Dan Jordachesku

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

Mit Nicolae Herlea und David Ohanesian bildete Dan Iordăchescu das Triumvirat großer rumänischer Baritone der Nachkriegszeit. Obwohl ihm eine beachtliche internationale Karriere vergönnt war, die ihn auch an einige große deutsche Bühnen führte, ist er hierzulande kaum wirklich bekannt geworden. Am 30. August ist er im Alter von 85 Jahren gestorben, was in der deutschen Presse knapp und lakonisch vermeldet wurde. Ich erinnerte mich an ihn als Tomsky in der Pique Dame-Gesamtaufnahme unter Rostropovitch und als Posa in einem deutsch gesungenen Don Carlos-Querschnitt aus DDR-Zeiten, und wollte mehr von ihm wissen. Bei youtube bin ich fündig geworden und habe dabei einen Sänger entdeckt, der nicht nur ein hervorragender Stimmbesitzer war, sondern zugleich ein großer Musiker und Künstler.

Dan Iordăchescu als Posa/youtube

Dan Iordăchescu als Posa/youtube

Am 2. Juni 1930 wurde er in Vanja Mare geboren, einer rumänischen Stadt nahe der Grenze zu Moldawien; der Vater war Physiklehrer, die Mutter Volksmusiksängerin. Mit 18 Jahren begann er eine Ausbildung als Schauspieler und hatte sein Bühnendebut 1949 in einer rumänischen Operette. Der Erfolg ermutigte ihn, den Beruf des Sängers zu ergreifen. 1952 begann er sein Studium am Konservatorium im Bukarest, das er später am Mozarteum in Salzburg, in Paris und Rom fortsetzte. Im Dezember 1956 debutierte er als Opernsänger an der Bukarester Oper als Mozarts Figaro, noch in derselben Spielzeit sang er dort auch Vater Germont.

Schon vorher war er im Konzertsaal mit rumänischen, deutschen, französischen und russischen Liedern aufgetreten. In den 60er und 70er Jahren hatte er eine große internationale Karriere, die ihn an die Mailänder Scala, die Wiener Staatsoper, ans Bolschoj-Theater, an die Pariser Opéra und an einige der großen deutschen und amerikanischen Bühnen führte. Folgt man seiner Homepage, so hat er während seiner Laufbahn, die über ein halbes Jahrhundert währte, 45 Hauptrollen in 1080 Vorstellungen gesungen und in 1600 Konzerten mitgewirkt. Sein Repertoire reichte von Monteverdi bis in die Moderne. So sang er bei der RAI die Titelrolle in Vito Frazzis hierzulande unbekannter Oper Don Chisciotte (1950). Seit 1979 war er als Professor an der Bukarester Musikhochschule tätig und leitete zahlreiche internationale Meisterklassen.

Von den großen Plattenfirmen vernachlässigt, hat Iordăchescu in seiner Heimat zahlreiche Aufnahmen gemacht – im Studio, im Rundfunk, aber auch im Fernsehen. Eine ganze Menge davon ist heute auf youtube zu hören und teilweise auch zu sehen. Anders als sein Kollege Herlea war er kein dramatischer italienischer Bariton, sondern ein lyrischer Sänger mit großen dramatischen Möglichkeiten. Entsprechend wurde er international vor allem in Partien des Belcanto-Fachs und des lyrisch-dramatischen Zwischenfachs eingesetzt. An der Mailänder Scala sang er Riccardo in den Puritani unter Riccardo Muti, in Dallas Alfonso in La favorita neben Shirley Verrett und an der Wiener Staatsoper Enrico in Lucia di Lammermoor neben Renata Scotto. Ausschnitte aus diesen Aufführungen sind akustisch dokumentiert.

Dan Iordăchescu als Pêre Germont/ youtube

Dan Iordăchescu als Pêre Germont/ youtube

Unter seinen Verdi-Rollen verdienen vor allem Vater Germont, Marquis Posa und Renato Beachtung. Seine Interpretation von „Eri tu“ ist in jeder Hinsicht vorbildlich geraten – im Wechsel der Stimmungen, in der Farbgebung, aber auch im weich strömenden Legato, das bei mühelosem Registerwechsel eine glänzende Höhe aufweist. In Escamillos Torerolied kommt er ohne Brüllerei aus und auch in anderen Paradestücken wie der Figaro-Cavatine und „Nemico della patria“ verzichtet er auf vokale Kraftmeierei. Auf einem wahrscheinlich in den 60er Jahren entstandenen Recital bei Electrecord verbindet er Verdi-Arien mit solchen Mozarts, wobei hier auffällt, dass er nicht etwa Almaviva und Don Giovanni singt, sondern Figaro und Leporello – Rollen, deren Tessitura ihm zwar zugänglich ist, in denen er aber mehr komödiantisch als vokal brillieren kann.

Dan Iordăchescu im rumänischen Tv/ youtube

Dan Iordăchescu im rumänischen TV/ youtube

Wie schon erwähnt, hat das Lied in seiner Karriere eine bedeutende Rolle gespielt, und hört man seine entsprechenden Aufnahmen, so darf man feststellen, dass der Liedgesang seinen Opernrollen ausgesprochen gut bekommen ist, während andererseits die Bühnenerfahrungen seine Liedgestaltung beeinflussen. Das hört man in seiner packenden, differenzierten Interpretation des „Erlkönig“ wie in dem kultivierten Lied an den Abendstern. Iordăchescu war der deutschen Sprache nicht nur mächtig, er wusste sich in ihr auch auszudrücken. Und der leichte Akzent ist geringfügig angesichts einer ungemein plastischen Diktion. Die kommt auch Liedern von Schumann und Brahms und den Gesängen Gustav Mahlers zugute. Bei den Franzosen ist er aber ebenso zuhause, wie die Aufnahmen von Liedern Ravels, Duparcs und Reynaldo Hahns beweisen.

Dan Iordăchescu als Wolfram/ youtube

Dan Iordăchescu als Wolfram/ youtube

Zwei seiner Töchter sind in seine Fußstapfen getreten und Sängerinnen geworden, die dritte ist als Schauspielerin zum Film gegangen. Die Mezzosopranistin Cristina (*1966) und die Sopranistin Irina (*1977) haben sich und ihren berühmten Vater auf ihren Homepages verewigt. Da sieht man den weißhaarigen Patriarchen mit der älteren „La ci darem la mano“ anstimmen, mit der jüngeren „Bei Männern, welche Liebe fühlen“. Die Stimme ist rauer und körniger geworden, aber immer noch intakt. Diese Aufnahmen von einem öffentlichen Konzert sind zugleich ein anrührendes Dokument von Vaterliebe und Vaterstolz.

Nach eigener Aussage ist Iordăchescu bis 2005 noch häufig auf der Bühne und im Konzertsaal zu erleben gewesen. Im Netz habe ich ein noch späteres Dokument gefunden. Es entstand 2009 bei einem Gesprächskonzert in Bukarest, der Bariton ist hier auch mit einigen rumänischen Liedern zu hören, die er mit den noch ansehnlichen Resten seiner Stimme und ungebrochener Gestaltungskraft meistert. Ekkehard Pluta

 

Foto oben: Dan Iordăchescu/ youtube