Die junge Rumänin Cristina Pasaroiu stand bereits in großen Primadonnarollen wie der Violetta oder der Adriana Lecouvreur auf den großen internationalen Bühnen. Zur Zeit (im November/ Dezember 2017) ist sie in der Titelpartie von Massenets Manon am Staatstheater Wiesbaden zu erleben. Eine Traumpartie für sie, die sie wegen eines Unfalls in der Probenphase, bei dem sie sich den Fuß gebrochen hatte, fast absagen musste. Wie sie es trotzdem geschafft hat, die Produktion zu singen, warum sie das französische Fach so liebt und welche neuen Rollen in Zukunft auf dem Programm stehen, sagt sie im Interview mit Dieter Schaffensberger.
Ende Oktober konnten Sie einen enormen Erfolg in der Titelpartie von Massenets Manon in einer Neuproduktion am Staatstheater Wiesbaden feiern. Während der Probenphase brachen Sie sich den Fuß. Wie haben Sie es trotzdem geschafft, diese anspruchsvolle Rolle, die ja auch viel Körpereinsatz erfordert, szenisch zu bewältigen? In der zweiten Probenwoche habe ich mir den Fuß gebrochen und musste operiert werden. Ich war geschockt, als ich hörte, dass ich für sechs Wochen einen Gips tragen sollte. Mein erster Gedanke war: Mein Debut als Manon kann ich wohl vergessen. Nach dem ersten Schock sagte ich zu meinem Arzt, dass ich keinen Gips tragen kann, da ich in einer Stunde auf der Bühne bei den Proben sein muss. Nach einigen Überlegungen bekam ich eine Schiene, die meinen Fuß stabil hielt. Aber gehen ohne Krücken war nicht möglich. Also fuhr ich direkt nach der Operation in Vollnarkose mit dem Taxi ins Stadttheater zu den Proben. Ich saß seitlich in der Loge und habe von da aus die Proben absolviert. Eigentlich dachten alle, dass ich das nicht schaffen würde. Aber ich hatte den absoluten Willen, die bereits gut einstudierte Rolle der Manon auch zu singen. Eine Regieassistentin hat die Rolle auf der Bühne für mich dargestellt und ich saß seitlich und habe gesungen. Also begann ich wieder zu hoffen und war zuversichtlich, bis zur Premiere wieder fit zu sein.
Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi
Ich glaube, dass ich durch meine Mimik, mein Gefühl und die Ehrlichkeit überzeugen konnte. Bei den Einführungen haben die Leute sogar geglaubt, dass die Inszenierung so gedacht ist, dass Manon die Rolle in der Loge sitzend darstellt. Mein Dank gilt dem Intendanten Uwe Laufenberg, der mich in dieser Spielzeit engagiert und die Rolle für mich angesetzt und mich sehr unterstützt hat. Darüber hinaus möchte ich besonders dem genialen Regisseur Bernd Mottl danken, der mir sofort nach dem Unfall versicherte, mich in allen Belangen zu unterstützen, damit ich diese Rolle singen kann und die Premiere schaffe. Er hatte in den ersten Wochen gemerkt, dass ich eine wahrhaftige Schauspielerin bin und hat vollends an meine Kraft und Begabung geglaubt. Er hat mit mir geweint, gelacht, mitgelitten, aber vor allem an mich geglaubt. Medizinisch war ich gut versorgt und in der letzten Probenwoche stand ich in einem speziell für mich angefertigten Schuh auf der Bühne, sodass ich als Manon akzeptabel ausgesehen habe. Ich erinnere mich gut daran, wie sehr meine Beine gezittert haben. Ich wusste gar nicht, worauf ich mich zuerst konzentrieren sollte: die Musik, auf den Text, die Interpretation, das Kostüm, die Haltung oder wie ich den nächsten Schritt mache. Ich musste alles planen und der Regie anpassen. Vielleicht hat mir die Musik und das Publikum jene Kraft gegeben… Das alles war letztendlich nur durch unendlichen Willen, Konzentration und Disziplin möglich.
Welche stimmlichen Herausforderungen birgt die Rolle? Die Rolle und Persönlichkeit der Manon ist sehr komplex. Mir liegt die französische Sprache sehr. Auch, weil ich sie jahrelang studiert habe. Daher ist es für mich nicht schwer, sowohl die Gefühle als auch die Interpretation aufzugreifen und in der Rolle umzusetzen. Manon ist während der gesamten Oper auf der Bühne präsent. Insgesamt hat sie fünf Arien und etliche Duette sowie die Beteiligung am Ensemble. Die Leichtigkeit im ersten Akt, Koloraturen bis zum hohen E, viele Sprünge, Nuancen, Piani, Farben und dann die Dramatik im vierten und fünften Akt. Um von den tiefsten Tönen bis zu den höchsten Akzenten, die langen Phrasierungen und Legati zu schaffen, benötigt man eine gute Technik.
Wie würden Sie Ihre Manon beschreiben? Manon, ein kleines Mädchen, schüchtern und unerfahren, jedoch steckt viel Persönlichkeit in ihr und Neugier und Mut. Sie wird erwachsen und erfährt Höhenflüge und totalen Absturz. Sie schwankt zwischen wahrer Liebe und Luxus, zwischen Leidenschaft und Sicherheit. Es gilt, Pathos zu vermeiden und stattdessen moderne Psychologie zu bringen und bei aller Tragik auch Humor und Leichtigkeit zu zeigen. Also kein Opernklischee, sondern eine aktuelle Figur.
Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi
Was können Sie uns über Bernd Mottls Wiesbadener Inszenierung sagen? Das ist einfach. Bernd Mottl ist ein wunderbarer Regisseur und Mensch. Mit viel Energie und Weisheit hat er genau gewusst, wie er meine Persönlichkeit und meine Gefühle für Manon erwecken kann. Wir haben mit viel Ehrlichkeit und emotionaler Zuneigung gearbeitet. Er hat es meisterlich geschafft, mein Handicap mit großer Kunst zu verbergen. Meine „sexy“ Stiefel in der Bettszene wird niemand vergessen.
Das französische Fach scheint Ihnen besonders gut zu liegen. Gibt es Pläne für weitere Partien in diese Richtung? Ich empfinde besonders die Intimität der französischen Musik, die melodischen Feinheiten, die Elegance und das Gefühl für Dramatik. Ich habe ein Diplom in Französich, lebe gerne an der Cote D´Azur und liebe die französische Kultur. Deswegen kann ich das französische Fach auch gut verstehen und es passt wie ein Handschuh perfekt zu mir. Ich könnte mir gut vorstellen, wieder Leila in Les pecheurs des perles, Rachel in La Juive, Valentine in Les Huguenots zu singen. Micaela in Carmen wird in Zukunft oft auf dem Programm stehen, unter anderem an der Bayerischen Staatsoper sowie in Asien.
Es fällt auf, dass Ihr Repertoire sehr vielfältig ist. Sie singen sowohl Partien für lyrischen Sopran als auch Koloraturpartien und Rollen des Verismo wie zum Beispiel Adriana Lecouvreur. Wie würden Sie selbst Ihre Stimme beschreiben und wo fühlen Sie sich am wohlsten? Ich habe von Natur aus eine dunkle Stimmfarbe. Bereits mit zwölf Jahren habe ich bei Lipatti Gesangsunterricht genommen und damit eine große Stimme und einen großen Ambitus (Stimmumfang) erreicht. Durch Technikübungen habe ich auch meine Koloraturen perfektioniert, aber die Dramatik lag mir schon im Blut. Da ich dieses besondere schattierte Timbre und darüber hinaus auch schauspielerische Persönlichkeit besitze, wurden mir sehr früh auch die Partien in Adriana Lecouvreur, La Rondine oder die Desdemona in Otello angeboten. Ich habe nie übertrieben, aber alles mit meiner Stimme gemacht – nicht mehr aber auch nicht weniger.
Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi
Viele sprechen von Partien, die zu früh gesungen werden. Durch meine Erfahrung bin ich allerdings davon überzeugt, dass man kann alles machen, wenn man nicht vergisst, einfach man selbst zu bleiben und zu fühlen, wo die Grenzen sind. Ich fühle mich wohl bei Sopranpartien wie Fiordiligi oder Contessa von Mozart bis zu frühem Verdi oder Puccini. Sicher liegen mir am Herzen Gounod, Bizet, Massenet oder Meyerbeer. Auf jeden Fall ist es mir wichtig, mich in den Rollen zu vergessen und in der Kunst zu verlieren.
Im Sommer haben Sie in einer spektakulären Carmen auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele die Micaela gesungen. Es ist eine faszinierende Erfahrung, auf der größten Seebühne Europas zu singen. In der wunderschönen Inszenierung von Kaspar Holten sang ich in einer Höhe von 53 Metern die Micaela. Ich fand jeden Abend spannend und das Adrenalin stieg, als ich aus dieser Höhe die 7000 Besucher und den Mond betrachtete. Die Natur und die Atmosphäre ist sehr inspirierend, aber man muss auch sagen, dass man dafür auch eine gute physische Konstitution benötigt. Bei Open Air Veranstaltungen singt man bei jedem Wetter – ob es nun heiß oder kalt ist, oder aber auch mitunter heftig regnet. Ich freue mich jedoch bereits wieder auf den nächsten Sommer, wenn ich wieder die Micaela in Bregenz interpretieren werde.
Eine weitere wichtige Rolle in Ihrem Repertoire ist die Traviata, die Sie bereits oft auf der ganzen Welt gesungen haben… Traviata ist der Manon ähnlich – um sie zu interpretieren, ist ebenso von Koloratur bis Dramatik alles notwendig. Um diese Figur glaubhaft darzustellen, muss man sich selbst entdecken, um die Rolle mit Originalität zu erschaffen.
Wir haben gehört, dass bald auch eine Barockpartie auf Ihrem Kalender steht… Ja, endlich eine Barockoper. Alcina von Händel wird meine erste sein. Eine andere faszinierende Geschichte und Rolle. Der Stil ist wie Balsam für die Stimme und Seele. Man kann durch Feinheiten, Verzierungen und dem besonderen Barockklang eine andere Welt in sich öffnen und ich bin bereit dafür.
Cristina Pasaroiu/ Foto Patrick Hänggi
Zu Ihrem Werdegang – wo genau haben Sie studiert und wer waren Ihre wichtigsten Lehrer? Ich habe in meiner Heimatstadt Bukarest angefangen zu studieren. Meine erste Professorin war die Koloratursopranistin Silvia Voinea, die mich eine sehr gute Basis in Atemtechnik, Phrasierung und messa di voce gelehrt hat. Danach habe ich am Conservatorio Giuseppe Verdi in Mailand mit Prof. Vittorio Terranova studiert. Mit ihm habe ich Belcanto und das italienische Fach studiert. Danach studierte ich in Wien an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Nicht zuletzt waren es meine beiden Mentoren Dolora Zajick und Jaime Aragall, die mir den letzten Schliff verpasst haben, mit mir an Interpretation gearbeitet und mir ihre „Geheimnisse“ verraten haben, wofür ich ihnen sehr dankbar bin.
Welche neue Rollen stehen auf Ihrer Wunschliste? In welche Richtung wird sich Ihr Repertoire entwickeln? Ich habe viele Träume – von Händels Cleopatra bis zu Donizettis Königinnen oder Luisa Miller von Verdi, aber auch die drei Figuren in Les Contes d´Hoffmann sowie Juliette, Thais oder auch Guillaume Tell von Rossini. Ich will beim lyrischen Repertoire bleiben und vielleicht geht in einigen Jahren auch mein Traum von Tosca oder Trovatore in Erfüllung.