Der RIAS Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin sind nach bald 25-jähriger Zusammenarbeit ein gut erprobtes Gespann. Für frischen Aufwind sorgte der 38-jährige Warschauer Dirigent Lukasz Borowicz: „Heute geht es uns darum, Musik wieder neu zu entdecken. Wenn Beethoven Wranitzky darum gebeten hat, seine Kompositionen zu dirigieren, sollten wir seinem Urteil vertrauen. Wranitzkys Zeit wird kommen und bald schon werden seine Stücke in den Konzertprogrammen häufiger zu finden sein, davon bin ich überzeugt!“ Mit einem buchstäblichen Paukenschlag gab Borowicz am 4. Oktober 2015 im Konzerthaus Berlin sein Debüt beim RIAS Kammerchor. Auf dem Programm stehen Joseph Haydns Te Deum und die Missa in tempore belli sowie die „Friedens“-Symphonie des Wiener Hofoperndirektors Paul Wranitzky. Fesselnder als in dieser Saisoneröffnung lässt sich Zeitgeschichte nicht vermitteln. Und Lukasz Borowicz sagt: „Eines meiner ersten Stücke als Konzertmeister des Jugendorchesters war Haydns Schöpfung – in diesem Moment entstand in mir der große Wunsch, Dirigent zu werden! Ich verehre Haydn sehr und stoße immer noch auf mir unbekannte Werke.“ (Quelle Rias Kammerchor)
Dazu der Dirigent im Gespräch mit Nina Jozefowicz: Sie sind das erste Mal zu Gast beim RIAS Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin. Wie begegnen Sie dieser neuen Zusammenarbeit? Das Repertoire des 18. Jahrhunderts begeistert mich sehr und die Geschichte der Französischen Revolution ist und bleibt faszinierend. Ich bin sehr dankbar dafür, bei diesem spannenden musikalischen Abenteuer zwei so bedeutende Ensembles an meiner Seite zu haben, die für ihre bemerkenswerten Interpretationen genau jener Musikepoche weltweit bekannt sind. Ich bin der Meinung, dass die Musik aus der Zeit Beethovens, aber auch früher, auf historisch authentischen Instrumenten gespielt werden sollte. Denn nur auf diese Weise können wir jene Klangfarben erzeugen, die den Komponisten tatsächlich vorschwebten.
Das Konzerthaus Berlin ist Ihnen bereits vertraut: Erst im Januar erhielt Ihre Gesamteinspielung des Orchesterwerks von Andrzej Panufik mit dem Konzerthausorchester den International Classical Music Award. Welche Rolle spielt Berlin für Sie? Berlin ist die Musikmetropole Europas. Ich bin sehr glücklich darüber, häufig in Berlin zu sein und träume davon, eines Tages sagen zu können: „Ich bin ein Berliner!“ Für’s Erste gebe ich mich damit zufrieden, die Stadt ein bisschen besser kennengelernt zu haben. Ich hatte das große Glück, an der Komischen Oper Berlin und mit dem Konzerthausorchester arbeiten zu dürfen. Letztes Jahr haben wir mit der Poznań Philharmonic im Haus des Rundfunks das Requiem von Roman Maciejewski uraufgeführt.
Ihr Lebensmittelpunkt ist Warschau: Sie sind dort geboren und studierten zunächst Geige. Stimmt es, dass eine Aufnahme von Dietrich Fischer-Dieskau Sie Ihre Liebe zum Gesang entdecken ließ? Ja, das stimmt. Die Violine ist mein Hauptinstrument gewesen und meine erste große, lang-andauernde Liebe. Dabei ist ihre Nähe zum Gesang ganz offensichtlich. Ich erinnere mich daran, bereits sehr früh, viele große Sänger gehört zu haben. Die Aufnahmen von Dietrich Fischer-Dieskau bedeuteten mir besonders viel. Ich werde niemals vergessen, wie begeistert ich von seiner Interpretation des Wozzeck unter Karl Böhm war, aber natürlich auch von seiner Einspielung der Schubert-Lieder.
Mit der Missa in tempore belli steht ein Spätwerk von Haydn auf dem Programm. Der besonders prächtige Klang des groß besetzten Orchesters und des Chores verweisen auf sein Meisterwerk Die Schöpfung. Was verbinden Sie persönlich mit der Musik von Joseph Haydn? Eines meiner ersten Stücke als Konzertmeister des Jugendorchesters war Haydns Schöpfung – in diesem Moment entstand in mir der große Wunsch, Dirigent zu werden. Ich verehre Haydn sehr und stoße immer noch auf mir unbekannte Werke, Sinfonien, Quartette, Klaviersonaten. Ich bin von seiner Entwicklung als Komponist fasziniert, die sich über viele Jahrzehnte hinweg erstreckte. Haydns Musik war in Polen immer schon sehr beliebt. Der polnische Komponist Franciszek Lessel war in Wien Haydns Schüler gewesen. In Lessels Memoiren habe ich eine Anekdote gefunden, wo er davon berichtet, dass Haydn seine Schüler auf sehr prosaische Art und Weise unterstützte: Er besorgte ihnen das beste Notenpapier!
Paul Wranitzky, Wiener Hofoperndirigent, gehörte zu den einflussreichsten und beliebtesten Komponisten der österreichischen Hauptstadt. Seine Sinfonien und Opern werden heute jedoch nur noch selten aufgeführt. Auf welche Weise haben Sie die Friedens-Sinfonie von Wranitzky kennengelernt? Seit vielen Jahren sammle ich Aufnahmen und CDs. Es gibt bereits zwei sehr gute Aufnahmen der Friedens-Sinfonie. In den letzten Jahren konnten wir ein steigendes Interesse an vergessenen Komponisten beobachten. Wranitzkys Geschichte ähnelt der von Johann Adolph Hasse, einem der populärsten Komponisten seiner Zeit, der jedoch fast vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Heute geht es uns darum, Musik wieder neu zu entdecken. Wenn Beethoven Paul Wranitzky darum gebeten hat, seine Kompositionen zu dirigieren, sollten wir seinem Urteil vertrauen. Wranitzkys Zeit wird kommen und bald schon werden seine Stücke in den Konzertprogrammen häufiger zu finden sein, davon bin ich überzeugt.
Als Dirigent setzen Sie sich besonders dafür ein, selten gespielte Werke polnischer Komponisten bekannt zu machen. Welche Werke zählen für Sie zu den größten Entdeckungen? Ich dirigiere sehr häufig polnische Musik, deswegen fällt es mir schwer, einige wenige Aufnahmen hervorzuheben. Doch sicherlich ist es der Gesamteinspielung der sinfonischen Werke von Panufnik zu verdanken, dass diesem großen Komponisten des 20. Jahrhunderts wieder größere Aufmerksamkeit zukommt. Außerdem würde ich die Violinkonzerte von Grażyna Bacewicz nennen, die romantische Oper Monbar von Ignacy Dobrzyński sowie die Sinfonien von Zygmunt Noskowski. Vor kurzem habe
ich eine weitere Aufnahme mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra für Hyperion Records in der Reihe Romantic Piano Concerto gemacht. Und mit dem Pianisten Jonathan Plowright haben wir bereits Werke von Zarzycki, Żeleński, Różycki eingespielt. Und immer wieder kommen neue Ideen!
Seit Ihrer frühen Jugend sammeln Sie leidenschaftlich gerne CDs und Schallplatten. Ihre eigene Diskographie umfasst mittlerweile über 70 Aufnahmen. Mit wem haben Sie die Wette abgeschlossen, dass Sie bis zu Ihrem 40. Geburtstag die hundertste Einspielung veröffentlichen werden? Oder haben Sie vielleicht andere Ziele? Ich liebe es, Musik aufzunehmen und CDs zu produzieren. Man könnte sagen, es ist meine Leidenschaft. Ich empfinde es als großes Glück, meinen Beruf als meine Leidenschaft bezeichnen zu können. Und als Sammler weiß ich, dass jede einzelne CD, die ich aufnehme, „die bedeutendste“ ist. Deshalb konzentriere ich mich auf jedes einzelne Projekt. Die Anzahl der aufgenommenen CDs ist dabei nicht von Bedeutung. Was wirklich zählt ist der Inhalt, die Botschaft und die Qualität. Das ist mein persönliches Credo. Wenn ich eines Tages die 100ste Aufnahme produzieren könnte, dann würde mich das wirklich sehr freuen, doch es ist kein persönlich auferlegtes Ziel.
Im Januar 2016 steht Ihr Amerika-Debüt beim Los Angeles Philharmonic Orchestra an, und es warten weitere neue Herausforderungen auf Sie. Worauf freuen Sie sich besonders? Ich freue mich sehr darauf, mit den fantastischen LA Philharmonics dieses schöne Programm mit polnischer Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu erarbeiten! Ich fühle mich geehrt und bin voller Vorfreude, diese zeitgenössischen Werke in Amerika aufzuführen. Ich glaube, ein Dirigent sollte immer in beiden Bereichen aktiv sein, sowohl Opernrepertoire als auch sinfonische Werke dirigieren, und moderne sowie ältere Werke aufführen. Denn beide Seiten bedingen einander und beeinflussen sich gegenseitig, auf diese Weise gewinnt das Musizieren an Tiefe. Außerdem freue ich mich sehr über meine Pläne mit verschiedenen Orchestern in Europa sowie in Asien. Dabei versuche ich dem lateinischen Motto treu zu bleiben, das mich seit meiner Studienzeit in Siena begleitet: Micat in vertice! – was für mich so viel bedeutet wie: „Arbeite hart, und Du wirst den strahlenden Gipfel erreichen.“
Mit Łukasz Borowicz sprach Nina Jozefowicz; wir danken der Interviewerin und dem RIAS Kammerchor für die Überlassung des Gespächs, das sich im Programmheft des Abends wiederfand. Weitere Informationen zum Konzert und zur laufenden Saison des RIAS Kammerchors gibt es hier; dort auch Tips für den Kartenverkauf etc. Foto oben: Lukasz BOROWICZ/ c. Justyna Mielniczuk/ RIAS Kammerchor.