Die Wiener Staatsoper ist aufs Land gegangen. Und zwar nach Mürzzuschlag im Nordosten der Steiermark. Eine idyllisch gelegene Kleinstadt mit um die achttausend Einwohnern. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek ist dort geboren. Am 30. März 1977 wurde im Kulturhaus Gaetano Donizettis komische Oper Don Pasquale aufgeführt – im Rahmen einer Arbeiterkammer-Tournee. Arbeiterkammer nennt sich in Österreich die gesetzliche Vertretung der Arbeitsnehmer. Historische Hintergründe sind aus dem Booklet zu erfahren. Da die Staatsoper als so genanntes Bundestheater von allen österreichischen Steuerzahlern finanziert wird, nicht alle aber Gelegenheit habe, das Haus zu besuchen, sollte auch die Opernfreunde fernab der Hauptstadt ihr Stück vom Kuchen bekommen. Eine schöne Idee, die sich im Booklet von 2020 mit den Worten von Erich Seitter so liest: „Um ein Publikum, das zum Teil noch nie eine Oper live erlebt hatte, nicht zu überfordern, wollte man eine unterhaltsame Oper mit einfacher Handlung und einer leicht ins Ohr gehenden Musik spielen. Und so einigte man sich bald auf das vorliegende Meisterwerk Donizettis – ausnahmsweise aber, zwecks besserer Verständlichkeit, in deutscher Sprache.“ Dass „immer was von Herablassung dabei sein“ muss, sagt schon der Baron Ochs auf Lerchenau zu Octavian im Rosenkavalier. Wenn sich der Autor da mal nicht täuscht. Der jetzt bei Naxos herausgekommene Mitschnitt auf DVD (2.110659) beginnt während der rasanten Ouvertüre mit einem Schwenk der Kamera ins Publikum. Da sitzen Damen und Herren in eleganten Abendkleidern und feinem Zwirn im Stil der Zeit, denen man durchaus zutraut, Wagner von Mozart unterscheiden zu können.
Schnitt. Das Vorspiel ist noch nicht zu Ende, als der Bus mit den Künstlern angefahren kommt. Ein bisschen wie in Leoncavallos Pagliacci. Nur, dass die Geschichte diesmal gut ausgeht. Alle sind bestens gelaunt als befinde man sich auf einem Betriebsausflug in die Berge. Die Ouvertüre ist lang genug, um auch noch Ankunft zu filmen. Requisiteure stellen die kleine Bühne voll. In der Garderobe machen sich die Sänger für ihren Auftritt zurecht. Noch ein letzter Blick in die Noten. Es wurde eine Wanderdekoration mitgebracht, die sich den räumlich beschränkten Ausmaßen der Kulturhausbühne, auf der unter gewöhnlichen Umständen vielleicht die Tanzkapelle Platz nimmt, anpasst. Los geht’s. Die Inszenierung von Helge Thoma in gründerzeitlicher Optik, in die sich auch modernere Elemente mischen, ist gut und genau gearbeitet, voller Witz und unterhaltsamer Delikatesse. So eine Darbietung würde mancher Opernbesucher wohl auch heute noch gern sehen. Für ihre Zeit ist die Bildqualität in ausgewogener Farbe exzellent.
Für das ambitionierte Unternehmen spricht, dass die Provinz nicht mit einer B-Besetzung abgespeist wurde. Es kamen die Stars. Edita Gruberova war als Norina besetzt. Sie hatte 1970 als Königin der Nacht an der Wiener Staatsoper debütiert und war zu einer Berühmtheit auch auf Bühnen außerhalb Österreichs aufgestiegen. Die freche Rolle ist ihr wie auf den Leib geschrieben. Den Ernesto hatte Luigi Alva übernommen, dessen beste Tenorjahre hinter ihm lagen, der mit seiner Erfahrung die Figur des schwärmerischen jungen Mannes noch immer glaubhaft machen kann. Oskar Czerwenka singt die Titelrolle, Hans Helm den umtriebigen Doktor Malatesta und Alois Pernerstorfer den Notar. Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper, das in kleiner Besetzung spielt, steht Héctor Urbón. Was ist aus ihm geworden? Der aus Buenos Aires stammende Dirigent war in den siebziger Jahren an vielen Opernhäusern aktiv. „Nach einer schweren Krankheit widmete er sich mehr und mehr dem Tango – und damit der Musik seiner Kindheit“, ist auf der Seite des in Freiburg ansässigen Janus-Ensembles zu lesen. „Er entdeckte das Lied seiner Stadt und deren Stimme: das Bandoneón. Mittlerweile hat sich der in Kirchzarten lebende Künstler durch seine tiefschürfenden, hochemotionalen Interpretationen von Werken Astor Piazzollas auch in der Tangoszene einen Namen gemacht. Seine Arrangements sind gekennzeichnet von großer Farbigkeit, Transparenz und hohem musikalischen Anspruch.“ Urbón sei als Bandoneónist Leiter des Freiburger Quartetts Cuarteto Buenos Aires. Die DVD ist also auch eine schöne Erinnerung sein erstes musikalisches Leben. Rüdiger Winter