Die Geburt von Verdis war gleichbedeutend mit dem Tod von Rossinis Otello, im 19. Jahrhundert bekannt und häufig aufgeführt, die Canzone del Salice sogar doppelt parodiert in Rossinis Convenienze und Donizettis Campanello. Dazu kam im Laufe der Zeit die wachsende Schwierigkeit, drei gleichwertige Tenöre für Otello, Iago und Rodrigo, bei Rossini von ungleich größerer Bedeutung als der Verdis, zu finden. Selbst im Rahmen der Rossini-Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Otello eines der selten aufgeführten Werke und wenn doch, dann wenig authentisch, wie zum Beispiel die Aufnahme mit José Carreras in der Titelpartie beweist. Alberto Zedda hat sich auch dieses Werks 2014 angenommen und in dem Opernhaus von Antwerpen wie bereits bei anderen Rossini-Opern einen beherzten Mitstreiter gefunden.
Natürlich darf man nicht mit den gleichen Erwartungen an beide Opern herangehen,, sondern den Rossini als das nehmen, was er ist, als die Möglichkeit für Sänger, mit virtuosen Bravourarien zu brillieren, nicht unverwechselbare Charaktere zu porträtieren. So gesehen ist die Aufnahme von Dynamic eine begrüßenswerte, die bereits in der Sinfonia den Rossini-Experten mit einer raffinierten Agogik wahrnehmen lässt.
Eine zweite Karriere ganz besonderer Art ist dem Sänger des Otello, Gregory Kunde, häufig auch in Pesaro zu Gast, gelungen, der nicht nur den rossinischen, sondern nun auch noch den verdischen Otello singt. Die Stimme ist etwas schwergängiger als die der beiden anderen Tenöre, von großer Durchschlagskraft, ungefährdeten Höhen ohne Flucht ins Falsettieren und insgesamt etwas dunkler, besonders in „Notte per me funesta“, als die des Rodrigo von Maxim Mironow, ebenfalls in Pesaro (und Wildbad) künstlerisch zu Hause, mit jünglingshafter, weicherer Tenorstimme, die „Ti parli d’amore“ besonders schön einleitet, sicher in den Intervallsprüngen, mit raffinierten Abellimenti arbeitend und einem angenehm klingenden Falsettone ausgestattet ist. Passend zur Rolle ein bisschen Falschheit in der Stimme hat der Iago von Robert McPherson, ein gleisnerisch klingender Charaktertenor, dessen helle Stimmfarben ein ganz anderes Charakterbild, wenn auch ein gleich böses, im Vergleich zu Verdis Jago zeichnen. Den Vater Desdemonas, Elmiro Barberigo, singt Josef Wagner mit geschmeidigem Bariton, Maarten Heirman verleiht dem Dogen dunkle Töne und Stephan Adriaens hat für den Gondoliere die Schwermut für sein böse Ahnungen weckendes Lied in der Stimme.
Die leicht dunkle Färbung ihres Soprans macht aus Carmen Romeu eine Desdemona, deren Schicksal vorausbestimmt zu sein scheint, ihr Sopran ist nicht der eines unbefangenen Mädchens, verfügt aber über dolcezza, ist zu feinen Piani fähig. Manchmal, so in „Che smania“ geht die korrekte Artikulation etwas unter, in „non arrestar il colpo“ zeigt sie, dass die Stimme auch zu Dramatischem fähig ist. Raffaella Lupinacci ist eine Emilia mit Kammerkätzchensopran. Noch 2015 wird Alberto Zedda in Gent Rossinis Armida dirigieren (Dynamic CDs 7711/1-3). Ingrid Wanja