Windgassen als neuer Siegfried

 

1953 war ein guter Bayreuther Jahrgang. Die Nachkriegsfestspiele fanden zum dritten Mal statt. Der Neuanfang war künstlerisch geglückt. Mit Lohengrin gelangte ein weiteres Werk auf den Spielplan. Wieland Wagner feilte an seiner Ring-Inszenierung, die 1951 erstmals gezeigt worden war. Bei allem Glanz nach außen etablieren sich die Festspiele nach innen als Werkstatt. Leider ist das optisch nicht mehr nachzuvollziehen. Beschreibungen und Fotos vermitteln nur einen bescheidenen Eindruck von dem Prozess, der auch Entrümpelung der Wagner-Bühne in die Musikgeschichte einging. Filme gibt es nicht, nur die akustischen Mitschnitte. Und die nicht zu knapp. Inzwischen dürften fast alle Premieren der Nachkriegsfestspiele dokumentiert sein, dank der weitsichtigen Vergaberechte an den Bayerischen Rundfunk. 1953 teilten sich Joseph Keilberth und Clemens Krauss in die musikalische Leitung des Ring des Nibelungen, mit dem das Festspielhaus 1876 eingeweiht wurde. Krauss kam nur einmal nach Bayreuth, während Keilberth neben Hans Knappertsbusch zu einer tragenden Säule der Festspiele wurde. Beide Ring-Zyklen – und das erwweist sich als ausgesprochener Glücksfall – sind mitgeschnitten worden und schon vor Jahren in den unterschiedlichsten Ausgaben an die Öffentlichkeit gelangt. Nicht immer ganz legal, nicht immer gut im Ton.

Jetzt hat das Label Pan Classics (Note 1) die Aufnahme unter Keilberth in einer handlichen, Platz sparenden Box neu aufgelegt (PC10340). Das ist auch schon mal was. Stärker ins Gewicht fällt natürlich das vorzügliche Klangbild, dem seine gut sechzig Jahre nicht anzuhören sind. Keilberths zupackender Stil wirkt gar nicht so historisch, wie es die zeitliche Distanz erwarten lassen würde. Das Ensemble nahm Gestalt an. Es sollte in seinem Kern über mehrere Spielzeiten Bestand haben und Maßstäbe im Wagnergesang setzen, die bis jetzt nie übertroffen wurden. Martha Mödl sang die Brünnhilde bei Keilberth, während Astrid Varnay unter Krauss besetzt war. Hans Hotter gab Wotan und Wanderer während Gustav Neidlinger im Alberich seine Paraderolle auf dem Grünen Hügel gefunden hatte. Hingegen endete die vielversprechende Karriere des jungen Baritons Werner Faulhaber tragisch. Er war im Mai 1953 tödlich verunglückt. Wolfgang Windgassen, 1952 noch der Froh im Rheingold, sang seine ersten Siegfriede. Er kreierte einen völlig neuen Typ als Heldentenor. Windgassen stand nicht das metallische und schneidende Material eines Lorenz zur Verfügung. Seine Stimme war lyrisch und kleiner, was zur Folge hatte, dass die Figuren plötzlich viel menschlicher klangen. Aus der Not wurde eine Tugend. Dieser Tenor drückt denn auch dem Ring seinen besonderen Stempel auf.

Für die Sieglinde wurden die Sängerinnen in diesen Anfangsjahren öfter ausgewechselt als bei anderen tragenden Rollen. 1953 war dafür die Amerikanerin Regina Resnik angereist, die damals noch das Sopranfach sang. Sie sollte – wie ihre Landsmännin Eleanor Steber für die Elsa im Lohengrin – allerdings nicht wiederkommen. Bei der Besetzung der Walküren wurde auch 1953 nicht gespart. Nicht selten waren hochdramatische Kaliber darunter, die an ihren Stammhäusern selbst Brünnhilden und Sieglinden oder Isolden sangen – wie Brünnhild Friedland (Ortlinde) oder Liselotte Thomamüller (Helmwige). Rätsel gibt die Sängerin Lise Sorrell als Waltraute auf. Sie trat nur dieses eine Mal in Bayreuth auf. Auf der offiziellen Internetseite der Festspiele ist eine falsche Spur gelegt. Dort wird unter Verweise auf das „Große Sängerlexikon“ von Kutsch/Riemens eine Kurzbiographie von Christiana Sorrell abgedruckt. Die wurde nach diesen Angaben 1933 in Wien geboren und zunächst als Geigerin ausgebildet. Konzertreisen führten sie in alle Welt. Erst 1955 soll sie als lyrischer Sopran an der Wiener Volksoper debütiert haben, wo sie sehr beliebt gewesen sei. Also kann sie unmöglich 1953 bei den Bayreuther Festspielen die Waltraute – eine Mezzopartie – gesungen haben. Das dazu. Was also ist aus Lise Sorrell geworden? Rüdiger Winter