Archiv für den Monat: August 2018

Grosse kleine Kunst

 

Auf ihrem eigenen Label bringt die Wigmore Hall ein Recital mit der renommierten italienischen Sopranistin Anna Caterina Antonacci heraus (WHLive0054). Aus dem Jahre 2011 stammt dieser Live-Mitschnitt mit dem Titel „L’ alba separa dalla luce l’ombra“, der einer Liedgruppe von Tosti entnommen ist. Diese Quattro canzoni d’Amaranta, komponiert 1907, bilden den zweiten Programmschwerpunkt. Der ernste, bedrückende Auftakt mit starker Steigerung („Lasciami“) zeigt die expressive Gestaltungskraft der Sängerin, die folgende Titel-Canzone mit ihrem leidenschaftlichen Aufschwung führt die Sopranistin  an Grenzen und zeigt auch eine gewisse Freizügigkeit in der Intonation. „In van preghi“ und „Che dici“ werden in ihrem introvertierten Charakter dagegen ohne Probleme bewältigt.

Eröffnet wird der Abend mit fünf Chansons en dialecte vénetien von Reynaldo Hahn aus dessen 1901 entstandener Sammlung Venezia. Im ersten, „Sopra l’ acqua indormenzada“, und zweiten, „La barcheta“, erklingt die Stimme reizvoll verschattet und in sanfter Melancholie. Von delikater Koketterie erfüllt sind „L’ avertimento“ und „La biondina in gondoleta“, während das abschließende „Che peca!“ resolute Töne hören lässt.

Danach gibt es einen bunten Reigen von italienischen Kompositionen, die drei Jahrhunderte umspannen. Das älteste Stück ist Cestis „Intorno  all’ idol mio“ von 1656, womit die Sängerin an ihre bedeutende Interpretation der Monteverdischen Poppea erinnert, das jüngste Refices „Ombra di nube“ von 1935, das in seiner verhangenen Stimmung den Schatten einer Wolke suggeriert. Drei Titel stammen aus der Feder Cileas („Serenata“, „Nel ridestarmi”,Non ti voglio amar“) und werden in feinen Schattierungen zu Gehör gebracht. Lediglich in der exponierten Lage gibt es herbere Momente. Mit Respighis „Sopra un’ aria antica“ endet das offizielle Programm, aber mit ihrem Encore, dem populären „Marecchiare“, kehrt die Solistin noch einmal zu Tosti zurück und lässt den Abend in fröhlicher neapolitanischer Stimmung ausklingen.

Auch dieser Auftritt bestätigt  den Ruf der Sängerin als eine der vielseitigsten Sopranistinnen unserer Zeit, in deren Repertoire sich so gegensätzliche Partien wie Cassandre, Carmen. Medea und La Femme in Poulencs La Voix humaine finden. Zuverlässig begleitet von Donald Sulzen am Flügel, führt sie das begeisterte Publikum auf eine abwechslungsreiche Reise durch die Landschaft italienischen Liedgutes. Bernd Hoppe

Wiederbelebter Kassenschlager

 

Nicht alle großen Kassenschlager der Oper haben die Zeiten überlebt, manche einstigen Dauerbrenner sind vergessen worden. Doch zuweilen graben kleine Theater oder Festivals sie aus. Genau das ist geschehen mit einer alten Lieblingsoper der Italiener: Che Originali! („Was für Originale!“). Der Livemitschnitt vom Donizetti-Festival in Bergamo in der Edition von Chiara Bertini der Fondazione Donizetti von 2017 ist nun beim Label Dynamic zu haben (optisch auch als DVD in der Regie von Roberto Catalono und der sehr bunten Ausstattung von Emanuele Sinsi/Ilaria Ariemme; angekoppelt ist wie auch auf der CD Donizettis selten gespielter Pigmalione in der Edition von Alessandro Murzi mit Antonio Siragusa und Aya Wakizono in den beiden Gesangspartien).

Ein Donizetti-Festival-Mitschnitt aus Bergamo vom Mayr? Warum nicht! Mayr hat nun wirklich alle Berechtigung, dort gespielt zu werden. Er war Donizettis Lehrer und hat in Bergamo gewohnt. Mayr, als junger bayrischer Illuminat auf der Flucht in Italien ankernd, hat zwar nicht die italienische Politik subversiv untergraben, wohl aber die Operntradition. Genau genommen hat er keinen Stein auf dem anderen gelassen und das 19. Opernjahrhundert in Italien mit einem Paukenschlag eröffnet.

Auch wenn Che Originali! schon die vierte Mayr-Buffa ist, war sie doch die erste mit durchschlagendem internationalem Erfolg. Mayr nimmt hier den musikalischen Dilettantismus aufs Korn. Ein Adliger, der völlig besessen ist von Musik, kein anderes Thema kennt und seine beiden Töchter dazu zwingt, den ganzen Tag Musik zu machen – das bietet Gelegenheit zu bitterbösen Seitenhieben auf den damaligen Musikbetrieb. Ein sehr lustiges Stück, das auch heute noch Spaß macht. Und die Strukturierung der Nummern ist extrem vorausweisend!

Mayr hat hier bereits 1798 mit seinem Librettisten Gaetano Rossi so etwas kreiert wie die erste moderne Opera Buffa des 19. Jahrhunderts. Der Librettist war später auch immer zur Stelle, wenn es darum ging, Rossinis frühe bahnbrechende Visionen umzusetzen. Sowohl Rossinis erste Komische Oper stammt aus der Feder Rossis als auch Tancredi.
Che Originali! ist erst Rossis zweites Libretto, doch das Team Mayr & Rossi hat hier erstmals eine Art Werkstatt ausgerüstet, die bald extrem erfolgreich sein sollte – etwa 20 Opern haben die beiden zusammen ausgeheckt. Hier ist zum ersten Mal ausgeprägt der typische Buffa-Stil zu hören, den wir von Rossini her kennen.

Sympathisch und idiomatisch umgesetzt: Ich habe erst vor kurzem eine andere Produktion dieser Provenienz ziemlich verrissen, aber hier ist dann doch erfreulich viel erfolgreich. Die Aufschrift World Premiere Recording ist genaugenommen falsch, denn es gibt bereits Aufnahmen mit diesem Titel. Tatsächlich kann man hier von der ersten wirklich ernstzunehmenden Umsetzung auf CD sprechen.

Auch als DVD: Mayrs Buffa „Che Originali“ und Donizettis „Pigmalione“ aus Bergamo 2017 bei Dynamic (37811)

Die Ersteinspielung von 1999 unter Franz Hauk (nun bei Guild) hatte sich vor allem Münchner Gesangsstudenten bedient, die aber dem Werk nicht gerecht werden konnten. Das ist eben kein unkompliziertes Singspiel, das ist schon anspruchsvollster Belcanto. Und selbst jetzt, da viele Profis dabei sind wie Bruno di Simone oder die großartige Mezzosopranistin Chiara Amaru, spürt man, dass die Sänger an ihre Grenzen kommen.

Angela Nisi als Donna Rosina hat zwar nur eine große Koloraturarie, aber die setzt sie leider in den Sand. Das ist natürlich schmerzlich, einer der wenigen Momente dieser Aufnahme, in denen man die Stirn dann doch in Falten legt. Aber vielleicht fällt das gerade deswegen so unangenehm auf, weil sonst fast alles perfekt ist. Sogar die extrem schwierige Rolle des Don Caralino (schon ein kleiner Almavia) ist hier mit Leonardo Cortellazzi zumindest so fachgerecht besetzt, dass man ahnt, wie das ganze vom Komponisten gemeint ist.

Gianluca Capuano hält sein Ensemble gut zusammen, was bei diesen Buffe ja extrem wichtig ist, denn dieser Teamgeist, die Freude an der albernen Handlung, den grotesken Figuren muss mit dabei sein, wenn wir uns auch freuen sollen. Hier sind ausschließlich Italiener auf der Bühne, die sich im doppelten Sinne verstehen – sprachlich und untereinander (Johann Simon Mayr: Che Originali!; mit Bruno de Simone, Chiara Amaru, Leonardo Cortellazzi, Angela Nisi; Accademia Teatro alla Scala Orchestra; Gianluca Capuano; Dynamic, 2 CD CDS 7811.02)Matthias Käther

Sempre le donne…

 

Eines rennomierten Fürsprechers kann sich das gerade erschienene Buch Le donne di Gioachino Rossini von Roberta Pedrotti, bekannt auch durch ihre Beiträge in L’ape musicale rühmen. Kein Geringerer als Gianfranco Mariotti, Leiter der Rossini-Festspiele in Pesaro, hat das Vorwort zu ihrem Werk geschrieben, dessen Untertitel fast schon feministisch „Nate per vincere e regnar“ lautet. Bereits als Dreizehnjährige war die Autorin durch ihre engagierten und kenntnisreichen Beiträge in Leserbriefen aufgefallen, es hatte sich ein reger Briefwechsel zwischen Pedrotti und Mariotti entwickelt und eine Freundschaft, die auch heute noch Bestand hat.

Im ersten Kapitel des Buches geht es allerdings zunächst um Kastraten, die Frauenrollen singend durch ihre imposante Erscheinung auf sich aufmerksam machten, denn ihre Knochen wurden durch die Kastration zu längerem Wachstum angeregt. So dominierten Frauen, zwar von Männern gesungen, schon einmal optisch noch zu Rossinis Zeiten die Bühne. Ob allerdings das einer der Gründe dafür ist, dass auch von Frauen gesungen das weibliche Geschlecht sich auf der Rossini-Bühne heldenhaft schlägt, darf angezweifelt werden, nicht aber dass es bei ihm zwei Archetypen von Heldinnen gibt: die majestätische Frau und das unschuldige Mädchen. Und ein Rätsel wird gelöst: Rossini schreibt seinen Vornamen selbst mal mit einem, mal mit zwei C, wobei zunehmend die erste Schreibweise dominierte.

Vom Einfluss der Mutter, der Verstrickung in Politisches, den Musen, d.h. den Sängerinnen, denen der Komponist seine Rollen auf die Stimmbänder schreibt, wird berichtet, wobei natürlich die erste Gattin, Isabella Colbran eine besondere Rolle spielt, auf deren nachlassendes Stimmpotential er bei der Kreierung der Semiramide Rücksicht nehmen musste.

An erster Stelle stehen jedoch die fünf Farsen, die Rossini für Venedig komponiert und in denen samt und sonders die Frauen, zwei davon verheiratet und damit sessualmente attiva, die Handlung vorantreiben.

Spätestens hier wird eine Schwäche des Buches sichtbar, in dem seitenweise aus den Libretti zitiert wird, aber nicht eine einzige Note, es sei denn als Schmuckelement, zu sehen ist, auch in nur extrem wenigen Fällen, so wenn ein Tonartwechsel angeführt wird, die Musik überhaupt erwähnt wird. So handelt es sich eigentlich nicht um Rossinis Frauen, sondern um die des jeweiligen Librettisten. Dabei wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den Charakter der jeweiligen Person auch verbunden mit deren Musik zu erklären, selbst in den recht komischen Fällen, in denen ein und dieselbe Melodie höchst unterschiedlichen Charakteren zugeordnet wird. Das Buch liest sich also eher als eines einer Literaturwissenschaftlerin als einer Musikologin.

Das Kapitel Tre donne per Maria Marcolini, eine Primadonna und berühmte Altistin, die gern Frauen, die sich als Männer verkleiden, spielte,  befasst sich dementsprechend mit  L’equivoco stravagante und La pietra di paragone, aber auch mit L’italiana in Algeri, wo Isabella immerhin die Frauen zur Emanzipation aufruft. Hier wie an vielen anderen Stellen zitiert Pedrotti aus Stendhals Vie de Rossini.

Interessant ist der Vergleich der Rosine von Rossini, Paisiello und Beaumarchais, allerdings auch wieder nur der Libretti bzw. des Schauspiels, nicht die jeweilige musikalische Gestaltung der Partie, die wohl nicht die Sympathie der Autorin genießt. Eher gelingt das Angelina, die selbst die Initiative ergreift und nicht nur ihren Schuh verliert, oder von Ninetta, die ihrem Vater das Leben rettet.

Viel gibt das Kapitel Figli (aber eher figlie), madri e spose her, dessen Brisanz die Autorin auf den Wandel im Erbrecht zurückführt. Selbst wenn Frauen auf der Verliererstraße zu sein scheinen, sind sie die eigentlich Überlegenen, so Desdemona (in der Version ohne lieto fine), wenn sie Otello auffordert: „Uccidimi, t’affretta!“ oder Zelmira und Amenaide, deren Heldentum im Schweigen besteht.

Relativ spät taucht die erste Königin in einer Komposition Rossinis auf, oft sind die Herrscherinnen zugleich guerriere, Fidelio-nah ist Dorliska, zur Revolutionären wird Mathilde in der Vertonung von Schillers Wilhelm Tell, der zum Vergleich herangezogen wird.

Eine Sonderstellung nimmt Il viaggio a Reims ein, in dem alle damals verfügbaren Stimmtypen in einem Werk miteinander vereint sind – und zugleich die wichtigsten Frauentypen, an der Spitze Corinna als „ideale kosmopolitische Figur eines vereinten Europa“.

Es gibt zwar kein Register, wohl aber am Schluss des Buches kurze Inhaltsangaben aller Rossini-Opern. Das Buch liest sich gut, gibt manche Anregung, enttäuscht aber durch das fast völlige Fehlen einer musikalischen Analyse. (Verlag Odoya 2018, 412 Seiten, ISBN 978 88 6288466 2/ Foto oben: Maria Malibran als Desdemona in Rossinis „Otello“/Bouchot/OBA ). Ingrid Wanja      

OPERNHAFT SAKRAL

 

Es gibt keinen Mangel an Einspielungen des beliebten Gloria RV589 von Antonio Vivaldi. Und doch ist es ähnlich wie bei Pergolesis Stabat Mater reizvoll, verschiedene Interpretationen zu kennen und zu vergleichen, denn beide Werke vereinen Sakralmusik, deren Theatralik opernhaft wirkt und bei der die Interpreten vor der Frage stehen, ob und wie sie Kontemplation und religiöse Inbrunst in weltliche Leidenschaft und Begeisterung sowie Zeremonie in Show übersetzen sollen. Vivaldi komponierte für jede Textpassage des Gloria einen eigenständigen Satz und schuf damit ein wunderbar melodiöses Werk, das hinsichtlich Affekten, Tempo, Tonarten, Metrik und Orchestrierung starke Kontraste zeigte. Dirigent Diego Fasolis steht als renommierter Experte für individuelle Ansätze, seine neue Vivaldi-Aufnahme ist beredt, eingänglich und stets anregend, ohne aufregend oder überraschend zu klingen. Die 25 Musiker seines Ensembles I Barocchisti spielen einen direkten, zupackenden Vivaldi – flink, ohne über die Maßen forsch zu sein, bspw. sehr schön in der melodiös ausgekosteten Einleitung mit Laute und Oboe zu „Domine Deus, Rex coelestis“. Es handelt sich um eine Studioaufnahme vom Juli und November 2016, der Detailreichtum bewegt sich im üblichen Rahmen guter Aufnahmen. Der Coro della Radiotelevisione Svizzera zeigt eine ansprechende Leistung, bspw. im spirituell hoffenden, von Traurigkeit durchzogenen „Et in terra pax“ oder dem lobpreisenden „Cum Sancto Spiritu“. Das Zugpferd der Neuaufnahme sind allerdings zwei Stars der Barockszene, die vor allem für virtuosen, ornamentierten sowie farbenreichen, ausdrucksstarken Gesang stehen und sich hier quasi einen stimmartistischen Wettbewerb bieten. Die junge Julia Lezhneva kann ganz schlicht klingen, um dann wieder bravourös zu jubilieren, sie kann in schattiertem Ausdruck flehen und ist dann wieder engelsgleich entrückt. Neben der solistischen Partie im Gloria singt sie noch das Nulla in mundo pax sincera RV 630, eine von ca. zwanzig erhaltenen Solo-Motetten Vivaldis. Es wirkt mit seinen Kontrasten ebenfalls opernhaft, beginnt friedlich, entwickelt sich bangend und strebend, um letztendlich bei der instrumental konzipierten Gesangslinie des Alleluia stimmartistisch alles zu fordern. Franco Fagioli singt auf der Höhe seiner Kunst: flexibel und agil, mit sicherer Höhe mit farbigem Fundament und seinem typisch individuellen Timbre. Das „Agnus Die“ ist gequält, das „Qui sedes ad dexteram Patris“ markant. Beide Stimmvirtuosen harmonieren und ergänzen sich im Duett „Laudamus te“. Fagioli übernimmt zusätzlich das Nisi Dominus RV607 – ein Psalm für die Marienvesper und ebenfalls mit deutlicher Dramatik mit einem von Fagioli gottesfürchtig beklommen „Cum Derit“, einem schwebenden „Gloria Patri, et Filio“ und dem kompliziert koloraturreichen „Amen“. Eine gute und ergänzende Aufnahme, die vor allem für Fans der beteiligten Künstler attraktiv ist (Decca 8125547). Marcus Budwitius