Archiv für den Monat: September 2020

Christiane Eda-Pierre

 

Mit großen Bedauern hören wir vom Tode der französischen Sopranistin Christiane Eda-Pierre, sie starb am 5. September 2020 in Paris. Nachstehend wiederholen wir unsere Hommage an sie vom Dezember 2014.

Persönliche Erinnerungen: Unvergessen bleibt mir ihre Vitellia in der berühmten Hermann-Inszenierung der Clemenza di Tito in Brüssel – eine gebieterische, hochgewachsene Frau wirft in der ersten Szene wild und undiszipliniert mit ihren Schuhen um sich und malträtiert ihren grünangemalten Liebhaber (Alicia Nafé), verbreitet Chaos und wunderbaren, cremigen und ganz eigenartig timbrierten Gesang, nur um in der letzten Szene („Non più di fiori“) domestiziert ihre vielen Schuhe angepasst-ordentlich aufgereiht am Bühnenrand aufzustellen, wärend sie diese lange Arie voller Abschied und Resignation singt, diese voller Zwischentöne und voller Geheimnis in der warmen, etwas rauchigen dunklen Sopranstimme. Von da an liebte ich Christiane Eda-Pierre und suchte sie in Paris so viel wie möglich zu hören, auch in London für das Konzert des Benvenuto Cellini. Immer hinterließ sie bei mir einen nachhaltigen Eindruck. Und auch ihre wenigen Musikdokumente sammelte ich, die Gretry- und Philidor-LPs, die Clemenza als LP-Schachtel und später als DVD. Auch der Benvenuto Cellini unter Davis, wo sie eine ebenso kesse wie beseelte Teresa gibt, im Londoner Konzert noch persönlicher als auf der LP/CD. dazu auch eine Entführung mit ihr ebenfalls unter Davis. Live gibts zudem die schöne Jolie fille de Perth von Bizet und einen Docteur Miracle. Umso größer ist die Freude, bei der Decca France auf die Wiederausgabe ihrer beiden ehemaligen Philips-LPs (Airs d´Opéras Comiques: Grétry et Philidor)als gerade herausgekommenen CDs im Doppelpack (4807700, nicht im deutschen Programm der Decca, aber als Import bei Amazon zu haben). Anlässllich dieser Wiederveröffentlichung bei Decca führte der renommierte französische Kollege Christophe Capaci das nachfolgene Interview mit der Sängerin in Paris 2014. G.H.

 

Die Neuauflage bei Decca ist vor allem eine Gelegenheit, Ihrem Liederabend wiederzubegegnen, der André-Ernest-Modeste Grétry (1741 – 1813) und François-André Danican Philidor (1726 – 1795) gewidmet ist, zwei Komponisten der Opéra comique, die bis vor kurzem ziemlich vernachlässigt wurden. Das Album, das zu seiner Zeit große Medienresonanz erzielte, wurde nie auf CD aufgenommen und die Liebhaber haben es schließlich als die Arlesienne der Opernplatten angesehen. Es war tatsächlich eine lange Abwesenheit, die ich mir nicht erklären kann. Umso mehr als die erste Erscheinung Aufsehen erregt hat und wir mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten haben.

In einer Zeit, als die großen lyrischen Soprane nur Mozartarien aufgenommen haben, ein Komponist, den Sie übrigens auch vor allem gesungen haben, warum diese ungewöhnliche Wahl von Grétry und Philidor? Zweifellos aus Liebe zur französischen Sprache. Ich gehöre zu einer Generation, die alles auf Französisch gesungen hat. Meine westindischen Wurzeln, der singende Akzent von La Martinique… Bei uns liebt man es zu „sprechen“. In seinem Reisebericht „Das Lied des Ozeans“ sagt Olivier de Kersauson, dass man auf die Antillen gehen muss, um Französisch zu hören! Man kann uns sehr gut als das „alte Frankreich“ bezeichnen, das der Fortdauer der Sprache verbunden ist: Das bleibt ein schönes Kompliment.

Meine Sprache war ein Kampf und eine Leidenschaft während meiner ganzen Karriere und auch darüber hinaus auch bei meiner Arbeit am Pariser Konservatorium. Ich habe meinen Schüler immer gesagt: „Lernt zuerst französisch zu singen! Erst wenn ihr eure eigene Sprache, die schwer zu singen ist, beherrscht, könnt ihr euch an das fremdsprachige Repertoire wagen.“ Und zwar leichter, wie ich glaube. Grétry oder Philidor? Als ich diese Anthologie vorgeschlagen habe, haben viele die Nase gerümpft. Ist das wirklich Musik? Diese „Musiquette“? Aber nein, das ist ein wichtiges Repertoire, das ist das klassische Fundament (die klassische Gründung) der Opéra comique und das sind meine musikalischen Wurzeln. Meine Ausbildung kommt von hier. Es gibt in diesen Arien eine erstaunliche vokale Länge, ich wage es sogar zu sagen, dass sie generell dynamischer sind als manche von Mozart und dass sie unerhörte musikalische Schwierigkeiten beinhalten. Mit der Hilfe von Roger Blanchard – er hatte die Partitur von Carnéval de Vénise von Campra eingerichtet, den ich beim Festival von Aix-en-Provence im Jahr 1975 gesungen habe – , wurden wichtige Forschungen in der Nationalbibliothek angestellt, um diese Arien von Grétry und Philidor auszugraben. Das war etwas Besonderes, das war kein Mozart-Liederabend mehr.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Aufnahme in London? Ein sofortiges Verständnis mit Neville Marriner! Am ersten Tag haben wir zusammen am Klavier gearbeitet. Dann mit dem Orchester, alles ging sehr rasch, in drei Tagen waren alle Arien „im Kasten“. Kaum so etwas wie eine Probe, um die Tempi festzulegen! Man muss dazu sagen, dass die Academy of St Martin in the Fields ein Ensemble von außerordentlicher Schmiegsamkeit ist, mit warmen Klängen, und die Musiker haben instinktiv die Farbe und den französischen Stil dieser Musik erfühlt. Ist es nicht erstaunlich, dass ich gerade mit Neville Marriner und Colin Davis so viele französische Platten aufgenommen habe? Auf dieser Seite des Ärmelkanals war Michel Plasson ein wenig allein gelassen, aber er hat zumindest das französische Repertoire für die Platte „gemacht“!

Christiane Eda-Pierre: Antonia Paris 1977/Decca/ "Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre"

Christiane Eda-Pierre: Antonia Paris 1977/Decca/ „Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Ihr Instrument? Der Reichtum eines lyrischen Soprans, seine Wärme und Rundheit, aber eine enorme Koloratur weite, eine ungewöhnliche Beweglichkeit…. Aufeinanderfolgend, aber auch gleichzeitig Lakmé und Antonia, Konstanze und Elettra, Rosina und Imogene aus dem Pirata von Bellini! Eben während dieses Pirata beim Festival von Wexfort im Jahr 1972 rief der italienische Dirigent Leone Magiera aus: „Aber was hast du für eine Stimme, Eda?“ Was Manuel Rosenthal betrifft, so sagte er, dass mein Instrument „undefinierbar“ sei. Eine natürliche Biegsamkeit? Eine eigenständige Gestaltung, die ich teilweise der Höhe meines Gaumens verdanke? Die Tiefe wie die Höhe waren klar und warm, das stimmt. Das hatte nichts zu tun mit der angeblich „schwarzen“ Stimme der Leontyne Price, die ich verehre: Es ist eine Frage der Morphologie, die Backenknochen, die Nasenhöhlen, das, was den Ton macht eben! Weder ich noch Shirley Verrett hatten diese Farbe.

Ihr Repertoire? Von Rameau und Campra zu Messiaen und Chaynes, vom Barock zur Zeitgenössischen, aber auch Händel, Mozart, der romantische Belcanto, die Opéra comique, eine Vielzahl von Oratorien aller Epochen… Persönliche Neugier! Ich hatte vor allem immer viel Glück, ich war immer von Musikern umgeben, die mir Entdeckungen ermöglicht haben. Erinnern Sie sich an Elisabeth Brasseur: Sie leitete den Studentenchor des Konservatoriums von Paris. Wir waren vierzehn in der Klasse, alle Stimmlagen waren vertreten, und wir konnten das gesamte Repertoire machen. Wir konnten den Roi David von Honegger in Angriff nehmen. Gabriel Dussurget engagierte unsere Gruppe für die Produktionen des Festivals von Aix.

Und der große Charles Panzéra! Ich bin seinem Unterricht zuerst in Privatstunden, von 1951 bis 1954, dann bis 1957 am Konservatorium mit Leidenschaft gefolgt: Man hat seinen Einfluss in der französischen Melodie nicht vergessen, aber wussten Sie, dass er seine Pariser Schüler Mahler singen ließ zu einer Zeit, wo das bei uns nicht einmal publiziert war? Er bekam die Partituren aus Deutschland. Ein anderer Bariton, bei dem ich am Konservatorium Kurse gemacht habe, sagte mir: „Du bist anders, kultiviere diese Andersartigkeit! Du bist groß, sei noch größer, wachse!“ Er hatte eine sehr eigenwillige Art, er ließ uns mit dem Rücken zum Publikum singen und forderte dabei noch mehr Intensität, als würden wir nach vor singen: „Ich will alles auf eurem Rücken lesen und hören.“ Was das Repertoire betrifft, wie meine ganze Karriere im Allgemeinen, glaube ich, dass ich gemacht habe, was ich machen wollte, nicht das, was man von mir wollte. Ich bin ein Handwerker des Gesangs. Der Bezug zum Zeitgenössischen war andererseits zumindest zögerlich: „ Mit Ihrer hübschen Stimme singen Sie Zeitgenössisches?“ Aber man kann sich die Stimme auch mit dem klassischen Repertoire ruinieren! Es gibt eine extreme Freiheit in der Gestaltung, ein Fehlen von Anhaltspunkten, die enthemmen. „Der heilige Franz von Assisi“ von Messiaen und „Erzsebet“ von Chaynes, die Pariser Oper hat mir diese Werke angeboten.

Christiane Eda-Pierre: Lucia di Lammermoor an der Opéra-Comique/ Decca Foto Michel Petit/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre

Christiane Eda-Pierre: Lucia di Lammermoor an der Opéra-Comique/ Decca „Foto Michel Petit/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Die Opéra-Comique, die Pariser Oper, Aix-en-Provence, London, Salzburg, Wien, Moskau und andere berühmte Orte. In den Vereinigten Staaten Chicago, San Francisco und in New York die Met, wo damals wenige französische Sänger eingeladen wurden… Sir Georg Solti wollte, dass ich seine Contessa in Le Nozze di Figaro war für die Amerika-Tournee der Pariser Oper im Jahr 1976. Um mich darauf vorzubereiten, musste ich die Rolle in der Produktion von Giorgio Strehler im Palais Garnier proben: Die wunderbare Margaret Price war in Paris für acht Vorstellungen vorgesehen, und mit unendlicher Großzügigkeit überließ sie mir vier davon und schickte mir ein herzliches Telegramm für die Premiere! So konnte ich danach an der Met debütieren. Ich wurde weiter eingeladen für Konstanze in Die Entführung aus dem Serail und Gilda in Rigoletto, zwei Produktionen, die von James Levine dirigiert wurden, schließlich Antonia in Hoffmanns Erzählungen beim Debüt von Riccardo Chailly.

Das amerikanische Leben war nichts für mich, aber die Met… Jimmy Levine, was für ein Dirigent!  In der Entführung, in einer Interpretation, die der von Karl Böhm in Paris sehr nahe war. Wir standen ungefähr dreihunderttausend Personen gegenüber bei einem Rigoletto im Central Park. Der Star  war Luciano Pavarotti, das Publikum machte aus diesem Abend einen großen Karneval. Levine beruhigte mich: „Sing! Wir sind da, wir machen Musik, das ist alles.“ Ich gab mein Bestes und das Publikum begrüßte mich mit immensem Geschrei: Pavarotti nahm mich an der Hand und führte mich nach vorne in Richtung Publikum. In Les Contes d´Hoffmann in New York liebte ich das Unprätenziöse von Plácido Domingo. Ja, ich hatte dieses Glück… Dennoch ist Abstand nötig, man muss sich selbst finden können, um besser weitermachen zu können. Man kann sich im Operngesang verlieren. Wenn Sie die Bühne verlassen haben, bleiben oft nur ein Hotelzimmer und Einsamkeit. All das ist vergänglich. Was mich betrifft, so wollte ich nie auf der Bühne sterben.

Christiane Eda-Pierre: Erzsebet von Charles Chaynes an der Pariser Oper 1983/ Decca "Foto Colette Masson/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre"

Christiane Eda-Pierre: Erzsebet von Charles Chaynes an der Pariser Oper 1983/ Decca „Foto Colette Masson/ Collection privée avec l´aimable autorisation de Madame Eda-Pierre“

Welche Dirigenten haben Sie geprägt? In der Komischen Oper Jésus Etcheverry. Die (gewerkschaftlich festgelegten!) drei Stunden täglicher Arbeit mit ihm waren viel mehr wert, das war intensiv. Er gab mir Kraft, er hat mich gelehrt, mit meiner Verwundbarkeit umzugehen – dass ein Problem auftaucht und ich nicht mehr singen kann… Serge Baudo: ein großer Dirigent, eine außerordentliche Menschlichkeit! Papagena in Aix. Konstanze in Paris und so viele Konzerte ( La Damoiselle élue von Debussy in Versailles!). So viele Oratorien, die man heute nicht mehr hört. Und auch Sylvain Cambreling, mit dem ich auch Vitellia in La clemenza di Tito in Brüssel gesungen habe, begleitete mich in Pour un monde noir  von Charles Chaynes. Georg Solti natürlich. Ich erinnere mich an eine 9. Symphonie von Beethoven mit dem Pariser Orchester:  Ich liebte es, die Noten von oben zu produzieren, das erspart, die Noten von unten zu nehmen, das stützt das Zwerchfell. Aber das war offensichtlich nicht nach dem Geschmack unseres Dirigenten: „Nein, nein, Christiane, singen Sie, wie soll ich sagen, à la Martinique!“ Seine Art, mir zu sagen: „Keine Konsonanten!“ Mit Karl Böhm, ein Glückszustand, ein außerordentlicher Moment, den ich Rolf Liebermann verdanke. Ohne Klavierprobe stürzte ich mich in „Ach, ich liebte“ der Konstanze direkt mit dem Orchester: Am Beginn verstand ich nicht viel von seinem Schlag, und ich glaube, er war absichtlich ein wenig vage, um mich auf die Probe zu stellen; danach ein Wonnemond! Colin Davis war im Studio ein wenig das Gegenteil von Böhm, und das war sehr gut. Bei Berlioz, der sein großes Projekt war, hatte er sehr genaue Ideen. Während der Aufnahme von Benvenuto Cellini konnte er mehr als eine Stunde mit einem Takt mit Nicolai Gedda verbringen! Eine Gesamtaufnahme von großem Format, das Fernsehen übertrug übrigens Teile davon.

Christiane Eda-Pierre, Botschafterin ihrer Heimat Martinique/franceantilles.mobi

Christiane Eda-Pierre, Botschafterin ihrer Heimat Martinique/franceantilles.mobi

Meine einzige versäumte Begegnung war die mit Karajan. Wir sollten uns für eine Entführung in Salzburg treffen, aus verschiedenen Gründen kam es nicht dazu. Ich hätte gern mit ihm gearbeitet. Ich fühlte die absolute Leichtigkeit, die er seinen Solisten vermittelte. Schließlich habe ich mit Levine in Salzburg in Jean-Pierre Ponnelles Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen gesungen.

 

Das Gespräch wurde von dem französischen Musikjournalisten Christophe Capaci im Théâtre National der Opéra-Comique, Paris, am 20. März 2013 geführt, der Autor war so liebenswürdig, uns diesen Artikel zu überlassen. Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung. Und Dank auch an Edoaurd Brane von der Universal France für seine Hilfe. Die so gekennzeichneten Fotos von Colette Masson und Michel Petit stammen aus dem Booklet der wiederveröffentlichten Decca-CDs und sind dem Privatbesitz der Sängerin entnommen, auch dafür Dank. 

 

Zur Person ein Auszug aus Wikipedia: Christiane Eda-Pierre (born March 24, 1932) is a French lyric coloratura soprano of Martiniquan origin, who sang in a wide variety of roles, from baroque to contemporary works. Eda-Pierre was born in Fort-de-France, Martinique, and came to France to study at the Paris Conservatory, where she was a pupil of J. Decrais and Charles Panzéra. She graduated with honors in 1957. The same year, she made her professional debut in Nice, as Leïla in Les pêcheurs de perles. She made her debut at the Opéra-Comique in 1958, as Lakmé, at the Aix-en-Provence Festival in 1959, as Papagen, and at the Palais Garnier in 1960, as Lucia di Lammermoor. She sang there the standard lyric coloratura roles of the French and Italian repertories. She also won great acclaim in Mozart roles, especially, as well as the Countess in Le nozze di Figaro, Donna Anna and Elvira in Don Giovanni, The Queen of the Night. Eda-Pierre was much appreciated in French baroque opera, particularly the works of Jean-Philippe Rameau, including Les Indes galantes, Zoroastre, Les Boréades, and Dardanus. She was also very active on French Radio where she sang in little performed works, such as Rossini’s Le siège de Corinthe, Bellini’s Il pirata, Bizet’s La jolie fille de Perth, as well as Berlioz’s Béatrice et Bénédict and Benvenuto Cellini. She created many contemporary works, such as Capdeville’s Les amants captifs (1973), Chaynes’s Pour un monde noir (1979), and Erszebet (1983). In 1983 she also created the role of the Angel in Olivier Messiaen’s Saint François d’Assise. At the Opéra. Eda-Pierre also appeared to great acclaim internationally, including Lisbon, London, Wexford, Berlin, Hamburg, Vienna, Salzburg, Moscow, Chicago, and New York. She made her Metropolitan Opera debut in 1980 as Konstanze, and went on to sing other roles there: Antonia in Les contes d’Hoffmann and Gilda in Rigoletto. She became a teacher at the Paris Conservatory in 1977, while continuing her career in opera and in concert. The possessor of a beautiful, rich and agile voice, which enabled her to succeed in a wide variety of roles, Eda-Pierre can be heard on several recordings, her three most famous being on the Philips label, as Konstanze in Entführung aus dem Serail and Teresa in Benvenuto Cellini, both under Sir Colin Davis, and an album of arias from the French opéra-comiques of Grétry and Philidor, under Sir Neville Marriner. For the Bizet centenary in 1975 she participated in BBC studio recordings of La Jolie Fille de Perth and Le Docteur Miracle. (Foto oben: Christiane Eda-Pierre: Konstanze in Paris 1977/Decca/ „Foto Colette Massé Collection privée avec l´aimable autorsation de Madame Eda-Pierre“)

Mord und Totschlag im Sophiensaal

 

Eines Tages tauchten in Musikgeschäften der DDR originale Decca-Schallplatten auf. Das muss Ende der sechziger Jahre gewesen sein. Darunter war ein Querschnitt durch Verdis Otello. Es sangen Renata Tebaldi die Desdemona, Mario del Monaco den Otello und Aldo Protti den Jago. Als Dirigent der Wiener Philharmoniker verbreitete Herbert von Karajan allein durch die Nennung seines Namens auf dem Cover Magie. Notorisch klamm als ganz junges Ding kratze ich die verlangten vierundzwanzig Ostmark zusammen. Seinerzeit war das sehr viel Geld. Die Platte trug ich nach Hause, als wäre sie aus purem Gold. Verpackt in Zeitungspapier drückte ich sie in der Straßenbahn an mich und schaute voller Verachtung auf meine Umgebung. Wenn ihr wüsstet, was ich da bei mir habe? Die Anschaffung einer neuen Schallplatte, dazu noch so einer, war einst ein Ereignis. Ich denke noch heute daran, wenn ich mir die überbordende Fülle der eigenen Sammlung mit vielleicht dreißig Otellos vergegenwärtige. Und würde ich die Oper in allen nur möglichen Varianten Tag und Nacht hören, die Erschütterung der ersten Begegnung von dieser Platte, wenn der Sturm erbarmungslos gegen das Segel kracht und die Menschen am Ufer von panischer Angst geschüttelt werden, fände ich nicht wieder.

The Complete Decca Recordings: Die Firma hat jetzt alle eigenen, von Herbert von Karajan betreuten Produktionen in einer neuen Edition zusammengefasst. Sie besteht aus 33 CD‘s (483 4903). Selbstverständlich ist der vollständige Otello mit dabei, wie alle Alben  gewandet in das originale Cover. Es zeigt den bildschönen del Monaco noch dunkel geschminkt, mit krausem Haar. Schließlich ist der Befehlshaber der venezianischen Flotte ein Mohr. Und einzig aus dieser Besonderheit führt die Handlung in die Katastrophe, bei Shakespeare wie bei Verdi und seinem Librettisten Arrigio Boito. Inzwischen ist diese Maske obsolet. Indem aber Otello äußerlich nicht mehr als Mohr in Erscheinung tritt, kann er in seiner Tragik als Außenseiter nicht wahrgenommen werden, und sein übler Widersacher Jago ist auch kein Rassist mehr sondern wird auf einen fiesen Schurke reduziert, der über Leichen geht. Die Oper wurde zwischen dem 10. und dem 21. Mai 1961 im Wiener Sophiensaal, der eine der feinsten Adressen in der Schallplattengeschichte gewesen ist, aufgenommen. Produzent war John Culshaw, dem die Decca zahlreiche bedeutende Titel ihres Katalogs verdankt. Im Booklet findet sich ein Foto, das die konzentrierte Arbeitsatmosphäre während Einspielung als Momentaufnahme festgehalten hat. Die gut frisierten Damen im schlichten Zweiteiler, die Herren im Anzug oder – gleich dem Maestro – im eleganten Rollkragenpullover, wie er damals hoch in Mode stand. Es ist kaum vorstellbar, dass unter diesen Umständen tödlich endende Leidenschaft für die Ewigkeit auf Plattenrillen gebannt wird. Und doch ist es geschehen. Profis schaffen das. Mit dem historischen Abstand wirkt die Aufnahme heute auf mich etwas statuarisch. Gesungen aber wird auf solch hohem Niveau, dass es Konkurrenzprodukte nicht leicht hatten. Schließlich war dieser Otello nicht die erste Studioaufnahme. Tebaldi und del Monaco, raumgreifend in jedem Moment, sind eine ideale Besetzung gewesen. Ihr Vortragsstil kennt keine Routine. Sie sind eins mit ihren Rollen. Für mich hat sich Karajan mit seiner zweiten Studioproduktion für die EMI nicht übertreffen können – trotz Vickers und Freni.

Was für die Qualität des Otello spricht, kann auch auf andere Titel der Edition übertragen werden. Knapp zwei Jahre zuvor war am selben Ort mit demselben Orchester Aida eingespielt worden. Für die Titelpartie war ebenfalls die Tebaldi angereist. Kenner ziehen ihre Aida der Desdemona vor. Ich kann mich da nicht entscheiden. Immerhin bietet die Edition viele Möglichkeiten für spannende Vergleiche. Bis an ihre Grenzen geht Giulietta Simionato in ihrem verzweifelten Kampf um Radames – hervorragend mit Carlo Bergonzi besetzt, den sie erst in der Gerichtsszene, wenn sie unter die Räder der Macht gerät, endgültig verliert. Den Amonasro singt Cornell MacNeil, den König Fernando Corena und den Ramfis Arnold van Mill. Idiomatisch nicht perfekt passen für mich Leontyne Price als Tosca und Giuseppe di Stefano als Cavaradossi zusammen. Vielleicht wäre für die Amerikanerin der etwas modernere Bergonzi die bessere Wahl gewesen. Sei‘s drum. Angetrieben von Karajan lassen es beide nicht an Leidenschaft fehlen. Für sich genommen finde ich das das Te Deum noch immer gewöhnungsdürftig, weil es vom Dirigenten zu stark extrahiert, durch ein extrem langsames Tempo und Kanonendonner regelrecht überstrapaziert wird. Wenn es aber im Zusammenhang mit dem folgenden lapidar-kammermusikalischen Beginn des zweiten Aktes der Tosca wahrgenommen wird, passt es dann doch. Die Puccini-Oper wurde 1962 aufgenommen.

Im Sophiensaal standen damals die Bandmaschinen nicht still. Karajan war von 1957 bis 1964 neben seiner Tätigkeit als neuer Chef der Berliner Philharmoniker auch noch künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper. Die Weltstars der Oper waren seine Entourage. Als spritziges Intermezzo behauptet sich Die Federmaus von Johann Strauss in der der Decca-Edition, in der die Opern bis auf den Figaro alle tödlich enden. Wer sich also etwas entspannt zurücklehnen möchte, bevor in Bohéme, Butterfly, Carmen und Boris Godunov wieder gestorben wird, ist mit dieser Aufnahme der Königin der Operette bestens bedient, die von 1960 stammt. Der Champagner fließt nicht nur beim Prinzen Orlofsky in Strömen, der von Regina Resnik stimmlich mit einem Schuss Klytämnestra gewürzt wird. Karajan lässt die Korken auch am Pult der Wiener Philharmoniker knallen, die nun ganz in ihrem Element sind. Es ist Karajan zweite Einspielung. Die erste wurde 1955 im Londoner EMI-Studio gemacht. Nach Mono jetzt Stereo. Das ist für diese Musik ein unschätzbarer Vorteil. Nichts zu wünschen lässt die übrige Besetzung übrig: Hilde Güden (Rosalinde), Erika Köth (Adele), Waldemar Kmentt (Eisenstein), Walter Berry (Falke), Eberhard Wächter (Frank). Giuseppe Zampieri spielt als Tenor Alfred sich selbst. Und als Frosch ist niemand anders denkbar als der in Wien abgöttisch verehrte Erich Kunz. Alle sprechen die Dialoge ohne Fehl und Tadel. Auch nach sechzig Jahren hat die Aufnahme nicht gelitten. Im Gegenteil. Sie hat ein hohes Beharrungsvermögen auf dem Markt entwickelten und ist der schlagende Beweis, dass Operette nicht immer schnell altern muss. Diese mehrfach preisgekrönte Aufnahme unterscheidet sich in einem Punkt von allen anderen Fledermäusen. Auf dem Ball beim Prinzen erscheinen illustre Gäste in großer Zahl: Renata Tebaldi, Mario del Monaco, Birgit Nilsson, Jussi Björling, Fernando Corena, Leontyne Price, Giulietta Simionato, Ettore Bastianini, Joan Sutherland, Teresa Berganza und Ljuba Welitsch. Der Dialog ist so verändert, dass der Kaiser, der sich plötzlich am Telefon meldet, die Sänger Hofoper ankündigt statt selbst zu erscheinen. Die Gäste haben ihre musikalischen Visitenkarten dabei. Und die Tebaldi dürfte es gern gehört haben, als „die größte italienische Primadonna“ angekündigt zu werden. Die Verwirklichung der hübschen Idee krankt etwas daran, dass die meisten Auftritte deutlich als nachträglich hineingeschnitten klingen. Nur die Nilsson, die Price und die Welitsch erscheinen wahrhaftig, denn sie geben auch persönlich ein paar Worte von sich. Es wird berichtet, dass es auch mit Kirsten Flagstad Verhandlungen gab, um sie zur Mitwirkung als Gast zu gewinnen. Schließlich hatte sie ihre Karriere auch mit Operetten begonnen. Leider zerschlugen sich diese Pläne.

Keine so glückliche Hand hatte Karajan mit seiner ersten Carmen von 1963, die viel zu wuchtig beginnt. Es würden noch zwei weitere offizielle Produktionen folgen. Er hat die Oper oft dirigiert, kitzelte den dramatischen Gehalt deutlicher heraus, als dass er sich auf die Besonderheiten der französischen Opéra-comique eingelassen hätte. Musikalisch malte er mit sehr dickem Pinsel. Der feine Strich war seine Sache nicht. Selbst das betörende Vorspiel zum dritten Akt, in dem sich Michaela im Wald auf die Suche nach José begibt, klingt mehr nach Mascagni denn nach Bizet. Leontyne Price ist mir als Carmen zu folkloristisch, Franco Corelli als José zu veristisch. Mirella Freni, die die Michaela singt, hatte ich mädchenhafter in Erinnerung. Die Rolle des Escamillo ist dann doch etwas zu episodisch, als dass Robert Merrill viel herausreißen könnte. Am besten bedient ist die Freni mit der Mimi in Puccinis La Bohéme, die 1973 in der Berliner Jesus-Christus-Kirche eingespielt wurde. Nun kam Karajans eigenes Orchester, die Berliner Philharmoniker, zum Zuge, die kein geborenes Opernorchester waren. Sie folgen ihrem Chef, der es glanzvoll und sinfonisch haben wollte, bedingungslos. Stimmlich wird ein Fest gegeben, das bis heute seinesgleichen sucht. An der Seite der wunderbaren Freni Luciano Pavarotti als Rodolfo in Höchstform. Selten konnte er seinen Tenor so aufblühen lassen wie hier. Dieses Wunder der Bohéme wurde ein Jahr später mit Madama Butterfly, die wieder nach Wien verlegt und mit den dortigen Philharmonikern bestritten wurde, nicht übertroffen – trotz Freni als Cio-Cio-San und Pavarotti als Pinkerton. 1970 hatte sich in der Hauptstadt Österreichs ein internationales Ensemble zusammengefunden, um Boris Godunow von Modest Mussorgsky einzuspielen. Der Chor der Wiener Staatsoper ist extra durch den Rundfunkchor aus Sofia verstärkt worden, um das besondere Flair dieses Musikdramas deutlicher herauszustellen. Nicolai Ghiaurov war in der Titelrolle besetzt, Ludovic Spiess als Dimitri und Galina Vishnevskaya als Marina. Als Pimen war Matti Talvela nahe dran, allen seinen Kollegen die Show zu stehlen. Die jüngste Opernproduktion der Edition ist Mozarts Le nozze die Figaro, 1978 in Wien entstanden. Auf der Besetzungsliste tauchen neue Namen auf. José Van Dam in der Titelrolle gelingt ein sehr differenziertes Porträt und gewinnt der Figur neue Seiten ab. Er versucht es erst gar nicht mit charmantem Schöngesang. Sein Figaro ist eine Kämpfernatur, misstrauisch, sogar verschlagen und zu allem entschlossen. Wer sich mit so einem anlegt, zieht den Kürzeren. Und so soll es ja auch sein. Tom Krause als Conte geht als ebenbürtiger Gegner in diesen Zweikampf zwischen Männern, während die Damen ehr der Tradition hingegeben bleiben. Bei der Contessa von Anna Tomowa-Sintow kommt es mir vor, als singe sie ihre beiden Soloszenen im Sitzen. Frederica von Stade fehlt die Eloquenz des umtriebigen Jünglings Cherubino und Illena Cotrubas singt zwar schön wie ihre Kolleginnen, kann mich aber nicht vollends davon überzeugen, dass die Susanne vom menschlichen Standpunkt letztlich die Hauptrolle spielt. Karajan kann den tollen Tag am Pult nicht überzeugend in Szene setzen. Über weite Strecken wirken die einzelnen Nummern wie auf einer sündhaft teuren Perlenkette aufgereiht.

Nicht eben knapp ist der sinfonische Teil der Edition bemessen. Wiener Klassik findet sich mit Sinfonien von Haydn und Mozart – darunter die Jupiter-Sinfonie – und Beethovens Siebte. Eine CD teilen sich Antonin Dvorak (8. Sinfonie) und Johannes Brahms (3. Sinfonie sowie Tragische Ouvertüre). Dessen 1. Sinfonie gibt es noch in anderer Koppelung. The Vienna of Johann Strauss: diese CD beschert mit der Ouvertüre zur Fledermaus das einzige Stück, das zweifach in der Edition auftaucht. Komplettiert wird das Programm unter anderen mit der Ouvertüre zum Zigeunerbaron, der Annen-Polka und den Geschichten aus dem Wienerwald. Karajan hat für dieses Repertoire einen unvergleichlichen Instinkt. Man vergisst, Luft zu holen, wenn die CD aufliegt. Für Peter Tschaikowsky fiel sogar ein Doppelalbum ab, das mit der Romeo-und Julia-Ouvertüre beginnt und mit der Dornröschen-Suite endet. Dazwischen die Schwanensee-Suite. Wem an deren Ende nicht die Tränen kommen, ist selber schuld. Hingabe verschwendet der Dirigent schließlich auch an das Ballett Giselle von Adolphe Adam. Seinem Ruf als Klangmagier macht Herbert von Karajan mit Also sprach Zarathustra von Richard Strauss und den Planeten von Gustav Holst alle Ehre. Was noch? Christmas mit Leontyne Price. Das nächste Weihnachten kommt ganz bestimmt. Rüdiger Winter

Joseph Martin Kraus zum Dritten

 

Einen Opernführer über Aeneas i Carthago und damit über den beinahe unbekannten Joseph Martin Kraus haben wir in einem bereits bei operalounge.de gebracht, ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit den vielen Aufnahmen der Kraus-schen Musik bei Naxos (wenngleich auch andere Labels einiges von ihm herausgebracht haben). Nun – als dritte Folge unserer Hommage an den bemerkenswerten deutschen Komponisten am Hofe Gustav III. – bespricht Ingrid Wanja die in Buchform 2015 erschienene, hochanspruchsvolle Dissertation des deutschen Kraus-Kenners Jens Dufner, Musikwissenschaftler in Bonn und international renommierter Spezialist auf dem Gebiet der Gustavianische Oper. Was nicht heißen soll, dass keine weiteren Artikel zu Joseph Martin Kraus bei uns folgen sollen – wir arbeiten daran … G. H.

 

Wer Verdis Un ballo in maschera kennt, dem ist der schwedische König Gustav III. kein Unbekannter, denn während der Komponist noch, um den Königsmord zu verschleiern, sein Werk nach Nordamerika verlegen musste, vergönnte ihm u. a. der Regisseur Götz Friedrich in seiner Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin die beiden Charakterzüge, die auch in der Dissertation von Jens Dufner eine Rolle spielen: weniger die Homosexualität als vielmehr die Leidenschaft für das Theater. Unvergesslich sind dem Berliner Opernbesucher nicht nur die zart-zärtliche Annäherung an den Pagen Oscar, sondern besonders die letzte Szene, wenn der König nach vielen Addios über seinem Puppentheater zusammenbricht. Tatsächlich stand der schwedische König, der tatsächlich 1792 einem Attentat, wenn auch nicht wegen eines vermuteten Ehebruchs, zum Opfer fiel, nicht nur für seine ideologisch eingesetzte, innovative Liebe zum Theater sondern für eine ganze kulturelle Epoche, nämlich die gustavische.

Im Mittelpunkt der Dissertation mit dem Titel Æneas i Carthago von Joseph Martin Kraus- Oper als Spiegelbild der schwedischen Hofkultur steht das Werk des deutschen Komponisten, der die Uraufführung seines Hauptwerkes nicht erlebte, obwohl er zehn Jahre lang daran gearbeitet hatte. Die Oper  wurde posthum ohne sonderlichen Erfolg 1799 in Stockholm uraufgeführt, geriet dann in Vergessenheit, ehe sie 1979 wieder in Stockholm, 1980 in New York in englischer Sprache mit Kristina Söderström und 2006 in Stuttgart in deutscher Sprache aufgeführt und von der Zeitschrift Opernwelt als Wiederentdeckung des Jahres gefeiert wurde.  2011 gab es in Berlin eine konzertante Aufführung unter Lothar Zagrosek. Alle diese Aufführungen brachten stark gekürzte Fassungen mit zum Teil wohl gar nicht von Kraus stammender Musik. Eine historisch-kritische Ausgabe ist also vonnöten, will man der Oper eine Zukunft vergönnen, und der Autor der Dissertation ist bereits mit der Verwirklichung einer solchen als „Bestandteil  des von der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur geförderten Projekts  OPERA- Spektrum des europäischen Musiktheaters in Einzeleditionen“  befasst.

Das Attribut „gustavisches Werk“ verdient es sich nicht nur durch seine Zugehörigkeit zu einer Epoche, sondern auch dadurch, dass der König selbst den Prosaentwurf verfertigte (davon gibt es ein Foto), die Verse stammen von Johan Henrik Kellgren, der auch der Librettist für Kraus‘ erste vor dem König aufgeführte Oper Proserpin war.

Das Buch gliedert sich vom Allgemeinen zum Speziellen voranschreitend, beginnend mit der Situation der Oper in Schweden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, danach widmet es sich dem Leben und Wirken des Komponisten, schließlich seinem Werk. Von diesem werden die unterschiedlichen Fassungen, das Libretto, die Konzeption und Dramaturgie und schließlich die musikalische Gestaltung untersucht.

Auch für den Historiker interessant sind die Ausführungen über das Opernleben in Stockholm, das Bestreben Gustav III., das Niveau der beiden berühmten Vorgänger und Namensvettern zu erreichen, auch durch die Schaffung einer schwedischen Nationaloper, durch den Bau eines Opernhauses, für dessen feierliche Eröffnung  Æneas eigentlich bestimmt war.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Carthago“/ Bühnenentwurf zur Uraufführung von Louis Jean Deprez/Wikipedia

Kraus als Opernkomponist wird gewürdigt, angefangen von dem nur als Bruchstück erhalten gebliebenen Werk Azire, sein Aufstieg zum Hofkapellmeister nach einer jahrelangen Bildungsreise durch Europa. Das wird alles so akribisch wie interessant dargestellt, so wie auch die Entstehungsgeschichte des Æneas, von dem fälschlicher Weise, wie der Verfasser nachweist, behauptet wurde, er sei nur wegen der Flucht der für die Dido vorgesehenen Sängerin Carolina Müller nicht zu Lebzeiten von Komponist und König aufgeführt worden. Für wahrscheinlicher hält der Autor, auch da die Sängerin diese Partie 1799 verkörperte, den finanziellen Aufwand oder die Nichtfertigstellung als Grund dafür, dass man auf ein Repertoirestück zurückgriff.

Kritisch verhält sich Dufner auch gegenüber der Anekdote, die von einem Riesenlob Glucks für Kraus zu berichten weiß. Generell hat er nicht den zweifelhaften Ehrgeiz, nur scheinbar Gesichertes dem Leser als Erkenntnis aufzutischen, sondern bekennt sich dazu, dass vieles, was das Leben und Schaffen von Kraus betrifft, im Dunkel bleiben wird.

Es ist auch von einem zweiten Äneas-Projekt die Rede, auch hier wird zwar das Thema von allen Seiten her beleuchtet, sich aber vor einem vorschnellen Urteil gehütet.

Einen breiten Raum nimmt die Untersuchung des Quellenmaterials ein, das aus der Arbeitspartitur des Kunigliga Teatern Stockholm, der Partiturhandschrift von Frederik Samuel Silverstolpes und der Partiturreinschrift der Akademska Kapellat Uppsala stammt, besteht. Es geht besonders um das Auffinden fremder Zusätze, um den „problematischen“ letzten Akt und um die Frage, ob Kraus das Werk überhaupt vollendet hat.

Das Kapitel über die unterschiedlichen Fassungen des Librettos enthält auch einen „Exkurs zum textkritischen Umgang mit den Librettoquellen“, ein weiteres befasst sich mit dem Libretto, das dem Wiener Silverstolpe zur Verfügung gestellt worden war.

Joseph Martin Kraus: „Aeneas i Cartago“ – das Buch von Jens Dufner ist eines der wenigen Standardwerke zu dieser Oper/ Peter Lang AG 2015/ ISBN-13: 978-3631647196

Besonders erhellend sind die Ausführungen zur Frage, inwieweit die Wahl mythologischer oder historischer Stoffe Auskunft darüber gibt, auf welcher historischen Entwicklungsstufe sich das kulturelle Leben eines Landes jeweils befindet, wobei er zu der Feststellung kommt, dass Æneas keine rein mythologische Oper mehr ist, dass der rückwärts  gewandte Prolog eine Referenz an Vergil und ein Wandel in der Funktion der Götter von Vergil bis Kraus festzustellen ist. Interessant ist auch, dass sich die Figur des Narbal noch bei Berlioz wiederfinden wird.

Als bemerkenswert erweisen sich die Ausführungen über die Verknüpfung der Figur des Äneas mit der des Kaisers Augustus, bei Vergil durch Venus, bildlich in der Gleichsetzung der Galionsfigur Gustav Adolfs mit der des römischen Kaisers und von da nahtlos zu der Gustavs III. mit dem herrscherlichen Idealbild führend.

Anhand zahlreicher Notenbeispiele wird schließlich die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten, die dem deutschen Komponisten zur Verfügung standen, nachgewiesen, seien es die unterschiedlichen Rezitativformen, sei es der Einsatz des Chores oder sei es die Spannbreite zwischen Nummernarien und weiterführenden Formen.

Eine operngeschichtliche Bedeutung spricht der Verfasser dem Werk in seiner Schlussbetrachtung ab, nicht aber seine Funktion als, was den Inhalt betrifft, Repräsentationsoper mit für die damalige Zeit moderner Musik, vor allem als Möglichkeit  eines Einblicks in die gustavische Oper, die durch die Widersprüche, die in ihr vereint sind, auch für uns interessant ist.

Das Buch ist – wie sich das für Dissertationen gehört –  eine wissenschaftliche, streng spezialisierte Abhandlung, die man  als Opernliebhaber und in Grenzen auch Opernkenner bewundern, aber nicht selber ausreichend kenntnisreich im musikalischen Detail kritisieren kann. Das heißt nicht, dass es nicht auch dem „normalen“  Opernfreund eine Fülle von Interessantem und Lesenswertem bietet. Der Anhang verfügt über eine Formübersicht der Oper, ein Verzeichnis der handschriftlichen und der gedruckten Quellen und der Sekundärliteratur sowie ein Personenregister (290 Seiten, Internationaler Verlag der Wissenschaften 2015; ISBN 978 3 631 64719 6). Ingrid Wanja

Omaggio veronese

 

Das fünfzigjährige Wirken von Plácido Domingo in der Arena di Verona dokumentiert eine Veröffentlichung auf 2 DVDs bei C major classics/UNITEL mit dem Titel Plácido Domingo Opera Gala (755008). Mit 28 Jahren debütierte der 1941 in Madrid geborene Sänger im historischen Amphitheater als Calaf in Puccinis Turandot und Don Carlo in Verdis gleichnamiger Oper. Das beispiellose Jubiläum seiner Aktivitäten in Verona feierte er im Sommer 2019 im voll besetzten Arenarund mit einem Verdi-Programm – dem Komponisten, der in seiner Laufbahn eine zentrale Rolle einnahm. In drei Bariton-Partien, denn 2009 war er in dieses Fach gewechselt, demonstriert er seine reichen, auf den Bühnen in aller Welt gesammelten Erfahrungen. Stefano Trespidi hat die Szenen im Bühnenbild von Ezio Antonelli, mit dekorativen Video-Projektionen von Tiziano Mancini  und in prachtvollen Kostümen von Silvia Bonetti arrangiert. Jordi Bernàcer dirigiert das Orchester der Arena di Verona mit Verve und Italianità.

Den Auftakt bilden Ausschnitte aus Nabucco, beginnend mit der Sinfonia, die vom Choreografen Giuseppe Picone tänzerisch eher geschmäcklerisch illustriert wird, gefolgt vom berühmten „Va, pensiero“, das der Chor der Arena (einstudiert von Vito Lombardi) klangvoll ausbreitet und sich für ein Dacapo sogar in die Zuschauerreihen begibt. Als Zaccaria ist Marko Mimica von der Deutschen Oper Berlin engagiert im Einsatz. Domingo, mit Auftrittsapplaus begrüßt, ist in Szenen des Titelhelden aus dem 4, Akt zu hören – „Son pur queste mie membra?“, „Porta fatal/O prodi miei“ , „Ah, torna Israello“ und „Oh! Chi vegg’io?“. Der reifen Stimme mangelt es an baritonalem Kern, der Vortrag ist bemüht, doch nie gefährdet und wird mit Jubelstürmen quittiert. Darstellerisch gibt es nicht selten Momente am Rande der Lächerlichkeit. Géraldine Chauvet singt Fenenas Arie passioniert; Anna Pirozzi, die Sopranistin des Abends, ist als Abigaille nur in ihrer tragischen Schlussszene zu sehen.

Im Macbeth, dem Mittelteil des Programms, vom Chor mit der Klage der schottischen Flüchtlinge „Patria oppressa!“ eröffnet, kann sie in der Nachtwandelszene der Lady mit fahlen, verschatteten Tönen beeindrucken. Der Tenor der Gala, Arturo Chacón-Cruz, glänzt bei Macduffs ergreifender Arie „O figli“ mit strömender Fülle und leidenschaftlichem Ausdruck.  Domingo interpretiert wiederum Soli des Titelhelden aus dem letzten Akt – „Pietà, rispetto, amore“ und „Mal per me“. Die Baritonpartie gehört zu den von ihm am häufigsten interpretierten, was sich im souveränen Umgang mit der Musik und der Ausdrucksvielfalt widerspiegelt.

Zum Abschluss gibt es Szenen aus jenem Werk, das Domingos Beginn seiner Bariton-Karriere markierte: Simon Boccanegra. Zunächst kann Chacón-Cruz mit Gabrieles schwieriger Arie „O inferno!“ mit furiosem Einsatz imponieren und danach im Duett mit Amelia (Anna Pirozzi), „Parla, in tuo cor virgineo“, auch seine lyrischen Qualitäten zeigen. Simones Szene mit ihr, „Figlia?…Vecchio inerme il tuo braccio colpisce“ ist eine der längsten und berührendsten Nummern des Pogramms. Ähnlich gewichtig sind Simones Dialog mit Fiesco (Marko Mimica), „M’ ardon le tempia“ und das Finale der Oper „Gran Dio“. Domingo ist mit dieser Partie vertraut wie mit keiner anderen des Bariton-Repertoires und vermag das tragische Schicksal der Figur hoheitsvoll und ergreifend zu vermitteln. Am Ende leuchtet über der Bühne ein Schriftzug aus Fackeln auf: 50 DOMINGO, und beim Erscheinen des Tenors zum Schlussapplaus gibt es sogar noch ein opulentes Feuerwerk. Spektakulärer lässt sich ein Jubiläum nicht feiern. Bernd Hoppe

Zeffiretti lusinghieri

 

Nach Cleopatra und Mozart Arias I von 2016 legt die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann bei ihrer Stammfirma SONY nun das dritte Album vor (19439752372), welches im Februar dieses Jahres in der Schweiz aufgenommen wurde. Wie der Titel Mozart Arias II sagt, widmet es sich erneut Kompositionen des großen Salzburgers. Das Kammerorchester Basel unter Umberto Benedetti Michelangeli begleitet einfühlsam und dynamisch kontrastreich die Solistin, die in neun lyrischen Arien ihre anhaltend jugendlich frische Stimme und das feine Gespür für Farben, Schattierungen und Nuancen hören lässt. Die CD enthält Schönheiten aus Frühwerken des Komponisten, wie Ilias Arie„Zeffiretti lusinghieri“ aus Idomeneo, welche das Programm eröffnet. Schon das Rezitativ „Solitudini amiche“ gestaltet sie mit tiefer Empfindsamkeit und singt die Arie mit träumerischem Ausdruck. Auch Amintas „L’amerò, sarò sostante“ aus Il re pastore und Zaides „Ruhe sanft“ aus dem gleichnamigen Singspiel sind beliebte Nummern gleichermaßen bei Interpretinnen wie Opernfreunden. Erstere schrieb Mozart für den Soprankastraten Tommaso Consoli als zauberhaften Dialog mit der Solo-Violine. Bei Zaides Schlaflied dachte er wohl an seine große Liebe Aloysia Weber. Die eingängige Melodie mit einem herrlichen Oboen-Solo zählt zu den gelungensten Titeln der Platte. Weniger bekannt ist Rosinas „Amoretti“ aus La finta semplice. Die Bitte an die kleinen Liebesgötter ist eine zauberhafte Cavatina mit weiten Bögen von melancholischer Stimmung, von der Interpretin berührend vorgetragen.

Mit Susannas inniger Rosenarie, „Deh vieni non tardar“ aus Le nozze di Figaro erklingt das populärste Stück der Sammlung, aber Regula Mühlemann stellt auch eine wenig bekannte Einlage-Arie, „Un moto di gioia“, aus dieser Oper vor, die gelegentlich als Alternative für Susannas Solo im 2. Akt diente. Hier vernimmt man muntere Töne im Rhythmus eines Deutschen Tanzes. Ähnlich populär wie Susannas Arie ist die der Pamina, „Ach, ich fühl`s“, aus der Zauberflöte. In ihren Anfängen am Opernhaus Zürich war die Sängerin noch als Papagena besetzt. Nun beweist sie, dass sie auch die große lyrische Partie des Werkes mühelos bewältigt und sie darüber hinaus noch mit Herz zerreißenden Tönen auszustatten vermag. Mit Giunias „Parto, m’affretto“ aus Lucio Silla wagt sich die Sopranistin in die Gefilde des dramatischen Koloratursoprans. Mit zerklüfteten Figuren malt schon das Orchester den verzweifelten Zustand einer Frau in existentieller Situation aus, und auch die Stimme spiegelt diesen mit erregter Gesangslinie und hohen staccati wider. Mühlemann bewältigt die virtuosen Anforderungen des Stückes souverän, nur fehlt es dem Sopran dafür an Gewicht. Mit der Konzertarie „Ah se in ciel“, welche Mozart für Aloysia Weber, die inzwischen seine Schwägerin geworden war, komponierte und dabei deren hohes Virtuosentum mit überlangen Koloraturketten und exponierter Notierung bedachte, endet das Programm in stupender Bravour. Bernd Hoppe

Daniele Barioni

 

Mit Freude hörten wir vom 90. Geburtstag des italienischen Tenors Daniele Barioni, am 6. September 2020 Er gehörte zu der verdienstvollen Riege jener Sänger und Tenöre, die namentlich an der Met, aber auch in der italienischen Provinz unersetzlicher Bestandteil von Repertoire-Abenden waren. Er hatte das Pech, in einer Zeit von Di Stefano, Corelli oder Del Monaco zu singen und blieb wie seine Kolleginnen Antonietta Stella oder Leyla Gencer stets in der gewissen B-Kategorie stecken, wenngleich er mit den ganz Großen wie Renata Tebldi oder Maria Callas sang. Seine solide, nicht sonderlich markante, aber hoch zuverlässige Tenorstimme blieb weitgehend im mittleren, lyrischen Fach., wenngleich er auch als Dick Johnson in Puccinis Fanciulla hervortrat. Sammlern ist er von vielen Life-Aufnahmen bekannt, aber es gibt nur recht wenige offizielle Einspielungen von ihm, auf denen sich der Opern-Fan über die gut ausgebildete, gut tragende Tenorstimme freut. Nachstehend eine Würdigung aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens. G. H.

 

Barioni, Daniele, Tenor, * 6.9.1930 Copparo bei Ferrara. Nach einem fünfjährigen Studium bei Attilio Bordonali in Mailand debütierte er am dortigen Teatro Nuovo als Turiddu in »Cavalleria rusticana«. Er sang darauf an italienischen Opernhäusern. Hier hatte er große Erfolge, namentlich in Aufgaben aus dem lyrischen Stimmfach. 1956 wurde er an die Metropolitan Oper New York berufen, wo er als Antrittsrolle den Rodolfo in Puccinis »La Bohème« sang. Nach erfolgreichen Auftritten in mehreren Partien (u a. als Cavaradossi in »Tosca«, als Alfredo in »La Traviata« zusammen mit Maria Callas und als Pinkerton in »Madame Butterfly«) an diesem Opernhaus kam es 1958 zu einer skandalösen Mißfallenskundgebung des Publikums während einer Aufführung, so daß er seitdem nicht weiter an der Metropolitan Oper auftrat. Er setzte jedoch sein Wirken an Opernhäusern in seiner italienischen Heimat wie an europäischen und südamerikanischen Theatern als Gast fort und hatte hier in den sechziger Jahren erfolgreiche Auftritte. Er hat auch an der Oper von Philadelphia, in Kanada, in Mexiko und in Ägypten gesungen. Er war verheiratet mit der Pianistin Vera Franceschi († 1966); nach deren frühem Tod zog er sich mehr und mehr aus dem Musikleben zurück. Schallplatten: Auf Metropolitan Record Opera Club existiert ein Mitschnitt aus der New Yorker Metropolitan Oper von 1956, in dem er den Pinkerton in »Madame Butterfly« als Partner von Dorothy Kirsten singt; auf RCA singt er in Puccinis »La Rondine« den Ruggero zusammen mit Anna Moffo (1966), auf Gioielli della Lirica existiert ein Querschnitt durch Puccinis »La Fanciulla del West«. Auch Aufnahmen auf Jolly und auf RAI (hier Solo-Titel).  [Lexikon: Barioni, Daniele. Großes Sängerlexikon, S. 1279 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 187-188) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto Wikipedia)

Verlegerische Großtat

 

Gediegener geht es nicht: auf nachtblauem Grund eine Fülle von Namen in hellerem Blau, von denen einige durch etwas dickere Buchstaben dezent hervorstechen: Beethoven, Eötvös, Françaix, Humperdinck und auf der Rückseite Korngold, Kreisler, Nono, Penderecki  und schließlich Wagner. Sie künden von der Vielfalt der Komponisten, die die Dienste des Musikverlags in Anspruch nahmen, der, so der schlichte Untertitel, seit nunmehr 250 Jahren besteht und aus diesem Anlass eine Chronik mit dem Titel Die Schott Music Group, deren Logo eine halbe Note vor dem Firmennamen ist, herausgegeben hat.

Wer das reich und interessant bebilderte Buch durchblättert, dem wird schnell klar, dass es sich nicht um eine schlichte Firmengeschichte handelt, sondern , so auch das Vorwort, um Musik-, Sozial-, Geistes-, Wirtschaftsgeschichte und, möchte man hinzufügen, Kulturgeschichte. Der Band ist durchgehend chronologisch gegliedert, unterbrochen von Kapiteln über Sachgebiete wie zum Beispiel die Geschichte des Notenstechens oder des Schott-Archivs (heute vor allem in Berlin und München), außerdem werden den Chefs des Unternehmens besondere Abschnitte gewidmet. Zu jedem Kapitel gehört ein einführender Text, am Seitenrand ist Anekdotisches zu lesen, viele Quellen, ob Urkunden oder Briefe, so einer von Beethovens Hand, verleihen dem Werk viel Authentizität. Die einzelnen Kapitel sind von unterschiedlichen Autoren erstellt worden, die sich durchweg durch angenehme  Sachlichkeit und Kompetenz auszeichnen.

Es beginnt mit den Anfängen, den Jahren 1770 bis 1800, dem Gründer Bernhard Schott, dessen Vater Bäcker, aber auch bereits Notenstecher war. Der erste überlieferte Druck des jungen Unternehmens, das sein Gründer durch schwierige Zeiten mit wechselnder Herrschaft von Preußen und Franzosen über die Heimatstadt Mainz laviert, stammt aus dem Jahre 1779, von 1780 das Privileg zum Notenstechen, auf das man sich bald nicht mehr beschränkt, indem man auch mit Papier und Instrumenten handelt. Das alles geschieht dort, wo sich auch heute der Hauptsitz des Unternehmens befindet: in Mainz, Weihergarten 5. Zwei der drei Söhne Bernhards werden dessen Werk fortführen, es werden Filialen in Antwerpen, Paris, London und Sydney gegründet, mit wechselndem Schicksal, so wenn im 1. Weltkrieg deutsches Vermögen in England beschlagnahmet, deutsche Firmeninhaber interniert werden.

So spielgelt das Schicksal der Firma das deutsche wider und umgekehrt- und das wird überaus anschaulich und durch viel Bildmaterial vermittelt. Zeitströmungen, wie die wachsende Beliebtheit der Hausmusik auch in bürgerlichen Familien, bestimmen das Gedeihen der Firma, mit Konkurrenten wie Peters oder Breitkopf & Härtel muss man sich auseinandersetzen, Schott kauft viele andere Betriebe auf, verzichtet auf den Bau von Klavieren oder gibt Zeitschriften wie Cäcilia oder Der musikalische Hausfreund oder Lexika heraus.

Vielseitig ist das Buch, wenn es von der Kontaktaufnahme zu Richard Wagner wie auch von interessanten Fragen des Urheberrechts handelt.

Aus Schott wird B.Schotts Söhne, nämlich Andreas und Johannes Joseph, der dritte Sohn wird Militärmusiker in britischen Diensten und stirbt in Indien. Und nicht nur heutige Fernsehgrößen widmen sich dem Weinbau, das taten bereits die Schotts.

Der Ära Wagner ist ein eigenes Kapitel gewidmet, denn anders als Beethoven, der den Schotts zwar die Missa Solemnis und die 9. Sinfonie überließ, aber in Wien blieb, quartiert sich Wagner bei seinen Verlegern ein, werden die Wesendonck-Lieder in ihrem Haus uraufgeführt. Aber auch vor Trivialem, so dem Gebet einer Jungfrau schreckt man nicht zurück, denn dies und Ähnliches bringen viel Geld in die Kasse.  Inzwischen ist bereits der Enkel des Gründers, Franz, der Chef des Hauses.

Im Jahre 1900 erscheint der Jahrhundertkatalog mit 847 Seiten, mit der preiswerten Edition Schott, eine Art Reclam-Heft, werden breite Schichten als Käufer geworben. Weitsichtig hat der letzte Schott-Chef ein Fünftel des Erbes einem jungen Mann namens Ludwig Strecker vermacht, der die Firma durch den 1. Weltkrieg und die nicht weniger gefahrvolle Zeit danach führt. Auch in dieser Epoche ist die Verlagsgeschichte ein Spiegelbild der allgemeinen Geschichte und gerade deswegen eine so wertvolle Lektüre. Hindemith, Orff, Strawinsky werden gewonnen, und wie im Jahrhundert zuvor gibt es nicht nur geschäftliche, sondern auch enge menschliche Beziehungen zwischen Verleger und Komponisten. Ein „großer Erfolg“ und ein „Tiefpunkt“ zugleich ist die finanziell erfolgreiche Herausgabe des Soldatenliederbuchs in der Nazizeit.

Ludwig Strecker jun. Ist nicht nur Verleger, sondern auch Librettist, so zu Egks Die Zaubergeige oder Wolf-Ferraris Der Kuckuck von Theben. Die Frauen der Verleger werden in dem Buch nicht vergessen, ob sie nun Herrin eines musikalischen Salons sind oder sich um die Rehabilitierung von von den Nazis verfemten Werken kümmern.

Nach dem Krieg werden neue Komponisten gewonnen, so Henze, Reimann, Penderecki, Ligeti. Ab 1974 leitet Peter Hanser-Strecker den Verlag, der bis 1955 in der französischen Zone ansässig war, ehe die Bundesrepublik  souverän wurde. Musikalische Zeitschriften wie Melos und Darmstädter Beiträge, Lehr-und Unterrichtswerke, schließlich auch Popmusik und moderne Instrumente gehören nun zum Sortiment. Über mehrere Seiten erstreckt sich das Verzeichnis von Unternehmen, die in den letzten Jahrzehnten in Schott aufgingen, über 100 000 Medien sind auf Webseiten verfügbar, 31 000 käufliche Titel, zu denen jährlich 500 neue kommen. Ein Interview mit Peter Hanser-Strecker bildet das letzte Kapitel, und schließlich wird darauf hingewiesen, dass für die Nachfolge bereits die Tochter Saskia bereit steht. Joy of music ist das Jubiläumsmotto, und es passt zu dem Unternehmen, auf das Deutschland stolz sein kann (145 Seiten, 2020 Schott Music). Ingrid Wanja

Miloslava Fidlerová-Sopirová

 

Die Opernsängerin und  langjährige Solistin des Prager Nationaltheaters Miloslava Fidlerová-Sopirová (geb. 28. April 1922 in Prag)) starb am 3. September 2020 ebendort. Sie war mehr als 36 Jahre Mitglied des Ensembles. Nachstehend eine Hommage an sie, die wir auf der website der DN Divadelni noviny fanden, die Übersetzung besorgte der google translator, daher Bitte um Nachsicht.

Bereits im September 1941 sang sie die Rolle des Knappen Tebald in Verdis Don Carlos,  kurz nach der Brautjungfer in Webers The Sorcerer,  und sang wiederholt die Rolle der Esmeralda in The Bartered Bride . Die Zusammenarbeit mit Václav Talich war äußerst wichtig für die Weiterentwicklung ihrer Gesangsfähigkeiten. Im Bereich der Bühnenperformance war es der Einfluss von Regisseur Ferdinand Pujman, der sie am Konservatorium unterrichtete. Der junge Sänger wurde gezielt geführt, um vor allem die lyrischen Sopranrollen des tschechischen klassischen Repertoires zu interpretieren, insbesondere die Werke von Bedřich Smetana. Zunächst wurden ihr Rollen eines weniger anspruchsvollen, eher subtilen Typs zugewiesen. Neben den bereits erwähnten Esmeralda und Baruška war es beispielsweise Lidka in Smetanas Zwei Witwen. Václav Talich besetzte sie in der Rolle der Barberinka (damals wurde die Figur Baruška genannt) bis zu seiner Premiere von Mozarts Figaro – Hochzeit im Frühjahr 1943. Ab dem 1. September desselben Jahres wurde sie Solistin an der Nationaltheateroper.

Sie spielte auch in einer Reihe kleinerer Rollen, wie zum Beispiel der Figur von Hostinská in Smetanas Secret , die normalerweise älteren Sängern zugewiesen wird. Sie trat in dieser Rolle auch unter der Leitung von Václav Talich am 31. August 1944 in der letzten Aufführung des Nationaltheaters auf, bevor die Theater von den Besatzern geschlossen wurden.

Und sie trat auch in der Uraufführung nach der Befreiung auf, die Smetanas The Bartered Bride am 13. Mai 1945 war , in der sie erneut die Rolle der Esmeralda spielte. Anfang September folgten kurz hintereinander drei Premieren. In Nováks Zvíkovský rarášek trat sie in der Rolle von Markéta auf, in Fibichs Šárka spielte sie die Rolle von Mlada, die sie später mit Svatava abwechselte, und vor allem hatte sie die Rolle von Vlčenka in Smetanas Brandenburg in Böhmen, die sie in mehreren anderen Produktionen spielte.

Es war klar, dass Talichs Einschätzung seiner Qualitäten richtig war. Unsere erste Opernbühne gewann einen hervorragenden Vertreter einer Vielzahl lyrischer Sopranrollen, insbesondere im tschechischen Repertoire. In ihnen konnte sie ihre saubere, klangvolle, technisch brillant gemeisterte, farbenfrohe Stimme, die Kunst der Cantilena und die Fähigkeit klarer und strahlender Höhen voll anwenden. Sie zeichnete sich immer durch perfekte Ausdrucksweise, Bühnencharme und Charme aus, dank derer sie eine hervorragende Vertreterin junger Mädchen und Naiven war.

Dank der Genauigkeit ihrer Gesangsdarbietung und ihres Bühnencharakters wurde sie zu einer der Hauptstützen des Ensembles und erhielt vom Repertoire des Nationaltheaters ernstere Aufgaben – Smetanas Vlčenka in Brandenburg in Böhmen , Mařenka in The Bartered Bride , Jitka in Dalibor , Anežka in Two Widows , Barče und Vendulka in Kiss , Blaženka in Secret , Kate und Hedwig in der Teufelsmauer , Dvorak Terinka, die Jakobiner und die zweite Waldnymphe in Rusalka , Beatrice in Fibichova Messina , Janaceks Jenufa in Jenufa und die Drei-Málinka Etherea in KunkaAusflüge des Herrn Broucek , Hanif Novak in Lucerna , Xenia in Mussorgskys Boris Godunow und Dvoraks Dimitri , Marcelina in Beethovens Fidelio , Frasquita und Micaela in Bizets Carmen , Tatjana in Tschaikowskys Eugen Onegin , Eva in Wagners Meistersinger von Nürnberg , Desdemona in Verdis Otello .

Sie hat schnell Fuß gefasst, besonders in Smetanas Repertoire. Ihre schicksalhafte Oper wurde The Bartered Bride. Sie hat in insgesamt neun Produktionen mitgewirkt, zuerst in der Rolle von Esmeralda und dann in Performances, deren Zahl dreistellig war, in der Rolle von Marenka. Darin übte sie alle ihre Stärken in den Bereichen Gesang, Schauspiel und Persönlichkeit aus und wurde eine ihrer besten Vertreterinnen in der tschechischen Opernszene in ihrer gesamten Geschichte. Zu dieser Zeit galt sie als unsere beste Marenka. Sie sang diesen Charakter und spielte insgesamt neun Studien. In der letzten von ihnen, die das Werk des Dirigenten Jaroslav Krombholec und des Regisseurs Přemysl Kočí war und in der Marenka von Gabriela Beňačková übernommen wurde, war sie Ludmilas Vertreterin bei der Premiere und in Dutzenden anderer Wiederholungen (bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Theater).

In Dalibor spielte sie die Rolle der Jitka, in Hubička wurde sie durch Dutzende von Wiederholungen ersetzt, die fröhliche Barča in anderen zahlreichen Auftritten der ernsthaften Vendulka. Zu ihren Top-Rollen gehörten Blaženka in Tajemství und Katuška in Čertova stěna. In Two Widows tauschte sie schließlich Lidka gegen die dramatische Agnes aus. In vielen Wiederholungen konnten Besucher von Libuše ihre unterstützende Sopranistin in einem Quartett von Schnitter auf einem Bühnenbild hören.

Sie sang in allen Opern von Smetana, trat aber auch in den Werken von Antonín Dvořák, Zdeněk Fibich, Leoš Janáček, Vilém Blodek und Karel Kovařovice auf. Vítězslav Novák, Otakar Jeremiáš, Bohuslav Foerster und andere.

Sie begegnete der Arbeit von Antonín Dvořák zum ersten Mal in der ersten Nachkriegssaison in der Rolle der Sirene in Armida. In Rusalka war sie seit langer Zeit regelmäßig Vertreter von Druhá Zinka , in der Oper SELMA sedlák stellte sie sich zunächst als Comic – Berta und später als sanfte Bětuška, in Dimitrijov spielte sie die Rolle von Xenia und in Král a Uhlár der Charakter Liduška. Einer der Höhepunkte ihrer Arbeit war die Rolle der Terinka in Jakobín . Sie hat in vielen Dutzend Wiederholungen von vier verschiedenen Produktionen gespielt. Sie blieb unserer ersten Opernszene bis zu ihrer Pensionierung am 31. Dezember 1978 treu.

Ihre geschmeidige und sanfte Stimme war für die Interpretation slawischer Musik geeignet. Sie widmete sich aber auch dem Weltrepertoire. Die Aufführung in Konzertsälen zeichnete sich durch perfekte Vorbereitung, Sensibilität und Gesangsfähigkeit aus.

Ihre Gesangsfähigkeiten bleiben in den Filmen von Czechoslovak Radio und Supraphon ( hier ) erhalten. Sie war auch in der pädagogischen Arbeit beschäftigt. In den Jahren 1969–78 unterrichtete sie Solo-Gesang am Prager Konservatorium, von 1978 bis 1992 am Bratislavaer Konservatorium. Am 24. März 2007 wurde sie mit dem Thalia-Preis für ihr Lebenswerk in der Oper ausgezeichnet. 1974 heiratete sie und ließ sich in Bratislava nieder. (Foto oben: als Marenka in der Verkauften Braut, Nationaltheater Prag 1953. Foto von Jaromír Svoboda)

 

Potsdamer Festspieldokument

 

Im Sommer 2020 übernahm Dorothee Oberlinger die Intendanz der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, betitelte ihre erste Saison Musen und dirigierte die Opernproduktion in der Orangerie, Giovanni Battista Bononcinis Polifemo, auch selbst. Die deutsche harmonia mundi/SONY hat die Aufführung dieser Pastorale, uraufgeführt 1702 im Lustschloss von Königin Sophie Charlotte in Lietzenburg, im Juni mitgeschnitten und nun auf  2 CDs veröffentlicht (19439743802). Der Librettist Attilio Ariosti verwendete für seinen Text Mythen der Verserzählung Ovids um den Schäfer Acis, den Zyklopen Polifemo, die Nymphen Galatea und Silla, den Fischer Glauco und die Zauberin Circe. Die Musik enthält zwanzig Nummern, fast alle in Da-capo-Manier komponiert und von sehr virtuosem Anspruch. Am Beginn steht eine Ouvertüre in französischem Stil, welche das von Dorothee Oberlinger gegründete Ensemble 1700 galant und effektvoll musiziert. Die Dirigentin ist mit forschem, straffem Zugriff und einfühlsamer Begleitung der Solisten der Motor der Aufführung. Die Arien kommen Affekt betont und akzentuiert zu gebührender Wirkung, das Continuo mit Laute, Cembalo und Cello sichert einigen eine besonders aparte Stimmung.

Eine exquisite Besetzung garantiert ein hohes gesangliches Niveau, angeführt von Joao Fernandes als Titelheld mit resonantem, auftrumpfendem Bass. Die Überraschung ist der sensationelle Auftritt des jungen brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá als Aci. Die klare Stimme mit einer enormen Reichweite bis in die Extremhöhe von angenehmem, nie grellem Ton übertrifft im ersten Duett an Klangschönheit sogar die von Galatea. Seine Soli „Partir vorrei“  und „ Bella dea“ (mit einer Atem beraubenden Kadenz) markieren die vokalen Glanzlichter der Aufführung. Als Galatea ist die renommierte Barockspezialistin Roberta Invernizzi zu hören, die stilistisch zwar ihre reichen Erfahrungen einbringen kann, doch mit zu reifem, ältlichem Ton der Figur die jugendliche Frische schuldig bleibt. In den eindringlichen Klagen der Partie (wie „Dove sei“) wirkt sie am stärksten. Auch Roberta Mameli ist eine anerkannte Größe in diesem Repertoire. Ihre Silla überzeugt gleichermaßen mit keckem Ausdruck und munteren Koloraturen wie betörenden, flehentlichen Klängen („Soccorrete“). Die Zauberin Circe hatte sie aus Eifersucht in ein Monster verwandelt. Liliya Gaysina sorgte mit furiosem Auftritt und der fulminant hingeschleuderten Arie „Pensiero de vendetta“ für einen dramatischen Kontrapunkt im Gefüge der anderen lyrischen Arien. Glücklicherweise vermag die Liebesgöttin Venere, Silla ihr früheres Aussehen zurück zu geben. Maria Ladurner becirct mit feinem Sopran. Bedingung für Sillas Rückverwandlung war, dass die Nymphe die Zuneigung des Fischers Glauco annehme. Als dieser ist  Helena Rasker ein weiterer Trumpf der Besetzung. Der klangvolle Alt verströmt sich leidenschaftlich in den Gesängen der Zuneigung für Silla, doch steht ihm gleichermaßen auch die ausgewogene, edle Kantilene zu Gebote. Alle Solisten vereinen sich am Ende zum warnenden Schlusschor „Farfalletta che segue l’Amor“. Denn: Der wird den Schmerz finden, der die Lust sucht. Das Sinnbild meint den Schmetterling, der sich der Flamme nähert und verbrennt. Bernd Hoppe

Wagners vergessener Prophet

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Gewiss hätte sich Richard Wagner auch ohne Zutun von Angelo Neumann weltweit durchgesetzt. Der umtriebige Theaterdirektor hat entscheidend dafür gesorgt, dass es schneller ging. Er war vom Glauben an Wagner besessen. Und er wollte mit Wagner sein eigenes Geld verdienen. Das ist ein perfektes Rezept für den Erfolg. Zunächst aber gab er Leipzig seinen bedeutendsten Sohn zurück. Der war 1813 in der Stadt geboren worden, wo er viele Widersacher hatte. In der einschlägigen Wagner-Literatur aus früheren Jahren läuft einem Neumann oft über den Weg. Ein eigenständiges Werk über sein Leben und sein segenreiches Wirken gab es bisher offenbar nicht. Mit seinem Buch Josef „Angelo“ Neumann – Wagners vergessener Prophet hat Heinz Irrgeher diese Lücke geschlossen. Es ist im Leipziger Universitätsverlag erschienen (ISBN 973-3-96023-334-4). Am Anfang steht die Eloge! Mit der Witwe von Kurt Masur, Tomoko Masur, die auch Präsidentin des nach dem Dirigenten benannten Internationalen Instituts ist, dem Intendanten und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig, Ulf Schirmer, und dem neuen Intendant der Mailänder Scala, Dominique Meyer, outen sich gleich drei namhafte Persönlichkeiten als Neumann-Verehrer, die seine Bedeutung hoch schätzen. Das klingt gut.

Neumann kam am 18. August 1838 mit dem Vornamen Josef in einem kleinen Ort in der Nähe von Preßburg, dem heutigen Bratislava, zur Welt. Um seinen achtzehnten Geburtstag herum siedelte die Familie nach Wien über, was ihn auf die Idee gebracht haben dürfte, die Stadt als seinen Geburtstort anzugeben. Das machte mehr her. Neumann, der sich zunächst als Opernsänger ausbilden ließ und in diesem Beruf auch einen erfolgreichen Start hinlegt hatte, war durch und durch Künstler. Insofern darf es nicht wundern, wenn er auch seinen Lebenslauf mit Elementen künstlerischer Freiheit versah. Gemeinsam mit dem Autor klappern die Leser sämtliche Stationen, auf den er Spuren hinterließ, ab. Um 1860 konvertierte er vom jüdischen zum römisch-katholischen Glauben. In das protestantische Leipzig, wo sein eigentlicher Aufstieg begann, zog er als Mitglied der evangelischen Kirche ein. Die Theaterdirektion war 1875, ein Jahr vor der ersten geschlossenen Aufführung des kompletten Ring des Nibelungen in Bayreuth, neu ausgeschrieben worden. Die Wahl fiel auf Augst Förster aus Wien, der Neumann als neuen Operndirektor mitbrachte. Dessen Wagner-Erweckung fand denn auch 1876 in Bayreuth statt. Irrgeher spricht von einem relevanten Erlebnis, das für Neumann „fortan lebensverändernd und –bestimmend sein würde und dessen Auswirkungen auf die Ring-Rezeption sowohl in ihrer unmittelbaren als auch mittelfristigen Wirkung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können“. Dabei hatte er zunächst auf seinen Chef Förster gehört, der den ersten Zyklus besucht hatte und zu dem Schluss gekommen war, Neumann können sie die Reise zur zweiten Aufführungsserie sparen, weil das „Ding“ vielleicht mit Ausnahme der Walküre unaufführbar sei. Neumann machte sich dann doch auf den Weg, weil ihn ein Wiener Freund begreiflich machte, „dass er als Operndirektor von Leipzig eigentlich verpflichtet sei, sich mit dem Werk vertraut zu machen“. Recht hatte der Mann. Neumann wurde auch bei Wagner selbst vorgelassen. Die Idee vom Ring in Leipzig, gegen die sich viel Widerstand auftuen würde, war geboren.

Bis dahin sind es viele Buchseiten, auf denen die Geschichte des Opern- und Theaterlebens in der Messestadt akribisch ausgebreitet wird. Spannend ist, wie Irrgeher, seine beruflichen Erfahrungen als Wirtschafts- und Bankenfachmann in das Buch einbringt indem er bei vielen sich bietenden Gelegenheiten konkrete Rechnungen aufmacht und Beträge für Bauten, Tantiemen oder Gagen von einst in die Gegenwart umrechnet. Es wird deutlich, dass der Theaterbetrieb auch seinerzeit nicht für null zu haben war. Diese oft ins Detail gehenden finanziellen Erhebungen sind eine Stärken dieser Neuerscheinung. Ende April 1878 gingen in Leipzig Rheingold, das zweitgeteilt mit Pause gegeben wurde und Walküre über die Bühne. Zitiert wird Wagners Telegramm: „Heil Leipzig, meiner Vaterstadt, die eine so kühne Theaterdirektion hat.“ Im September folgten Siegfried und Götterdämmerung. „Leipzig ist die erste Ring-Bühne nach Bayreuth“, heißt denn auch eine Zwischenüberschrift im Buch. Der Autor schildert minuziös die schwierigen Umstände der Produktionen, geht auf Sänger ein und reflektiert auch die zeitgenössische Kritik. Anhand vieler Beispiele wird aber auch deutlich, dass sich Neumanns segenreiches Wirken in Leipzig nicht auf Wagner beschränkt blieb. Letztlich war Wagner stets Teil eines Großen und Ganzen, zu dem auch Beethoven, Mozart, Verdi, Flotow, Bizet, Goetz oder Gluck, dem ein ganzer Zyklus gewidmet war, gehörten. Wagner bildete aber stet den Kern des Sendungsbewusstseins von Neumann.

Er brachte den Ring des Nibelungen nach London und nach Berlin, der nächsten Station seiner Theaterlaufbahn. In der Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches fand sich im Victoria-Theater nicht weit entfernt vom Alexanderplatz, eine geeignete Spielstätte. Dieser 1859 eröffnete und bereits 1891 wieder abgerissene Bau bezog seine Einzigartigkeit daraus, dass er über einen geschlossenen und zugleich einen offenen Zuschauerraum verfügte, die sich die Bühne in der Mitte teilten. Der abgeschirmte Saal, verfügte neben dem Parkett über drei Ränge mit insgesamt 1400 Plätzen. Am 5. Mai 1881 hatte Rheingold Premiere. Der Auflauf war enorm: „Für die Auffahrt standen die Berliner Spalier. Selbst in den Bäumen fanden sich Adabeis“, wie es der aus Österreich stammende Autor unter Zuhilfenahme eines vornehmlich in seiner Heimat gebräuchlichen Ausdrucks für Leute, die wichtig tun und überall dabei sein wollen, ausdrückt. Der Polizeipräsident hatte das Geschehen mit seiner berittenen Truppe persönlich überwacht. Unter den Besuchern war Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere 90-Tage Kaiser Friedrich III. mit seiner Frau, der Tochter der englischen Königin Viktoria sowie Prinz Wilhelm, der auf seinen Vater folgende spätere letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. Mehr gesellschaftliche Prominenz ging nicht. Die Aufnahme sei „glänzend“ gewesen. „Wenn das Werk gewirkt hat, so geschah es ohne Pracht – so geschah es allein durch die Macht der Kunst“, sagte der anwesende Komponist nachdem er unter viel Beifall auf die Bühne gerufen worden war.

Nach dem Berliner Triumph schloss Neumann am 1. September 1881 einen Vertrag mit Wagner, „der ihm die ausschließlichen Aufführungsrechte für den Ring für Berlin, Leipzig (was so viel bedeutete, als dass sein Nachfolger den Ring nicht aufführen durfte), Dresden, Breslau, Prag, Belgien, Holland, Schweden, Norwegen und Dänemark einräumte“. Zuvor hatte sich Neumann bereits die alleinigen Aufführungsrechte für London, Paris, Petersburg und sämtliche amerikanische Staaten bis zum 31. Dezember 1883 gesichert. Daraus folgte schließlich die Umsetzung der Idee vom legendären Wagner-Wandertheater. Es wurde ein Sonderzug zusammengestellt, der mit zwölf Wagen doppelt so lang war wie ein üblicher Reisezug. Transportiert werden mussten weit mehr als hundert Personen, Dekorationen, Requisiten, Kostüme, Instrumente und Bühnentechnik. Allein die Rüstungen nahmen vierzig Kisten in Anspruch. Beispielsweise hatte eine Walküre zwanzig Kilogramm Waffen am Körper. Irrgeher listet sämtliche Spielstätten in Deutschland und in Europa auf. Er vermerkt auch, wo es den kompletten Ring gab, wo zusätzlich die Walküre und in welcher Stadt es ergänzend oder einzig Wagnerkonzerte gegeben hat. Wieder erweist sich dabei das Buch als ein für Wagnerfreunde als unverzichtbares Nachschlagewerk, das leider über kein Personenverzeichnis verfügt. Den Angaben zufolge wurden 350 000 Menschen durch das Wander-Theater erreicht. Anfragen aus Amerika seien zu Neumanns späterem Bedauern nicht aufgegriffen worden. Letzte Station im bewegten Leben des Angelo Neumann war Prag, wo er am 20. Dezember 1910 gestorben und auch begraben ist. Rüdiger Winter (Foto oben Wikipedia)

Inès RIVADENEIRA

 

Mit Bedauern lasen wir im online-Merker von Tode der spanischen Spopranistin Inès RIVADENEIRA (am 3. August 2020 in Madrid), geboren am 2. November 1928 in Lugo (Provinz Valladolid, Spanien); ihr Vater gehörte der Militärpolizei an. Sie sang als Kind im Chor de los Dominicos de San Pablo in Valladolid, dessen Dirigent Heraclio García Sanchez sie zuerst unterrichtete, und der dafür 03sorgte, dass sie mit einem Stipendium der Stadt Valladolid das Real Conservatorio Madrid besuchen konnte. Hier war sie Schülerin von so bedeutenden Sängerinnen und Pädagoginnen wie Lola Rodriguez de Aragón und Angeles Ottein. Nachdem sie mehrere Gesangwettbewerbe in Spanien gewonnen hatte, konnte sie ihr Studium an der Wiener Musikakademie, u.a. bei Erik Werba, vervollständigen. Sie heiratete den Violaspieler des Orquesta Nacionál de España Argimiro Pérez Cobas. 1951 trat sie, noch während ihrer Ausbildung, in einem Konzert in Valladolid erstmals öffentlich auf. Im gleichen Jahr sang sie in Paris in »Don Perlimplín« von V. Rieti, 1952 am Gran Teatre del Liceo in Barcelona in »Soledad« von Juan Manén. Sie hatte ihre großen Erfolge auf dem Gebiet der Zarzuela, trat aber auch in einer Vielzahl von Opernpartien auf. Sie sang in Madrid und Barcelona, in Lissabon, San Sebastian und Oviedo (Preziosilla in »La forza del destino«, Maddalena im »Rigoletto« und Ulrica in »Un Ballo in maschera« von Verdi), in Bilbao (Zita in Puccinis »Gianni Schicchi« und Marcellina in »Le nozze di Figaro«) und hatte 1966 einen ihrer größten Erfolge als Carmen am Gran Teatre del Liceu in Barcelona. 1964 wirkte sie in der Uraufführung der Oper »El hijo pródigo« von Joaquín Rodrigo mit. Sie trat gastweise in Italien und England (u.a. in London in »El amor brujo« von de Falla unter der Leitung von E. Halffter), in Frankreich und in Marokko auf. 1980 gab sie ein letztes Konzert in der Londoner Albert Hall, zusammen mit Victoria de los Angeles. Seit 1979 nahm sie eine Professur an der Escuela Superior de Canto in Madrid wahr.

Schallplatten: Philips (»El amor brujo« unter Igor Markevitch), zahlreiche Zarzuela-Aufnahmen auf Columbia (»El ultimo romantico« von Soutullo mit Teresa Berganza, »Agua, azucarillos y aguardiente« von Chueca, »La verbena de la paloma« von T. Bretón, »La revoltosa« von R. Chapí) und Alhambra (»Luis Alonso« von Jiménez, »La chula de Pontevedra« von Jiménez, Luna und Brú, »El amigo Melquíades« von Serrano und Valverde). 

 

Don Pasquale in der Steiermark

 

Die Wiener Staatsoper ist aufs Land gegangen. Und zwar nach Mürzzuschlag im Nordosten der Steiermark. Eine idyllisch gelegene Kleinstadt mit um die achttausend Einwohnern. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek ist dort geboren. Am 30. März 1977 wurde im Kulturhaus Gaetano Donizettis komische Oper Don Pasquale aufgeführt – im Rahmen einer Arbeiterkammer-Tournee. Arbeiterkammer nennt sich in Österreich die gesetzliche Vertretung der Arbeitsnehmer. Historische Hintergründe sind aus dem Booklet zu erfahren. Da die Staatsoper als so genanntes Bundestheater von allen österreichischen Steuerzahlern finanziert wird, nicht alle aber Gelegenheit habe, das Haus zu besuchen, sollte auch die Opernfreunde fernab der Hauptstadt ihr Stück vom Kuchen bekommen. Eine schöne Idee, die sich im Booklet von 2020 mit den Worten von Erich Seitter so liest: „Um ein Publikum, das zum Teil noch nie eine Oper live erlebt hatte, nicht zu überfordern, wollte man eine unterhaltsame Oper mit einfacher Handlung und einer leicht ins Ohr gehenden Musik spielen. Und so einigte man sich bald auf das vorliegende Meisterwerk Donizettis – ausnahmsweise aber, zwecks besserer Verständlichkeit, in deutscher Sprache.“ Dass „immer was von Herablassung dabei sein“ muss, sagt schon der Baron Ochs auf Lerchenau zu Octavian im Rosenkavalier. Wenn sich der Autor da mal nicht täuscht. Der jetzt bei Naxos herausgekommene Mitschnitt auf DVD (2.110659) beginnt während der rasanten Ouvertüre mit einem Schwenk der Kamera ins Publikum. Da sitzen Damen und Herren in eleganten Abendkleidern und feinem Zwirn im Stil der Zeit, denen man durchaus zutraut, Wagner von Mozart unterscheiden zu können.

Schnitt. Das Vorspiel ist noch nicht zu Ende, als der Bus mit den Künstlern angefahren kommt. Ein bisschen wie in Leoncavallos Pagliacci. Nur, dass die Geschichte diesmal gut ausgeht. Alle sind bestens gelaunt als befinde man sich auf einem Betriebsausflug in die Berge. Die Ouvertüre ist lang genug, um auch noch Ankunft zu filmen. Requisiteure stellen die kleine Bühne voll. In der Garderobe machen sich die Sänger für ihren Auftritt zurecht. Noch ein letzter Blick in die Noten. Es wurde eine Wanderdekoration mitgebracht, die sich den räumlich beschränkten Ausmaßen der Kulturhausbühne, auf der unter gewöhnlichen Umständen vielleicht die Tanzkapelle Platz nimmt, anpasst. Los geht’s. Die Inszenierung von Helge Thoma in gründerzeitlicher Optik, in die sich auch modernere Elemente mischen, ist gut und genau gearbeitet, voller Witz und unterhaltsamer Delikatesse. So eine Darbietung würde mancher Opernbesucher wohl auch heute noch gern sehen. Für ihre Zeit ist die Bildqualität in ausgewogener Farbe exzellent.

Für das ambitionierte Unternehmen spricht, dass die Provinz nicht mit einer B-Besetzung abgespeist wurde. Es kamen die Stars. Edita Gruberova war als Norina besetzt. Sie hatte 1970 als Königin der Nacht an der Wiener Staatsoper debütiert und war zu einer Berühmtheit auch auf Bühnen außerhalb Österreichs aufgestiegen. Die freche Rolle ist ihr wie auf den Leib geschrieben. Den Ernesto hatte Luigi Alva übernommen, dessen beste Tenorjahre hinter ihm lagen, der mit seiner Erfahrung die Figur des schwärmerischen jungen Mannes noch immer glaubhaft machen kann. Oskar Czerwenka singt die Titelrolle, Hans Helm den umtriebigen Doktor Malatesta und Alois Pernerstorfer den Notar. Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper, das in kleiner Besetzung spielt, steht Héctor Urbón. Was ist aus ihm geworden? Der aus Buenos Aires stammende Dirigent war in den siebziger Jahren an vielen Opernhäusern aktiv. „Nach einer schweren Krankheit widmete er sich mehr und mehr dem Tango – und damit der Musik seiner Kindheit“, ist auf der Seite des in Freiburg ansässigen Janus-Ensembles zu lesen. „Er entdeckte das Lied seiner Stadt und deren Stimme: das Bandoneón. Mittlerweile hat sich der in Kirchzarten lebende Künstler durch seine tiefschürfenden, hochemotionalen Interpretationen von Werken Astor Piazzollas auch in der Tangoszene einen Namen gemacht. Seine Arrangements sind gekennzeichnet von großer Farbigkeit, Transparenz und hohem musikalischen Anspruch.“ Urbón sei als Bandoneónist Leiter des Freiburger Quartetts Cuarteto Buenos Aires. Die DVD ist also auch eine schöne Erinnerung sein erstes musikalisches Leben. Rüdiger Winter

Sinfonisches, Vokales und Kammermusik

 

Parallel zur baldigen Präsentation des chef d´ouevre Joseph Martins Kraus´, seine Oper  Æneas i CartagoAeneas in Carthago, schauen wir auf den instrumentalen und vokalen „output“ des ebenso fleissigen wie genialen deutschen Komponisten am schwedischen Hofe Gustav III. Gerhard Eckels hat sich mit acht CDs bei Naxos (ein Label, das sich besonders für Kraus einsetzt und mit den Ballettmusiken wenigstens einen kleinen Vorgeschmack auf die große Oper gibt, die in den Achtzigern mal als Aufnahme geplant ware, wozu es allerdings nicht kam) hindurchgehört, chapeau. Lohnend, wie er findet. Nacstehend seine Eindrücke und unser Dank für soviel Durchhaltekraft. G. H.

 

In den Jahren 1996 bis 2007 und 2013 hat NAXOS einen großen Teil des beträchtlichen kompositorischen Schaffens des Deutsch-Schweden Joseph Martin Kraus (1756-1792) aufnehmen lassen.  Einen schönen Überblick über den späten Komponier-Stil des vielseitig begabten Mozart-Zeitgenossen bieten die Instrumentalstücke aus seiner letzten, erst sieben Jahre nach seinem Tod in Stockholm uraufgeführten, monumentalen Oper Aeneas in Carthago. Das  Sinfonieorchester der finnischen Stadt Jyväskylä unter der Leitung des französischen Flötisten und Dirigenten Patrick Gallois führt mit stets durchsichtiger Spielweise von den kontrastreichen Ouvertüren zu Prolog und 1.Akt über Ballette und Märsche bis zur großen Final-Chaconne der Oper. Kraus greift häufig zu tonmalerischen Mitteln, wenn man bereits in der Prolog-Ouvertüre von unberechenbaren Winden aufgewühlte Wellen oder im Ballett Sturm selbigen mächtig aufbrausen hört. Das Herzstück des zweiten Aktes ist die königliche Jagd; hier meint man, die Jäger nach dem kurzen Eröffnungsruf in alle Richtungen davon stürmen zu sehen. In den Märschen sieht man die Krieger geradezu marschieren und in den Tänzen der carthagischen Mädchen diese tanzen. Die Märsche im 3.Akt illustrieren mit  feierlichen Schreitfolgen Didos Gefolgsleute, während die Numidier mit exotischen Klängen, verursacht durch Schlagwerk, Piccolos und Trompeten charakterisiert werden. Ein weiteres gutes Beispiel für Kraus‘ Gestaltungskraft ist die Introduktion zum 5.Akt, wenn die sich zuspitzende Dramatik des Bühnengeschehens deutlich wird (NAXOS 8.570585).

 

Joseph Martin Kraus/ OBA

Das Helsinki Baroque Orchestra hat unter seinem künstlerischen Leiter Aapo Häkkinen im Juni 2013 im finnischen Espoo vier Ouvertüren und sieben Konzertarien aufgenommen. Die Ouvertüren schlagen einen Bogen von Kraus‘ erstem richtigen Erfolg (1781) am Hof des schwedischen Königs Gustav III., der Oper Prosperin in deutlich erkennbarer Gluck-Nachfolge, über die Geburtstags-Ouvertüre (1782) und die Ouvertüre zur Oper Äfventyraren (Abenteurer) bis zur tieftraurigen Begräbnis-Kantate (1792). Das renommierte, auf Barockes spezialisierte Orchester musiziert die frühklassischen Ouvertüren mit akzentreichem Spiel. Dabei sorgt der versierte Dirigent dafür, dass die zahlreichen starken Kontraste zwischen sanftem Streicherklang und unvermittelt hereinfahrenden Trompeten- und Schlagzeug-Stößen effektvoll herausgestellt werden. Die inhaltlich sehr unterschiedlichen, meist apart instrumentierten Arien, als Zwischenstücke zu Schauspielen und für den Gebrauch im Konzert komponiert, interpretiert die finnische Mezzosopranistin Monica Groop, ebenfalls eine Spezialistin für Alte Musik, mit flexibler, ausgesprochen kultivierter Führung ihrer in allen Lagen ausdrucksvollen Stimme (NAXOS 8.572865).

 

Eine weitere CD enthält die Ballettmusiken von J.M. Kraus. Da hört man zunächst die beiden so genannten Pantomimen, tänzerische Zwischenstückchen zu Lustspielen, die wahrscheinlich zwischen 1769 und 1772 in Kraus‘ Schul- und Studenten-Zeit in Mannheim entstanden sind, wo er das Jesuitengymnasium und das Musikseminar besuchte. Die jeweils kurzen, drei- und viersätzigen Stücke bieten gefällige Musik in passend tänzerischen Rhythmen. Außerdem enthält die CD zwei ganz kurze Einlagen zu Armida von Gluck, ein Schreittanz-ähnliches Menuett im 1.Akt und eine stürmisch anmutende Überleitung im 4.Akt. Im Zentrum der 2005 im schwedischen Örebro eingespielten Aufnahme steht das rund 50-minütige Ballett Fiskarena (Die Fischerin), uraufgeführt 1789 in der Königlichen Oper Stockholm. Das Stück in der Choreografie von Antoine Bournonville, der als der Begründer des Balletts in Skandinavien gilt, war außerordentlich erfolgreich und stand nach der Premiere nahezu 40 Jahre auf dem Spielplan des Opernhauses. Die harmlose Geschichte um ein schönes Fischermädchen, ihren Verlobten und einen um das schöne Mädchen werbenden, aber mit Hilfe von Jacks Freunden arg düpierten Kaufmann wird durch das Auftreten angelsächsischer und ungarischer Fremder angereichert, sodass Kraus die gute Möglichkeit hat, in zahlreichen, abwechslungsreichen Divertissements verschiedenste Folklore musikalisch darzustellen; vieles klingt übrigens wie eine Verbeugung vor dem Zeitgenossen Mozart. Durch besondere Klarheit des Musizierens gefällt das Schwedische Kammerorchester, das von Petter Sundquist souverän geleitet wird (NAXOS 8.557498).

 

Von den mehr als 60 Liedern in sechs verschiedenen Sprachen von J.M. Kraus gibt es 26 Vertonungen deutscher Gedichte, die 2004 sämtlich von NAXOS eingespielt worden sind. Davon stammen die Hälfte von Matthias Claudius, der dem Göttinger Hainbund nahestand, einer zum Sturm und Drang tendierenden literarischen Gruppe von Studenten und deren Freunden, die wesentlich von Friedrich Gottlieb Klopstock beeinflusst waren. Auch Kraus sympathisierte in seiner Göttinger Zeit (1776-78)  mit dem Hainbund und seinen Zielen. Neben Claudius sind bei den wohl 1783 bis 1788 komponierten Liedern deutscher Sprache u.a. auch das Hainbund-Mitglied Friedrich Leopold zu Stolberg, Johann Gaudenz von Salis und natürlich Klopstock vertreten. Kraus bevorzugt zumeist die einfache Strophenform in seinen Liedern, in denen bei schlichter Klavier-Begleitung neben den typisch lyrischen Elementen auch manche dramatischen Entwicklungen nicht fehlen. Besonderen Witz entfalten die Lieder Die Henne, Die Mutter bei der Wiege über die Ähnlichkeit der Nase des Vaters zum Kind (beide M. Claudius) und Die Welt nach Rousseau (mit schrillem Pfiff des Sängers). Aus dem Rahmen der einfach strukturierten Lieder fällt das ungewöhnlich ausgedehnte Lied Abschied, das in rezitativischer Form auf eigene Worte komponiert wie eine Solokantate wirkt. All dies setzen Birgid Steinberger, seit 1993 im Ensemble der Wiener Staats- und Volksoper und Martin Hummel, Professor an der Musikhochschule Würzburg, durchaus gekonnt um. Die Sopranistin gefällt mit klarer, blitzsauberer Stimme, während beim Bariton auffällt, wie unkompliziert und prägnant er die Inhalte der Lieder wiedergibt. Beide überzeugen mit guter Textverständlichkeit und stellen jeweils die Unterschiede der einzelnen Strophen deutlich heraus. Außerdem passen ihre Stimmen in den vier Duetten der Aufnahme bestens überein. Am historischen Hammerklavier begleitet partnerschaftlich mitgestaltend der versierte Pianist Glen Wilson (NAXOS 8.557452).

 

Von den bekannt gewordenen fünfzehn Sinfonien von J.M. Kraus sind zwölf erhalten geblieben, die das Schwedische Kammerorchester unter Petter Sundkvist mit zwei Ouvertüren und drei weiteren sinfonischen Einzelsätzen in den Jahren 1996 und 1998 bis 2000 eingespielt hat. Die erste CD beginnt mit der 1792 erstmalig aufgeführten Ouvertüre mit beträchtlichem dramatischem Impetus zu Voltaires Tragödie Olympie, zu der Kraus außerdem einen Marsch und mehrere Zwischenspiele komponiert hat. Von den drei Sinfonien in Es-Dur, C-Dur und c-Moll dürfte letztere von gewisser Bedeutung sein, ist sie doch Joseph Haydn gewidmet, unter dessen Leitung sie 1783 uraufgeführt wurde. Sie ist stark geprägt von den bei Kraus typischen, teilweise unerwarteten Kontrasten und Akzenten (NAXOS 8.553734).

 

Vol. 2 der Aufnahmen enthält vier Sinfonien in Dur-Tonarten, von denen die in A-Dur und die Sinfonie buffa, eine Art Miniatur-Pantomime, wahrscheinlich bereits in Kraus‘ Mannheimer Studienjahren (1768-1772)  entstanden sind. Bei beiden Werken kann man sich wie so oft bei der Sinfonik des Komponisten gut vorstellen, dass zumindest gedanklich ein dramatisches Geschehen im Hintergrund steht. Auch die Sinfonie in F-Dur – für kleines Orchester, besetzt nur mit Streichern und zwei Hörnern – stammt wohl bereits aus 1775, während die C-Dur-Sinfonie (mit Violin obligato) in seinen ersten Jahren in Stockholm entstanden sein dürfte (NAXOS 8.554472).

 

Auf der dritten CD sind mit einer Ouvertüre drei Sinfonien in Moll-Tonarten zusammengefasst. Die ausdrucksintensive d-Moll-Ouvertüre wurde für den Karfreitags-Gottesdienst 1790 komponiert; zwei Jahre später verwendete sie Kraus zum Auftakt der Begräbnis-Kantate für Gustav III. Die Ouvertüre passt gut zu der wegen des traurigen Anlasses, die Ermordung des schwedischen Königs Gustav III., berühmt gewordenen Symphonie funèbre in c-Moll, die, beginnend und endend mit dumpfen Trommel-Schlägen, in vier langsamen Sätzen die Bestürzung des Komponisten über den Attentats-Tod des Monarchen ausdrückt. Die wie fast alle Werke dieser Art dreisätzige e-Moll-Sinfonie, 1782 entstanden, ist von zupackender Dramatik und lässt deutlich erkennen, dass Kraus von Antonio Rosetti und Joseph Haydn beeinflusst war. Die viersätzige cis-Moll-Sinfonie weist vor allem im einleitenden Andante di molto auf Christoph Willibald Gluck hin, dessen Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis Kraus ein Vorbild gewesen sein könnte (NAXOS 8-554777).

 

Vol. 4 beginnt und endet mit einer kurzen Reichstagssinfonie und einem Reichstagsmarsch, beide Teil einer zur Parlamentseröffnung im März 1789 zur Werbung für den gegen Dänemark und Russland geführten Krieg komponierten Musik. Für die Es-Dur-Sinfonie (vgl. Vol. 1) schrieb Kraus einen hier veröffentlichten, alternativen langsamen Satz, ein empfindungsreiches Larghetto. Bei den beiden weiteren Sinfonien in F-Dur und D-Dur ist die Autorschaft Kraus‘ zweifelhaft, obwohl in beiden Werken manches an seinen Komponierstil erinnert, wie die wieder starke Akzentuierung oder plötzliche Tremolo-Effekte (NAXOS 8.555305). Insgesamt ist zu den Sinfonien positiv herauszustellen, dass das Schwedische Kammerorchester mit ungemein durchsichtigem Spiel nicht nur die unverbrauchte Frische der akzentreichen Sinfonien mit ihren vielen auch dynamischen Überraschungen aufs Feinste herausgearbeitet hat, sondern auch die tief empfundenen Trauer-Passagen sehr glaubhaft zum Ausdruck bringt. Daran hat natürlich der Dirigent Petter Sundkvist, der für hörbar präzises Zusammenspiel gesorgt hat, wesentlichen Anteil.

 

Eine weitere CD enthält in Erstveröffentlichungen das Violinkonzert C-Dur, die Musik zu der Tragödie Olympie des schwedischen Dichters der Aufklärung Johan Henrik Kellgren und das letzte Ballett-Divertissement aus Kraus’ erster Oper Azire. Bereits früh hat sich der Komponist mit Instrumentalkonzerten beschäftigt: Von den mehreren bis 1778 geschaffenen Werken dieser Art, dabei ein Quadrupel-Konzert für Flöte, Violine, Viola und Violoncello, ist nur das Violinkonzert C-Dur erhalten. Das gefällige Werk orientiert sich mehr an den virtuosen Konzerten eines Viotti als an den strukturell noch einfacheren von Carl Stamitz oder Joseph Haydn. Die Solistin der vorliegenden Aufnahme ist die japanische Geigerin Takako Nishizaki, die das Konzert gemeinsam mit dem New Zealand Symphony Orchestra unter dem deutschen Dirigenten Uwe Grodd interpretiert. Dabei leidet das Miteinander von Solistin und Orchester darunter, dass die Tutti-Stellen nicht homogen genug sind, weil die Holzbläser teilweise zu sehr aus dem Gesamtklang herausstechen. Dazu kommt, dass die Geigerin die vielen lyrischen Passagen nicht genügend auskostet; im Übrigen bewältigt sie ihren Part auch in den virtuosen Passagen mit manchen Intonationstrübungen allzu routiniert. Die Kadenzen stammen übrigens von dem Kraus-Spezialisten Bertil van Boer, dessen klugen, sehr sorgfältigen Einführungen in den Beiheften fast aller hier besprochenen CDs ganz wesentlich zum Verständnis der eingespielten Werke beitragen.
Die Schauspielmusik zu Kellgrens Tragödie Olympie entstand 1791, als sich herausstellte, dass die für 1792 vorgesehene Uraufführung der monumentalen Oper Æneas i Cartago, deren Librettist Kellgren war, erneut verschoben werden musste. Deshalb erhielt Kraus den Auftrag, eine Schauspielmusik für die Tragödie zu schreiben, deren Premiere schließlich am 7. Januar 1792 stattfand. Für den düsteren Inhalt des Stücks, das im Massenselbstmord der Protagonisten endet, ist der Kompositionsstil von J. M. Kraus mit seinen zahlreichen dramatischen Elementen bestens geeignet.
Als Kraus 1778 nach Schweden kam, machte er sich sogleich an die Arbeit, um das Drama Azire seines Göttinger Kommilitonen Carl Stridsberg zu vertonen. Davon ist leider nur die kurze, fünfsätzige Ballettmusik erhalten, die die vorliegende Aufnahme abschließt. Vor allem zur Schauspielmusik mit seiner mächtigen, wild aufbrausenden Sturm und Drang-Ouvertüre und den wieder höchst akzentreichen Zwischenaktmusiken passt das etwas schroffe Klangbild des neuseeländischen Orchesters deutlich besser als bei der Ballettmusik und dem Violinkonzert (NAXOS 8.570334).
J.M. Kraus hat sich auch mit Kammermusik beschäftigt, überwiegend in seinen ersten Jahren in Schweden und auf der großen Studienreise. Von den über zwanzig Werken für verschiedene Kammermusik-Besetzungen ist etwa die Hälfte für Streichquartett komponiert. Von den übrigen, an denen das Klavier beteiligt ist, haben sich fünf Violinsonaten und ein Klaviertrio erhalten; weitere Trio-Sonaten sind verloren gegangen. Eine Doppel-CD enthält diese Violinsonaten und das Klaviertrio neben einem einfach gestrickten Allegro, wohl gedacht für Studierende der Stockholmer Musikakademie zur Übung des Zusammenspiels von Klavier und Violine. Die Interpreten dieser Werke sind der kanadische, an der Universität von Alberta lehrende Pianist und Cembalist Jacques Després und der in den USA wirkende Geiger Walter Schwede, zu denen im Trio der kanadische Cellist John Friesen hinzutritt. Beim Klaviertrio ist auffällig, dass die Streicher gegenüber dem Klavier keineswegs nur begleitende Funktionen haben, wie es meist in anderen frühklassischen Werken, wie z. B. von Joseph Haydn geschieht. Hier hört man partnerschaftlich ausgewogenes Musizieren, wobei im 3. Satz, einem Ghiribizzo Allegro (launisches Allegro), manches wie italienische Folklore klingt, was die Künstler der Aufnahme mit Elan ausspielen. Die schon 1877 komponierte, zweisätzige d-Moll-Sonate der Sammlung ist eine damals bereits aus der Mode gekommene Continuo-Sonate – bei der späteren Veröffentlichung als Sonata per Violine solo e Basso bezeichnet – , bei der das Cembalo die teilweise virtuos aufspielende Geige „nur“ begleitet. Die übrigen vier jeweils knapp 30-minütigen Sonaten für Klavier und Geige sind dreisätzig und lassen die Instrumente fast durchgehend gleichberechtigt erscheinen. Die Musiker der Einspielung überzeugen in ihrem erfolgreichen Bemühen um spielfreudiges, gefälliges Musizieren, ohne dass sich einer von ihnen unnötig in den Vordergrund drängt (NAXOS 8.570023-24).
Und schließlich gibt es da auch noch eine CD, die all das enthält, was J.M. Kraus für Klavier solo komponiert hat (NAXOS 8.555771). Anders als bei seinen Zeitgenossen ist eher wenig erhalten geblieben, zwei Klaviersonaten sowie fünf Einzelsätze, dabei der musikalische Spaß Zwei neue kuriose Minuetten, gewidmet J.S. Bachs Biograf Johann Nikolaus Forkel, den Kraus in Göttingen kennen gelernt hatte, und ein Schwedischer Tanz. Auch in der Klaviermusik gibt es zahlreiche überraschende stilistische und harmonische Wendungen, die deutlich ins nächste Jahrhundert weisen. Hier ist ebenfalls der kanadische Pianist Jacques Després am Werk, der die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten des neben Mozart wohl begabtesten, leider allzu sehr in Vergessenheit geratenen Komponisten angemessen wiedergibt. Gerhard Eckels

 

(Weitere Information zu den CDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)

 

Mercadantes „Amleto“ von 1822

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Der hundertfünfzigste Todestag von Saverio Mercadante (getauft 17. September 1795 in Altamura bei Bari; † 17. Dezember 1870 in Neapel) wird von der Musikwissenschaft zum Anlass genommen, in einem groß angelegten Kongress in Neapel, Wien, Altamura und Mailand der musikhistorischen Bedeutung dieses Komponisten nachzuspüren und eine Bilanz der bisherige Forschung zu ziehen. (M. W.) Der renommierte Musikwissenschaftler Michael Wittmann war so liebenswürdig, uns zu diesem Anlass einen Artikel zu schreiben.

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Saverio Mercandate hat 2020 seinen 150. Todestag/ Gemälde von Cefaly/ Wikipedia

M. W.: Die Opernhäuser haben das Ereignis (fast möchte man sagen natürlich) verschlafen. Eine Ausnahme bilden das Theater für Niedersachsen in Hildesheim, das Mercadantes Schillervertonung I briganti (coronabedingt mit reduziertem Orchester, aber szenisch und ungekürzt) auf die Bühne bringt. Davon um die Premiere im September herum weiteres.

Da ist noch Die Oper im Knopfloch, Zürich, die eine  moderne Erstaufführung von Mercadantes Amleto, am 22. Dezember 1822 an der Mailänder Scala uraufgeführten melodrama tragico nach einem Libretto von Felice Romani, für 202angekündigt hat.

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Zum Amleto: Mercadante hatte 1821 mit Elisa e Claudio ebenfalls an der Scala seinen internationalen Durchbruch erlebt und in der Folgezeit für alle wichtigen Theater in Oberitalien geschrieben. Zudem hatte er bereits den Vertrag in der Tasche, der ihn ab 1823 zum Nachfolger Rossinis als Hauskomponist am San Carlo  in Neapel machen sollte. Vorher standen für den Herbst 1822 gleich zwei neue Opern für Mailand an: die recht erfolgreiche Opera semiseria Adele ed Emerico (21. September 1822) und eben der Amleto, am 26. Dezember 1822.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Isabella Fabrica war der erste Hamlet 1822 an der Mailänder Scala 1822/ Wikipedia

Der Theateralmanach der Scala stellt dazu kurz und bündig fest: Mercadante si presenta per la terza volta su queste scene; ma pare che egli vi sia venuto per dimettere quell’alloro che si era procacciato coll‘Elisa e Claudio, che sfrodò poi coll‚Adele ed Emerico e che cadde intieramente coll‘ Amleto, il quale dopo poche sere venne ridotta ad un solo atto, e supplito da una farsa, fintantochè altra Opera di ripiego poté esser posta sulle scene. (Mercadante präsentiert sich zum dritten Mal auf diesen Szenen, aber es scheint so, als sei er gekommen, um den Lorbeer zurückzugeben, den er sich mit Elisa und Claudio verschafft hatte, den er dann mit Adele ed Emerico gemindert hatte und der mit Amelto schließlich fiel, der nach wenigen Abenden auf einen einzigen Akt reduziert wurde und durch ene Farsa ersetzt wurde, bis schließlich eine andere Oper auf die Bühne gebracht werden konnte.)

Freilich kam dieses Fiasco für Mercadante nicht ganz unerwartet. Bereits am 4. Dezember schrieb er in einem Brief an Barbaja:: …Io sono ne’guai, i più grandi, mentre la Belloc non è contenta della sua parte e minacca di far cadere l’opera, ed io son già preparato al più gran fiasco. (Ich befinde mich in Schwierigkeiten, den allergößten, während La Belloc mit ihrer Rolle nicht zufrieden ist und droht, die Oper fallen zu lassen, und ich bin schon auf das größte Fiasko vorbereitet.) Dass sich hinter diesen dürren Worten ein handfester Konflikt verbirgt, ergibt sich schließlich aus einem Dokument vom 30. November 1822, aus dem hervorgeht, dass Teresa Belloc, der als Primadonna die Rolle von Hamlets Mutter Geltrude zugedacht war, offenbar versucht hatte, eine Änderung ihrer Rolle zu erzwingen, indem sie bei der Zensurbehörde angeblich mit ihrer Partie verbundene eccezioni dal lato politico angezeigt hatte. Diese Anzeige wurde durch die Polizeibehörden nicht nur zurückgewiesen, sondern die Sängerin eigens dazu aufgefordert, sich mit aller Kraft für den Erfolg der Oper einzusetzen. Der eigentliche Grund für diese Theater-Intrige dürfte indessen nicht in politischer Besorgnis seitens der Belloc zu suchen sein, sondern in dem Umstand, dass die für die Oper tragende Rolle des Amleto wiederum Isabella Fabbrica zugedacht war, die damit alle Chancen hatte, der Primadonna Belloc den Rang abzulaufen, so dass diese am Ende ihre Partie womöglich doch nur mit halber Kraft sang.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“: Teresa Belloc war der Superstar an der Mailänder Scala und sang Hamlets Mutter Geltrude/ Museo internazionale e biblioteca della musica di Bologna

Eine etwas andere Erklärung für den Misserfolg der Oper bietet eine handschriftliche Anmerkung, die sich auf dem in der Bibliotheca di Santa Cecilia in Rom aufbewahrten Libretto der Uraufführung findet. Der unbekannte Schreiber notiert: Tutti fanno bene la loro parte, ma la nessuna novità e le frequenti rimem¬branze della Musica già sentita dello stesso Maestro fa si che l’effetto è il più disgraziato, quindi Fiasco. (Alle  machen ihre Rolle gut, aber nichts Neues und die ständigen Erinnerungen an bereits gehörte Musik eben diesen Maestros führen dazu, dass der Effekt  ein sehr undankbarer ist, also ein Fiasko.) In jedem Falle reichte das spektakuläre Desaster aus, um jegliche Chance für eine Folgeinszenierung an einem anderen Theater zu verhindern und bezeichnenderweie gehört Amleto auch zu den ganz wenigen Opern, von denen keine Einzelnummern im Druck erschienen sind.

Trotz dieser Nicht-Rezeption ist Mercadantes Amleto natürlich von beachtlichem musikhistorischen Interesse. Und dies gerade weil er mit Shakespeares Vorlage nur sehr wenig zu tun hat, ja man kann sogar bezweifeln, ob Romani Shakespeares Theaterstück überhaupt gekannt hat. Tatsächlich stellt er in seinem weitschweifigen Vorwort fest: É questo soggetto del presente melodramma ordito sulle tracce di Sackespeare [sic!] e del suo imitatore Ducis. É noto abbastanza che Amleto é l’Oreste, Claudio l’Egisto e Geltrude la Clitennestra; egli e perciò che il poeta ha modellato i caratteri di questi tre personaggi su quelli dei Greci. Lui è sembrato in tal guisa di renderli, se non più interessanti, almeno più addattati alle nostre scene di quello che per avventura non sieno ne l’originale inglese un po‘ troppo fantastico, nella copia del Ducis, a creder suo, troppo fiacco e sbiadata. (Und dieser Gegenstand des jetzigen, auf den Spuren Shakespeares wandelnden Melodramas und seines Imitators Ducis. Es ist ziemlich bekannt, dass Hamlet Orest ist, Claudio Ägisth und Gertrude Klytämnestra ist, der Dichter hat die Personen nach dem griechischen Vorbild modelliert. Hält sie auch für italienische Bühne geeigneter, als es die englischen Charaktere sind. hält er für zu phantastisch, in der Kopie von Duciszu matt und zu blass.) Indem er nun aber in seinem Libretto vor allem den im Hamlet-Stoff angelegten Mutter-Sohn-Konflikt heranzieht, ergibt sich nicht nur eine Parallele zu Orest-Klytemnästra, sondern auch zum Semiramide-Stoff nach Voltaire, den Rossini/Rossi praktisch zeitgleich für das Teatro La Fenice (UA 3. Februar 1823) bearbeiteten.

Zu Mercadantes Oper „Amleto“/Design von Alessandro SanQuirico für die Oper1822/Wikipedia

Ein Vergleich beider Opern (Amleto – Semiramide)zeigt denn auch, dass sich in beiden Werken eine ganze Reihe von dramaturgisch identischen Situationen finden, die – beinahe überflüssig zu sagen – allesamt von Rossini überzeugender bewältigt wurden und die somit vor allem erkennen lassen, welche Mittel Mercadante damals noch nicht zu Gebote standen. Als Beispiel sei auf das Finale des 1. Aktes verwiesen, der in beiden Opern durch die Geisterscheinung des ermordeten Vaters bestimmt wird. Während jedoch Rossini das szenische Moment als solches hervorkehrt (und damit auf seine Pariser Opern vorausweist) nutzt Mercadante die Situation vor allem zu einem fünfstimmigen Largo a capella, das als Stück von mustergültiger kompositorischer Arbeit doch nur ein typisch neapolitanischer Kunstgriff ist, der sich bis auf Niccolò Jommelli zurückführen läßt. Übrigens sind Adele und Amleto die ersten beiden Libretti, die Romani für Mercadante geschrieben hat. Der hatte sich den ausdrücklich gewünscht. Wenn man den Amleto mit der Semiramide vergleicht, wird aber deutlich, warum Rossi die modernere Librettist war. Romani gewinnt das große Finale des 1. Aktes aus der Geistererscheinung des Vaters. Rossi stellt dies gleich an den Anfang. Das ist innovativ und zeigt sehr schön, dass Rossi wirklich von der Bühne und dem Bühneneffekt her dachte. Romani hingegen war ein Literat, der sich nicht darum kümmerte, wie etwas auf der Bühne wirkt. Dasselbe findet man mit Blick auf die Verteilung der Rollen: bei Romani ist das genau abgezirkelt. S und MS erhalten dieselbe Anzahl von Solonummern, dazu zwei Duette, zwei Terzette und ein Quintett. In der Semiramide spielt diese Arithmetik keine Rolle und Rossi konzentriert sich auf wenige, dafür aber größere Nummern. (Die Idreno-Arien in der Semiramide werden  ja oft auch weggelassen). Aber Rossini hatte da eben schon das „Standing“, um so etwas gegen die Sänger durchsetzen zu können.

Das Finale aus Mercadantes Oper „Amleto“ findet sich auf der Opera Rara Folge „A Hundred Years of Italian Opera“, 1820 – 1830

Eine Einspielung dieses Amleto-Finales ist auf einer CD von Opera Rara zu hören und diese Einspielung verdeutlicht schlagartig das Problem des jungen Mercadante: Durch Nicolo Zingarelli am Konservatorium von Neapel ausgebildet, war er ganz auf die neapolitanische Tradition festgelegt worden, die er erneuern und gegen Rossini ins Feld führen sollte. Mit dem Fiasko des Amleto wurde die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens erstmals deutlich; noch mehr mit dem noch größeren Fiasko, das Mercadantes Dorlice 1824 in Wien machte. Es spricht für Mercadante, daß er sich nach diesen beiden negativen Erlebnissen einer Art kompositorischen Selbstkritik unterzog und ab 1825 sich dezidiert mit den Errungenschaften von Rossinis experimentellen neapolitanischen Opern auseinandersetzte. Michael Wittmann

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Und noch ein Postscript: Saverio Mercadantes frühe Opern sind sicherlich nicht die dringlichsten Desiderate einer modernen Wiederaufführung, auch wenn man diese, wie etwa die Teileinspielung von Maria Stuarda mit grossem Vergnüngen hören kann. Auch der Ausschnitt aus Amleto vermag die Neugier nach mehr zu wecken.

Das Zürcher Unternehmen Die Oper im Knopfloch wirbt für diese Aufführung als „Psycho-Kammerspiel nach Shakespeare“. Vorgesehen sind fünf (!!!) Sängerinnen (!!!) und eine instrumentale Begleitung aus Flöte, Klarinette, Horn und Violoncello. Wenn man das positiv sehen will, könnte  man den lateinischen Spruch zitieren: Ut desint vires …. Wenn man weniger gnädig ist, muss man die Frage stellen: Cui bono? Oder auch: Warum? Mercadante  jedenfalls dürfte man damit keinen Gefallen tun. Bei der Uraufführung in Mailand erlebte sie ein komplettes Fiasco. Sie gehört zu den wenigen Opern Mercadantes, von denen nicht eine einzige Nummer im Druck erschien. Und sie war verantwortlich dafür, dass Mercadante Zeit seines Lebens davon überzeugt blieb, dass eine Opernpremiere am 2. Weihnachtsfeiertag Unglück bringen müsse. Und dass, obwohl die Premiere in Mailand über die allerersten Sänger und das volle Instrumentarium der Möglichkeiten (inclusive Banda militare sul palco) dieses Hauses verfügte. Der Werbe-Gag eines „Psycho-Kammerspieles nach Shakespeare“ führt in die Irre, da die Handlung eben nicht auf Shakespeare zurückgeht und sie Romani explizit für die italienische Opernbühne als ungeeignet darstellt. Michael Wittmann

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Großen Dank an den renommierten Autor, der natürlich operalounge.de-Lesern wie auch der Musikwelt namentlich der Belcanto-Periode als hochgeschätzter Musikwissenschaftler und Fachmann gilt. Er fügte seinem Artikel – exklusiv für, uns – eine ausführliche Aufstellung der musikalischen Nummern der Oper Amleto von Mercadante bei, die den Rahmen unserer Berichterstattung sprengen würde, die wir aber auf Wunsch per mail an Interessenten verschicken. Dank auch an Ingrid Wanja, die wieder für uns die italienischen Zitate Michael Wittmanns übersetzte: Das wird viele Leser freuen. Wir stellen ja eh schon manche Geduld auf die Probe wenn wir vieles in den west-europäischen Kultursprachen bringen (Abbildung oben:“Hamlet“, Gemälde von Füssli/ Tate Gallery London/ Wikipedia). G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Mit dem Auge auf der Gegenwart ….

20

Auf dem Musikmarkt geht es zu wie im persönlichen Leben. Von Zeit zu Zeit trifft man gute alte Bekannte gern. Wiederbegegnung in großer Zahl beschert eine neue Edition der Deutschen Grammophon zu 100 Jahren Salzburger Festspiele (00289 483 8722 GM 58, 58 CDs mit dickem Booklet). Sie haben vornehmlich durch die Pflege klassischer Musik und darstellender Kunst ihren international unangefochtenen Ruf bewahrt. Im Mittelpunkt steht seit jeher der berühmteste Sohn der Stadt, Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Geburtshaus in der Getreidegasse ein Wallfahrtsort für Besucher aus aller Welt ist. Am Beginn aber stand nicht Mozart sondern Jedermann, das Spiel vom Sterben des reichen Mannes. Geschrieben hatte es nach dem Vorbild spätmittelalterlicher Mysterienspiele Hugo von Hofmannstahl. Die Uraufführung fand bereits 1911 in Berlin unter der Leitung von Max Reinhardt statt. Der führte auch bei der ersten Aufführung am 28. August 1920 in Salzburg Regie. Genau genommen hätte Jedermann an den Beginn der Edition platziert gehört – als programmatisches Entre und nicht an den Schluss. Sei‘s drum. Schließlich stellt die Verlagerung in die Bonusabteilung auch eine Heraushebung dar. Geboten wird die Studioproduktion, die 1958 nach einer Salzburger Inszenierung entstand. Sie gilt zu Recht als legendär. Mit Will Quadflieg in der Titelrolle, Ernst Deutsch als Tod und Martha Wallner als Buhlschaft wird ein derart üppiges dramatisches Ereignis geboten, das auch dem Letzten klar werden lässt, warum dieses sonderbare Werk unter den gegebenen Umständen dauerhaft so wirkungsmächtig ist. Die Aufnahme erschien zunächst als Schallplatte, später als CD und war inzwischen nur noch antiquarisch zu haben. Eine neue Auflage tat not.

 

Die für Dramaturgie und Publikationen des Festivals zuständige Margarethe Lasinger und der Musikkritiker Richard Osborne lassen im umfänglichen Booklet die Geschichte der Festspiele von den Anfängen, die weit vor dem Gründungsjahr liegen bis in die Gegenwart kurz und knapp aufleben. Eine zutiefst bewegende Zutat gibt es auf einer weiteren Bonus-CD mit eigenen Erinnerungen des einstige Festspielpräsidenten Bernhard Paumgartner (1887-1971). Als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, berichtet er still und ergreifend, wie er als Kind noch Brahms und Bruckner begegnete. Paumgartner war Dirigent, Komponist und Schriftsteller. Als begnadeter Mozartinterpret kommt er mit dem 1952 von ihm gegründeten Kammerorchester Camerata Academia zum Zuge. Als Übernahme von zwei Schallplatten, die 1961 im Großen Festspielhaus in Stereo produziert wurden, erklingen unter anderen die Sinfonien Nr. 26 und 30, zwei Arien mit Rita Streich und gesondert neun innig vorgetragene Arien mit Maria Stader.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Edition nicht alle großen Namen, die sich mit ihren Leistungen in die Annalen des Festival eingetragen haben, berücksichtigen kann. Obwohl Wilhelm Furtwängler, Elisabeth Schwarzkopf oder Dietrich Fischer-Dieskau – um nur diese drei zu nennen – über Jahre zu den gefeierten Stars gehörten, sind sie nur deshalb nicht dokumentiert, weil sie vertraglich an andere Firmen gebunden waren. Die Deutsche Grammophon kann sich nur aus ihrem eigenen Katalog bedienen. Und der ist bekanntlich üppig genug. Achtundfünfzig CDs sind in null Komma nichts gefüllt. Vierzehn Opern beanspruchen den meisten Platz. Mozart ist nur dreimal vertreten, was bei seiner Bedeutung für die Festspiele nicht viel ist. Bis auf wenige Ausnahmen spielen immer die Wiener Philharmoniker, und es singt der gelegentlich verstärkte Chor der Wiener StaatsoperIdomeneo war 1961 die zweite Inszenierung. Sie wurde musikalisch von Ferenc Fricsay betreut, während sein ungarischer Landsmann Georg Solti zehn Jahre zuvor bei der ersten szenischen Aufführung am Pult stand. Gespielt wurde jeweils die von Paumgartner erarbeitete Fassung. Fricsay beginnt wuchtig und hält diesen erhabenen Stil bis zum Schluss durch. Dieser Idomeneo steht exemplarisch für den Mozart-Stil der Zeit. Ihren geglückten Einstand gibt Pilar Lorengar als Illia, der noch Pamina und Ismene in Mitridate folgen sollten. Elisabeth Grümmer lässt als wild auffahrende Elettra vergessen, dass sie die Fünfzig erreicht hatte. Sie absolvierte ihre vorletzte Saison in Salzburg. Waldemar Kmentt, der 1955 klein angefangen hatte, sang nach dem Ferrando mit dem Idomeneo seine zweite Hauptrolle. Ernst Haefliger, in der Oper sein Sohn Idamante, klingt wenigstens genauso alt wie der Vater, wenn nicht älter. Er blieb nur für zwei Spielzeiten.

Mit dem Rosenkavalier von Richard Strauss wurde 1960 das Große Festspielhaus eröffnen. Unter der Leistung von Herbert von Karajan sangen Lisa Della Casa die Marschallin und Sena Jurinac den Octavian.

Einzug in die Edition hielten auch die sattsam bekannten und wiederholt aufgelegten Mitschnitte von Cosi fan tutte (1974) und Don Giovanni (1977), dirigiert von Karl Böhm. Im Gegensatz zu Idomeneo, der eine Aufführung vom 26. Juli 1961 abbildet, sind diese Gesamtaufnahmen in lupenreinem Stereo aus mehreren Vorstellungen zusammengeschnitten und klingen wie Studio. Und auch wieder nicht. Mein stärkster Einwand gegen dieses Verfahren besteht darin, dass die Atmosphäre gleich mit herausgefiltert wird. Wenn Solisten unter größter Anspannung fast schon Wunder vollbringen, Gundula Janowitz als Fiordiligi die so genannte Felsenarie zu einem fulminanten Höhepunkt geführt oder Peter Schreier Ferrandos Arie „Un‘aura amorosa“ stilistisch einzigartig mit Triller zu Ende gebracht hat, kann es nur eines folgen – tobender Applaus. Ist der getilgt, findet die unter diesen Umständen einzig mögliche Auflösung nicht statt. Das ist unbefriedigend. Nicht zuletzt ihr frischer Sound hat die Aufnahme gut durch die Jahrzehnte gebracht. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass die Janowitz und Brigitte Fassbaender (Dorabella) ihre achtzigsten Geburtstage längst hinter sich haben. Reri Grist, die Despina, steht gar im achtundachtzigsten Jahr. Nicht mehr unter den Lebenden sind Schreier, Hermann Prey (Guglielmo) und Rolando Panerei (Alfonso). Böhm liebte seinen Mozart dramatisch. 1977 lässt er den Don Giovanni gleich mit den ersten Takten der Ouvertüre in die Hölle fahren. Der Mitschnitt mit dem rasanten Sherrill Milnes in der Titelrolle kam sogar in der DDR heraus, weil mit Anna Tomowa-Sintow (Donna Anna) und Schreier, diesmal als Ottavio, zwei Sänger mitwirkten, die an der Ostberliner Staatsoper unter Vertrag standen und dort außerordentlich beliebt waren.

Cosi fan tutte war eine der liebsten Mozart-Opern des Dirigenten Karl Böhm. Zunächst war der Mitschnitt aus Salzburg bei der Grammophon noch auf Platten erschienen.

Böhm, der bereits nach dem so genannten Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland 1938 in Salzburg den Giovanni dirigierte, hatte seine Karriere nach dem Ende des Dritten Reiches, in das er – obwohl kein NSDAP-Mitglied – verstrickt war, unbeschadet fortsetzen können. Er gehörte zum unverzichtbaren Inventar. Kein Wunder also, dass die meisten Aufnahmen der Edition mit seinen Namen verbunden sind. 1947, als das Festival nach zögerlichem Neuanfang zu altem Glanz zurückfand, erschien Böhm wieder am Pult, um Arabella von Richard Strauss in neuer Inszenierung von Günther Rennert zu dirigieren. „Wir sind nicht grad‘ sehr viel, nach dem Maß dieser Welt – wir laufen halt so mit als etwas zweifelhafte Existenzen.“ Was Arabella sehr freimütig bei der ersten Begegnung mit Mandryka von sich gibt, will plötzlich in die Zeit passen wie niemals zuvor und niemals danach. Der bekannte Premierenmitschnitt vom 12. August ist als älteste Opernproduktion in die Edition eingegangen. Lisa Della Casa, später die wohl berühmteste und perfekteste Arabella, singt hier noch die Zdenka. In der Titelrolle ist die reife Maria Reining zu hören, die Strauss innig wie Mozart singt, was so falsch nicht ist. Etwas kurzatmig tastet sich Hans Hotter durch den Mandryka. Besser liegt ihm der Sir Morosus in Die schweigsame Frau von Strauss, die 1959 auf den Spielplan gesetzt wurde. Einen fulminanten Einstieg in Salzburg legten dabei Fritz Wunderlich als Henry und Hermann Prey als Barbier hin. Auch Hilde Güden, die ihre besten Salzburger Jahren hinter sich hatte, muss genannt werden. Dank dieser Sänger konnte es keine spätere Aufnahme mit diesem Mitschnitt vom 8. August aufnehmen. Sein Platz in der Edition ist verdient. Als Dirigent hatte Karl Böhm bereits 1935 die Dresdener Uraufführung betreut, die mit einem politischen Eklat endete. Strauss hatte durchsetzte, dass sein jüdischer Librettist Stefan Zweig, der bis zu seiner Flucht ins Exil 1934 selbst viele Jahre in Salzburg lebte, auf dem Programmzettel genannt wurde. Naziprominenz blieb dem Opernhaus fern. Nach nur drei Wiederholungen wurde das Werk abgesetzt und nirgends sonst in Deutschland aufgeführt. Strauss trat „aus gesundheitlichen Gründen“ als Präsident der Reichsmusikkammer zurück.

Nur einen Sommer verbrachte der Tenor Franco Corelli 1962 in Salzburg und schrieb gemeinsam mit Leontyne Price in Verdis Trovatore Musikgeschichte.

Den außerordentlich hohen musikalischen Standard der fünfziger Jahre bezeugt die ebenfalls von Böhm geleitete Ariadne auf Naxos mit Lisa Della Casa in der Titelrolle, Hilde Güden (Zerbinetta), Irmgard Seefried (Komponist), Paul Schöffler (Musiklehrer ) und dem noch nicht vierzigjährigen Rudolf Schock, der den Bacchus mit einer überbordenden Trunkenheit versieht, wie sie selten wieder zu hören war. Böhm, der mit Richard Strauss befreundet gewesen ist, übernahm 1969 auch die Wiederaufnahme des Rosenkavalier, der sich seit 1929 neben Mozart als eines der Markenzeichen des Festivals herausstellt hatte. In der ersten Aufführung sang noch Lotte Lehmann. Diesmal waren Christa Ludwig die Marschallin, Theo Adam der Ochs, Tatiana Troyanos der Octavian und Edith Mathias die Sophie. Der Mitschnitt lässt die gewohnte Delikatesse vermissen. Die Ludwig klingt zu schwer. Adam, der erstmals für Salzburg verpflichtet worden war, flüchtet sich zu oft in Sprechgesang, wenn ihm die Noten auszugehen scheinen. Den für die Partie unerlässlichen wienerischen Dialekt bleibt der Sachse Adam schuldig. Was er diesbezüglich von sich gibt, wirkt allzu sehr eingeübt. Als einziges Werk ist der Rosenkavalier zweifach vertreten in der Edition, was angesichts seiner engen Bindung an die Festspielgeschichte angemessen ist. Böhms Version hält für mich den Vergleich mit Herbert von Karajan nicht stand. Der gebürtige Salzburger hatte am 26. Juli 1960 mit einer neuen Produktion dieser Komödie für Musik das Große Festspielhaus eröffnet. Lisa Della Casa war die Marschallin. Elisabeth Schwarzkopf, die zunächst nur eine Vorstellung sang, übernahm in den folgenden Jahren und bekam die Rolle auch in der berühmten Verfilmung, was ihre Kollegin nicht gefreut haben dürfte. Auf der Besetzungsliste stehen zudem Sena Jurinac (Octavian), Hilde Güden (Sophie) und Otto Edelmann (Ochs). Karajan war von 1956 bis 1960 künstlerische Leiter der Festspiele und blieb ihnen auch danach eng verbunden. 1948 hatte er mit Glucks Orfeo ed Euridice die erste Opernaufführung in der Felsenreitschule geleitet. Mitgeschnitten wurde die Wiederaufnahme am 5. August 1959 am selben Ort, die – wie sich das gehört für einen richtigen Mitschnitt – schon mit Beifall zur Begrüßung des Maestro beginnt. Für sein Alter ist der Sound optimal. Und doch klingt kein Dokument der gesamten Edition in meinen Ohren historischer als dieses. Gleich mehrere Gründe lassen sich ausmachen. Erst Mitte der fünfziger Jahre war die historische Aufführungspraxis mit Gründung der Cappella Coloniensis sehr zaghaft belebt worden. Karajan blieb davon unerreicht. Er lässt Gluck durch und durch romantisch spielen, groß besetzt, breit und mächtig. Giulietta Simionato ist für die Vorklassik nicht geboren und dürfte mit der Eboli, die sie im Jahr zuvor ebenfalls unter Karajan gesungen hatte, ganz offensichtlich besser bedient gewesen sein als mit dem Orfeo. Dieser italienische Don Carlo – nach Falstaff und Otello – erst die dritte Verdi-Oper auf dem Festspielplan – darf natürlich auch nicht fehlen, schon wegen der anrührenden Sena Jurinac als Elisabetta und der idiomatisch auf den Punkt agierenden Herren Cesare Siepi (Filippo), Ettore Bastianini (Rodrigo), Eugenio Fernandi (Carlo), Marco Stefanoni (Inquisitore) und Nicola Zaccaria (Un Frate). Nicht unerwähnt soll Anneliese Rothenberger bleiben, die als Stimme von oben puren Luxus verbreitet, wie er in Salzburg zu Karajans Zeiten ganz selbstverständlich war. Die Inszenierung lag übrigens in den Händen von Gustaf Gründgens, der zuvor bei Shakespeares Wie es euch gefällt in Erscheinung getreten war. 1962 legt Karajan mit Verdi nach und brachte Il Trovatore in eigener Regie auf die Breitwandbühne des Festspielhauses. Bis auf kleine Rollen war das Ensemble international und wäre so auch an der Scala oder der Met denkbar gewesen. Nach der Donna Anna in den Jahren zuvor kam Leontyne Price nun als Leonora wieder, die Simionato als Azucena, Bastianini als Luna und Zaccaria als Ferrando. Seinen einzigen Salzburger Sommer badete Franco Corelli in Wogen des Beifalls, die dem Mitschnitt vom 31. Juli erhalten blieben. Dieser Trovatore – darin besteht für mich nicht der geringste Zweifel – ist als eines der aufregendsten Verdi-Dokumente in die Geschichte eingegangen. Das von Traditionen geprägte und inspiriere Festspielgeschehen in der beschaulichen Stadt am Fuße der Ostalpen war eins geworden mit dem hektischen internationalen Opernbetrieb.

Die Traviata mit Anna Netrebko und Rolando Villazon kam auch ins Fernsehen.

Aus einem Totenhaus von Leos Janacek büßt viel von seiner Wirkung ein, wenn das Werk nur in der tschechischen Originalsprache zu hören und nicht auch zu sehen ist. Claudio Abbado betreute es 1992 in nur einer einzigen Saison. Ein seltsam exklusives Dasein führte auch Verdis La Traviata in Salzburg. Wie am laufenden Band gab es 1995 gleich neun Vorstellungen mit wechselnden Besetzungen der Titelrolle, die von Riccardo Muti geleitet wurden. Für die nächste Neuinszenierung – diesmal von Willy Decker – reiste für sieben Abende Anna Netrebko als Violetta an. Die Premiere mit Rolando Villazon (Alfred) und Thomas Hampson (Giorgio Germont) kam auch ins Fernsehen und findet sich als Audiospur in der Edition. Dirigiert hat Carlo Rizzi. Übrigens verlief der erste Auftritt der Netrebko bei den Salzburger Festspielen ehr unauffällig. Bei konzertanten Aufführungen des Parsifal 1998 – die erste war dem Andenken des Dirigenten Georg Solti gewidmet – war sie ein Blumenmädchen. Beschlossen wird die Opernabteilung mit Peter Tschaikowskis Eugen Onegin von 2017. Sie wurde musikalisch von Daniel Barenboim gleitet, der in Salzburg meistens als Orchesterdirigent auftritt. Es war seit jeher Brauch bei den Festspielen, dass sich Opernaufführungen mit diversen Konzerten abwechseln. In der Edition finden sich neben den schon bei Opernproduktionen genannten Dirigenten Zubin Mehta, Leonard Bernstein, James Levine, Pierre Boulez. Liederabende sind für die Deutsche Grammophon offensichtlich nicht mitgeschnitten worden. Damit konnte ein ganz wichtiges Kapitel der Festivalgeschichte in diese Sammlung nicht einbezogen werden, was mehr als bedauerlich ist. Rüdiger Winter

Das große Foto oben eröffnet den Blick auf die berühmte Skyline der Festspielstadt. Im Vordergrund die große Brücke über die Salzach. Foto: Winter