Cronique Scandaleuse

 

Das 125 Seiten schmale Bändchen mit dem gewichtigen Titel Meine Skandale von Gabriel Astruc handelt von immerhin vier derselben, die die Pariser Musikwelt vor dem Ersten Weltkrieg am stärksten erregten, wenn man dem Autor glauben mag, und die zu den Ursachen gehörten, die ihn als Erbauer und Direktor des Théâtre des Champs-Élysées nach einer nur wenige Wochen dauernden Spielzeit scheitern ließen. Voran gestellt sind den Ausführungen des Musikjournalisten, Impresario offensichtlich auch Gesellschaftslöwen einmal das Vorwort von Olivier Corpet, in dem dieser die Geschichte der Geschichten erläutert, die eigentlich bereits 1936 zur Veröffentlichung bestimmt  waren, die aber einer allgemeinen Krise des französischen Verlagswesens zum Opfer fiel.

Gabriel Astruc Meine Skandale Verlag BerenbergZum anderen folgt ein kurzer Abriss der Lebens- und Karrieregeschichte des Autors als einer „Schlüsselfigur der Musikgeschichte“, geschrieben von Myriam Chimènes, beginnend mit der Mittelung des Figaro vom 5.11.1913, nach der das Theater Astrucs „seine Aufführungen unterbrechen“ wird. Bereits 1902 hatte Astruc die Zeitschrift Musica gegründet, 1904 seine eigene Firma mit der Société Musicale ins Leben gerufen, einen Verlag für Musik und eine Künstleragentur zugleich. Die amerikanische Mentalität und das dortige Musikleben faszinierten ihn so sehr, dass er beschloss, seine „Projekte im Zeichen des Dollars“ zu konzipieren. Seine Memoiren erschienen unter dem Titel „Le pavillon des fantomes“, um die finanziellen Mittel für den Bau eines eigenen Theaters flüssig zu machen, gründete der Impresario eine Aktiengesellschaft, der Erwerb des dafür vorgesehen Grundstücks scheiterte unter anderem an antisemitischen Anfeindungen, so dass der Name des Theaters, das an der Avenue Montaigne gebaut wurde, über den wahren Standort trügt. Eröffnet wurde es mit Berlioz` Benvenuto Cellini, fortgeführt wurde die Saison mit dem achten Auftritt der von Astruc nach Paris geholten Balletts Russes von Diaghilew, der Boris Godunow konnte wegen einer finanziellen Katastrophe des Theaters nur mehr als einmalige, von den Mitwirkenden veranlasste Aufführung gezeigt werden. Bis zu seinem Tode 1938 arbeitete Astruc vor allem als Musikredakteur.

Die Texte Astrucs sprechen von einem gesunden Selbstbewusstsein, teilweise sogar von einer gewissen Arroganz und sind bei weitem nicht frei von einem selbstgefälligen name dropping, wenn er aufzählt, wer alles sich  in den Logen seines Hauses und anderer, von ihm bespielter Theater tummelte. Da wimmelt es von Namen aus internationalem Hochadel und berühmten Künstlern, von denen ihm besonders Proust bei Angriffen zur Seite stand. Den Skandal sieht der Verfasser als eng verbunden mit der Musikwelt, sieht beinahe in ihm eine Garantie für den späteren Erfolg eines Kunstwerks. Seine ganz persönlichen Skandale sind die Aufführung der Salome  mit dem Dirigenten Richard Strauss, der die Künstlerin, die anstelle von Emmy Destinn die Salome tanzte, zurecht wies, als sie sich beim Applaus ostentativ an seine Seite stellt; die Tänzerin Ida Rubinstein als Heiliger Sebastian in Debussys „Martyrium“, die den Erzbischof von Paris auf den Plan rief; die angeblich obszöne Geste von Nijinsky als Faun, der (weil der Vorhang zu schnell fiel) allzu lüstern sich über den Schleier der begehrten Nymphe warf und schließlich im Mai 1913 „Die denkwürdige Schlacht um den Sacre du Printemps“ .

Das alles ist mit leichter Feder, unterhaltsam und amüsant, dazu nicht ohne Selbstironie geschrieben, bitterer wird es, wenn sich Astruc über die Gründe äußert, die die klassische Musik, unter ihr die Oper, ruinieren werden: der Tango, der Sport, das Kino. Nun, inzwischen wurde auch schon das Kino totgesagt, und sowohl Kino als Oper leben noch (Verlag Berenberg, 125 Seiten; ISBN 978-3-937834-84-9). Ingrid Wanja