde nicht gespart. Als habe es die vielen Zumutungen, die diese Oper in den letzten Jahren in Opernhäusern über sich ergehen lassen musste, nie gegeben. Wieder so ein kommerzieller Opernfilm, der den Regeln des Regietheaters misstraut und in die konservativen bunte Bildersprache flüchtet, die schon bei Münchhausen mit Hans Albers bemüht wurde. Auf der CD bleiben die Schießgewehre bei der Ouvertüre im Schrank. Nur in die Dialoge und beispielsweise ins einleitende Getümmel mit dem Spottchor schieben sich lebensnahe Töne aus dem Film in die musikalische Darbietung hinein. Manchmal passt es, manchmal nicht. Ein sehr lebendiges Schwein grunzt hier wie dort. Im Film ist es zu sehen und erklärt sich selbst, auf der CD ist es nur zu hören und macht überhaupt keinen Sinn. Nicht zuletzt durch dieses Tier entpuppt sich die CD-Ausgabe als Abfallprodukt. Auch an anderen Stellen wirken übernommenen Dialogteile nicht schlüssig und zu abgehackt. Warum sprechen die nur manchmal so komisch? Elementare Unterschied zwischen Film und Hörspiel können nicht überbrückt werden.

Unangetastet bleiben die sängerischen Leistungen. Mit Juliane Banse ist die Agathe stimmlich reif besetzt. Sie singt ihre beiden großen Szenen mit Ruhe und Würde. Geht die Stimme in die Höhe oder will sie in Jubel ausbrechen, klingt sie angestrengt und nicht so genau wie in den getragenen Passagen. Die Sonne ihrer Kavatine im dritten Aufzug wird nicht nur von der Wolke verhüllt sondern leider auch von der Stimme. Regula Mühlemann gelingt ein entzückendes Ännchen. Sie füllte die Figur völlig aus, auch, weil sie noch sehr jung und am Beginn ihrer Karriere ist und nicht auf jung machen muss. Selten hatte ich an dieser Figur so viel Freude – und Spaß. Michael König kann sich nicht entscheiden, ob er seinen Max nun dramatisch und zupackend oder mehr lyrisch introvertiert anlegen soll. Er schwank hin und her, klingt mal so, mal so. Optisch kann er durch seine raumgreifende Darstellung wettmachen, was die Stimme nicht hergibt. Auf der CD fällt dieser Teil weg. Im spannungsgeladenen Terzett im ersten Aufzug kommt Michael Volle als Kaspar gegenüber Max nicht richtig zum Zuge – als sei er am Mischpult zurückgedreht worden. Wenn dann noch Kuno (Benno Schollum) hinzutritt, fällt es schwer, die Akteure auseinanderzuhalten. René Pape hat als Eremit zwar seinen großen Auftritt, hebt sich aber in in diese Szene gegen den Ottokar von Franz Grundheber vom Timbre her nicht genug ab. Er bleibt nicht elitär, sondern wird zur Ensemblefigur degradiert. Seinem Erscheinen hätte ein Schuss Magie gut getan. Die ist aber offensichtlich überhaupt nicht gewollt in dieser Produktion. Daniel Harding am Pult des London Symphony Orchestra hat sich für einen ehr klaren Stil entschieden und passt die gesamte Oper der realistischen Szene an. Auch der Rundfunkchor Berlin folgt dieser Lesart.

Der Freischütz als Filmmusik! Das ist vielleicht etwas drastisch ausgedrückt, aber es läuft darauf hinaus. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass nach dem Schluss der Oper – genau wie im Film – noch gut vier Minuten drangehängt wurden. Zunächst glaubt man seinen Ohren nicht zu trauen. So leise und von irgendwoher kommt es. In das Vogelgezwitscher, Waldesrauschen und Glockegeläut mischen sich wie aus einer fernen, vergangenen Zeit einige musikalische Motive der Oper. Als sei die Natur in ihrer Unschuld wieder hergestellt. Wie Fernsehwerbung für deutschen Wald und Bio-Honig! Auch Meditationsmusiken klingen so und CDs, die zum Einschlafen aufgelegt werden können. Mit dem Freischütz hat das wenig bis nichts zu tun.   Rüdiger Winter

 

(Und übrigens – „Der Feischütz“ ist nicht „Hunter´s Bride“, wie auf dem Cover gleich groß gedruckt, da fehlt der Artikel! „Hunter´s Bride“ klingt wie eine Kneipe in Nord-England; selbst in Englisch heißt Der Feischütz nur Der Freischütz…). G. H.

Zedda in Antwerpen

 

Die Geburt von Verdis war gleichbedeutend mit dem Tod von Rossinis Otello,  im 19. Jahrhundert bekannt und häufig aufgeführt, die Canzone del Salice sogar doppelt parodiert in Rossinis Convenienze und Donizettis Campanello. Dazu kam im Laufe der Zeit die wachsende Schwierigkeit, drei gleichwertige Tenöre für Otello, Iago und Rodrigo, bei Rossini von ungleich größerer Bedeutung als der Verdis, zu finden. Selbst im Rahmen der Rossini-Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Otello eines der selten aufgeführten Werke und wenn doch, dann wenig authentisch, wie zum Beispiel die Aufnahme mit José Carreras in der Titelpartie beweist. Alberto Zedda hat sich auch dieses Werks 2014 angenommen und in dem Opernhaus von Antwerpen wie bereits bei anderen Rossini-Opern einen beherzten Mitstreiter gefunden.

Natürlich darf man nicht mit den gleichen Erwartungen an beide Opern herangehen,, sondern den Rossini als das nehmen, was er ist, als die Möglichkeit für Sänger, mit virtuosen Bravourarien zu brillieren, nicht unverwechselbare Charaktere zu porträtieren. So gesehen ist die Aufnahme von Dynamic eine begrüßenswerte, die bereits in der Sinfonia den Rossini-Experten mit einer raffinierten Agogik wahrnehmen lässt.

Eine zweite Karriere ganz besonderer Art ist dem Sänger des Otello, Gregory Kunde, häufig auch in Pesaro zu Gast, gelungen, der nicht nur den rossinischen, sondern nun auch noch den verdischen Otello singt. Die Stimme ist etwas schwergängiger als die der beiden anderen Tenöre, von großer Durchschlagskraft, ungefährdeten Höhen ohne Flucht ins Falsettieren und insgesamt etwas dunkler, besonders in  „Notte per me funesta“, als die des Rodrigo von Maxim Mironow, ebenfalls in Pesaro (und Wildbad)  künstlerisch zu Hause, mit jünglingshafter, weicherer Tenorstimme, die „Ti parli d’amore“ besonders schön einleitet, sicher in den Intervallsprüngen, mit raffinierten Abellimenti arbeitend und einem angenehm klingenden Falsettone ausgestattet ist. Passend zur Rolle ein bisschen Falschheit in der Stimme hat der Iago von Robert McPherson, ein gleisnerisch klingender Charaktertenor, dessen helle Stimmfarben ein ganz anderes Charakterbild, wenn auch ein gleich böses, im Vergleich zu Verdis Jago zeichnen. Den Vater Desdemonas, Elmiro Barberigo, singt Josef Wagner mit geschmeidigem Bariton, Maarten Heirman verleiht dem Dogen dunkle Töne und Stephan Adriaens hat für den Gondoliere die Schwermut für sein böse Ahnungen weckendes Lied in der Stimme.

Die leicht dunkle Färbung ihres Soprans macht aus Carmen Romeu eine Desdemona, deren Schicksal vorausbestimmt zu sein scheint, ihr Sopran ist nicht der eines unbefangenen Mädchens, verfügt aber über dolcezza, ist zu feinen Piani fähig. Manchmal, so in „Che smania“ geht die korrekte Artikulation etwas unter, in „non arrestar il colpo“ zeigt sie, dass die Stimme auch zu Dramatischem fähig ist. Raffaella Lupinacci ist eine Emilia mit Kammerkätzchensopran. Noch 2015 wird Alberto Zedda in Gent Rossinis Armida dirigieren (Dynamic CDs 7711/1-3). Ingrid Wanja

Cronique Scandaleuse

 

Das 125 Seiten schmale Bändchen mit dem gewichtigen Titel Meine Skandale von Gabriel Astruc handelt von immerhin vier derselben, die die Pariser Musikwelt vor dem Ersten Weltkrieg am stärksten erregten, wenn man dem Autor glauben mag, und die zu den Ursachen gehörten, die ihn als Erbauer und Direktor des Théâtre des Champs-Élysées nach einer nur wenige Wochen dauernden Spielzeit scheitern ließen. Voran gestellt sind den Ausführungen des Musikjournalisten, Impresario offensichtlich auch Gesellschaftslöwen einmal das Vorwort von Olivier Corpet, in dem dieser die Geschichte der Geschichten erläutert, die eigentlich bereits 1936 zur Veröffentlichung bestimmt  waren, die aber einer allgemeinen Krise des französischen Verlagswesens zum Opfer fiel.

Gabriel Astruc Meine Skandale Verlag BerenbergZum anderen folgt ein kurzer Abriss der Lebens- und Karrieregeschichte des Autors als einer „Schlüsselfigur der Musikgeschichte“, geschrieben von Myriam Chimènes, beginnend mit der Mittelung des Figaro vom 5.11.1913, nach der das Theater Astrucs „seine Aufführungen unterbrechen“ wird. Bereits 1902 hatte Astruc die Zeitschrift Musica gegründet, 1904 seine eigene Firma mit der Société Musicale ins Leben gerufen, einen Verlag für Musik und eine Künstleragentur zugleich. Die amerikanische Mentalität und das dortige Musikleben faszinierten ihn so sehr, dass er beschloss, seine „Projekte im Zeichen des Dollars“ zu konzipieren. Seine Memoiren erschienen unter dem Titel „Le pavillon des fantomes“, um die finanziellen Mittel für den Bau eines eigenen Theaters flüssig zu machen, gründete der Impresario eine Aktiengesellschaft, der Erwerb des dafür vorgesehen Grundstücks scheiterte unter anderem an antisemitischen Anfeindungen, so dass der Name des Theaters, das an der Avenue Montaigne gebaut wurde, über den wahren Standort trügt. Eröffnet wurde es mit Berlioz` Benvenuto Cellini, fortgeführt wurde die Saison mit dem achten Auftritt der von Astruc nach Paris geholten Balletts Russes von Diaghilew, der Boris Godunow konnte wegen einer finanziellen Katastrophe des Theaters nur mehr als einmalige, von den Mitwirkenden veranlasste Aufführung gezeigt werden. Bis zu seinem Tode 1938 arbeitete Astruc vor allem als Musikredakteur.

Die Texte Astrucs sprechen von einem gesunden Selbstbewusstsein, teilweise sogar von einer gewissen Arroganz und sind bei weitem nicht frei von einem selbstgefälligen name dropping, wenn er aufzählt, wer alles sich  in den Logen seines Hauses und anderer, von ihm bespielter Theater tummelte. Da wimmelt es von Namen aus internationalem Hochadel und berühmten Künstlern, von denen ihm besonders Proust bei Angriffen zur Seite stand. Den Skandal sieht der Verfasser als eng verbunden mit der Musikwelt, sieht beinahe in ihm eine Garantie für den späteren Erfolg eines Kunstwerks. Seine ganz persönlichen Skandale sind die Aufführung der Salome  mit dem Dirigenten Richard Strauss, der die Künstlerin, die anstelle von Emmy Destinn die Salome tanzte, zurecht wies, als sie sich beim Applaus ostentativ an seine Seite stellt; die Tänzerin Ida Rubinstein als Heiliger Sebastian in Debussys „Martyrium“, die den Erzbischof von Paris auf den Plan rief; die angeblich obszöne Geste von Nijinsky als Faun, der (weil der Vorhang zu schnell fiel) allzu lüstern sich über den Schleier der begehrten Nymphe warf und schließlich im Mai 1913 „Die denkwürdige Schlacht um den Sacre du Printemps“ .

Das alles ist mit leichter Feder, unterhaltsam und amüsant, dazu nicht ohne Selbstironie geschrieben, bitterer wird es, wenn sich Astruc über die Gründe äußert, die die klassische Musik, unter ihr die Oper, ruinieren werden: der Tango, der Sport, das Kino. Nun, inzwischen wurde auch schon das Kino totgesagt, und sowohl Kino als Oper leben noch (Verlag Berenberg, 125 Seiten; ISBN 978-3-937834-84-9). Ingrid Wanja  

Franco Fagiolis DG-Debüt

Die Deutsche Grammophon hat zum ersten Mal einen Countertenor exklusiv unter Vertrag genommen. Und man hat sich richtig entschieden: Franco Fagioli ist (für mich) der stimmlich flexibelste Kandidat seiner Stimmlage und das beweist er auch auf der neu erschienen und ganz auf ihn zugeschnittenen Gesamtaufnahme von Glucks Orfeo ed Euridice. Zu hören ist die italienische Originalfassung von 1762. Die französische Fassung Orphée et Eurydice von 1774 liegt ebenfalls bei DG-ARCHIV vor und zwar in der großartigen Einspielung Marc Minkowskis aus dem Jahr 2002, bei der der Tenor Richard Croft vorbildlich die Rolle des Orphée sang (und die Stimmung in die originale Tiefe gelegt wurde). Damals wie heute – die vorliegende Aufnahme wurde im Frühjahr 2015 angefertigt – erfolgte die Einspielung im Pariser Théâtre de Poissy. Damals wie heute handelt es sich um eine inspirierte und beachtenswerte Einspielung, die für Gluck-Freunde eine Bereicherung des Repertoires darstellt. Ein Rivale dieser Neueinspielung ist 2001 bei harmonia mundi erschienen: René Jacobs‘ Referenzaufnahme der italienischen Version mit dem Freiburger Barockorchester besetzte die ursprünglich für den italienischen Kastraten Gaetano Guadagni geschriebene Rolle des Orfeo mit der Mezzosopranistin Bernarda Fink. Der Verdienst und die Stärke dieser Neueinspielung liegen darin, dass man mit Fagioli die für mich bisher beste Aufnahme mit einem Countertenor vorlegen kann.

Wer Franco Fagioli bereits live erlebt hat, weiß um seinen drei Oktaven umfassenden Stimmumfang, seine Belcanto-Technik, das sensible Vibrato und die atemberaubende Virtuosität, mit der er rasend schnell Koloraturen singen und ein Publikum zum Staunen und Jubeln bringen kann. Bei dieser Neueinspielung setzt Fagioli verschiedene Ausrufezeichen und zeigt, dass der Orfeo für ihn eine Paraderolle ist, bei der er seine außergewöhnliche Stimme in Szene setzen kann: verführerisch und schmeichelnd (besonders schön in der 1. Szene des 2. Akts), sensibel und voller Ausdruck (z.B. in „Che puro ciel“ oder „Che faró senza Euridice“), und mit klarer Höhe und in typischer Manier Fagiolis („Addio, o miei sospiri“). Auch wer Fagiolis Timbre gewöhnungsbedürftig findet, muss den stimmlichen Fähigkeiten des Argentiniers hier seinen Tribut zollen. An Fagiolis Seite finden sich die schwedische Sopranistinnen Malin Hartelius als Euridice

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und Emmanuelle de Negri als Amore. Stimmlich kontrastieren und ergänzen sich die drei Sänger sehr gut; sie haben, wie auch Chor und Orchester, diese Oper bereits seit 2013 in identischer Zusammensetzung aufgeführt. Gespielt wird auf historischen Instrumenten. Die französische Dirigentin Laurence Equilbey, die Nicolaus Harnoncourt als ihren Mentor nennt, leitet das von ihr gegründete Insula Orchestra und den tadellos klingenden Choeur Accentus. Zu hören ist eine sehr gute, feinfühlige, anteilnehmende, die Ausdrucksmöglichkeiten zwischen Trauer, Hoffnung, Gedenken und Verzweiflung auslotende Interpretation, die den Originalklang-Klassikern (z.B. der oben erwähnte René Jacobs oder auch Sigiswald Kuijken mit La Petite Bande) wesensverwandt ist, ohne sich davon deutlich abzusetzen oder sie zu übertreffen. Die Box enthält drei CDs und überraschenderweise ist die Gesamtoper auf der zweiten und dritten CD. Die erste CD ist ein 66minütiger Querschnitt der Höhepunkte der vorliegenden Einspielung, ergänzt durch drei zusätzliche Stücke der Pariser Version (1774). Hier kann man dann den Reigen seliger Geister, den Tanz der Furien sowie die Bertoni-Arie „Addio, o miei sospiri“, als Bravourstück für Fagioni, hören. Diese Einstiegs-CD ist sowohl sehr guter Appetitanreger als auch zusammenfassende Highlight-CD für Fagioli-Fans oder die, die es werden wollen. (ARCHIV Produktion, 3 CDs, 479 5315). Marcus Budwitius

Russen in München

 

Eine hochdramatische Pique Dame ist dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu verdanken, das unter Mariss Jansons 2014 bei mehreren konzertanten Aufführungen in der Philharmonie die Kontraste zwischen metereologischer Heiterkeit und Gewitterdüsternis im ersten Akt wie die zwischen harmloser Schäferromantik und seelischer Zerrissenheit des unseligen Hermann in den folgenden Akten wirkungsvoll herausarbeitet, in der Begleitung der Sänger stets rücksichtsvoll bleibt und die verhängnisvollen „tri karti“ in allen möglichen Variationen zu Gehör kommen lässt. Auch der Chor zeigt sich bei seinen anspruchsvollen Aufgaben von Martin Wright bestens vorbereitet, ebenso der vielgeforderte Kinderchor (Stellario Fagone).

Äußerst hochkarätig und durchweg muttersprachlich ist die Besetzung, an der Spitze Misha Didyk als

Hermann mit überaus wandelbarer Tenorstimme, zunächst ungewohnt weich und jünglingshaft klingend, dunkel verhangen und fast baritonal hingegen am Schluss, stets das Pathologische der Figur hören lassend und wie unter dauernder Anspannung stehend. Die auch heldentenoralen Einsatz erfordernde Partie des „russischen Otello“, die, von entsprechenden Sängern interpretiert, weniger interessant wirkt, hat in ihm einen idealen Interpreten gefunden. Eher väterlich als den Liebhaber herauskehrend wirkt der Jeletzkij von Alexey Markov, der seine schöne Arie mit viel dunkler Wärme erfüllt, auch diese Partie hat man anders, eher von einem helleren lyrischen Bariton gesungen im Gedächtnis. Mehr auf eine deftige Schilderung und humorvolles Singen als auf puren Schöngesang ist zu Recht der Tomskij von Alexey Shishlyaev in seiner Ballade bedacht. Tatiana Serjan besitzt für die Lisa einen trotz einigen Vibratos mädchenhaft klingenden Sopran sanfter Melancholie, singt die dramatische Szene an der Newa ohne jede slawische Schärfe, in der Höhe manchmal etwas knapp. Gar nicht klapprig wirkt die Gräfin von Larissa Diadkova, das dunkle Timbre von Oksana Volkova passt ausgezeichnet zu ihrem schwermütigen Lied. Die vom Bayerischen Rundfunk herausgegebene dreifache CD garantiert ein mitreißendes Hörerlebnis (BR Klassik 900129). Ingrid Wanja

Aus den Melodiya-Kellern

 

 

In den Kellern der staatlichen Melodija lagern vermutlich noch Kisten voller Aufnahmen mit Mark Ermler, die das Ende der Sowjetzeit ebenso gut überstanden haben wie die Firma. Ermler gehörte zu den prägenden Figuren des russischen Musiklebens; nach den kürzlich veröffentlichten  Puccini- und Prokofieff-Überraschungen (siehe nachstehend) darf man nun gespannt auf zwei Einakter Rimski-Korsakows sein (Mel CD 10 02344). Eine Zwei-CD-Ausgabe Orchestral and choral works by Sergej Taneyev (Mel CD 10.02374) dirigiert sein international noch höher geschätzter, vier Jahre älterer Kollege Jewgeni Swetlanow (1928-2002), der zeitweise Chef- und Ehrendirigent des Bolshoi Theaters war  und ab 1965 über Jahrzehnte das Staatliche Sinfonieorchester der UDSSR prägte.

rimsky mozart und salieri melodiyaDie beiden Einakter Rimski-Korsakows wurden im Dezember 1898 in Moskau durch das private Opernunternehmen des reichen Industriellen und Kunstliebhaber Sawwa Mamontow uraufgeführt: die beiden Szenen von Mozart und Salieri nach dem gleichnamigen Drama von Puschkin sowie der Einakter Die Bojarin Vera Scheloga, welcher eine Umarbeitung des Prologs von Rimski-Korsakows mehr als 25 Jahre zuvor uraufgeführtem Opernerstling Das Mädchen von Pskow darstellt.
In der 1986 entstandenen Aufnahme von Mozart und Salieri  schlüpft Jewgeni Nestorenko in die von Schaljapin kreierte Partie des Salieri, der seinen Konkurrenten Mozart vergiftet, mit suggestiver und höchst wandlungsfähiger Wort- und Tonbehandlung, in der Rimski-Korsakow dem von Dargomyschski eingeschlagenen Weg folgt. Wie bereits die anderen Aufnahmen wirkt die Einspielung sehr dicht, ist der Klang  direkt und nah. Die nicht sehr hoch liegende Partie des Mozart – Schaljapin behauptete, gelegentlich beide Partien gesungen zu haben – wird mit hellem, leuchtendem Tenor von Alexander Fedin gesungen, der kurz zuvor am Bolshoi debütiert hatte und seit den 1990er Jahren in Westen singt und in Köln in kleineren Partien (kürzlich als Welko in der Arabella) noch in Erscheinung tritt. Auf die umfangreiche Ouvertüre, viel zu mächtig und dramatisch aufgeladen, um die gut halbstündige Die Bojarin Vera Scheloga als eigenständiges Werk zu spielen, folgt eine wie von Tschaikowsky entworfene Frauenszene zwischen Amme und Veras Schwester Nadeja. Ihr gesteht Vera in einer ausgedehnten Erzählung, die im Mittelpunkt des Einakters steht, dass der Vater ihrer neugeborenen Tochter ein Fremder sei, in den sie sich im Wald auf Anhieb  verliebt habe. Als Veras Mann nach einjähriger Reise heimkehrt, behauptet Nadeja die Mutter des Neugeborenen zu sein. Wie im anderen Einakter erreicht Ermler in der ein Jahr zuvor aufgenommenen Einakter den Eindruck von Intimität und Nähe, musiziert subtil und spannungsgeladen, ist mit dieser Musik aufs innigste vertraut. Tamara Milashkina wirkt als Bojarin Vera liebevoll im Schlaflied, aber doch vor allem sehr resolut und etwas scharfkantig. Nina Grigorieva als Amme und Olga Teryushnova vervollständigen das Damen-Trio sehr vorteilhaft, die beiden Bässe spielen nur eine untergeordnete Rolle.


Von Swetlanow muss noch mehr in den Archiven lagern. 2000 Aufnahmen soll er allein mit dem Staatlichen Sinfonieorchester der UDSSR gemacht haben. Von 1988 stammt die Aufnahme der vierten Sinfonie des vor hundert Jahren verstorbenen Sergej Tanejew (geboren 1856), von 1990/91 die Konzertsuite für Geige und Orchester op. 29 sowie die Kantate Johannes von Damaskus für Chor und Orchester op. 1; das bekannteste Stück aus seiner einzigen Oper Oresteia ist die als Der Tempel des Apoll in Delphi überschriebene Zwischenaktmusik aus dem dritten Akt, deren Einspielung aus dem Jahr 1984 stammt. Tanejew studierte u. a. bei Tschaikowsky und Rubinstein und lehrte ab 1878 am Moskauer Konservatorium, dessen Direktor er zeitweise war und wo er 1883 die Kompositionsklasse übernahm. Auf der Basis eines Gedichts von Alexej Tolstois entstand 1884 die Kantate über den im 7. und 8. Jahrhundert wirkenden Kirchenvater und Theologen, in der sich Tanejews kontrapunktische Meisterschaft und seine Beschäftigung mit der mehrstimmigen Musik der Renaissance und des Barock zeigt. Die dreiteilige, etwa 25minütige Kantate ist ein grandios durchorganisiertes, hochromantisches Werk, deren Bläser und Streichersätze Swetlanow präzise herausmeißelt und deren Gesangspart der Große Chor des USSR All-Union Radio mit der Inbrunst formuliert, die diesem russischen Requiem zukommt. Die vierte Sinfonie aus dem Jahr 1898 gilt als beste von Tanejews vier Sinfonien, die zehn Jahre später entstandene Suite ist sein einziges Beispiel eines virtuosen Solokonzerts. Swetlanow, der nahezu alle russischen Orchesterwerke des 19. und 20. Jahrhunderts aufgenommen haben dürfte, ist ein fesselnder Interpret dieser Werke, die er mit kompaktem Klangbild und überbordendem Reichtum an Gefühlen dirigiert. In der fünfteiligen, nach barockem Muster entworfenen Suite op. 28, für die sich später auch gerne David Oistrach einsetzte, besticht der wenig bekannte Andrej Korsakov (1946-91) durch seinen stilgewandt schönen Ton sowie im umfangreichen 4. Satz – Thema und Variationen – durch eine Brillanz und Virtuosität wie aus dem 19. Jahrhundert . Viel bewundert, doch kaum aufgeführt mit Ausnahme der Ouvertüre oder der Zwischenaktmusik, ist Tanejews 1895 uraufgeführte Oresteia nach Aischylos eine hochromantische Antikenvergegenwärtigung, die in Swetlanow ihren kongruenten Interpreten findet.  Rolf Fath

 

Es war das teuerste Paket, das aus der Sowjetunion in den Westen geschickt wurde: Gleich im Dreier-Pack wurden der Tenor Vladimir Atlantov und seine Frau, die Sopranistin Tamara Milashkina, sowie der Bariton Yuri Mazurok in den 70er Jahre häufig an westliche Bühnen ausgeliehen, wo vor allem die beiden Männer geschätzt wurden; Atlantow vornehmlich an der Wiener Staatsoper, an der bis Anfang der 90er Jahre auftrat. Doch auch die Milashkina ist nicht zu unterschätzen, wie die die Moskauer Studio-Aufnahme der Tosca von 1974 mit dem Ensemble des Bolshoi-Theaters beweist, die zusammen mit Krieg und Frieden und der Geschichte eines wahren Menschen zu den jüngsten, sorgfältig restaurierten und in nette Klapp-Pappalben verpackten Schätzen aus den Archiven der Melodiya gehören, die den Zusammenbruch der Sowjetunion überlebte und im Vorjahr ihr 50jähriges Bestehen feierte. Alle drei werden von Mark Ermler (1932-2002) dirigiert, der 1957 am Bolshoi debütiert hatte und als einer der letzten Repräsentanten der alten russischen Schule galt. Es musizieren Chor, Orchester und Solisten des Bolshoi-Theaters.

Wir erleben bei Tosca ein glutvolles, leidenschaftliches Musizieren wie unter Live-Bedingungen, spüren eine Spannung, mit der uns diese technisch bestens aufbereiteten Aufnahme mitten in das Geschehen zwingt. Großartiges, raumgreifendes, hochdramatisch aufwühlendes Musiktheater, wie es in solch entfesselter Direktheit sicherlich noch die Zuhörer auf den obersten Rängen des Bolshoi-Theaters oder in den letzten Reihen des ungnädig großen Kreml-Palastes in seinen Bann gezogen hat (Mel CD 10 02359). Es ist unmöglich, von dieser Aufnahme nicht fasziniert zu sein. Alle drei Protagonisten befanden sich zum Zeitpunkt der Aufnahme auf dem Höhepunkt ihres Singschaffens. Wir haben uns angewöhnt, neben Vishnevskaja, die in ihrem Buch Unrühmliches über die drei („typische Produkte des Sowjetregimes“) wie zu den Begleitumständen dieser Aufnahme erzählt, andere Sowjetsängerinnen der Ära zu übersehen. Vishnevskaja, die ich in London in der Partie erlebte, war zweifellos eine atemberaubende, furiose und leidenschaftliche Tosca, Milashkina besitzt sicherlich nicht die Nuancen und die nervige Gespanntheit, und ihr Italienisch ist nicht sehr geschliffen, dafür einen in allen Lagen satten, dunklen Sopran und eine bombensichere Höhe. Hier singt eine russische Primadonna, die keinen Zoll weicht. Mit seinem expansiv höhenstarken Bariton gibt Mazurok einen zynischen Polizeichef, vielleicht mit nicht mit der Brutalität und der charakterbaritonalen Fiesheit, die man oft erlebt, denn Mazurok trumpfte auf der Bühne nicht mit dramatischer Kraft auf, sondern der noblen Linienführung seines bestes geschulten Kavaliersbaritons. Eine schiere Wucht sind die „Vittoria“-Rufe Atlantows, der als Cavaradossi jugendliches Feuer mit männlichem Draufgängertum und unbändiger Kraft verbindet und eine greifbare szenische Präsenz ausstrahlt. Atemberaubend. Wer hätte das gedacht. Die weitere Besetzung hat – bis hin zum Altisten Alexander Pavlov als Hirt – ein Gesicht. Die Aufnahme stelle ich doch gerne neben die anderen fünf Dutzend Toscas.

 

krieg und frieden ermler melodya1961 entstand unter Ermler, der bereits im Jahr zuvor (nach einer von den sowjetischen Offiziellen schlecht aufgenommenen konzertanten Uraufführung 1948 in St. Petersburg) im Bolshoi die szenische Uraufführung von Sergej  Prokofjews letzter Oper dirigiert hatte, die Studioaufnahme von Die Geschichte eines wahren Menschen. Ein Dokument aus erster Hand (Mel CD 10 02353, Booklet in engl., russ., frz.), zudem die einzige Aufnahme von Prokofjews op. 117, da offensichtlich nicht einmal Valery Gergiev, der immerhin den ebenfalls sehr raren Semyon Kotko einspielte, Prokofjews unbekannteste Oper in sein Prokofjew-Projekt integrierte. Der wahre Mensch in Prokofjews und Mira Mendelsohns Libretto nach dem gleichnamigem Roman, mit dem Boris Polewoi 1947 einem russischen Kampfflieger ein heroisches Denkmal setzte, ist der Pilot Alexej Maresjew, der 1942 hinter der Frontlinie abgeschossen wird und trotz seiner zwei schwer verletzten Beinen, trotz Hunger und Durst, zwei Wochen lang durch die Wälder bis zu seinen Leuten kriecht, wo ihm im Fronthospital beide Beine abgenommen werden müssen. Maresjew überlebte; er starb 2001. Er wurde zum Propagandainstrument und Vorzeigehelden. Stalin selbst soll den Prawda-Journalisten Polewoi auf das Thema aufmerksam gemacht haben. Immerhin war dem Roman ein längeres Leben beschieden als Prokofjews Oper, die – anders als man von solch einen Schulbuchstoff erwarten würde – überraschend originell ausgefallen ist. Prokofjew entledigte sich ganz offenbar nicht einfach einer Pflichtaufgabe, sondern schuf in Fortsetzung der Musiken zu Alexander Newski und Iwan der Schrecklich eine über weiteste Strecken sehr inspirierte Musik, die mit dem Volkstanz am Ende des ersten Aktes, dem Walzer und der Rumba im dritten Akt gewitzt mit Formen umgeht und in den orchestralen Zwischenspielen Virtuosität entfaltet; ähnliches gilt für die feingliedrigen Gesangsmuster, darunter ein Terzett im 4. Bild. Im Grunde ist der Dreiakter der umfangreiche Monolog des abgestürzten Alexej, in den Ängste, Gewissensqualen, Träume, Erinnerungen und Hoffnungen in Form vielfacher Begegnungen mit Freunden und Familie hereinwehen. Evgeny Kibkalo, der die Partie in Uraufführung gesungen hatte, gewinnt dem rezitativischen, sich manchmal arios aufraffenden Gesang des Alexej mit einem festen, dunkel männlichen Bariton viele Nuancen ab. Obwohl die weiteren Figuren nicht wirklich zum Leben erwachen liefern Kira Leonova als Krankenschwester Klavdiya, der überragende Artur Reisen als Kommissar, Georgy Pankov als Alexejs Freund Andrei und Alexei Maslennikov als Pilot Kukushkin gute Rollengestaltungen. Und Ermler merkt man an, dass er stolz darauf ist, die Oper im Studio einspielen zu dürfen.

 

Die Geschichte eines wahren Menschen beginnt mit einem Chorsatz, der in der Bolshoi-Produktion auch am Ende wiederkehrt, ähnlich dem Chor-Epigraph in Krieg und Frieden. Ermlers Aufnahme von Prokofjews Tolstoi-Oper, zu der dieser gemeinsam mit seiner Frau das Libretto geschrieben hatte, stammt aus dem Jahr 1982 (Mel CD 10 01444; Booklet in engl. und russ.). Wir befinden uns in einer anderen Ära. Gegenüber den beiden anderen Aufnahmen war ich ein wenig enttäuscht. Man spürt Ermlers Theatererfahrung, denn die Szenen besitzen einen Bogen, auch Timing und Spannung stimmen, doch irgendwie erwachen sie nicht richtig zum Leben, es fehlt diese besondere Unmittelbarkeit, welche die beiden anderen Aufnahmen ausstrahlten. Zuerst wirkt Yury Mazurok etwas zu hölzern, zu steif für den Fürsten Andrej Bolkonski, doch mit jedem Auftritt rückt er stärker ins Zentrum, erweist sich mit seiner tenoralen Höhe und den elegischen Linien als fabelhafter Sänger und Gestalter. Neben ihm wirkt Galina Kalinina als Natascha Rostowa scharf und streng und ältlich, während Nina Terentieva als Cousine Sonja für jugendliche Heiterkeit zuständig ist. Wenig Eindruck machen auf mich die beiden Tenöre, der heldischere Evgeni Raikov als Graf Pierre Besuchow und der scheue Evgeni Shapin als Anatol Kuragin, die bedeutende Tamara Siniavskaya ist Pierres Frau Gräfin Hélène. Larisa Avdeyeva ist eine eindringliche Marja Achrossimowa und Alexander Vedernikov, der Vater des gleichnamigen Dirigenten, geradezu erschütternd als Feldmarschall Kutusow.  Rolf Fath

Dan Jordachesku

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

Mit Nicolae Herlea und David Ohanesian bildete Dan Iordăchescu das Triumvirat großer rumänischer Baritone der Nachkriegszeit. Obwohl ihm eine beachtliche internationale Karriere vergönnt war, die ihn auch an einige große deutsche Bühnen führte, ist er hierzulande kaum wirklich bekannt geworden. Am 30. August ist er im Alter von 85 Jahren gestorben, was in der deutschen Presse knapp und lakonisch vermeldet wurde. Ich erinnerte mich an ihn als Tomsky in der Pique Dame-Gesamtaufnahme unter Rostropovitch und als Posa in einem deutsch gesungenen Don Carlos-Querschnitt aus DDR-Zeiten, und wollte mehr von ihm wissen. Bei youtube bin ich fündig geworden und habe dabei einen Sänger entdeckt, der nicht nur ein hervorragender Stimmbesitzer war, sondern zugleich ein großer Musiker und Künstler.

Dan Iordăchescu als Posa/youtube

Dan Iordăchescu als Posa/youtube

Am 2. Juni 1930 wurde er in Vanja Mare geboren, einer rumänischen Stadt nahe der Grenze zu Moldawien; der Vater war Physiklehrer, die Mutter Volksmusiksängerin. Mit 18 Jahren begann er eine Ausbildung als Schauspieler und hatte sein Bühnendebut 1949 in einer rumänischen Operette. Der Erfolg ermutigte ihn, den Beruf des Sängers zu ergreifen. 1952 begann er sein Studium am Konservatorium im Bukarest, das er später am Mozarteum in Salzburg, in Paris und Rom fortsetzte. Im Dezember 1956 debutierte er als Opernsänger an der Bukarester Oper als Mozarts Figaro, noch in derselben Spielzeit sang er dort auch Vater Germont.

Schon vorher war er im Konzertsaal mit rumänischen, deutschen, französischen und russischen Liedern aufgetreten. In den 60er und 70er Jahren hatte er eine große internationale Karriere, die ihn an die Mailänder Scala, die Wiener Staatsoper, ans Bolschoj-Theater, an die Pariser Opéra und an einige der großen deutschen und amerikanischen Bühnen führte. Folgt man seiner Homepage, so hat er während seiner Laufbahn, die über ein halbes Jahrhundert währte, 45 Hauptrollen in 1080 Vorstellungen gesungen und in 1600 Konzerten mitgewirkt. Sein Repertoire reichte von Monteverdi bis in die Moderne. So sang er bei der RAI die Titelrolle in Vito Frazzis hierzulande unbekannter Oper Don Chisciotte (1950). Seit 1979 war er als Professor an der Bukarester Musikhochschule tätig und leitete zahlreiche internationale Meisterklassen.

Von den großen Plattenfirmen vernachlässigt, hat Iordăchescu in seiner Heimat zahlreiche Aufnahmen gemacht – im Studio, im Rundfunk, aber auch im Fernsehen. Eine ganze Menge davon ist heute auf youtube zu hören und teilweise auch zu sehen. Anders als sein Kollege Herlea war er kein dramatischer italienischer Bariton, sondern ein lyrischer Sänger mit großen dramatischen Möglichkeiten. Entsprechend wurde er international vor allem in Partien des Belcanto-Fachs und des lyrisch-dramatischen Zwischenfachs eingesetzt. An der Mailänder Scala sang er Riccardo in den Puritani unter Riccardo Muti, in Dallas Alfonso in La favorita neben Shirley Verrett und an der Wiener Staatsoper Enrico in Lucia di Lammermoor neben Renata Scotto. Ausschnitte aus diesen Aufführungen sind akustisch dokumentiert.

Dan Iordăchescu als Pêre Germont/ youtube

Dan Iordăchescu als Pêre Germont/ youtube

Unter seinen Verdi-Rollen verdienen vor allem Vater Germont, Marquis Posa und Renato Beachtung. Seine Interpretation von „Eri tu“ ist in jeder Hinsicht vorbildlich geraten – im Wechsel der Stimmungen, in der Farbgebung, aber auch im weich strömenden Legato, das bei mühelosem Registerwechsel eine glänzende Höhe aufweist. In Escamillos Torerolied kommt er ohne Brüllerei aus und auch in anderen Paradestücken wie der Figaro-Cavatine und „Nemico della patria“ verzichtet er auf vokale Kraftmeierei. Auf einem wahrscheinlich in den 60er Jahren entstandenen Recital bei Electrecord verbindet er Verdi-Arien mit solchen Mozarts, wobei hier auffällt, dass er nicht etwa Almaviva und Don Giovanni singt, sondern Figaro und Leporello – Rollen, deren Tessitura ihm zwar zugänglich ist, in denen er aber mehr komödiantisch als vokal brillieren kann.

Dan Iordăchescu im rumänischen Tv/ youtube

Dan Iordăchescu im rumänischen TV/ youtube

Wie schon erwähnt, hat das Lied in seiner Karriere eine bedeutende Rolle gespielt, und hört man seine entsprechenden Aufnahmen, so darf man feststellen, dass der Liedgesang seinen Opernrollen ausgesprochen gut bekommen ist, während andererseits die Bühnenerfahrungen seine Liedgestaltung beeinflussen. Das hört man in seiner packenden, differenzierten Interpretation des „Erlkönig“ wie in dem kultivierten Lied an den Abendstern. Iordăchescu war der deutschen Sprache nicht nur mächtig, er wusste sich in ihr auch auszudrücken. Und der leichte Akzent ist geringfügig angesichts einer ungemein plastischen Diktion. Die kommt auch Liedern von Schumann und Brahms und den Gesängen Gustav Mahlers zugute. Bei den Franzosen ist er aber ebenso zuhause, wie die Aufnahmen von Liedern Ravels, Duparcs und Reynaldo Hahns beweisen.

Dan Iordăchescu als Wolfram/ youtube

Dan Iordăchescu als Wolfram/ youtube

Zwei seiner Töchter sind in seine Fußstapfen getreten und Sängerinnen geworden, die dritte ist als Schauspielerin zum Film gegangen. Die Mezzosopranistin Cristina (*1966) und die Sopranistin Irina (*1977) haben sich und ihren berühmten Vater auf ihren Homepages verewigt. Da sieht man den weißhaarigen Patriarchen mit der älteren „La ci darem la mano“ anstimmen, mit der jüngeren „Bei Männern, welche Liebe fühlen“. Die Stimme ist rauer und körniger geworden, aber immer noch intakt. Diese Aufnahmen von einem öffentlichen Konzert sind zugleich ein anrührendes Dokument von Vaterliebe und Vaterstolz.

Nach eigener Aussage ist Iordăchescu bis 2005 noch häufig auf der Bühne und im Konzertsaal zu erleben gewesen. Im Netz habe ich ein noch späteres Dokument gefunden. Es entstand 2009 bei einem Gesprächskonzert in Bukarest, der Bariton ist hier auch mit einigen rumänischen Liedern zu hören, die er mit den noch ansehnlichen Resten seiner Stimme und ungebrochener Gestaltungskraft meistert. Ekkehard Pluta

 

Foto oben: Dan Iordăchescu/ youtube

Verdi und Manet

 

Der Stückvorhang zu Benoît Jacquots Neuinszenierung von Verdis La traviata an der Pariser Opéra Bastille zeigt Manets bekanntes Gemälde Olympia von 1865, welches auch Violettas Bett ziert – neben dem Sofa und einer kleinen Frisiertoilette das einzige Möbelstück des ersten Bildes (Bühne: Sylvain Chauvelot). Zum Vorspiel sieht man Violetta mit Dottor Grenvil und Annina, die wie auf dem Bild eine Farbige und wie diese gekleidet ist (Kostüme: Christian Gasc). Beide Figuren begleiten die Titelheldin bis zu ihrem tragischen Ende.

Erato hat eine Aufführungsserie von Verdis Oper im Juni 2014 aufgezeichnet und als DVD herausgebracht (0825646 166503), was der deutschen Sopranistin Diana Damrau Gelegenheit gibt, sich nach ihrer Mitwirkung in der kontroversen Inszenierung von Dmitri Tcherniakov zur Saisoneröffnung an der Mailänder Scala im Dezember 2013 nun in einer konventionellen szenischen Lesart und in opulenten Kostümen zu präsentieren. Sie hat die Partie vor dem Auftritt in Paris an der New Yorker Met, am Opernhaus Zürich, an der Bayerischen Staatsoper sowie an Covent Garden London gesungen und bietet nun ein gereiftes Porträt der Kurtisane mit vielen neuen Zwischentönen und überraschenden Details. So formt sie das Rezitativ vor der großen Arie sehr nachdenklich, beinahe zögernd. Die Arie selbst wird ungemein differenziert und mit starker innerer Erregung vorgetragen. Exquisit ist die Gesangslinie, bis das „Follie“ und „Sola, abbondonata“ einen jähen Stimmungswechsel bringen. Ungestüm und in atemlosem Taumel stürzt sie sich in das „Sempre libera“, das im Da capo einen trotzigen Unterton annimmt. Im 2. Akt, den optisch ein riesiger Baum dominiert und wo Violetta seltsamerweise im identischen Ballkleid auftritt wie zuvor bei ihrem Fest, zeigt sie eine spontane Freude beim Erscheinen Germonts, was sich freilich schnell in Irritation wandelt. In geradezu wilder Erregung reagiert sie auf seine Forderung, sich von Alfredo zu trennen, und lehnt diese zunächst vehement ab. „Dite alla giovine“ ist dann schon von visionärer Entrücktheit, das „Morrò!“ aufbegehrend und von tiefster Verzweiflung. Ergreifend dargestellt sind die Briefszene und der Abschied von Alfredo in höchster emotionaler Not.

Eine riesige Treppe illustriert den Ballsaal bei Flora, auf welcher der Chor als statuarische Masse postiert ist. Eine schwarze Robe gibt Violetta hier einen tragischen Umriss. In der Darstellung ihres Konfliktes zwischen Liebe und Pflicht überzeugt sie in diesem Bild besonders. Die Auseinandersetzung mit Alfredo ist gezeichnet von fiebriger Erregung, der Zusammenbruch nach seiner unfassbaren Beleidigung von schmerzlicher Wehmut.

Im letzten Akt ist das Bild abgehängt, das Bett wie für einen Umzug gerüstet und Violetta in einem ärmlichen Krankenhausbett gelagert. Das Rezitativ vor „Addio del passato“ gestaltet Damrau aufbegehrend gegen das Schicksal, die Arie zunächst verhalten und stockend, erst später mit ausbrechenden Tönen der Verzweiflung. Auf die Rückkehr von Alfredo reagiert sie mit geradezu ekstatischer Vehemenz. Hatte sie sich an der Scala  gegenüber den szenischen Kapriolen des russischen Regisseurs behauptet und vor allem im letzten Akt eine überwältigende Darstellung der liebenden und sterbenden Titelheldin geboten, so erreicht sie diese Wirkung in Paris nicht ganz, weil der Regisseur sie zu oft im Bett agieren lässt – liegend oder sitzend, was ihren Bewegungsradius einschränkt. Aber dennoch findet sie zu packender Wirkung in ihrem trotzigen Willen auszugehen und der grausamen Erkenntnis, dass ihr dafür die Kraft fehlt. In „Gran Dio“ erreicht sie gesanglich eine von ihr bisher nicht gehörte dramatische Dimension. Berührend ist ihr Abschied von Alfredo mit dem „Prendi, quest’ é l’immagine“, packend die Todesszene zwischen Ungläubigkeit und Trance.

Von ihren Partnern ist vor allem Ludovic Tézier als Germont père zu nennen, der mit seinem sonoren, ausdrucksstarken Bariton und der noblen Erscheinung der derzeit beste Vertreter dieser Partie sein dürfte. Seinen Schlager „Di Provenza“ singt er gänzlich  unsentimental, sondern mit energischem Nachdruck. Die Stimme strömt in wunderbarer Fülle, was vor allem in der Szene mit Violetta im 2. Akt große Wirkung macht.

Ein jugendlich attraktiver Alfredo ist Francesco Demuro, der das Brindisi mit Emphase anstimmt und auch das Liebesgeständnis gegenüber Violetta gleichermaßen sensibel wie leidenschaftlich formuliert. Die Arie zu Beginn des 2. Aktes singt er mit schöner lyrischer Substanz und schwärmerischem Ausdruck. Mit Verve geht er die Cabaletta an, wirkt nur an deren Ende etwas ermüdet, so dass der exponierte Ton am Schluss matt klingt. In den Nebenrollen überzeugen Anna Pennisi als Flora, Cornelia Oncioiu als Annina und Nicolas Testé als fürsorglicher Grenvil. Francesco Ivan Ciampa leitet Choeur und Orchestre de l’Opéra national de Paris mit sensiblem Gespür für die Facetten der Musik – die schmerzliche Lyrik, die rhythmischen Finessen, die temperamentvoll-hitzigen Festbilder und die Morbidität des Finales. Bernd Hoppe

 

 

Windgassen als neuer Siegfried

 

1953 war ein guter Bayreuther Jahrgang. Die Nachkriegsfestspiele fanden zum dritten Mal statt. Der Neuanfang war künstlerisch geglückt. Mit Lohengrin gelangte ein weiteres Werk auf den Spielplan. Wieland Wagner feilte an seiner Ring-Inszenierung, die 1951 erstmals gezeigt worden war. Bei allem Glanz nach außen etablieren sich die Festspiele nach innen als Werkstatt. Leider ist das optisch nicht mehr nachzuvollziehen. Beschreibungen und Fotos vermitteln nur einen bescheidenen Eindruck von dem Prozess, der auch Entrümpelung der Wagner-Bühne in die Musikgeschichte einging. Filme gibt es nicht, nur die akustischen Mitschnitte. Und die nicht zu knapp. Inzwischen dürften fast alle Premieren der Nachkriegsfestspiele dokumentiert sein, dank der weitsichtigen Vergaberechte an den Bayerischen Rundfunk. 1953 teilten sich Joseph Keilberth und Clemens Krauss in die musikalische Leitung des Ring des Nibelungen, mit dem das Festspielhaus 1876 eingeweiht wurde. Krauss kam nur einmal nach Bayreuth, während Keilberth neben Hans Knappertsbusch zu einer tragenden Säule der Festspiele wurde. Beide Ring-Zyklen – und das erwweist sich als ausgesprochener Glücksfall – sind mitgeschnitten worden und schon vor Jahren in den unterschiedlichsten Ausgaben an die Öffentlichkeit gelangt. Nicht immer ganz legal, nicht immer gut im Ton.

Jetzt hat das Label Pan Classics (Note 1) die Aufnahme unter Keilberth in einer handlichen, Platz sparenden Box neu aufgelegt (PC10340). Das ist auch schon mal was. Stärker ins Gewicht fällt natürlich das vorzügliche Klangbild, dem seine gut sechzig Jahre nicht anzuhören sind. Keilberths zupackender Stil wirkt gar nicht so historisch, wie es die zeitliche Distanz erwarten lassen würde. Das Ensemble nahm Gestalt an. Es sollte in seinem Kern über mehrere Spielzeiten Bestand haben und Maßstäbe im Wagnergesang setzen, die bis jetzt nie übertroffen wurden. Martha Mödl sang die Brünnhilde bei Keilberth, während Astrid Varnay unter Krauss besetzt war. Hans Hotter gab Wotan und Wanderer während Gustav Neidlinger im Alberich seine Paraderolle auf dem Grünen Hügel gefunden hatte. Hingegen endete die vielversprechende Karriere des jungen Baritons Werner Faulhaber tragisch. Er war im Mai 1953 tödlich verunglückt. Wolfgang Windgassen, 1952 noch der Froh im Rheingold, sang seine ersten Siegfriede. Er kreierte einen völlig neuen Typ als Heldentenor. Windgassen stand nicht das metallische und schneidende Material eines Lorenz zur Verfügung. Seine Stimme war lyrisch und kleiner, was zur Folge hatte, dass die Figuren plötzlich viel menschlicher klangen. Aus der Not wurde eine Tugend. Dieser Tenor drückt denn auch dem Ring seinen besonderen Stempel auf.

Für die Sieglinde wurden die Sängerinnen in diesen Anfangsjahren öfter ausgewechselt als bei anderen tragenden Rollen. 1953 war dafür die Amerikanerin Regina Resnik angereist, die damals noch das Sopranfach sang. Sie sollte – wie ihre Landsmännin Eleanor Steber für die Elsa im Lohengrin – allerdings nicht wiederkommen. Bei der Besetzung der Walküren wurde auch 1953 nicht gespart. Nicht selten waren hochdramatische Kaliber darunter, die an ihren Stammhäusern selbst Brünnhilden und Sieglinden oder Isolden sangen – wie Brünnhild Friedland (Ortlinde) oder Liselotte Thomamüller (Helmwige). Rätsel gibt die Sängerin Lise Sorrell als Waltraute auf. Sie trat nur dieses eine Mal in Bayreuth auf. Auf der offiziellen Internetseite der Festspiele ist eine falsche Spur gelegt. Dort wird unter Verweise auf das „Große Sängerlexikon“ von Kutsch/Riemens eine Kurzbiographie von Christiana Sorrell abgedruckt. Die wurde nach diesen Angaben 1933 in Wien geboren und zunächst als Geigerin ausgebildet. Konzertreisen führten sie in alle Welt. Erst 1955 soll sie als lyrischer Sopran an der Wiener Volksoper debütiert haben, wo sie sehr beliebt gewesen sei. Also kann sie unmöglich 1953 bei den Bayreuther Festspielen die Waltraute – eine Mezzopartie – gesungen haben. Das dazu. Was also ist aus Lise Sorrell geworden? Rüdiger Winter

Der fröhliche Wanderer

 

Ist es denn auch wirklich Schubert? Es ist Schubert! Und es ist auch keine Bearbeitung. Trotzdem klingt die Schöne Müllerin bei Rudolf Schock irgendwie anders. Weil ihr Schock seinen ganz unverwechselbaren Stempel aufdrückt. Damit ist nicht nur das Timbre gemeint. Der Sänger grübelt nicht über diese und jene Ausdrucksnuance, versucht sich nicht in Tiefgang wie Fischer-Dieskau. Exegese liegt ihm fern. Wie in keiner anderen Aufnahme gerät der Zyklus in die Nähe von Wanderliedern. Er unternimmt nicht einmal den Versuch, die gute Laune abzulegen. Er singt drauflos, kann nicht anders. Er ist halt so, es ist sein Stil. Unverstellt und geradezu. Auch deshalb war und ist Schock so unglaublich populär. Bis heute. Am 4. September 2015 wurde seines 100. Geburtstages gedacht.

Aus diesem Anlass hat das schweizerische Label Relief, das sich leider etwas rar gemacht hat am Markt, diese Müllerin neu aufgelegt. Sie war 1959 von der Electrola produziert worden, hatte sich zur Rarität gemausert und liegt nun erstmals auf CD vor (CR 3006). Zeit wurde es. Am Klavier sitzt Gerald Moore, dem die Welt unglaubliche viele und bedeutende Liederplatten und Liederabende zu verdanken hat. Er folgt seinem Solist, schlägt ebenfalls optimistische Töne an. Nach zehn Liedern wird deutlich, dass sich Schock nicht zu steigern vermag und kein erkennbares Konzept hat. Ein Lied klingt wie das andere. Er zieht Töne gern nach oben, um sie dann etwas forciert herauszupressen. Ein technischer Defekt, der zu seinem Markenzeichen geworden ist. Auf diese Weise löst Schock seine Probleme mit der knappen Höhe. Mich stört das nicht. Etwas albern klingt es aber, wenn er sich beispielsweise im letzten Lied ins Falsett flüchten muss, um Töne außerhalb seiner natürlichen Tessitura zu treffen. In solchen Momenten rutscht seine durchweg sympathische und sehr empfehlenswerte Darbietung ins Triviale ab. Zur Müllerin werden noch drei Lieder gepackt: Auf dem Wasser zu singen, Nacht und Träume und Der Musensohn. Relief hat das Andenken an Schock immer sehr hochgehalten. Nun also die Lieder-CD, die trotz ihrer Eigenarten, die ja gleichzeitig ihre Besonderheit sind, dankbare Käufer finden wird.

CD Schock PortraitDieser Tage sind mir auf einem Berliner Flohmarkt die Erinnerungen von Rudolf Schock in die Hände gefallen. Das Buch ist 1986 im Herbig-Verlag erschienen. Schock, der im selben Jahr starb, hat es schreiben lassen. Sein Titel: „Ach, ich hab in meinem Herzen…“ Dieses Zitat stammt aus der 1936 in Hamburg uraufgeführten Oper Schwarzer Peter von Norbert Schultze. Für den Film Der fröhliche Wanderer hat Schultze das ursprüngliche Duett zu einem Lied für Schock, der selbst mitspielt, umgearbeitet. Wie das Lied ist der ganze Film eine Schnulze. In Dokumentationen, Büchern und Kund Datenbanken ist der Spott der Kritiker bis heute nicht verflogen. Schock machte sich wohl nichts daraus, weil er das Publikum auf seiner Seite wusste. Dennoch finde ich es irritierend, dass der Sänger sein reiches künstlerisches Schaffen unter dieses flüchtige Motto gestellt wissen wollte. Je älter er wurde, umso mehr sah er offenbar die Rolle seines Lebens als Fernsehstar. Nicht von ungefähr beginnen auch die Memoiren in diesem Metier: „Stille herrscht im Saal. Langsam wird auf der Bühne das Licht eingezogen, die Scheinwerfer richten sich auf mich …Unser Rudi. Ich bin mit Schock groß geworden. Noch bevor ich eine seiner Opernplatten unter die Finger bekam, nahm ich ihn ausschließlich als Mann auf dem Bildschirm wahr, genauso wie Frankenfeld, Kulenkampff oder Hänschen Rosenthal. Als das Farbfernsehn aufkam, fiel mir als erstes auf, dass seine Haare dunkelbraun wie Kastanien gefärbt waren.

CD Schock geht zu MaximDer Radius seiner Karriere war begrenzt. Nur selten ist er über den deutschsprachigen Raum hinaus gekommen, mehrfach nach London, zu Konzerten nach New York und Philadelphia. Viel mehr nicht. Dafür war er so tüchtig und unerschrocken wie sonst niemand auf seinen (fröhlichen) Wanderungen zwischen den Genres. Er kannte keine Berührungsängste, sang noch unter Furtwängler Beethoven und Wagner, wurde in Bayreuth als Stolzing gefeiert, war bei der Uraufführung von Liebermanns Penelope in Salzburg mit dabei, schwebte durch diverse Heimatfilme, nahm zwischendurch seinen berühmten ersten Freischütz unter Keilberth auf, konkurrierte mit Klein-Heintje, sang unter vielen Weihnachtsbäumen, arbeitete ein enormes Operettenrepertoire ab, war der Star mehrerer guter Opernverfilmungen, verbreitete im „Blauen Bock“ gute Laune, machte auch vor Schuberts Winterreise nicht halt. Seine Platten sind Legende. Sechzig klein bedruckte Seiten braucht es für die Diskographie in seinem Buch. Nicht mitgezählt sind die vielen Fernsehauftritte, bei denen er immer auch sang. So lässlich ich vieles von und mit Schock finde, so sehr hat mich diese Umtriebigkeit immer fasziniert. Viele Aufnahmen, die er hinterlassen hat, höre ich gern. Meistens komplette Opern oder Szenen.

Seine Operetten sind mir oft zu leichtfüßig, zu hingehuscht, zu glatt, statt des künstlerischen Gehaltes mehr die Umsatzzahlen im Blick. Offenbar waren sie von vornherein wohl auch als Massenware gedacht. Warum auch nicht? Im Archiv der EMI / Electrola, das jetzt bei Warner Classics gelandet ist, werden viele Einspielungen verwahrt. Ein Querschnitt einzelner Szenen ist jetzt auf zwei einzelnen CDs neu aufgelegt worden. „Da geh ich zu Maxim“ ist die eine betitelt (825646109951), die andere versteht sich als „A Portrait“ (5099961534223). Beide sind im Rahmen der preiswerten Serie Inspiration herausgegeben worden, kein Schnickschnack, nur mit den allernötigsten Informationen versehen. Ohne viel Federlesens wurden die Nummern zusammengestellt. Auf dem Portrait vertragen sich Cavaradossis letzte Arie „Und es blitzen die Sterne“ aus Puccinis Tosca sehr gut mit dem weinseligen Chianti-Lied von Gerhard Winkler. Das echte Italien trifft auf ein Italien, wie es sich die Nachkriegs(west)deutschen vorstellten. Auf der CD klingt eines wie das anderes. Das muss man auch hinbekommen. Unser Rudi kann das. Bei der Operetten-Auswahl wurde sich auch nicht lange aufgehalten. Von Bettelstudent über Madame Pompadour und Paganini zum Graf von Luxemburg – alles Selbstläufer.

CD Carmen Rudolf SchockDie Neuauflage der Carmen von Bizet, 1961 für die deutsche Electrola produziert wie fast alle Schock-Aufnahmen, nun auch bei Warner, ist eine gute Entscheidung (5099991230027). Schock singt an der Seite von Christa Ludwig den Don José, Hermann Prey den Escamillo, Melitta Muszely die Micaela. Es wird Deutsch gesungen, in der Rezitativfassung, mit der die Oper 1874 für Wien – und

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damit zwei Jahre nach der Uraufführung in Paris – ihren eigentlichen Siegeszug begann, der bis heute anhält. Es ist nicht die erste Aufnahme von Schock, der den José auch auf der Bühne gesungen hat. Bereits 1954 war das Werk bei Bayerischen Rundfunk unter Eugen Jochum eingespielt worden. 2004 hatte das schweizerische Label Relief die Aufnahme erstmals veröffentlicht. Sie ist schon deshalb von besonderem Interesse, weil sie – ebenfalls in deutscher Übersetzung – der Originalfassung mit den gesprochenen Dialogen nachempfunden ist. Schock spricht selbst.

Ein ausgesprochenes Highlight verstreckt das Label The Intense Media in seiner Geburtstagsbox für Schock, die Mozart-Gesamtaufnahmen enthält (600227). Gemeint ist der Mitschnitt der Eröffnungsvorstellung der neuen Hamburgischen Staatoper am 15. Oktober 1955 mit der Zauberflöte. Einige Szenen waren bereits vor einiger Zeit in der Sammlung „Rudolf Schock – Nachklang einer Stimme“ veröffentlicht worden. Nun also das komplette Dokument mit originaler Ansage und prominenter Besetzung. Schock ist der Tamino. Eine gewisse Knappheit ist schon damals in der Höhe feststellbar. Mit seinem langsamen Tempo, das auf der gesamten Aufführung mitunter wie Blei lastet, mutet der Dirigent Leopold Ludwig dem Sänger sowie dem gesamten Ensemble sehr viel zu. Colette Lorand aus Zürich, die die Königin der Nacht singt, geht darüber in ihrer zweiten Arie fast die Luft aus. Sie muss ihre Koloraturen regelrecht hinter sich her schleppen. Auch Arnold van Mill als Sarastro braucht einen langen Atem, um seine Auftritte durchzuhalten. Mit dieser Zauberflöte ist die amerikanische Sopranistin Anne Bollinger, die Schülerin von Lotte Lehmann gewesen ist, mit einer Hauptrolle dokumentiert – und zwar als Pamina mit etwas unstetem Ton. Krankheitsbedingt musste sie ihre Karriere frühzeitig beenden. Sie starb mit nur 43 Jahren. Niedlich gibt sich Anneliese Rothenberger als Papagena. Die anderen Aufnahmen sind gute alte Bekannte, denen man gern wieder begegnet. Die Entführung aus dem Serail entstand 1954 beim NDR unter Hans Schmidt-Isserstedt mit Schock als Belmonte. In den Dialogen wird er durch einen Sprecher ersetzt. Sein von Karl Böhm begleiteter Idomeneo wurde 1956 bei den Salzburger Festspielen mitgeschnitten. Die Cosi fan tutte (Ferrando) schließlich ist wiederum eine Rundfunkproduktion, diesmal von 1957 bei Bayerischen Rundfunk. Dirigent ist Eugen Jochum.

Box Schock Mozart-OpernRichard Wagner ist ein Kapitel für sich im künstlerischen Leben von Rudolf Schock. Mit Blick auf seinen 100. Geburtstag hat The Internes Media eine weitere Edition herausgebracht und darin genau dieses besondere Kapitel angerissen (600255). Mehr nicht. Eine 10-CD-Collection hat bei Wagner ihre Grenzen. Berücksichtigt wurden Der fliegende Holländer, Die Meistersinger von Nürnberg und Lohengrin (alle EMI). Die großen Ausschnitte aus Rheingold sind ein Sonderfall. Sie stammen aus einer NDR-Produktion von 1953, die mit großer Verspätung zuerst bei Walhall herausgekommen ist. Es gibt noch mehr Wagner mit Schock. Gleich zwei Rollen singt er in Furtwängler legendärem Tristan von 1952, nämlich den Seemann und den Hirt. In einem als Querschnitt produzierten Rheingold mit besonderen musikalischen Überleitungen, die so nicht von Wagner stammen, ist er – wie in der NDR-Produktion – der Froh. Und genau richtig besetzt. Eine Hauptrolle ist Froh nicht. Dafür hat er eine der schönsten Melodien zu singen, die ich von Wagner kenne: „Zur Burg führt die Brücke, leicht, doch fest eurem Fuß. Beschreitet kühn ihren schrecklosen Pfad!“ Deshalb sollte der Froh so luxuriös wie nur möglich besetzt werden. Dem Publikum muss der Atem stocken vor so viel Schönheit und musikalischem Ebenmaß. Produktionen aus jüngster Zeit sind meist nicht wählerisch bei der Auswahl ihrer Froh-Solisten. Oft geht der Auftritt sogar völlig unter. Mit seinem strahlenden Tenor, so leicht geführt wie die Regenbogenbrücke leicht ist, schafft es Schock, genau diese kurze Szene nach dem Gewitterzauber zu einem Höhepunkt – wenn nicht dem Höhepunkt des ganzen Werkes zu machen. Schock ist genau richtig. Er hat die Rolle auch auf der Bühne verkörpert, am Beginn der Karriere 1936 in seiner Heimatstadt Duisburg. Im selben Jahr wurde er als 1. Tenor für den Chor der Bayreuther Festspiele engagiert.

1-Box Schock singt WagnerAuf seine erste und einzige große solistische Aufgabe in Bayreuth musste er noch ein Vierteljahrhundert warten. Wieland Wagner, der 1958 mit Schock in Hamburg den José in Carmen erarbeitet hatte, hielt offenbar viel von ihm und lud ihn im Jahr darauf für den Stolzing nach Bayreuth ein. Das sorgte für reichlich Aufmerksamkeit, inklusive Kopfschütteln. Schock hatte zu dieser Zeit bereits in ganz anderen Rollen Furore gemacht. Mit diversen Operetten zum Beispiel und als Franz von Schober in dem krachbunten Spielfilm Dreimädlerlhaus, in dem der Schauspieler Karlheinz Böhm vorgibt, Franz Schubert zu sein. Auch die der Samstagabend-Unterhaltung verpflichtete TV-Karriere kündigte sich bereits an. Bei allen diesen Gegensätzen passte Schock zum Stolzing, der der auch völlig neue Töne anschlägt, dann kleinbeigibt und sich schließlich in den erlauchten Kreis der Meistersinger aufnehmen lässt. Für mich ist er ein unkonventioneller Stolzing. Mit seiner lyrischen Stimme ist er mir sogar lieber als ein klassischer Heldentenor. Er überzeugt mich mehr, ist glaubwürdiger. Und es wird einmal mehr deutlich, dass Wagner auch mit Mozart- und Operettenerfahrung gesungen werden kann. Dafür gibt es ja auch andere Beispiele wie der fast gleichaltrige Wolfgang Windgassen, Franz Völker oder Marcel Wittrisch. In dieser Tradition steht Schock. Damals soll er sich mit weiteren Plänen für Wagner getragen haben.

Aus einem Interview ist überliefert, dass er sich sogar den Siegmund habe vorstellen können. Daraus wurde nichts. Wer weiß, wofür es gut war. Bühnenauftritte in Wagner-Opern sind bei Schock sehr übersichtlich. Letztlich siegte bei ihm wohl die Einsicht, mit seinen stimmlichen Mitteln hauszuhalten. Den Walther von Stolzing hat er nur 1959 in Bayreuth gesungen. Ein einziger Auftritt ist im Jahr darauf an der Wiener Staatsoper dokumentiert. Als Lohengrin ist er 1957 in Braunschweig und 1959 in Hamburg und Bremen aufgetreten. Dazu der bereits erwähnte Froh. Viel mehr kommt nicht zusammen. Statt der Meistersinger unter Kempe hätte sich der von Erich Leinsdorf dirigierte Bayreuther Mitschnitt besser gemacht, der zuletzt vor fünf Jahren bei Myto erschien. Hingegen ist die Studioproduktion noch genauso zu haben ist wie der Holländer und Lohengrin. Ich möchte den Sammler sehen, der sie nicht schon im Schrank hat. Rüdiger Winter

Antonín Dvoráks „Alfred“

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Genau vor einem Jahr war in Prag ein wichtiger Beitrag des deutsch-tschechischen Kulturaustauschs zu erleben. Gefördert vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds erklang im September 2014 Antonin Dvořáks einzige original deutsche Oper Alfred – aufgeführt von deutschen und tschechischen Musikern. Ein Erstlingswerk. Aber nicht immer gelingt es, eine Wiederentdeckung auch adäquat umzusetzen.

Zum ersten Mal zu hören: Der junge Dvořák war ein flammender Wagnerianer. Als Wagner 1863 in Prag Konzerte gab, hat Dvořák sogar unter seiner Leitung im Orchester gespielt, er war begeistert von dessen Ideen, und so vertonte er 1870 als 29jähriger ein altes Heldendrama von Theodor Körner. Das gilt bis heute als absolute Schreibtischtat. Kurt Honolka, der Dvořák-Biograph, spricht es offen aus: „Alfred ist ein Beispiel perfekter Naivität, ohne jede Chance, je aufgeführt zu werden.“
Dennoch gab es einen Versuch, Dvořáks erste Oper zu reanimieren. Die Aufführungsserie Ende 1938 in Prag (auf Tschechisch) fand durch den Einmarsch der Nazis ein schnelles Ende, es kam nur zu 6 Vorstellungen. Und so ist der originale Alfred in Deutsch hier nun wirklich zum ersten Mal zu hören, denn bei der konzertanten Aufführung im Prager Rudolfinum 2014 handelte es sich um die Uraufführung der Originalfassung.

Ein sozialistisch angehauchter König: Es ist die etwas „tastende“ Musik eines aufsteigenden Genies. Alfred hat die typischen Kinderkrankheiten der meisten Erstlingsopern. Ähnlich wie bei Verdis Oberto oder Straussens Guntram hat man das Gefühl: da hat sich jahrelang Schaffensdruck aufgebaut, und nun entlädt er sich in einem wüsten Gewitter. Um das genießen zu können, braucht es eine Prise Humor. Ein Kuriosum, das der Oper  unfreiwillig einen komischen Anstrich verleiht, ist die Tatsache, dass  Alfreds Leitmotiv klingt wie die ersten Takte der Internationale – das konnte Dvořák natürlich nicht wissen; die Assoziationen stellen sich trotzdem ein. Ausgerechnet das Leitmotiv eines britischen Königs des 9. Jahrhunderts! Denn zelebriert wird hier vor allem das  martialische Hin- und Her-Gestapfe dänischer und englischer Krieger im 9. Jahrhundert mit ein ganz bisschen Liebesgeschichte dazwischen, die auch Kerkerszenen und Befreiungsphantasien nicht ausspart. Das Ganze erinnert ein wenig an Dalibor von Smetana,  auch dies Werk wurde übrigens ursprünglich auf ein deutsches Libretto komponiert.

König Alfred der Große/ Münze um 880/ Wikipedia

König Alfred der Große/ Münze um 880/ Wikipedia

Doch anders als Smetanas Meisterwerk hätte eine Übertragung ins Tschechische dem Alfred zu  Dvořáks Lebzeiten nichts genützt. Denn dieses Körner-Drama war 1870 schon fast 60 Jahre alt, die heroisch-abgenutzte Sprache damals schon angestaubt. Hier, im öden dramatischen Aufriss, merkt man ganz deutlich: So spannend der frühverstorbene Körner als Freiheits- und literarische Figur im napoleonischen Krieg als Lyriker auch war – er ist eben kein Kleist. Und Heines Spott auf den jungen Möchtegernchauvinisten, der gern und oft metaphorisch in Franzosenblut watete, war wohl berechtigt. Dennoch, und das ist ein wichtiges Trotzdem, springt einfach immer wieder die jugendliche Begeisterung des Komponisten Dvořák auf den Hörer über. Wunderbar, diese jungenhafte Freunde am Bombast, die unwiderstehliche Lust an der großen Operngeste! Hier probiert sich wie im Labor der Opernkomponist aus, viele Details erinnern schon angenehm an die späteren großen Opern-Schlachtschiffe wie Dimitrij und denJakobiner.

Miserabel präsentiert – für viel Geld: Leider ist die Präsentation vom kleinen CD-Label arco-diva erbärmlich. Ein böses Wort, gewiss, das aber besonders angesichts eines gepfefferten Preises gerechtfertigt ist. Wir bezahlen den Preis einer Luxus-Opernedition und bekommen den Service einer Billigfirma. Es beginnt schon mit dem Skandal, dass eine deutsche Oper, gefördert vom deutsch-tschechischen Zukunftsfonds (!), auf die CD kommt und der Einführungstext nur auf englisch und tschechisch ist – so als existiere der wichtige deutsche Klassikmarkt (einer der kaufkräftigsten Europas!) gar nicht. Auch die Track-Setzung des Booklets ist hundsmiserabel, man bekommt die Szenen nur durchnummeriert, ohne Angabe, welche Nummern genau zu hören sind. Für das deutsche Libretto wird auf das Internet und die Homepage verwiesen, und, um dem Dilettantismus die Krone aufzusetzen, dann ist das Libretto wiederum ohne Track-Angabe für die CD! Da möchte man die Aufnahme an die Wand werfen.

Ich hab mich aber doch bezähmt – denn abgesehen vom nadelspitzen, schmerzenden Sopran Petra Froeses als Alvina schlagen sich alle Sänger recht wacker, allen voran der helle, agile Bariton Felix Rumpf in der Titelrolle. Weiterhin singen Ferdinand von Bothmer/ Harald, Jörg Sabrowski/ Gothron, Peter Mikulas/ Sieward, Tilmann Unger/ Dorset und Bote sowie Jarmila Baxova/ Rowena und der Tschechische Philharmonische Chor Brünn (Petr Fiala). Das Prager Radiosinfonieorchester ist wie so oft hervorragend, zusammen mit dem Radiosinfonieorchester Warschau das beste osteuropäische Rundfunkorchester überhaupt. Und man spürt bei jedem Takt, dass der Dirigent, Heiko Mathias Förster, das Werk wirklich kompromisslos liebt. Dvořák-Freunde und entdeckungssüchtige Opernfans sollten also zugreifen, trotz der schludrigen Präsentation des Werks. Matthias Käther

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Abbildung oben: Theodor Körner, porträtiert von seiner Tante Dora Stock (nach einer Pastellminiatur von seiner Schwester Emma Sophie Körner), 1813/1814/ Wikipedia. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Oper und Gender

 

Im Leipziger Universitätverlag ist ein Buch von Anke Charton erschienen: prima donna – primo uomo – musico: Körper und Stimme – Geschlechterbilder in der Oper. In Verbindung von Theater- und Musikwissenschaft stellt Anke Chartons Studie einen Beitrag zur Opern­forschung vor, der Oper aus dem Gesamtphänomen Theater gerade nicht herausnimmt. Sie erkundet so ein weites Feld der Theatergeschichtsforschung. Im Zentrum stehen Geschlechtervorstellungen, die in der Oper von vertrauten Bildern abweichen können: Die Verhältnisse von Körper, Stimme und Geschlecht erweisen sich historisch als erstaunlich variabel und können bis heute die scheinbar -natürlichen Unterschiede zwischen weiblich und männlich irritierend durchkreuzen. Hier trägt kulturgeschichtlich orientierte Opernforschung zur Geschlechterforschung bei, anthropologiehistorische Geschlechterforschung eröffnet der Opernforschung neue Perspektiven.

Geschlechterbilder in der Oper Charton Leipziger UniversitätverlagAnke Charton unterzieht den Mythos von der »Geburt der Oper« einer kritischen Revision und legt die theatralen Einflussbereiche offen, die nicht nur deren Anfänge ausmachen, sondern auch darüber hinaus wirken. Die Phänomene Kastratengesang und Hosenrolle, die in Zeiten eines verstärkten Interesses an Geschlechter­rollen zu populären Forschungsfeldern geworden sind, werden vor dem Hintergrund älterer Körper- und Weltvorstellungen neu gelesen. Dabei wird in vielfältigen Zusammenhängen der Formung und Wahrnehmung der Gesangsstimme nachgespürt. Die Studie schlägt so einen Bogen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart und bietet eine fundierte Einführung in opernhistorische und geschlechtertheoretische Zusammenhänge (Quelle: Klappentext). Leipziger Beiträge zur Theatergeschichte hersg. Von Gerda Baumbach, 357 S. mit Quellenverzeichnis , Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012,  ISBN 978-3-86583-628-1 / Abbildung oben: Wikipedia