Anneliese Rothenberger lächelt fort

Die neue Namensgebung ist etwas verwirrend. Erst Electrola Connection, jetzt Cologne Collection. Nach der Übernahme der EMI durch Warner Classics nimmt sich der neue Hausherr Zeit, für die Vermarktung der alten Produkte des Tochterunternehmens Electrola das passende neue Spartenetikett zu finden. Nun also Cologne Collection! Damit ist zumindest ein lokaler Bezug aufgetan, weil das 1925 in Berlin gegründete legendäre Label Electrola seinen Firmensitz 1952 nach Köln verlegte. Fortan wurden am Maarweg 149 Aufnahmen geplant und konzipiert. Ein neues Aufnahmestudio mit allen technischen Erfordernissen der Zeit stand von 1956 an zur Verfügung – vornehmlich für die Schlagerbranche. Die großen Titel wurden in der Regel dort produziert, wo die Klangkörper beheimatet sind.

Ob nun unter diesem oder jenem Markenzeichen, die Aufnahmen bleiben immer die gleichen. Wiedererkennungswert ist auch dadurch garantiert, dass die ursprünglichen LP-Cover im Geschmack der Zeit in leichter Schräglage auf den neuen Ausgaben erscheinen. Da lächelt sie uns wieder entgegen, die Anneliese Rothenberger. Sie gab der Electrola über Jahre ein Gesicht und wurde sogar für die Einspielung der Schauspielmusik Rosamunde von Franz Schubert mit Chor und Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Robert Heger bemüht, obwohl es für sie nur die kurze Romanze „Der Vollmond strahlt“ zu singen gibt (5054196055424). Diese klingt anrührend und stellt die Verknüpfung her zu sieben Liedern des Komponisten, die den Bonus bilden, damit die CD voll wird. „Die Forelle“, „Gretchen am Spinnrad“, „Nähe des Geliebten“, „Der Hirt auf dem Felsen“ etc. Neuigkeiten sind nicht darunter, alle Titel wurden bereits in anderen Kompilationen verbreitet. Der Wert dieser CD besteht vor allem darin, dass die Musik zu dem unspielbaren Stück der Euryanthe-Librettistin Helmina von Chézy erstmals komplett auf Platte kam und sich als eigenständiges Werk behaupten konnte. Rosamunde ist also mehr als die oft gespielte Ouvertüre, die nicht einmal das Original darstellt, sondern dem Singspiel Die Zauberharfe entlehnt ist. Bei der Uraufführung 1823 in Wien war die Ouvertüre der Oper Alfonso und Estrella, die noch in der Schublade lag, vorangestellt. In seiner kompletten Einspielung der Schubert-Ouvertüren hat das Label Naxos dankenswerter Weise diese Tatsache auch editorisch deutlich gemacht.

MessiasAnfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wetteiferten Dirigenten und Labels um Einspielungen der Bearbeitung des Messias von Händel durch Mozart. EMI wollte da nicht fehlen und steuerte eine besonders schlanke Fassung mit der Rheinischen Kantorei / Das kleine Konzert, geleitet von Hermann Max bei, die nun aus dem Archiv geholt wurde (5054196055523). Solisten sind Monika Frimmer, Mechthild Georg, Christoph Prégardien und Stephan Schreckenberger. Die Aufnahme klingt merkwürdig uneinheitlich, mal federnd, in Teilen wie hingehaucht und schließlich auch wieder robust auftrumpfend. So entsteht der Eindruck, als würde der originale Händel nach den Regeln der historischen Aufführungspraxis gespielt und nicht als Bearbeitung von Mozart, der das Werk dem Geschmack seiner Zeit anpassen wollte. Mit Helmuth Rilling (Hänssler Classic), Charles Mackerras (Archiv Produktion), Michel Corboz (Erato) und dieser Wiederveröffentlichung sind nunmehr mindestens vier verschiedene Produktionen der Mozart-Fassung auf dem Markt.

VerkündigungAls Mitschnitt einer Aufführung in der Kölner Philharmonie vom 4. März 1992 wurde Verkündigung, ein Mysterium von Walter Braunfels in vier Aufzügen und einem Vorspiel in den Katalog aufgenommen (5054196055325). Es entstand zwischen 1934 und 1937, nachdem Braunfeld als Halbjude von den Nationalsozialisten seines Amtes als Direktor der Musikhochschule in Köln beraubt worden war. Die Textvorlage ist das stark gekürzte Schauspiel „L’Annonce faite à Marie“ von Paul Claudel – eine symbolträchtige Geschichte um Aussatz, Ausgestoßen sein, Einsamkeit, Schuld und Sühne. Der Tod gilt als Erlösung. Eine Geschichte also, mit der Braunfels, der geächtet in Deutschlang blieb, seiner inneren Emigration Ausdruck verlieh. Musikalisch ist das Werk konservativ gehalten, erinnert an Palestrina. Braunfels, bekennt sich wie zum Trotz als deutscher Spätromantiker zur Tradition. Dennis Russell Davis arbeitet das mit Chor und Sinfonieorchester Köln sehr eindrucksvoll heraus. Violaine, die weibliche Hauptrolle, wird von der Sopranistin Andrea Trauboth, die nicht eben gesegnet ist mit offiziellen Aufnahmen, anrührend gestaltet. John Bröcheler ist in der Geschichte ihr Verlobter, Claudia Rüggeberg die Mutter, Siegmund Nimsgern der Vater Andreas Gradherz.

BoccaccioIn Franz von Suppés Operette Boccaccio bekommt Anneliese Rothenberger einen weiteren Auftritt, diesmal als hübsche Fiametta, die sich als hoch geborene Tochter eines Herzogs herausstellt, in ihrer Liebe aber an Boccaccio, der zunächst als armer Student durch die ereignisreiche Handlung saust, festhält. Boccaccio, der Verfasser frivoler Geschichten wird zu guter Letzt gar an die Universität von Florenz berufen. Ende gut, alles gut. Handlung und Musik haben Schmiss und hohen Unterhaltungswert. Willy Boskovsky, der umtriebige Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, der seine Berühmtheit durch die von ihm dirigierten  Neujahrskonzerte errang, macht am Pult des Symphonie-Orchesters des Bayerischen Rundfunks – hier Bayerisches Symphonie-Orchester genannt – viel her. Seine Aufnahmen sind stets handfest und robust, verbreiten gute Laune. Er hat leichtes Spiel, weil die Produktion bis in der kleinen Rollen hochkarätig besetzt ist, was so nicht häufig vorkommt. Die Rothenberger singt betörend schön, bleibt aber das junge Mädchen schuldig. Hier zählt nur noch der Name, nicht die Glaubwürdigkeit. Das gilt so auch für Hermann Prey in der Rolle des Boccaccio, der viel zu jovial ist und sich ganz auf seine Professionalität verlässt. Wer ist noch unterwegs? Edda Moser als Beatrice, Adolf Dallapozza als Lotteringhi, Kari Lövas als Isabella, Gisela Litz als Peronella. Mit Kurt Böhme (Scalza) und Walter Berry (Leonetto) sind zwei weitere Schwergewichte aufgeboten. Friedrich Lenz kann mit seinem berühmten Couplet „Um des Fürsten Zorn zu meiden“ punkten (5054196055226).

FriederikeEs braucht viel Enthusiasmus für Franz Lehár und das Genre Operette als solches, um bei Friederike durchzuhalten. Hintergrund ist die Affäre des jungen Goethe mit der siebzehn Jahre alten Pfarrerstochter Friederike Brion aus dem Elsass. Goethe hat in diversen Äußerungen den Speck für die seichte Handlung selbst ausgelegt. Mit Biographik hat das aber nichts zu tun. Goethe wird zur Unterhaltungsfigur für das klassische Operettenpublikum, das den Faust häufig im Schrank, aber selten gelesen hatte, zurecht geschnitzt. So etwas hat Tradition und gibt es bis heute im Fernsehen und im Kino. Anschließend wiegt sich das Publikum in der irrigen Annahme, „seinen Goethe“ zu kennen. Aus Goethe kann getrost auch Schiller werden, Mozart oder Thomas Mann, dessen späte Jahre, verfilmt mit Armin Mueller-Stahl, in Wahrheit kaum etwas anderes sind als Friederike. Eine Melange aus Fakten zur Projektion. Weg zum Original, hin zum Abbild. Musikalisch ist auch diese Operette, die der Komponist als Singspiel verstanden wissen wollte, wie immer gut gearbeitet. Und es gibt mit „O Mädchen, mein Mädchen“ zumindest einen der berühmten Tenor-Hits. Schließlich spielte bei der Uraufführung 1928 Richard Tauber den jungen Goethe. Adolf Dallapozza kann zwar nicht mit dessen berühmten Schmelz aufwarten, sein schön geführter Tenor ist dafür glaubhafter, so man sich denn auf die Geschichte einlässt. Helen Donath macht als Friedericke auf kleines Mädchen. Je stärker sie diese Vorstellung forciert, umso reifer klingt sie. Ihre vierzig Jahre zur Zeit der Aufnahme sind nicht zu überhören, spätestens in den Dialogen nicht. Damit ist nichts gegen diese bedeutende Künstlerin gesagt, die hier nur fehlbesetzt ist. Wir hören Marschallin, nicht die Pfarrerstochter. Dennoch hat diese Aufnahme mit dem von Heinz Wallberg geleiteten Münchner Rundfunkorchester dokumentarischen Wert (5054196055127). Sie galt 1981 als komplette Ersteinspielung und brachte den beiden Solisten großes Lob ein. Der hält eben nicht immer vor.

Rüdiger Winter