Archiv für den Monat: Februar 2017

Nicolai Gedda

 

Erst spät habe ich Nicolai Gedda für mich entdeckt. Irgendwie schien er mir immer ein wenig anonym im Ausdruck auf den (zu) vielen Electrola-Aufnahmen, wie seine Kollegin Anneliese Rothenberger zu routiniert und zu beliebig  trotz der unbestreitbaren unverwüstlichen Technik einer makellos und  bestsitzenden hellen Tenorstimme. Zu sehr hatten ihn die Electrola und die EMI vermarktet, namentlich in den späten Operetten- und Spielopern-Aufnahmen. Aber als ich dann die ersten Einspielungen bei Columbia/EMI hörte, die Ackermann-Operetten, dann die ersten Aufnahmen bei der EMI/Columbia wieder herausgegeben auf Nimbus, da hatte ich Tränen in den Augen. So sehr rührte mich der süße Ton, die unbeschreiblich schöne Stimme Nicolai Geddas. Eine Stimme, die mir bis ins Herz drang in ihrer Melancholie, ihrem Schmerz und ihrer unmittelbaren Mitteilung. Er starb am 8. Januar 2017 im Alter von 92 Jahren in der Schweiz.

 

Nicolai Gedda: Boxcover des „Zigeunerbarons“ bei Emi/Warner/ Fayer Wien

Rüdiger Winter schreibt in operalounge.de in seiner Betrachtung der jüngsten (Electrola-) Operetten-Edition nun bei Warner: (…) Es begann damit, dass es sich der allmächtige EMI-Produzent Walter Legge Anfang der 1950er Jahre in den Kopf gesetzt hatte, mustergültige Aufnahmen von Operetten vorzulegen. Mit dem noch nicht dreißigjährigen Gedda hatte Legge dafür einen idealen Partner für Elisabeth Schwarzkopf, die er 1953 geheiratet hatte, gefunden. Sie war genau zehn Jahre älter und nach eigenem Bekunden sofort genau so hingerissen von Geddas Stimme wie Legge. Jugend traf auf Erfahrung und Ruhm. Das passte. Denn die Schwarzkopf hatte zu dieser Zeit schon einen Namen, während Gedda seine ersten Erfahrungen auf der Opernbühne vornehmlich in Stockholm gesammelt hatte, wo er eine lokale Erscheinung gewesen ist. Mir fällt eine Anekdote ein. Legge soll Gedda zufällig im Radio gehört haben. Er griff zum Telefon, um seine Frau zu bitten, ebenfalls das Apparat einzuschalten. Die verbat sich die Störung mit dem Hinweis daraus, dass sie gerade eine wunderbare Stimme im Radio höre – Gedda! Ein Resümee dieser fruchtbaren Zusammenarbeit zog der Sänger 1988 in einem Interview mit der Zeitschrift Opernwelt: „Alle meine Aufnahmen bei der EMI halte ich für wertvoll. Weil sie meist von Walter Legge produziert worden sind. Er wird in die Schallplattengeschichte als einer der größten Produzenten eingehen. Wenn ich zum Beispiel an die Operetten denke, die ich mit ihm aufgenommen habe, sie waren schon eine Klasse für sich. Selbst jetzt kann man sie noch anhören und Freude an ihnen finden.

Nicolai Gedda: „La Sonnambula mit Joan Sutherland an der Met/ Foto Melancon/ Met Opera Archives

Legge hat Gedda entdeckt und gefördert, wofür dieser im Gegensatz zu anderen immer dankbar gewesen ist. Das nimmt mich auch für Gedda ein. 1953 wurden in der Londoner Kingsway Hall unter Otto Ackermann zunächst Das Land des Lächelns und Die lustige Witwe eingespielt, im Jahr darauf mit dem selben Dirigenten Wiener BlutDer Zigeunerbaron und Eine Nacht in Venedig. Das rasante Finale dieser frühen Operetten-Serie bildete Die Fledermaus mit Herbert von Karajan am Pult. Die Fassungen folgen meistens nicht dem Original. Aufgenommen wurde in Mono. Das schreckt heutzutage Hörer oft ab. Mich nicht, denn ich habe nicht die Wahl. In diesen Aufnahmen triumphiert die Kunst über die Technik. In Wien hatte Clemens Krauss schon 1950 mit Fledermaus und Zigeunerbaron einen Operetten-Neuanfang nach dem Krieg für die Decca versucht, der allerdings wesentlich konservativer ausgefallen ist als das, was Legge mit Ackermann, Karajan und seinen Solisten glückte. Die verlassen ausgefahrene Gleise. Sie geben der Operette jene Sinnlichkeit zurück, die der Gattung eigen ist. Erstarrungen lösen sich. Es knistert wieder. Und das alles im Studio. (R. W.)

 

Nicolai Gedda/ Foto EMI/ Warner Classics Archives

Abgesehen von den so gelobten Operetten ist Gedda für mich in erster Linie der gebrochene Held in seinen besten anderen Dokumenten, manche davon leider nicht offiziell erschienen. Dalibor (von 1977/ Gala) unter Eve Queler ist so ein differenzierter, zerbrochener Anti-Heroe, den er unerreicht und mit einem zum Weinen bringenden Pathos singt. Sein Solo zu Beginn des dritten Aktes hat alles an Hoffnungslosigkeit, Sehnsucht und Verwirrung, das ein Mensch aufbieten kann und das Smetana so wunderbar eingefangen hat. Jean in Meyerbeers Prophête (1970 div. Labels) ist ein anderer, den er live und an einem Abend beim italienischen Rundfunk beispiellos singt – ein Ideal-Modell für andere Tenöre an Krafteinteilung, Duchhaltevermögen und Interpretation (Diktion!), dabei noch im mörderischen Schluss voller Reserven. Enée in den Troyens ebenfalls bei der RAI 1969 (dto)  ist der dritte meiner Idealhelden Geddas, denn der feurige Elan der Auftritte im ersten und dann im zweiten Teil weicht der Verzweiflung und Zerrissenheit des pflichtbewussten Staatengründers – erneut ein Anti-Held, der Schuld auf sich lädt und zwischen Pflicht und Liebe zerrissen wird. Stimmlich wie interpretatorisch wieder unerreicht und eben eine Seite Geddas zeigend, die in seinen offiziellen Aufnahmen kaum je durchkommt (in Ansätzen im Berlioz´schen Faust und Lenski, aber nicht Don José)

So steht der leichtfüßige, aber eben tonal bezaubernde  Dimitrij im ersten Christoff-Boris von 1952 (neben der bemerkenswerten Eugenia Zareska) stellvertretend für die späteren, eher heiteren und weniger prägnanten Charaktere, von denen Gedda meterweise welche eingespielt hat. Die von mir so gelobten Partien, da bin ich sicher, zeigen den eigentlichen Nicolai Gedda, den grüblerischen, tiefgründigen Sänger wie Menschen. Und in diesen Partien wie Jean, Enée oder vor allem auch Dalibor wird er für mich in Erinnerung bleiben, auch in dem bemerkenswerten Lohengrin (den er nur einmal in Schwedisch sang und nicht wieder aufnahm, wohl auch, weil er selber merkte, dass wie der Ballo-Riccardo Wagner und Verdi nicht eigentlich seins war, so wie seine Alfredos ja auch zeigen). Mir im Gedächtnis bleibt ein zerrissener Held, ein bezaubernder Mann und eine Stimme für ein Jahrhundert. Danke Nicolai Gedda!  G. H.

 

Nicolai Gedda: „Un ballo in maschera“/ Foto Met Opera Archive/ Melancon

Dazu wie stets eine kurze Erinnerungshilfe mit einer Biographie bei Wikipedia: Harry Gustaf Nikolaj Gädda, geborener Nicolai Ustinov, bekannt als Nicolai Gedda * 11. Juli 1925 in Stockholm; † 8. Januar 2017 in Tolochenaz, Kanton Waadt, Schweiz) war ein schwedischer Opernsänger (Lyrischer Tenor). Von 1928 bis 1936 lebte Geddas Familie in Leipzig, wo sein russischer Stiefvater Kantor an einer russisch-orthodoxen Kirche war. Dort begann er seine musikalische Ausbildung. 1936 erfolgte die Rückkehr nach Stockholm, wo Gedda am Konservatorium studierte und 1952 als Chapelou in Adolphe Adams Le postillon de Lonjumeau debütierte und länger zum Ensemble der Königlich Schwedischen Nationaloper gehörte. Gedda wurde sehr rasch zu einem der gefragtesten Mozart- und Oratorieninterpreten des 20. Jahrhunderts und gab zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch große Recitals unter anderem in der Hamburgischen und in der Wiener Staatsoper. Als Liedinterpret trat Gedda gemeinsam mit dem Pianisten Sebastian Peschko auf.

Nicolai Gedda war zweifellos der sprachgewandteste aller berühmten Tenöre des 20. Jahrhunderts: Er beherrschte akzentfrei sowohl Schwedisch, Russisch und Deutsch als auch Italienisch, Französisch und Englisch. Sein Repertoire war dementsprechend riesig (etwa 50 verschiedene Opernpartien).

Nicolai Gedda: Aufnahme „Carmen“ mit Maria Callas/ Foto EMI/ Warner Classics

Dank seiner hellen, sehr flexiblen Stimme, die bis ins reife Alter einen jugendlichen Schmelz behielt, galt Gedda als die Idealbesetzung für Rollen wie Tamino oder Belmonte, den Herzog von Mantua oder Dimitri. Besonders erfolgreich war Gedda auch im französischen Fach. Er tat sich ebenfalls als Oratorien-, Messen- oder Kantateninterpret hervor, unter anderem in der Matthäuspassion oder in Edward Elgars The Dream of Gerontius. Als Wagnerinterpret erhielt er mit seiner Interpretation des Lohengrin an der Königlich Schwedischen Nationaloper in Stockholm große Anerkennung. Daraufhin wurde Nicolai Gedda als Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen angekündigt. Kurzfristig sagte er aber die Auftritte aus Sorge vor einer Überbeanspruchung seiner Stimme ab.

Gastspiele führten ihn an die großen Opernhäuser der Welt: 1952 an die Pariser Oper, 1953 an die Mailänder Scala, zum Royal Opera House Covent Garden, 1957 an die New Yorker Metropolitan Opera, wo er an der Uraufführung von Samuel Barbers Oper Vanessa beteiligt war. 1980 wurde er in Tschaikowskis Eugen Onegin am Moskauer Bolschoi-Theater umjubelt.

Nicolai Gedda hat sich auch mehrfach als Gesangspädagoge hervorgetan und Aufsätze zur Gesangskunst sowie eine Autobiographie geschrieben. Auf seinen Wunsch wurde der Tod in seinem Haus bei Lausanne durch einen Herzstillstand erst einen Monat später der Öffentlichkeit mitgeteilt.

Obwohl sein Recital mit russischen Opernarien starke Beachtung der Kritik gefunden hatte, wurde er erst zu Gesamtaufnahmen von Tschaikowski-Opern (Eugen Onegin, Jolanta) eingeladen, als seine Stimme bereits ihren Zenit überschritten hatte. Auch hat Gedda zahlreiche Oratorien eingespielt und sich besonders dem deutschen, französischen und russischen Kunstlied gewidmet. Ebenso hat er einige der bekanntesten Operetten aufgenommen (Foto oben: Nicolai Gedda – Foto EMI/ Warner Classics Archive).

Glanzvolles Dokument

 

Nicht gerade Begeisterung hatte sich im Jahr 2004 in Italien breit gemacht, als bekannt wurde, Riccardo Muti würde die sehnlichst erwartete Wiedereröffnung der Scala nach jahrelanger Renovierung nicht mit Verdi oder Puccini, sondern mit Antonio Salieris bis dahin unbekannter Oper Europa Riconosciuta feiern. Und nicht fröhlicher wurde man wahrscheinlich beim Blick auf die fast kahle Bühne, obwohl man vom Ausstatter Pier Luigi Pizzi erfahrungsgemäß Prunkvolles hätte erwarten können. Das gab es erst bei der  Balletteinlage (nur eine anstelle der zwei bei der Uraufführung der Oper und damit der Einweihung des Hauses als Nuovo Regio Ducal Teatro 1778) am Ende des ersten Akts. Ein grauer Rahmen senkt und hebt sich wieder über der Bühne, ein Kahn bricht als Zeichen des Schiffbruchs auseinander, Treppen werden hin- und hergefahren, stilisierte Zypressen täuschen einen Garten vor, riesige Gitter suggerieren ein modern anmutendes Gefängnis. Nur einmal lässt Regisseur Luca Ronconi Prächtiges zu, wenn auf vielen kleinen Drehbühnen kostbar gewandete Krieger auf naturalistisch wirkenden Rossen kämpferisches Geschehen erahnen lassen. Von den Solisten hat nur die ehrgeizige, nach Thron und  Liebhaber gierende Semele sich in puncto Prächtigkeit steigernde, moderne Kostüme. Die übrigen tragen Antikes, der von beiden Damen geliebte Isséo königliches Rubinrot, die standhafte, verzichtsbereite Europa keusches Weiß.

Die Oper, über die man im Booklet viersprachig nur, was den Inhalt betrifft, informiert wird, enthält zwei der schwierigsten Koloratursopranpartien überhaupt. Zu ihnen gehört die Titelpartie, und es dürfte eine weitere Herausforderung für das nationalbewusste Publikum gewesen sein, dass sie mit einer Deutschen, Diana Damrau, damals noch am Anfang ihrer internationalen Karriere, besetzt worden war. Die Sängerin sieht bezaubernd aus, spielt mit Anmut und Würde und singt ihre halsbrecherischen Arien nicht nur souverän, sondern gibt den sanfter als bei der Rivalin klingenden Koloraturen auch einen interpretatorischen Sinn. Am Schluss der Oper darf sie auch das dramatische Potential ihrer Stimme vorführen. Puppiger und soubrettiger als sie wirkt die Gegenspielerin Semele, gesungen von Desirée Rancatore, die Koloraturen, mit denen auch ihre Rolle gespickt ist, klingen nicht weniger souverän, aber schärfer, was für die Interpretation der ehrgeizigen Dame durchaus Sinn macht. Pikanterweise sang drei Jahre später auf ihrer CD Damrau auch die schwierigste Arie ihrer Rivalin. Einen wunderbaren Mezzosopran satter Farben, geschmeidig und von dunklem Glockenton hat die stattliche und damit für Hosenrollen gut geeignete Daniela Barcellona für den doppelt geliebten und ebenfalls Verzicht übenden Isséo, Genia Kühmeier singt mit hellerer und weniger prächtiger Stimme korrekt den König von Kreta, der Europa einst geraubt und zwangsverheiratet hat. Ihr „Ah voi Dei“ kann aber durchaus mit den Leistungen der Kollegen mithalten. Giuseppe Sabbatini, den man trotz seiner besonderen Musikalität nicht so besonders gern in den Rollen feuriger Liebhaber erlebte, ist mit seinem dunkel getönten Tenor guter Mittellage genau richtig am Platz als intrigierender Egisto, der seine gerechte Strafe erhält.

Der Chor ist auf die Unterbühne verbannt und beweist rein akustisch seine besonderen Qualitäten, so mit einem an den Priesterchor der Zauberflöte erinnerndem „O Temis immortale“. Riccardo Muti und das Orchester der Scala, die er wenig später im Zorn verließ, machen mit dem entsprechenden Erfolg die Aufführung der Europa Riconosciuta zu ihrer Herzensangelegenheit und wirken mit großem Engagement. Ein ganz junger Roberto Bolle und Alessandra Ferri sind das gefeierte Solistenpaar in der Balletteinlage (DVD Erato 0190295889982). Ingrid Wanja

Mogelpackung

 

Das Hauslabel des Sängers Theo Adam war Eterna. Es gehörte zum VED Deutsche Schallplatten und ist mit der DDR untergegangen. Nach der Wende sind die meisten Aufnahmen bei der Edel AG gelandet. Dort vertritt Berlin Classics die Klassikbranche und hat sich mit den Jahren vieler, wenn nicht gar der meisten Produktionen aus dem Osten Deutschlands angenommen und neu aufgelegt. Das Edel-Label Brilliant Classics hat diverse Opern und Oratorien herausgegeben. Auch Platten von Adam gehören dazu. Er war gut im Geschäft. Ersten Aufnahmen entstanden 1954. Seine Diskographie zählt mehr als hundert Aufnahmen aller Genres. Neue Veröffentlichungen können sich an einem großen Vorrat bedienen. Inzwischen ist Adam Neunzig, krank und lebt völlig zurückgezogen. Gelegentlich des runden Geburtstages am 1. August 2016 wurde von Berlin Classics eine Edition aufgelegt (0300824BC). Sie ist immer noch die aktuellste Veröffentlichung, die sich dem Sänger widmet. Wer im Netz nach entsprechenden Titeln sucht, stößt zuerst auf diese Zusammenstellung. Wird sie Adam gerecht? Im Großen und Ganzen schon. Es gibt Szenen aus Opern und geistliche Arien. Adam kommt aus dem Dresdner Kreuzchor, dessen Mitglied er zwischen 1937 und 1944 war. Dem dort gepflegten Repertoire hat er sich sein Leben lang verbunden gefühlt. Die Kantaten Wachet auf, ruft uns die Stimme, Gott ist mein König oder Also hat Gott die Welt geliebt von Johann Sebastian Bach gehören zu den frühesten Einspielungen, die zwischen 1959 und 1960 in Leipzig mit dem Thomanerchor unter Kurt Thomas als deutsch-deutsche Projekte in Angriff genommen worden. Aus dem Westen waren dazu Elisabeth Grümmer und Marga Höffgen angereist. Ob Ausschnitte aus diesen Produktionen Sinn machen und den Werken gerecht werden, sei dahin gestellt. Sie finden sich in der Sammlung neben Nummern aus dem Weihnachtsoratorium und der Matthäus-Passion, die Mitte der 1970er Jahren sogar von den beiden prominentesten Knabenchören der DDR, den Kruzianern und den Thomaner, gemeinsam bestritten wurde. Für mich gehören die geistlichen Werke zu Adams besten Leistungen. Die Stimme mit dem unverwechselbaren goldenen Ton kann sich in Ruhe entfalten. Und in der Ruhe lag auch Adams Kraft.

„Die hundertste Rolle“: Eines der lesenswerten Erinnerungsbücher von Theo Adam aus dem Henschelverlag (ISBN 3-362-00009-6).

Auf Mozart, Wagner und Strauss reduziert sich das Opernangebot. Für eine relativ knapp bemessene Edition muss das genügen, zumal mit diesen drei Komponisten Schwerpunkte in Adams Laufbahn erfasst werden. In den Opernhäusern und bei diversen Festspielen war er vielseitiger und tüchtiger. Friedrich Cerhas Baal 1981 bei den Salzburger Festspielen – seiner hundertsten Rolle – hat er sogar eines seiner lesenswerten Bücher gewidmet. Mit Wagner brachte er es zu internationalem Ruhm. Bayreuth war schon 1952 auf Adam aufmerksam geworden. Sein Debüt war der Seifensieder Hermann Ortel in den Meistersingern von Nürnberg unter Hans Knappertsbusch, sein Abschied 1980 der Gurnemanz im Parsifal. Die Edition greift auf eine Eterna-Langspielplatte mit der von Otmar Suitner geleiteten Berliner Staatskapelle zurück. Es gibt den Holländer-Monolog, Wotans Abschied und Feuerzauber, den Flieder-Monolog aus den Meistersingern, Markes Klage aus Tristan und „Wehvolles Erbe, dem ich verfallen“, die verzweifelte Offenbarung des Amfortas aus Parsifal. Alle Rollen hat Adam oft gesungen. Er brachte eine starke Bühnenpräsenz ein. Als jung gebliebener Hans Sachs liebte ich ihn am meisten. Für Stolzing war er eine durchaus ernstzunehmende Konkurrenz. Diesen Aspekt der Handlung gestaltete er sehr bewegend und überzeugend. Er war nicht der alte und weise Schuster, er war vor allem Poet und Träumer. Stimmlich hielt er sich wacker bis zum letzten Ton. Wenn er zur Schlussansprache ansetzte, vermittelte er den Eindruck, als könne es noch mal von vorn losgehen. So groß waren seine stimmlichen Reserven in dieser Rolle, die er aus dem Effeff beherrschte.

Im Studio blieb er hinter seinem Vermögen auf der Bühne etwas zurück. Mir kommt es so vor, als strengte er sich in dem Bestreben an, ja alles richtig und vollkommen zu machen. Dafür zahlte er mit Spontaneität. Eine Eigenschaft, der er mit vielen Kollegen teilt. Für mich war Theo Adam vor allem ein Bühnentier. Dieser Eindruck bleibt auch nach den Strauss- und Mozartaufnahmen der Zusammenstellung zurück. Als an der Berliner Staatsoper Die Frau ohne Schatten gegeben wurde, sang den Färber Barak der Tscheche Antonin Svorc. Er stattete diesen einfachen, vierschrötigen Mann aus dem Volk mit großen menschlichen Qualitäten aus. Das Publikum litt mit ihm. Als Adam die Rolle im Westen singen wollte, probierte er sich an seinem Stammhaus Unter den Linden damit aus. Gegen Svorc mit seinem erdigen Bariton kam er nicht an. Sein Barak hatte das Abitur und war etwas Besseres. Ochs auf Lerchenau im Rosenkavalier wirkt merkwürdig gestelzt. Mit Mozart war Theo Adam live überzeugender als vor dem Mikrophon. Bei Figaro näselt er. Das Lachen, das durch die Szene „Wer hungrig bei der Tafel sitzt“ in Zaide geht, nehme ich ihm nicht ab. Nun lacht es sich tatsächlich sehr schwer beim Singen. Hier noch schwerer.

Die Verpackung erinnert an eine russische Matrjoschka, bei der die ineinander gesteckten bunten Holzpuppen immer kleiner werden. Ist die erste Klarsichtfolie um die Banderole mit dem Hinweis auf eine Edition zum 90. Geburtstag, der sich auch im Text des Einlegeblatts wiederholt, entfernt, fällt der Inhalt in drei einzelne CDs auseinander, die ihrerseits wieder mit durchsichtig Hüllen umschlossen sind. Jetzt muss das Küchemesser her, um den widerborstigen Kunststoffmantel aufzuschlitzen. Geschafft. Nächstes Hindernis, um endlich an den Inhalt zu kommen, sind Pappmäntel. Nach einigem Schütteln und Ziehen fallen schließlich die ganz normal in Hartplastik gewandeten CDs heraus. In Zeiten, das für jede Tüte im Supermarkt gezahlt werden muss, um den Verbrauch der Umwelt zuliebe zu drosseln, ist das die reinste Verschwendung. Des Pudels Kern aber ist ein schmales Booklet mit der schriftlichen Würdigung des Bass-Baritons und der Ankündigung seines 80. Geburtstages. Eine Zweitverwertung also, die sich als Mogelpackung entpuppt. Als würden dieselben Blumen nach zehn Jahren noch einmal überreicht.  Rüdiger Winter

Ensemblegeist gleicht manches aus

 

2016 jährte sich der 200. Todestag des Mozart-Zeitgenossen Giovanni Paisiello. Natürlich waren einige seiner Werke deswegen auch auf diversen Festivals zu sehen. Der Mitschnitt einer dieser Aufführungen ist nun auf CD erhältlich –  La Grotta di Trofonio (Die Grotte/Höhle des Trofonio).Eigentlich war die originale „Grotte des Trofonio“ ein sehr populäres Stück von Antonio Salieri von 1785. Dies ist eine der ersten großen Partnertausch-Opern – die titelgebende Grotte ist nämlich verzaubert, und wer sie betritt, der ändert seinen Charakter grundlegend, melancholische Menschen werden aufgedreht, cholerische sanftmütig – und diese Wiener Oper beschrieb, wie es Liebespaaren erging, die sich auf dieses Höhlenabenteuer einließen.

Die Idee war sehr erfolgreich und hatte enormen Einfluss auf die zeitgenössische Opernszene – der bekannteste Ableger ist Mozarts Così fan tutte. Aber auch Paisiello hat sich anregen lassen und sich noch im  Monat der Premiere von Salieris Oper eine neue Text-Fassung für Neapel schreiben lassen. Genau diese Version wurde nun in Martina Franca beim Opernfestival della Valle D´Itria 2016 mitgeschnitten. Das Ganze ist ein Riesenspaß mit herrlichem Chaos und vielen turbulenten, fast schon rossinisch klingenden Ensembles.

Giovanni Paisiello“ „La Grotta di Trofonio“ in Martina Franca 2016/ Szene/ Foto Paolo Conserva/ FVI

Paisiello ist leider immer noch ein Insider-Tipp, und vor allem ist er ein typischer Festival-Komponist. Er wird gern bei Sommerfestivals aufgeführt, denn er ist relativ leicht zu besetzen, und er hat so viel komponiert, dass man immer damit werben kann, eine Paisiello-Oper ganz neu vorzustellen. Und der Bodensatz  ist da noch lange nicht  erreicht – weder qualitativ noch quantitativ. Er ist eigentlich fast immer nett anzuhören; ich mag ihn viel lieber als Cimarosa, weil Paisiello sich meist aus der Verwechselbarkeit und Oberflächlichkeit durch einen Hang zur Melancholie rettet, der sogar E.T.A. Hoffmann, einen eingeschworenen Feind italienischer Buffe, zum Paisiello-Fan machte. Kein Wunder: Paisiellos Figuren sind meist ziemlich lädiert, innerlich zerrissen und psychisch beschädigt; es sind nie Marionetten, und das macht ihn in seinen besten Momenten zu einem Mozart des kleinen Mannes.

Vergleicht man diese Grotta mit Salieris Oper, kommt Paisiello zunächst nicht allzu gut weg. Paisiellos Stammlibrettist Giuseppe Palomba hat nämlich das ursprünglich schön herbe Libretto von Casti, das durchaus den Biss der Così hat, für das neapolitanische Publikum zu einem total albernen Stück gemacht. Das ist, als würde man den Film „Zwei ziemlich beste Freunde“ in eine Sitcom umwandeln. Nun folgt ein (platter) Gag nach dem anderen, und die herrliche Durchsichtigkeit der Salieri-Oper mit ihren sechs Personen geht völlig verloren, weil Palomba das Ganze um zwei unnötige Personen aufstockt. Dann kommt viel neapolitanischer Dialekt hinzu, und so wird aus einer eleganten Komödie ein spröder Schwank. Und doch – Paisiello schafft es immer wieder, seine melancholischen Stücke hineinzuschmuggeln, es gibt auch hier wie in fast jeder Paisiello-Oper wunderschöne Herzschmerzarien; Eufelias Solonummern sind superb.

Zu klein besetzt und auch orchestral etwas breiig – aber der Ensemblegeist dieser Produktion gleicht vieles wieder aus. Es ist viel geschimpft worden auf dies kleine, aber weltbekannte Festival in Martina Franca in Sachen Besetzung usw., und doch es hilft alles nichts, es bleibt eines der wichtigsten Opern-Festivals in Europa. La Grotta verblasste etwas neben einer der großartigsten Produktionen in der gesamten Geschichte des Festivals, der Uraufführung der nachgelassenen, nie gespielten Francesca di Rimini von Mercadante unter Fabio Luisi (die ebenfalls gerade bei Dynamic erschienen ist – als CD und DVD Bluray). Da dümpelte diese Paisiello-Schaluppe etwas im Schatten dieses Riesentankers vor sich hin. Und das ärgert mich, weil man den großen Buffo-Maestro damit dann doch zu sehr zum Lückenbüßer verdammt. Diese buffe aus dem 18. Jahrhundert könnten richtig großartig klingen, wenn man ihnen eine Chance gäbe; meist sind sie (wie hier wieder) aber zu klein besetzt und auch orchestral etwas breiig, und das ist der Tod für diese fragilen Stücke.

Man könnte sich generell fragen, ob die alte buffa nach Martina Franca gehört. Man spielt ja auch keine Puppenstücke in der Arena von Verona. Martina Franca ist ein Open-Air-Festival, und diese kleinen Perlen klingen einfach immer schrecklich im Freien. Das braucht die Akustik intimer Häuser, und so hört  sich der Orchestersound auch meist an wie aus der Tonne. Oft sind die Sänger mit ihren Rollen überfordert. Zwar hat man auch hier einige Stars eingekauft, Roberto Scandiuzzi als Magier Trofonio dröhnt die Partie wirklich ehrfurchtgebietend, und der unverwüstliche Buffo Domenico Colaianni als genervter Vater launischer Töchter ist wie immer sehr komisch – aber die Töchter selbst schwächeln dann doch, und grade in den expressiven Momenten hört man nicht mehr gerne zu. Was diese Produktionen allerdings hat, ist Ensemblegeist – hier sind 100 % Italiener auf der Bühne, das ist ein Heimspiel, und die herrlich verwickelten Ensembles schnurren ab wie ein wundervolles antikes Uhrwerk. Diese Spielfreude gleicht dann doch vieles wieder aus (Titel Giovanni Paisiello: La Grotta di Trofonio mit Benedetta Mazzucato, Caterina di Tonno, Matteo Mezzaro, Domenico Colaianni, Angela Nisi, Roberto Scandiuzzi | Orchestra Internationale d’Italia | Leitung: Giuseppe Grazioli; 2 CD Dynamic CDS 7754.02). Matthias Käther

„Uthal“ von Étienne-Nicolas Méhul

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Étienne-Nicolas Méhuls mehr oder weniger einziger Ruhm in unserer Zeit ruht fast ausschließlich auf seinem Joseph, dem einzigen unter seinen 35 dramatischen Werken, dessen Aufführungen sich seit seiner Premiere 1807 bis heute finden, und vielleicht noch auf der prachtvollen Ouvertüre zu La Chasse du jeune Henri (von vielen berühmten Dirigenten aufgenommen).

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Etienne-Nicolas Méhul, Gemälde von Antoine-Jean Gros/OBA

Étienne-Nicolas Méhul, Gemälde von Antoine-Jean Gros/Wiki

Das Ausmaß einer solchen Vernachlässigung ist jedoch nichts Neues, wie sie schon Berlioz 1852 beklagte. 1763 in Givet in den Ardennen geboren und in Paris zur Vervollständigung seiner Studien ausgebildet, hatte Méhul das große Glück, Gluck vorgestellt zu werden. Der erkannte sein Talent und riet ihm, sich der Oper zuzuwenden. 1797 erzielte Méhul einen brillanten Erfolg an der Opéra-Comique mit Euphrosine. Während er zur selben Zeit das Seine zu den prunkvollen Revolutions-Feierlichkeiten beitrug (dessen typischer Stil sich in den Morceau d´ensemble no. 4 in Uthal findet: „Abreuvez-vous du sang des traîtres“), komponierte er mit wechselndem Erfolg weiter für die Comique. Zudem war er auch eines der Gründungsmitglieder des Conservatoire de Paris. Seine Karriere, die während der Zeit Napoleons unbeschadet weiter gelaufen war, erreichte ihren Höhepunkt 1805 mit Joseph, bis die Errungenschaften Spontinis und eine fortschreitende Tuberkulose Méhuls Energien erschöpft hatten. Sein Tod 1817 fiel mit der ersten Vorstellung von Rossinis Italiana in Algeri zusammen – der Beginn einer Revolution du gout, die sich tödlich auf eben die Ästhetik auswirkte, die Méhul so sehr verfochten hatte.

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Und heute? Ein paar Wiederbelebungen ohne große Wirkung (darunter der Horatius aus den Radio-Sechzigern, verschiedene Josephs und Iratos), die Einspielungen seiner Klaviersonaten, seiner vier Sinfonien und einiger Opern (darunter L´irato, Stratonice und Adrien, s. jpc oder Amazon) erlauben es uns glücklicherweise, die Einschätzung seines Genies zu erweitern.  Aus Paris gibt es vom 30. Mai 2015 – nach einem verdienstvollen ersten Anlauf der BBC 1972 (Sarti, Wakefield/ Robinson auf UORC-LP) – Méhuls Opéra comique in einem Akt, Uthal, von 1806, konzertant unter Christophe Rousset mit einer illustren Besetzung durch Karine Deshayes, Yann Beurron (in der Titelrolle), Jean-Sébastien Bou, Sébastien Droy, den Talens Lyriques und dem Kammerchor aus Namur – dies alles wieder einmal im Zuge der Bemühungen des hier vielfach gelobten und erwähnten Palazetto Bru Zane in der prachtvollen Opéra Royale de Versailles, am Radio bei Radio France und natürlich nun auf einer CD bei Ediciones Singulares im unpraktischen, aber eleganten Buchformat mit vielen Aufsätzen in Französisch und Englisch sowie dem zweisprachigen Libretto – Qualität wie meist.. Gesungen wird, wie oft bei Rousset und dem Palazetto, ebenfalls hervorragend: Karine Deshayes, Yves Beurron, Jean-Sebastien Bou, Sebastien Droy und andere machen dem französischen Gesang der mittleren Größe Ehre; dazu kommt Christophe Rousset mit seinen Mannen ganz wunderbar. Alles in allem eine Ossian-Story zum Füße Wippen.

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Méhul: Christophe Rousset leitet die Wiederbelebung des "Uthal" in Versailles/Spectacles de Versailles/Ceric La Rayadieu/chateauversailles-spectacles.fr

Méhul: Christophe Rousset leitet die Wiederbelebung des „Uthal“ in Versailles/Spectacles de Versailles/Ceric La Rayadieu/chateauversailles-spectacles.fr

Kommentare zur Oper Uthal sind knapp, weil kaum jemand sie bislang gehört hat. 1925 schrieb der Musikwissenschaftler Lionel de la Laurencie: „Am 17. Mai 1806 gab es an der Opéra-Comique eine merkwürdige Oper, Méhuls Uthal, auf ein von Ossian inspiriertes Libretto, die besonders romantisch wegen ihrer Orchesterfarben  wirkte. Die Geigen wurden durch Violas ersetzt.“ Und er hatte recht, darauf hinzuweisen, dass sich einige Opern der Napoleonischen Periode durch besondere Originalität auszeichnen und nicht wie oft angenommen nur durch überflüssigen Pomp. Als Reaktion auf den Erfolg von Les Bardes, eine Oper von Lesueur 1804 an der Académie Impériale de Musique, beauftragte die Opéra-Comique Méhul, ein kurzes, beeindruckendes Werk zu schreiben, das von den Ossianischen Gesängen des James Macpherson inspiriert sein sollte (s. Wikipedia), die kurz zuvor ihren Weg nach Frankreich gefunden hatten (und die Goethe bereits 1774 zu seinem Werther angeregten).

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Méhul: Die Wirkung der Gesänge Ossians - Illustration zu Goethes "werter" von Nicolai Abraham Abildgaard/ Staatsbibliothek Berlin

Méhul: Die Wirkung der Gesänge Ossians – Illustration zu Goethes „Werter“ von Nicolai Abraham Abildgaard/ Staatsbibliothek Berlin

Der Komponist hatte die brillante – und wagemutige – Idee, die Nebel durchzogene Landschaft Schottlands (so, wie er sie sich vorstellte) von einem Orchester ohne Violinen evozieren zu lassen. Die „Gotische“ Farbe der Holzinstrumente und die poetische Melancholie einer Harfe, die ab und zu aus dem Ensemble herauszuhören ist, kontrastieren auffällig mit den martialischen Chören und den kriegslustigen Charakteren Larmors und Uthals. Bereits in der Ouvertüre überrascht Méhul mit dem Kunstgriff, Malvina in der Kulisse verzweifelt nach ihrem Vater rufen zu lassen. Der Chor selbst besteht aus dreigeteilten Männerstimmen. Die Hymne au soleil ist ein ausgesprochen romantisches Stück und wird von den Barden gesungen – einer der besten Einfälle unter Méhuls Kompositionen . Die Studenten des Pariser Conservatoires (unter dessen Gründern Méhul selbst gewesen war), sangen dieses Hymne an die Sonne bei seinem Begräbnis 1817.

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„Ossian“ von Francois-Pascal Simon Gérard/OBA

Im Folgenden bringen wir zur Ergänzung einen Text des eminenten französischen Musikwissenschaftlers und Musikkritikers Gérard Condé zum Uthal von Méhul  (…) Einige Wiederaufnahmen ohne große Bedeutung, die Einspielung seiner Klaviersonaten, seiner vier Sinfonien und einiger Opern (darunter L’irato, Stratonice und zuletzt Adrien) haben es glücklicherweise ermöglicht, den Blick auf sein Genie zu erweitern. In den Köpfen der wenigen, die sich seiner Existenz bewusst sind, ruft Uthal jedoch immer noch nur den harschen Ausruf von Grétry am Ende der Uraufführung am 17. Mai 1806 hervor: „Ich würde einen Louis geben, um eine E-Saite zu hören“. Diese ironische Bemerkung rührt von Méhuls Entscheidung her, die Geiger zu bitten, ihre Instrumente gegen Bratschen zu tauschen, um dem Orchester einen verschleierten und melancholischen Klang zu verleihen, der mit der Atmosphäre der ossianischen Welt übereinstimmt. Dies wird besonders in der Ouvertüre deutlich, wo die Holzbläser, die die Rolle der Violinen übernehmen, mit einer intensiven Schneide über den rastlos wogenden Wellen der tiefen Streicher ausbrechen, wie sie es auch im Morceau d’ensemble („Nous le jurons, ce jour qui nous éclaire“) wieder tun werden. Dies ist auch in der Romance d’Uthal (Nr. 5, „Pour prix d’un bien si pleine de charme“) und im Chant des bardes („Près de Balva“) zu beobachten, wo die Bratschenstimmen, die auf den unteren Teil ihres mittleren Registers beschränkt sind, die ständige Bewegung der Harfe überdecken. In seinen Soir

Gretrys Witz war zwar treffend, ging aber im Vergleich zu den Argumenten, die Cherubini (in einem von Arthur Pougin notierten Artikel) vorbrachte, um die geringe Sympathie zu rechtfertigen, die Uthal bei ihm weckte, nicht weiter: Diejenigen, die auf den Ruf und die Erfolge von Méhul eifersüchtig waren, warfen ihm lange Zeit vor, er habe sich nicht genug mit seinen kompositorischen Studien beschäftigt. Méhul hatte die Schwäche, auf diese Vorwürfe empfindlich zu reagieren, und etwa seit der Zeit, in der er Joanna [1802] komponiert hatte, hielt er es für notwendig, zu beweisen, dass er solche Studien durchgeführt hatte, indem er in seine Kompositionen vorschnell Formen einführte, die sowohl zu scholastisch als auch zu pedantisch für die Oper waren, und mit denen er die nachfolgenden Stücke zu überfrachten pflegte. Diese prätentiöse und schädliche Methode hat er seither in allen Opern, die er komponiert hat, egal ob es sich um ernste oder komische handelt, beibehalten. Cherubini hatte die – etwas zu sehr ausgeprägte – Tendenz zur Nachahmung im Sinn, wie sie in Malvinas Arioso „Pour soulager tes maux“ zu beobachten ist. Dabei ließ sich Méhul vom stilistischen religiösen Archaismus inspirieren, um die Frömmigkeit der Figur zu unterstreichen.

Méhul: „Ossian“ – Gemälde von Jean-Auguste Dominic Ingres/OBA

Das umstrittene oder in Vergessenheit geratene Uthal hat dennoch seine Anhänger gefunden. Im Jahr 1904 führte das Dessauer Opernhaus eine Aufführung durch, die laut „Le Monde artiste“ ein großer Erfolg war. Im Jahr 1908 enthielt die Beilage der Revue musicale nicht weniger als 150 Seiten eines Klavierauszugs des Werks. Man kann jedoch auf das Jahr 1856 zurückgehen, als Castil-Blaze in seiner Histoire de l’opéra einen der denkwürdigsten Abschnitte hervorhob: Die Hymne au sommeil, in der vier Barden singen, die nur von zwei Harfen, zwei Flöten und zwei Hörnern begleitet werden, ist sehr schön; ihr melodiöses Ensemble wird durch die harmonische Gestaltung und die Merkwürdigkeit einer Folge gemeinsamer Akkorde, die geschickt miteinander verbunden sind, angenehm variiert. Wie in Les musiciens célèbres von François Desplantes nachzulesen ist, versammelten sich einige Zeit nach Méhuls Tod Gesangsstudenten des Conservatoire um sein Grab auf dem Friedhof Père Lachaise, um dieses Stück aufzuführen; der einzige Abschnitt aus dem Gesamtwerk, der sich am längsten gegen diese Vernachlässigung wehrte. Die auffällige Kombination von Hörnern, Flöten und Harfe, die die fließende Vokalpolyphonie mit dezenten Chromatisierungen untermauert, vermeidet akademische Vorbilder völlig, während die Klagen von Malvina, die in der zweiten Strophe an die Spitze gestellt werden, den natürlichen Eindruck, der dieses Stück so reizvoll macht, nicht beeinträchtigen.

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Méhul: Malvina beweint den Tod Oscars, Gemälde von Elizabeth Harvey/Grand Palais de Paris

Trotz seiner offensichtlichen musikalischen Schönheiten gelang es Uthal nicht, über seine ersten 15 Aufführungen hinaus im Repertoire zu bleiben. Arthur Pougin vermutete Méhuls „großen Fehler, dass er sich nicht ausreichend um das inhärente oder dramatische Potenzial der Gedichte kümmerte, die ihm angeboten wurden und die er zu leicht akzeptierte“. Das Thema bezieht sich auf den Guerre d’Inistona [Krieg von Inis-thona], in dem Ossian die Autorität Oskars feiert, indem er den alten Anio, der von seinem Verwandten Cormalo vom Thron vertrieben worden war, wieder auf den Thron bringt. Jacques Bins de Saint-Victor hat sein Libretto mit einigen Episoden aus anderen Kompositionen von James Macpherson (1736-1796) ausgeschmückt.

Die gälischen Gedichte, die dieser dem legendären Barden Ossian aus dem dritten Jahrhundert zuschreibt, dessen Veröffentlichung 1760/63 eine ganze Generation begeisterte, wurden zu einem beliebten Lesestoff für Napoléon Bonaparte. Saint-Victor widmete sein Gedicht Girodet, der für einen Mort de Malvina verantwortlich zeichnete: Die Leute sind jedoch nicht auf den Betrug des Autors hereingefallen, der aus fast dem gesamten Stück eine schottische Mythologie konstruiert hat. Außerdem wies der Chronist des Journal de l’Empire vom 21. Mai 1806 mit charmantem Schalk darauf hin, dass es sich bei der Handlung um eine Umgestaltung von Plutarchs Leben von Agis und Kleomenes handelt, wo Kleombrotus (Uthal), der Ehemann von Chelonis (Malvina), den Thron seines Schwiegervaters Leonidas (Larmor) besteigt. „Vielleicht wollte der Autor von Uthal eine Art flüchtige Mode ausnutzen, die die schottischen Barden in Paris genossen:

Méhul: Der Autor des Fake-„Ossian“ – James Macpherson, Gemälde von George Romney/Wiki

Er dachte vielleicht, dass Ossian mehr à la mode wäre als Plutarch, und ich denke, dass er nicht weit daneben lag. Das Thema wäre allerlei Glanz und Ansehen beraubt worden, wenn M. de Saint-Victor es nach griechischen Gepflogenheiten behandelt hätte. Es gab eine Zeit, in der die Lakedämonier für einen besseren Ton gesorgt hätten als die Barden […] Ich habe eher das Gefühl, dass die Leiern der lakedämonischen Musiker sich als harmonischer erwiesen hätten als die so genannten goldenen Harfen dieser vergangenen schottischen Priester, die zu einer Zeit und in einem Land lebten, in dem es nicht viel Gold zu sehen gab und in dem man überhaupt keine Musik kannte.“ Auch die Gazette de France vom 19. Mai 1806 zeigte sich streng mit Saint-Victors Libretto, das in seiner Gestaltung nichts Neues und nichts wirklich Interessantes bietet. Die einzelnen Szenen sind unzureichend miteinander verbunden. Der Autor begreift auch nicht, welchen Weg er einschlagen will.

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Méhul: James Macphersons Fake-„Ossian“/OBA

Es ist bekannt, dass die ossianischen Helden – wie ihre homerischen Vorbilder – oft zu Fuß unterwegs waren, weder mit Gefolge noch mit Prunk. Die Schönheiten aus Morven und Erin machen es sogar noch besser; sie greifen gelegentlich im Kampf zur Lanze und trotzen dem Tod an der Seite ihrer Liebsten. Doch in unserem Theater erwecken all dieses Herumgehetze und die nächtlichen Monologe nicht dieselbe Illusion; uns erscheint es sehr eigenartig, dass der wilde Uthal ganz allein auf der Jagd nach seiner Frau steht und ein ganzes feindliches Heer herausfordert. Der Inhalt des Themas hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von König Lear: Malvinas großmütige Art, zu erklären, dass sie die Unglücklichste ist, ist schon tausendmal verwendet worden; im Übrigen aber sind die Charaktere recht gut definiert, das Lokalkolorit wird erfolgreich beibehalten. Oft sind die Verse gelungene Nachahmungen des schottischen Barden; die Stille des Abends, das Murmeln der Gebirgsbäche, die Sturmwinde, die Wolkenpaläste, die Gespenster der Helden kehren immer wieder dorthin zurück; mit beiden Händen streut der Autor die Wildblumen der ossianischen Zunge aus, und das alles erzeugt eine recht merkwürdige Wirkung im Land der Opéra Commique.

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Was die Musik betrifft, so hat sich die Meinung des Kritikers völlig geändert: Der Komponist hat das Thema viel besser erfasst: Seine Musik wird an der Stelle des trône de la fête merklich erregt. Seine Ouvertüre, von breitem Stil und dunklem Kolorit, kündet gekonnt von den nächtlichen Gespenstern und den Sturmwinden. Das Duett zwischen Larmor und Malvina ist äußerst süß und zärtlich eingefangen. Die Ankunft von Morvens streitlustigen Kindern [Nr. 2, „Le grand Fingal, pour punir les rebelles“] ist ein originelles Stück; der Klang der Harfen, vermischt mit den fernen Worten der Barden, erzeugt einen herrlich weltfremden Effekt. Die Ankunft der Barden aus Ossian ist schon oft gepriesen worden; ich bezweifle, dass dies auf eine bezauberndere Weise geschehen kann als hier.

Der Verweis auf Jean-François Le Sueurs Oper Ossian oder Les Bardes (nach dem Gedicht von Calthon und Colmal), die am 10. Juli 1804 an der Opéra uraufgeführt wurde, war unvermeidlich; ebenso vorausschauend warf das Ausmaß ihres Erfolgs einen Schatten auf Méhuls kleines Werk. Unter diesem Gesichtspunkt sind die einleitenden Bemerkungen im Journal du soir, de politique et de littérature des frères Chaigneau vom 18. Mai 1806 zu verstehen: Gestern hat die Uraufführung der einaktigen Oper Uthal, die die Gedichte nach dem Vorbild der Ossian-Gedichte nachahmt, im Théâtre Feydeau einen vollen Erfolg erzielt. Dieses Werk hätte auch an der Académie Impériale de Musique Erfolg gehabt, wo es weder besser aufgeführt noch sorgfältiger inszeniert worden wäre. Der Stil ist großartiger und gehobener, als man es von den Opern des Théâtre Feydeau gewohnt ist; aber was diese Oper noch interessanter macht, ist die Tatsache, dass ihre Musik von dem berühmten Méhul stammt.

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Méhul: Und noch einmal die folgenschwere Ausgabe des „Ossian“/ibrary.loyno._.edu

Das Journal général de France vom 19. Mai 1806 geht sogar noch weiter und präzisiert: „Es handelt sich keineswegs um eine Opéra comique, sondern um eine Tragödie im wahrsten Sinne des Wortes. Das Stück ist fast gänzlich in alexandrinischen Versen geschrieben und mit der ganzen Feierlichkeit des tragischen Stils geschmückt. Die ausgedrückten Gefühle, die Figuren und die Situationen entsprechen den Anforderungen dieses Stils. Dieses neue Stück hat die Schauspieler gezwungen, den Tonfall, den Akzent, die Gestik und die ganze der französischen Bühne angemessene Formalität zu erfassen, und für einen ersten Versuch muss man sagen, dass sie sich sehr erfolgreich verhalten haben. Bei mehreren Gelegenheiten wurde die Abschaffung des Rezitativs in der Oper und das Sprechen desselben vorgeschlagen. Hier gab es wirklich eine große Oper mit einem gesprochenen Rezitativ, und das Publikum schien damit zufrieden zu sein“. Der Chronist scheint vergessen zu haben, dass es an alexandrinischen Dialogen auf den französischen Opernbühnen von Méhuls Euphrosine bis zu Cherubinis Médée keinen Mangel gab.Die Gazette de France vom 19. Mai 1806 griff dieses Thema auf und nutzte die Gelegenheit, um die Interpreten zu würdigen: Der Übergang von der Übertragung von Prosa zum Gesang hat immer etwas Merkwürdiges und Unstimmiges; aber die Verbindung von Poesie und Musik ist wirklich trügerisch; viele Schauspieler wären besser, wenn sie dieses Genre unterstützen würden: zum Beispiel Madame Scio, die, ausgestattet mit einer tiefen Intelligenz und Sensibilität, fast so gut rezitiert wie sie singt. Sie hätte es verdient, am Ende des Werks zusammen mit den Autoren zurückgerufen zu werden. Gavaudan ist in diesem Genre, in dem er seine Ambitionen begrenzen sollte, bereits hinreichend bekannt. Möge es ihm eine Freude sein, uns an der Opéra-Comique zum Weinen zu bringen. Andernorts könnten sowohl er als auch das Publikum verloren gehen: Er ist in der Rolle des Uthal so grimmig wie Madame Scio in der der Malvina rührend ist. Solie hat die Rolle des Larmor übernommen; seine Stimme ist zwar im Niedergang begriffen, hat aber immer noch etwas Ehrwürdiges und Väterliches an sich. Baptiste, dem die Rolle des ersten Barden anvertraut wurde, hat ihren Chant Consolateur perfekt vorgetragen. Er ließ die Unwahrscheinlichkeit der Szene vergessen, und dieses Lob sollte für ihn ausreichen.

Méhul: Der Naturkult in der Folge des „Ossian“/Stich von Mallet/OBA

Wenn man sich diese Berichte zwei Jahrhunderte später ansieht, ist es interessant zu sehen, wie diese provokativen Bemerkungen immer noch ihren Sinn erfüllen; so fällt der Chant des bardes, der nahe am Schluss der Oper steht (für dessen emotionale Haltung er den Weg ebnet), weniger durch seine Unwahrscheinlichkeit als durch die Expressivität der Baritonstimme auf, die sich um das tonale Zentrum in seinem oberen Register und durch seine schroffe Unterbrechung entwickelt. Castil-Blaze informiert uns, dass „das Thema dieser Romanze oder Ballade aus der rührenden Episode von D’Ailly stammt, die in La Henriade mit dieser Zeile endet: ‚Il le voit, il l’embrasse, hélas! C’était son fils‘„. Voltaire zu Gast bei Ossian, in der Tat; das gibt zu denken…

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Méhul: Der Autor, Komponist und Musikwissenschaftler Gérard Condé/paris.mg

Unser Verhältnis zur aufkommenden Romantik mit ihren Trends, Wurzeln und Moden hat sich verändert. Bei der Entdeckung von Uthal suchen wir nicht mehr nach der Neuheit, die die Zeitgenossen mit Recht erwarten durften, sondern nach jenem Gefühl der Verbesserung, das uns ein retrospektiver Ansatz bieten kann, denn Werke aus der Vergangenheit können uns interessieren, wenn sie sich ausreichend in ihre eigene Zeit einschreiben, um uns dorthin zurückversetzen zu können, und gleichzeitig reich genug an Substanz sind, um sich mit unserer Zeit zu befassen und ein Licht auf sie zu werfen. Auf diese Weise können wir eine gültige Verbindung zu dem herstellen, was unsere Vorgänger vielleicht aus Gründen abgelehnt haben. Man kann die Geschichte nicht ändern; es ist die Geschichte, die uns auffordert, sie neu zu schreiben. Gerard Condé/ Übersetzt mit DeepL

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Den Text entnahmen wir dem Booklet zur Einspielung beim  Palazetto Bru Zane mit Dank; Bild oben: Ossian Receiving the Ghosts of Fallen French Heroes, 1805; Ölgemälde von Anne Louis Girodet-Trioson/Wikipedia. 

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.