Mogelpackung

 

Das Hauslabel des Sängers Theo Adam war Eterna. Es gehörte zum VED Deutsche Schallplatten und ist mit der DDR untergegangen. Nach der Wende sind die meisten Aufnahmen bei der Edel AG gelandet. Dort vertritt Berlin Classics die Klassikbranche und hat sich mit den Jahren vieler, wenn nicht gar der meisten Produktionen aus dem Osten Deutschlands angenommen und neu aufgelegt. Das Edel-Label Brilliant Classics hat diverse Opern und Oratorien herausgegeben. Auch Platten von Adam gehören dazu. Er war gut im Geschäft. Ersten Aufnahmen entstanden 1954. Seine Diskographie zählt mehr als hundert Aufnahmen aller Genres. Neue Veröffentlichungen können sich an einem großen Vorrat bedienen. Inzwischen ist Adam Neunzig, krank und lebt völlig zurückgezogen. Gelegentlich des runden Geburtstages am 1. August 2016 wurde von Berlin Classics eine Edition aufgelegt (0300824BC). Sie ist immer noch die aktuellste Veröffentlichung, die sich dem Sänger widmet. Wer im Netz nach entsprechenden Titeln sucht, stößt zuerst auf diese Zusammenstellung. Wird sie Adam gerecht? Im Großen und Ganzen schon. Es gibt Szenen aus Opern und geistliche Arien. Adam kommt aus dem Dresdner Kreuzchor, dessen Mitglied er zwischen 1937 und 1944 war. Dem dort gepflegten Repertoire hat er sich sein Leben lang verbunden gefühlt. Die Kantaten Wachet auf, ruft uns die Stimme, Gott ist mein König oder Also hat Gott die Welt geliebt von Johann Sebastian Bach gehören zu den frühesten Einspielungen, die zwischen 1959 und 1960 in Leipzig mit dem Thomanerchor unter Kurt Thomas als deutsch-deutsche Projekte in Angriff genommen worden. Aus dem Westen waren dazu Elisabeth Grümmer und Marga Höffgen angereist. Ob Ausschnitte aus diesen Produktionen Sinn machen und den Werken gerecht werden, sei dahin gestellt. Sie finden sich in der Sammlung neben Nummern aus dem Weihnachtsoratorium und der Matthäus-Passion, die Mitte der 1970er Jahren sogar von den beiden prominentesten Knabenchören der DDR, den Kruzianern und den Thomaner, gemeinsam bestritten wurde. Für mich gehören die geistlichen Werke zu Adams besten Leistungen. Die Stimme mit dem unverwechselbaren goldenen Ton kann sich in Ruhe entfalten. Und in der Ruhe lag auch Adams Kraft.

„Die hundertste Rolle“: Eines der lesenswerten Erinnerungsbücher von Theo Adam aus dem Henschelverlag (ISBN 3-362-00009-6).

Auf Mozart, Wagner und Strauss reduziert sich das Opernangebot. Für eine relativ knapp bemessene Edition muss das genügen, zumal mit diesen drei Komponisten Schwerpunkte in Adams Laufbahn erfasst werden. In den Opernhäusern und bei diversen Festspielen war er vielseitiger und tüchtiger. Friedrich Cerhas Baal 1981 bei den Salzburger Festspielen – seiner hundertsten Rolle – hat er sogar eines seiner lesenswerten Bücher gewidmet. Mit Wagner brachte er es zu internationalem Ruhm. Bayreuth war schon 1952 auf Adam aufmerksam geworden. Sein Debüt war der Seifensieder Hermann Ortel in den Meistersingern von Nürnberg unter Hans Knappertsbusch, sein Abschied 1980 der Gurnemanz im Parsifal. Die Edition greift auf eine Eterna-Langspielplatte mit der von Otmar Suitner geleiteten Berliner Staatskapelle zurück. Es gibt den Holländer-Monolog, Wotans Abschied und Feuerzauber, den Flieder-Monolog aus den Meistersingern, Markes Klage aus Tristan und „Wehvolles Erbe, dem ich verfallen“, die verzweifelte Offenbarung des Amfortas aus Parsifal. Alle Rollen hat Adam oft gesungen. Er brachte eine starke Bühnenpräsenz ein. Als jung gebliebener Hans Sachs liebte ich ihn am meisten. Für Stolzing war er eine durchaus ernstzunehmende Konkurrenz. Diesen Aspekt der Handlung gestaltete er sehr bewegend und überzeugend. Er war nicht der alte und weise Schuster, er war vor allem Poet und Träumer. Stimmlich hielt er sich wacker bis zum letzten Ton. Wenn er zur Schlussansprache ansetzte, vermittelte er den Eindruck, als könne es noch mal von vorn losgehen. So groß waren seine stimmlichen Reserven in dieser Rolle, die er aus dem Effeff beherrschte.

Im Studio blieb er hinter seinem Vermögen auf der Bühne etwas zurück. Mir kommt es so vor, als strengte er sich in dem Bestreben an, ja alles richtig und vollkommen zu machen. Dafür zahlte er mit Spontaneität. Eine Eigenschaft, der er mit vielen Kollegen teilt. Für mich war Theo Adam vor allem ein Bühnentier. Dieser Eindruck bleibt auch nach den Strauss- und Mozartaufnahmen der Zusammenstellung zurück. Als an der Berliner Staatsoper Die Frau ohne Schatten gegeben wurde, sang den Färber Barak der Tscheche Antonin Svorc. Er stattete diesen einfachen, vierschrötigen Mann aus dem Volk mit großen menschlichen Qualitäten aus. Das Publikum litt mit ihm. Als Adam die Rolle im Westen singen wollte, probierte er sich an seinem Stammhaus Unter den Linden damit aus. Gegen Svorc mit seinem erdigen Bariton kam er nicht an. Sein Barak hatte das Abitur und war etwas Besseres. Ochs auf Lerchenau im Rosenkavalier wirkt merkwürdig gestelzt. Mit Mozart war Theo Adam live überzeugender als vor dem Mikrophon. Bei Figaro näselt er. Das Lachen, das durch die Szene „Wer hungrig bei der Tafel sitzt“ in Zaide geht, nehme ich ihm nicht ab. Nun lacht es sich tatsächlich sehr schwer beim Singen. Hier noch schwerer.

Die Verpackung erinnert an eine russische Matrjoschka, bei der die ineinander gesteckten bunten Holzpuppen immer kleiner werden. Ist die erste Klarsichtfolie um die Banderole mit dem Hinweis auf eine Edition zum 90. Geburtstag, der sich auch im Text des Einlegeblatts wiederholt, entfernt, fällt der Inhalt in drei einzelne CDs auseinander, die ihrerseits wieder mit durchsichtig Hüllen umschlossen sind. Jetzt muss das Küchemesser her, um den widerborstigen Kunststoffmantel aufzuschlitzen. Geschafft. Nächstes Hindernis, um endlich an den Inhalt zu kommen, sind Pappmäntel. Nach einigem Schütteln und Ziehen fallen schließlich die ganz normal in Hartplastik gewandeten CDs heraus. In Zeiten, das für jede Tüte im Supermarkt gezahlt werden muss, um den Verbrauch der Umwelt zuliebe zu drosseln, ist das die reinste Verschwendung. Des Pudels Kern aber ist ein schmales Booklet mit der schriftlichen Würdigung des Bass-Baritons und der Ankündigung seines 80. Geburtstages. Eine Zweitverwertung also, die sich als Mogelpackung entpuppt. Als würden dieselben Blumen nach zehn Jahren noch einmal überreicht.  Rüdiger Winter