Archiv für den Monat: Februar 2019

Dienst an Verdis Frühwerk

 

Nur I Lombardi und nicht mehr alla prima crociata tummelten sich im vergangenen Sommer bei den Heidenheimer Opernfestspielen auf der Bühne, die spärlich gefüllt mit vielen Stühlen und einem einsamen, hochkant gestallten Tisch bestückt war, weshalb man es auch verschmerzt, dass nur der Ton auf zwei CDs, nicht aber die Szene verewigt wurde. Den ganz frühen Werken Verdis, deren viertes nach Oberto, Un Giorno di Regno und Nabucco die Lombardi waren, hat man sich in Heidenheim gewidmet, wobei die Lombardi sich nicht nur mit dem Schauplatz Naher Osten eng anlehnen an den Nabucco, dessen Erfolg nach dem kurzlebigen Oberto und der Katastrophe der Buffa Verdi hörbar wiederholen wollte, am deutlichsten wahrnehmbar im Chor der Kreuzfahrer, der an Va pensiero erinnert. Immerhin war die Tenorarie immer ein beliebter Recital-Bestandteil, wurde mit der Giselda bereits ein Vorgriff auf die Violetta hörbar.

Die Stars der Aufnahme aus Heidenheim sind nicht die Gesangssolisten, sondern der Chor und das Orchester. Opernchöre aus den Ostblockstatten waren besonders auch in Italien auch wegen der finanziellen Vorteile für die Veranstalter  immer schon beliebt. Der hier tätige Czech Philharmonic Choir Brno ist einer der allerbesten, kaum übertreffbar, was die Aneignung des sprachlichen und musikalischen Idioms angeht, völlig unangefochten im Prestissimo, wahrlich überirdisch klingend als himmlische Geister und immer wie von innerer Spannung erfüllt. Nicht nach steht ihm das Orchester, die Cappella Aquileia, unter dem Dirigenten Marcus Bosch Garant für eine brio- und temporeiche, den Umtata-Rhythmus des frühen Verdi nicht verleugnende, aber veredelnde und ihm quasi seine volksnahe Naivität und damit Unschuld zurückgebende Aufführung.

Die Oper hat zwei fast gleichwertige Tenorrollen, wobei die des Vaters von Giselda, Arvino, durchaus Charaktertenorqualitäten haben darf, so dass mit León de la Guardia und seiner etwas larmoyant und trocken klingenden Stimme keine falsche Wahl getroffen wurde. Den Liebhaber und Konvertiten Oronte singt Marian Talaba zwar nicht mit ausgesprochen italienischem Timbre und nicht immer ganz frei, aber doch mit sicherer Höhe und kluger Phrasierung. Aus den himmlischen Sphären herunter allerdings klingt es etwas mühsam. Den sich zum Eremiten, wenn nicht gar Heiligen wandelnden Bösewicht Pagano verkörpert Pavel Kudinov mit angemessen schwarzem Bass, der schlank und gut konturiert, in allen Registern gleichmäßig gefärbt, auch die Cabaletta im ersten Akt mit viel slancio und mit Nachdruck bewältigt. Hörbar an Qualität weit unter dieser Leistung liegt die von Daniel Dropulja als Gefolgsmann Pirro.

Für die auch dramatische Anforderungen stellende Giselda hat Ania Jeruc weniger Kraft als viel Leichtigkeit und vokalen Liebreiz für die vielseitige Partie. Leider ist die Diktion verwaschen, und in der Höhe zeigen sich leichte Schärfen, den Cabaletten fehlt es an Nachdruck. Sehr schön klingt der Anteil des Soprans am Duett „Oh belle, a questa misera“. Eine sanfte Stimme für das Objekt der Begierde des verfeindeten Bruderpaars, die Viclinda, besitzt Anna Werle, interessant klingt die Sofia von Kate Allen (Coviello Classics COV91901). Ingrid Wanja      

Mager und ausgedünnt

 

Tatsächlich befinden sie sich auf dem Cover. Johann Heinrich Füsslis Hexen, an die man bei dieser MacbethAufnahme (Glossa GCD 923411) ständig denken muss, sind als raunende Schrecken der Nacht allgegenwärtig. Fabio Biondi schafft es mit dem von ihm 1990 gegründeten und auf historischen Instrumenten spielenden Ensemble Europa Galante in Verdis Oper eine durchgehende Atmosphäre erbarmungsloser Düsternis und Trostlosigkeit zu erzeugen. Der magere und ausgedünnte Klang entspricht so ganz den hohlwangigen Frauen, wie sie der Schweizer Maler vor rund 200 Jahren als Verkörperung dunkler Ahnungen und Träume und schwarzromantischer Abgründe festhielt. Bei Biondi geraten die Hexenszenen knarzend ausdrucksvoll, geradezu geisterhaft schrecklich: ein Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Das klingt durchaus gelegentlich neu, rhythmisch präzise, in der Marcia des ersten Aktes und den orchestralen Darstellungen der Erscheinungen, die Macbeth und Banco ihre Zukunft weisen, geheimnisvoll. Doch die Düsternis lastet über dem Geschehen wie Mehltau, der Musik und den Figuren mangelt jegliche Entschlossenheit und Energie, der Aufnahme jegliche Italianità.

Die Hell-Dunkel-Effekte, die Füsslis Bildern ihre theatralischen Qualitäten geben, fehlen in dieser durchgehend trocken fahlen Wiedergabe völlig. Die Lady, das Energiezentrum der Oper, schleicht vorsichtig zur Tat. Nadja Michael singt mit ungenauer Tongebung, eiernden Koloraturen, grauem hohlem Klang, mit vagen angetippten Höhen, sie ist kurzatmig und zögerlich. Wir kennen Verdis Wünsche hinsichtlich der Besetzung der Lady. Kaum vorstellbar, dass er mit der Lady, die in der im August 2017 in Warschau entstandenen Aufnahme den Hörer das Fürchten lehrt, einverstanden gewesen wäre. Michaels Timbre ist noch immer interessant, doch bereits beim schlingernden „Or tutti sorgete“ würde man gerne weiterzappen, nach den wilden Klüften im ersten Finale ist man fast amüsiert, aber spätestens bei „Trionfai“ unwillig. Als ich erstmals die Fassung von 1847 auf der Bühne hörte, in den 1980er Jahren mit Olivia Stapp, war ich hingerissen vom Aplomb dieser großartigen Szene, die Verdi später durch „La luce langue“ ersetzte, wie u.a. auch die Cabaletta „Vada in Fiamma“ durch das Duett Lady/Macbeth „Ora di morte“. Biondi ist aufgrund ihrer stilistischen und dramatischen Kohärenz ein Verfechter dieser frühen Florentiner Fassung, die Verdi – wie auch Mussorgsky seinen Ur-„Boris“ – mit dem Tod des Titelhelden ausklingen lässt. Giovanni Meoni singt einen sehr achtbaren Macbeth. Sein heller, höhenstarker Bariton ist in den auffahrenden Passagen überzeugender als in den Momenten der Reflektion und Resignation, wo es der Stimme ein wenig an Fülle und Breite fehlt. Von den weiteren Sängern ist vor allem Fabrizio Beggis gediegen seriöser Banco zu nennen. Valentina Marghinotti ist als Dame der Lady korrekt, Giuseppe Valentino Buzza singt einen jugendlichen Macduff.. Am besten schlägt sich in dieser Aufnahme, die man schwerlich empfehlen kann, der ausgezeichnete Podlasie Opera and Philharmonic Choir.  Rolf Fath

Standard-Biographie

 

Das Offenbach-Jahr 2019 bringt auch seine Zeitgenossen erneut in den Fokus: André Messager hat gerade eine Würdigung mit der Veröffentklichung seiner Oprette Les P´tites michou beim Palazetto Bru Zane erfahren. Ein wichtiges Buch zu Messager ist Christophe Mirambeaus ultimative Biographie André Messager. Le passeur de siècle bei Actes Sud/ Palazetto, die der neuseeländische Operettenfachmann Kurt Gänzl (operalounge.de-Lesern kein Unbekannter spätestens seit seinem Kompendium über Victorianische Sängerinnen) bespricht – Dank an die Kollegen vom Operetta Research Center Amsterdam, wo seine englischsprachige Rezension im Juni 2018 erschien. Da noch keine deutsche Übersetzung des Buches in Sicht ist, bringen wir Kurt Gänzls Artikel ebenfalls in der Originalsprache, ein bisschen Bildung muss sein… G. H.

 

The Musical Theatre book of the decade. I sha’n’t gush. Well, I’ll try not to. But … I thought that it was unlikely, in this day and age, that a new book dealing with the 19th and/or 20th century musical theatre could surprise and enthuse me. I mean, it’s all been said and done, hasn’t it? Chuckle, much of it by me. But then there is the new: André Messager. Le passeur de siècle by Christophe Mirambeau.

The last time I was really grabbed by musical-theatre book, a book that really taught me something interesting and novel and wasn’t just a re-hash of told stories and opinions, was when I read John Kogel’s American Music in German Immigrant TheatreYes, that was 2009. It was sent to me for review by Kevin Clarke of the Operetta Research website and it consisted largely of a biography of Adolf Philipp, the half-forgotten ‘inventor of the American musical comedy’ (Americans don’t admit this!). Well, this week Kevin got in touch again (nine years on) with another book for me to review, and I was having a quiet, dawn-sunny (6.45 am) breakfast on my Australian seaside terrace, when bang! 500 pages (plus illustrations) landed on my desktop. Aw, gee. Tomorrow? But I peeped in, and I was lost. It’s now 5.42 pm. Eleven hours (with comfort stops). I’ve just read the entire book, cover to cover. So I shall pour a lime and gin, and tell you all about it.

The book is a biography of André Messager. Yeah. Him. Composer of ‘Trot here, trot there’? And some. And a heck of a lot of ‘some’. This new book is written by French author, Christophe Mirambeau, who has previously expended his talents on books about Luis Mariano, Barbra Streisand and Albert Willemetz. This one is in way, way up another league, even, than the Willemetz. Gold. Pure gold.

Messager is (I know now!) a wonderful subject for a biography. He begins with a success in the world of 1880s opérette, remakes himself – while carrying on a parallel career as a conductor and administrator – in the early 20th century with ‘gentille opérette’ and, all over again, after the war, with some dazzling musical comedies. He starts on a high, ends on a high … and even if there is the occasional bloop (and paramour) in between, well, everyone has them, and that makes for an interesting story, too.

And that’s what this book is: an enthralling story, set in a period and place in the world’s musical theatre which has largely missed proper coverage and investigation up to now. The tale of our man is peopled by such colleagues and friends as Fauré, Saint-Saëns, Massenet, Pierné, d’Indy (to drop but a few musical names) not to mention, latterly, the great Willemetz and Christiné, as we follow him through forty years of Parisian (mostly) musical history, with all its in-fighting, jiggery-pokery, cabals and ‘immorality’ …

Now, I know this era pretty well. I’ve splashed around in this Parisian music and theatre milieu for many, many years. And I’ve written quite a lot about some of its characters. But nothing like this!

Neu beim Palazzetto: Messagers Operette „Les p´tites Michou“

This is a seminal and will-be-standard book. It will be – it must be – translated into German, Japanese and English (it’s written in French) – it is a classic biography and also a picture of an opérettic era that (as far as I know) has not ever been thoroughly covered anywhere else. And with some great pictures!

I promised I wouldn’t gush, so here are my thoughts on modern (theatrical) biography. And you can fit this one in, on the scale, where it you seems fit.

My opinion. At the two ends of the biographer scale, it seems, we have two ‘styles’. Firstly, what I call the academic thesis. ‘Well, I didn’t know much about him/her at the start, but I researched (other people’s often incorrect books?) and I got my degree and the University press published it! This works fine, sometimes: see Mr Koger. Mostly, it doesn’t, and I don’t like it. The authors don’t know the milieu, names of supporting characters in the Life are chucked about mindlessly, it’s a biography without a background. But with copious footnotes … argggghhhhh! (‘It’s not my fault if it’s wrong, someone else said it first’, ‘primary sources … what are they?’).

On my own very first book (2 volumes), my editor said to me: ‘if it’s not worth putting in the text, leave it out, if it is of interest, put it in the text body.’ I have mostly followed his wise words for forty years. Footnotes are a whacker’s way out.

At the other end of the scale, there is the non-academic. The person who has just immersed themselves in the time and period on which they are writing. This person knows who all those subsidiary folk are, and can hopefully tell us, if it is relevant, in a phrase. And such people know the flavor of the era, the feeling, as well as the facts …   Enough, you can tell from which side I am coming!

Anyway, all this to say that Mons Mirambeau has pretty well achieved the impossible here. He has encompassed both ends of the scale.

Der Autor Kurt Gänzl/ OBA

However – I know it’s the French way, but – I would have cut the footnotes in this book very, very largely. We don’t need biographical data of well-known folk detailed in footnotes. This is not a reference book. If you feel you must quote source, do it in text. Because all those footnotes (on one page there are two lines of text – shades of Louis Schneider! – and all the rest bloody footnotes) break up your great story, and murder the flow of your engaging writing … I just skipped them. Mons. Christophe Mirambeau, sir, thanks for a grand day. Great read! Great adventure! Great book. What next? Without French footnotes please! Kurt Gänzl/ Operetta Research Cente Amsterdam

 

To order the book via the publisher Palazetto Bru Zane, click here. Palazetto Bru Zane is in the process of recording various Messager/Foto Wiki works and releasing them on CD and DVD. Christophe Mirambeau’s Messager biography is part of this project. André Messager. Le passeur de siècleChristophe Mirambeau; Collection : Actes Sud / Palazzetto Bru Zane; 512 pages | ISBN 978-2-330-10264-7 | 2018; Livre en français

Filigrane Durchsichtigkeit

 

Die renommierte katalanische Barock-Interpretin Núria Rial zählt erklärermaßen Luigi Boccherinis Stabat Mater zu ihren favorisierten Kompositionen. Umso erfreuter war sie, im April des vergangenen Jahres die Gelegenheit zu bekommen, das 1781 geschriebene Werk für Coviello CLASSICS aufnehmen zu können (COV 91813). Mit dem orchester le phénix hat sie ein kompetentes Ensemble zur Seite, das mit delikatem Spiel von filigraner Durchsichtigkeit aufwartet.

Boccherini, gefeierter Cellist und Komponist, verbrachte den größten Teil seines Lebens am königlichen Hof von Madrid. Schwerpunkt seines Schaffens war die Kammermusik, doch dehnte er das Spektrum bis zur geistlichen Vokalmusik und Sinfonik aus. Das Stabat Mater setzte er zunächst für Sopran und ein Streichquartett mit zusätzlicher Bassstimme, ca. zwanzig Jahre später arrangierte er es für drei Singstimmen und ein größeres Streichorchester. Für die  vorliegende Aufnahme wählten die Produzenten einen Mittelweg mit  nur einer Solistin und mehrfach besetzten Streichern.

Das Werk ist in elf Teile gegliedert und bietet eine Fülle an Melodien und eine reiche Farbpalette. Trotz der schmerzlichen Trauer dominiert die hoffnungsvolle Nächstenliebe. Mit ihrem noblen, klaren Sopran ist Núria Rial dafür eine ideale Interpretin. Von getragenem Ernst erfüllt ist der Eingangssatz „Stabat mater dolorosa“, den die Sängerin mit  dem Ausdruck von Traurigkeit und Leid wiedergibt. Im „ Quae moerebat“ gewinnt die Stimme an Leuchtkraft und Jubel. Koloraturen geben „Pro peccatis“ einen fast opernhaften Anstrich – Rial meistert sie makellos. „Eja mater“ ist ein Stück, in welchem die kristallklare Stimme der Sängerin und ihr beseelter Ausdruck zu schönster Wirkung kommen. Inbrünstige Sehnsucht, die Leiden mit Christi zu teilen, bestimmen die nächsten Teile. Die Stimme schwingt sich hier oft in exponierte Höhen auf, doch nie lässt die Sopranistin schrille Töne hören. Stets bleibt die Stimme leuchtend und gerundet. Der letzte Satz, „Quando corpus“, endet nach introvertiertem Beginn mit fahlen Akkorden der Streicher ganz verhalten – kein jubelndes, sondern ein nachdenkliches, fragendes „Amen“ ist da zu vernehmen.

 

Das Programm der CD wird ergänzt durch die Sinfonia in D-Dur – ein Frühwerk des Komponisten von 1767 in vier kurzen Sätzen. Es zählt zu den ersten Versuchen Boccherinis, sich mit der größeren Form auseinanderzusetzen. Sein Charakter wird geprägt von eingängigen Melodien und ist dem frühklassischen neapolitanischen Stil verpflichtet. Dem bewegten, stürmischen Allegro folgt ein delikates Andante. Der dritte Satz ist unterteilt in Menuetto primo und Trio – ersteres scheint mit seinen Hörnern ein munteres Jagdsignal zu sein. Das abschließende Presto ist das kürzeste Stück – ein Wirbel, in welchem noch einmal die Hörner brillant auftrumpfen. Mit feinsinnigem Musizieren erweist sich das orchester le phénix nochmals als stilistisch versierter Klangkörper. Bernd Hoppe