Peitschenhiebe auf dem Felsen

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Sie sang so gut wie alles. Von der Königin der Nacht in der Zauberflöte bis hin zur Elektra, Salome, Brünnhilde und Ortrud. Dazwischen Lulu, Marschallin im Rosenkavalier, Butterfly, Tosca, Lady Macbeth und die Maria in Wozzeck. Die Rede ist von der Schwedin Laila Andersson-Palme, Jahrgang 1941. Palme im Doppelnamen rührt von ihrer Ehe mit dem renommierten Schauspieler Ulf Palme (1920 bis 1993) her. In allen Sopranlagen unterwegs, gilt sie als eine der vielseitigsten Sängerinnen ihrer Generation. Sterling, das 1980 in Stockholm gegründete Label, zeichnet ihre erfolgreiche Karriere mit immer neuen Tondokumenten nach. Das ist außerordentlich verdienstvoll. Offizielle Aufnahmen sind nämlich rar. Es wird auf Mitschnitte aus verschiedenen Ländern zurückgegriffen. Sie vermitteln von dieser temperamentvollen und spontanen Künstlerin den vielleicht besseren Eindruck. Es fällt schwer, sie sich vor einem Studiomikrophon vorzustellen. Sie brauchte die Bühne, um ihre hochdramatisches Talent zur Geltung zu bringen.

Laila Andersson-Palme / Wikipedia

Eine komplette Walküre aus dem Opernhaus der dänischen Stadt Aarhus von 1987 präsentiert die neuesten Box (CDA 1870, 1871, 1872). Am Klang in bestem Stereo ist nicht zu deuteln. Francesco Cristofoli entfesselt am Pult des Aarhus Symphony Orchestra Wagners Musikdrama in voller Pracht zwischen feinsten lyrischen Verästelungen und tosendem Sturm. Die Streicher sind sein Fundament. Es stellt sich die Frage, warum dieser dänische Dirigent, der bei Sergiu Celibidache studiert hatte und 2004 gestorben ist, außerhalb seines Heimatlandes weitgehend unbekannt blieb und so gut wie keine Platten einspielte. Er führt die Sänger sicher durch das anspruchsvolle Werk, lässt ihnen stets den Vortritt, deckt sie nie zu und dreht nur dann gehörig auf, wenn die Stimmen schweigen.

Laila Andersson-Palme ist die Brünnhilde, Lisbeth Balslev die Sieglinde. Seit sie 1978 in Bayreuth als Senta in der Harry-Kupfer-Inszenierung des Fliegenden Holländer auch international bekannt wurde, gehörte Wagner zu ihren zentralen Komponisten, den sie mit herber Stimme eindrucksvoll zu gestalten wusste. Bis auf die groß besetzte Ballade Elverskud von Niels Gade wurde sie für Studioaufnahmen nicht herangezogen. Nach Aarhus kehrte Lisbeth Balslev in den 1990er Jahren zurück, um im Ring diesmal die Brünnhilde zu singen, wovon sich ebenfalls ein Mitschnitt erhalten hat. Mit Sven-Olof Eliasson war ihr als Siegmund ein Tenor zur Seite, der vor allem durch seine Mitwirkung im Studio-Monteverdi-Zyklus von Nikolaus Harnoncourt (Ulisse und L’Humana fragilità) für Telefunken aus dem Jahr 1971 in Erinnerung geblieben ist. Vielseitigkeit war sein Markenzeichen. Er versieht Wagner mit leichten lyrischen Facetten und verkörpert so ehr das Gegenteil eines klassischen schweren Heldentenors. Was bei ihm auffällt, gilt so auch für alle Mitwirkenden – sie singen außerordentlich wortdeutlich. Und nicht nur das. Sie bringen auch das Wissen um die Rollen und die jeweiligen dramatischen Situationen des Handlungsverkaufs ein. In Arhus wird Wagner vom feinsten geboten.

Das Finale auf dem Walküren-Felsen mit Leif Roar als Wotan ist bereits aus einem anderen Sterling-Album (CDA 1837/1838-2) bekannt. Im Zusammenhang wiedergehört, bleibt es der Höhepunkt der spannungsgeladenen Aufführung, dem alles zuzustreben scheint. Laila Andersson-Palme gibt eine außerordentlich entschlossene Brünnhilde, die ihre stählerne Höhe heftig  gegen den zornigen Göttervater einsetzt wie Peitschen. „Was hast Du erdacht, das ich erdulde?“ Atemlos und gehetzt wirft sie die Frage hin und kommt damit der Wahrheit des Moments allein durch Ausdruck nahe – und nicht durch Schöngesang. Rüdiger Winter