Die Uraufführung des Andreas Hofer und die seltene Wiederaufnahme des Weihnachtsabend im tapferen Eduard-von-Winterstein-Theater zu Annaberg-Buchholz im Dezember 2014 beschreiben genau die Lage des einst so vielverbreiteten, für ganze Generationen als erz-deutsch geltenden Komponisten im heutigen Theaterbetrieb und Bewusstsein. Ganze zwei Seiten nimmt der Komponist Albert Lortzing mit seinen offiziellen Aufnahmen im verdienstvollen Steiger-Buch ein (Operndiskographie bei Noetzel, broschiert, dann verramscht und nun bei De Gruyter zum exorbitanten Preis; Ommer hat mehr Einträge, wie auch der Blick zu Amazon zeigt, aber das Meiste dort sind die historischen Radioaufnahmen und Wiederauflagen immer Desselben). Und das ist bezeichnend für die Situation seiner Rezeption, die ihn fast nur als den heiteren, volkstümlichen, unbeschwerten Vielschreiber sieht.
Man mag sich sehr streiten (was ich durchaus würde), ob Lortzing nun der große, aber erfolglose Neuerer auf der deutschen Bühne des mittleren 19. Jahrhunderts ist (wie ihn Biografen wie Jürgen Lodemann sehen wollen), oder ob er – opportunistisch oder ökonomisch genötigt – sich dem Muckelgeschmack der Restitution in der Metternich-Ära beugen musste: Ihm haftet in unserer Einschätzung diese (klein-)bürgerliche Muffigkeit an, die holzschuhtanzend und bacculus-selig sich dem Tümelnden hingibt und darüber die unendlich vielen musikalischen Einfälle vergessen macht, die in den Soli oder Ensembles bis hin zu Wagner (Meistersinger) reichen. Auch seine erst in der späten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu Ehren gekommene Regina will mir nach ihrem wirklich eindrucksvollen Beginn des Streik-Chores in dieses Klichée zurückfallen. Der klassenkämpferische Revoluzzer ist eben doch nur ein gemeiner Bösewicht, und der nette blonde Tenor von nebenan bekommt die Tochter des patricharchischen Fabrikbesitzers („Das Volk ist eben blöd und muss vor sich selbst beschützt werden“). Eigentlich wollte ich hier nicht über die musikalische Qualität der Lortzingschen Musik diskutieren, das ist ein ander Ding. Auch nicht über Lortzing und seine Lebensumstände, die sicher Einfluss auf seine Kompositionen hatten. Aber die erneute Beschäftigung mit Lortzing hat auch meine Wertschätzung in eine Krise gestürzt, denn ich stelle nun für mich fest, dass im Gegensatrz zu Kompositionen von Weber, Marschner und vor allem auch Nicolai Lortzings Musik sich doch eher im Einzelnen erschöpft, dass sich bewunderswerte Einfälle/Instrumentationen eher wie eine locker geknüpfte Flussperlenkette durch die langatmigen und mit verheerenden Libretti versehenden Werke ziehen, denen es an dramatischer Stringenz mangelt. Die Dürftigkeit des Undine-Plots steht im krassen Gegensatz zum universell Gültigen des Freischütz oder zum Menschlich-Tragischen im Hans Heiling. Dazwischen liegen Welten, politische, phychologische und deutsche.
Insofern könnte man fast geneigt sein, die knorrig-holzschnittartigen historischen Aufnahmen in ihrer solistischen Einzelwirkung im Lortzing-Kanon fast noch für wirkungsvoller zu halten als die Stereo-breiten, die eine gewisse Armseligkeit der Handlung und der Libretto-Sprache um so greller offenbar werden lassen. Nach Anhören eben der Undine in der Capriccio-Ausgabe muss ich dies für mich – bei aller Wertschätzung der Genannten – doch leider feststellen… Lortzing ist eben nicht Weber oder Nicolai, und seinen Werken fehlt das durchgehend Schwungvolle, thematisch Verlinkte. Man erinnert sich nur an die Gassenhauer (wie das „flandrisch´ Mädchen“), nicht an die Musik als solche. Und wie bei der erwähnten Undine mit ihrer eindruckvollen Ouvertüre (deren Eröffnung an das Nonnenballett Meyerbeers erinnert) und ihrem dünnem Ballett liegt zwischen den planschenden Elementarwesen hier und der bedrohlichen Samuel-Welt dort eben „eine ganze Welt“. Lortzing bleibt doch „nur“ der Meister des Kleinen, im kleinen vielleicht Großen, der Mozart für die Provinz……
Aber zurück also zur gerne ettikettierten Komik. Selbst von seinen Buffa-Opern gibt es nicht viele Aufnahmen – Trübes auch da. Ali Pascha von 1828 hat eine CD-Aufnahme bei MDG, wird mit Kräften der NWD-Musikakademie Detmold, darunter Karl Fäth in der Titelrolle und Monika Krause als Arianna, bestritten und macht nicht viel Spaß, ist aber solide gesungen und vor allem gut ausgestattet (textlich arg beschnitten im Dialog, für den Gert Westphal 1989 sorgt). Bei Darbringhaus & Grimm kam das Ganze angekoppelt noch einmal mit Szenen aus Mozarts Leben und als Warm-up die Schauspielmusik zu Don Juan und Faust von Grabbe (1829) heraus, wiedererkennbar an der Beschäftigung von Gert Westphal als Rezitant. Es ist gut, die beiden letzteren Titel zu haben, zeigen sie auch die Gelegenheitsarbeiten Lortzings, der sein Brot verdienen musste. Mit der von mir sehr geschätzten Monika Krause, Dirk Schortemeier und anderen weiß man, dass man beim WDR und in guten Händen gelandet ist, vor allem Schortemeier hat sich ja immer um dieses Metier bemüht. Bravo!
Die beiden Schützen (Leipzig 1837) bei ex-Melodram/ Memories/nun Walhall stammen von Rundfunk in Frankfurt 1950 und leiden vielleicht unter einer rabiaten Bearbeitung, machen aber mit dem munteren Rundfunk-Dialog viel Spaß (Dialoge sind wirklich de rigeur bei diesen Opern, sie wegzulassen kastriert den Zusammenhang), zumal Max Proebstl, Karl Schmitt-Walter, Elisabeth Lindermeier und Kollegen unter Jan Koetsier wissen, was sie ihrem Lortzing-Affen als Zucker´l anbieten müssen. Mir will scheinen, dass die neuere Wieder-Übertragung in HR2 etwas länger ausfiel und vor allem auch technisch netter war als die CD-Überspielung. Die EMI-Kurzfassung des Operchens (auch kurzfristig bei cpo) ist unter Hans Wallberg gar nicht lustig: Eine Beobachtung, die sich wiederholen wird (und ganz grundsätzlich ist ja EMI nicht mehr EMI sondern nach Pleite nun bei Warner in der Warteschleife…)
Zar und Zimmermann (Leipzig 1837) gehört neben dem Wildschütz und dem Waffenschmied zu der unseligen Trias der Heiteren- Lortzing-Kost auf dem deutschen Theater der ersten 30 deutschen Nachkriegsjahre und ist selten amüsant, meist zu bodenlastig-deutsch, in jüngerer Zeit auch Material für wüste Regie-Bemühungen, die weder die Herkunft noch das unerlässliche Umfeld dieser Opern respektieren… Die antike Aufnahme von 1936 unter Bernhard Zimmermann mit Georg Hann, Margot Guillaume und Wilhelm Strienz scheint mir das Muster an „teutscher“ Humorlosigkeit und Bieder-Männlichkeit vorzugeben (Myto, Radio Years-CD u. a. zuletzt Line), die die folgenden voll übernehmen, wenngleich die DG-CD-Aufnahme von 1952 (inzwischen Naxos) zumindest in Ferdinand Leitner einen Anwalt fürs Differenzierte besitzt und die Künstler (Horst Wilhelm, Gustav Neidlinger, Elionore Junker-Giesen) sich um Munterkeit bemühen und im Miteinander echtes Theater erkennen lassen. Das gilt auch für den Querschnitt der DG mit Fischer-Dieskau, Hallstein und Fritze Wunderlich unter Hans Gierster – vielleicht ist es die Kürze, die hier Spaß macht, aber vieles klingt munterer als woanders. Nicht auf dem Eurodisc-Querschnitt mit Renate Holm, Waldemar Kmentt und Eberhard Wächter unter Franz Bauer-Theussel, wo man das Gefühl hat, die Nummern wären über Jahre verstreut aufgenommen worden. Peinlich ist der EMI (nun Warner-)-Spielopern-Versuch der Sechziger, wo die Storjohannsche Betonmischmaschiene Hermann Prey, Peter Schreier, Nicolai Gedda und Erika Köth unter Robert Heger zu (im einzelnen natürlich auch schön singenden) Dauersäulen an Bodenständigkeit und geradezu grauenhafter Bürgerlichkeit degradiert. Das mag Lortzing nahe gekommen sein, macht aber absolut keinen Spaß, dagegen ist die ältere Leitner-DG-Aufnahme geradezu frivol. Hier wird das deutsche Spießertum festgeklopft, davon hat sich die Aufnahmeszene nicht mehr erholt, wie die folgende Soundtrack-Verwertung des TV-Films unter Hans Wallberg bei DA-Records (CD) zeigt, wo nun dieselbe Spießigkeit von (der im Solistischen bezaubernde) Lucia Popp, erneut Hermann Prey, Werner Krenn und anderen festgemauert wird (1975) – als Gesamtwerk kein Vergnügen (auch nicht visuell-hollandaise nun bei Zweitausendeins Edition).
Und auch die jüngste EMI-Version des Zimmermannstums in Holland unter Heinz Fricke mit einem reschen Wolfgang Brendel, mit einem mehr als steifen Deon van der Walt, Kurt Moll (balsamisch, gewiss) und einer absolut fehlbesetzten Barbara Bonney war ein TV-Versuch und klingt auch so; nur Peter Seiffert rettet einiges, aber nicht alles. Aber es ist anzuerkennen, dass sich die deutsche Electrola/EMI und die DG doch immer wieder um deutsches Volksgut gekümmert haben, mit Sängern wie Hermann Prey als Leuchttürme darin. Da wollte auch Relief nicht abseits stehen und steuerte einen weiteren Z&Z mit Hermann Prey bei, diesmal aus Stuttgart 1959, zur Abwechslung singt die bezaubernde Irmgard Jacobeit die Marie und die üblichen Verdächtigen (Kurt Böhme et al) treten auf, Jan Koetzier dirigiert wie gewohnt fesch. Die wirklich sehr historischen Produktionen vom Rundfunk sind bei verschiedenen Firmen zu Ehren gekommen und unterstreichen für mich meine Allergie gegen Tümelndes. Walhall oder Myto haben Verdienstvolles geleistet, und Georg Hann, Margot Gripekoven (who???) oder Hubert Buchta waren ganz sicher verdienstvolle Sänger (Wilhelm Strienz????), aber 1936 ist mir einfach zu alt, und ich gehe ja auch nicht mehr als alle 10 Jahre ins paläontologische Museum, um die Dino-Skelette zu bestaunen… Da bleibt ein weites Feld offen. Freund Rüdiger Winter ist dem Antiken gütiger gewogen und schwärmt vom alten Defa-Film 1956 mit Gerhard Unger, Ingeborg Wenglor, Heinrich Pflanzl und Josef Metternich (immerhin!), gemimt von Bert Fortell, Lore Frisch oder Willy A. Kleinau (gibt’s wieder bei Icestorm), das freut sicher manchen….
Der Wildschütz von 1842 (1842) erinnert mich immer an die unglaubliche Gräfin der Martha Mödl, die im wüsten grünen Empirekleid die Griechen rezitierte und auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin ohne ein Quentchen Singstimme das Ensemble an die Wand spielte. Leider sind die verfügbaren akustischen Dokumente der Oper nicht von dieser Wirkung. Sie bleiben brav, es fehlt die Outrage, die perfide Ironie, die Autor Lodemann doch in seinem Lortzing-Buch immer wieder entdecken will. Die Einspielung von 1963 ist EMI-Ware von der erwähnten Betonqualität (Robert Heger). Anneliese Rothenberger ist die Ruth Leuwerik der deutschen Spieloper und lacht nur nach dem prüfenden Blick in den Spiegel. Gisela Litz mulscht sich durch die Gräfin, Hermann Prey nasaliert den Grafen in gewohnt zu heiterer Manier, Lotte Schädle bleibt resch-bemüht. Einzig Fritz Wunderlich adelt (wie stets recht anonym-rollenfern) einen viel zu gut gelaunten Baron (aber gut gelaunt klang W. ja eigentlich immer auf seinen Aufnahmen), und Fritz Ollendorf kehrt zu sehr als Bacculus den Buffo-Profi heraus – nee, gar nicht lustig. Bernhand Klees Bemühen um Humor ist da ungleich glücklicher (so wie seine Lustigen Weiber gegenüber der EMI-Aufnahme auch). Bei ehemals EMI, inzwischen Berlin Classics als interpolitische Zerrware, singt zwar Peter Schreier einen mehr als un-jugendlichen Baron, die Mathis bleibt steif als Baronin. Doris Soffel holt mächtig aus für die Gräfin, und mit Gottfried Hornik, Gertrud Ottenthal, Hans Sotin und Georgine Resick hat man mal die Chance, nicht immer diese ur-alten Hasen des Spielopern-Humors zu hören, und musikalisch ist das ein federnder, lockerer Wurf. Ein weitere Gesamtaufnahme (Line) vereint Anny Schlemm, Anneliese Müller, Gerhard Unger, Irmgard Arnold, Arno Schellenberg und andere unter Walter Schartner 1951 beim Rundfunk der DDR – auch hier wird gut gesungen und findet sich jene Identität der Mitwirkenden mit ihren Partien, die man später vermißt. Immerhin singt Heinz Rehfuss den Grafen auf einem inzwischen bei Walhall angekommenen Wildschütz 1954 unter Müller-Kray mit Adel und Stil, zu dem sich Franz Fehringer elegant hinzufügt und Lore Wissmann eine feine Baronin gibt – mir will unter den antiken Aufnahme auch diese mit großem Identitätsgehalt scheinen, weshalb sie meine Sammlung schmückt. Fritze W. ist auch noch auf einem Live-Wildschütz zu erleben, beim Konzert in Endiburgh 1958, wo Altmeister Ferndinand Leitner den Briten zeigt, was eine tolle deutsche Spieloper ist (Sound könnter frischer sein, aber 1958 BBC ist eben so). Lore Wissmann und die wie stets unübertroffene Hetty Plümacher wetteifern mit Karl Schmitt-Walter und der restlichen Stuttgarter Gastspiel-Besetzung bei Walhall.
Und live gibt’s auch noch einen netten Wildschütz aus Wien mit Irmgard Seefried, Waldemar Kmentt, der lustigen Hilde Rössl-Majdan unter Heinz Wallberg von 1960, ein bisschen ehern-schelmisch durchaus, aber gerade die Frauen bringen mehr an Kontur ins Spiel als üblich, und das Ganze ist opern-ernsthafter, greifbarer als sonst und keine so töricht geschlagene Schaumspeise, vielleicht liegt´s an der „Wiener Art“ (bei orfeo, aber wie kam das Foto mit dem Dirigenten hinter den Sängern im Kostüm und über dem Publikum zustande?).
Der Waffenschmied (Wien 1846) besitzt ein unglückliches Libretto (Ziegler), das kein Mensch mehr ernst nehmen kann. Die humorlose Marie der Gundula Janowitz auf dem Sechziger- DG-Querschnitt fügt eine eher damenhafte Dimension hinzu, die man normalerweise in diesem Feld nicht findet. Josef Greindl, Thomas Stewart, Sieglinde Wagner (eine mehr als vokal-spielfreudige Irmentraut!) und Martin Vantin stehen neben den Kräften des Berliner Rias unter Christoph Stepp, und es ist einfach nett, ihnen zuzuhören – eine seltene Feststellung auf diesem Feld. Die Aufnahme bei Calig ist außerordentlich entbehrlich, denn erstens tummelt sich mit John Tomlinson und Bo Skovhus (was für eine Wahl) bereits das internationale Esperanto in der deutschen Spieloper, und zweitens sind weder Ruth Ziesak noch der Rest eindringlich, nur kammersängerisch bemüht. Da rettet vor allem auch Leopold Hager nichts. Vorher gab‘ s mal wieder die EMI-Nummer mit Gisela Litz, Hermann Prey im Dauereinsatz, Kurt Böhme, Lotte Schädle (Frau Rothenberger war vielleicht nicht abkömmlich) und natürlich Fritz Wunderlich, der zu viele dieser Aufnahmen bestückt. Diesmal ist es Fritz Lehan, der (wieder mal beim Bayerischen Rundfunk) für’s Solide sorgt. Aber gelacht wird hier auch nicht, nur schelmisch geguckt – verwegen! Antikes kommt bei Myto mit Michael Bohnen, Carla Spletter & Co. vom Reichsrundfunk unter Gustav Schlemm, und das ist mit 1936 für mich um Jahrzehnte zu „paläontologisch“. „Wer keine hohen Ansprüche stellt, sollte mit dieser Aufnahme gut bedient sein. Sie ist durch die Bank solide…“, schreibt ein frecher Leser bei Amazon über den alten DDR-Querschnitt bei nunmehr Berlin Classics mit Elisabeth Ebert, Günther Leib und Harald Neukirch unter Heinz Fricke. Also ich find den auch zu schelmisch, aber netter als die EMI-Prey-Litz-Dauerware, ehrlich gesagt.
Die Opernprobe (ein Spätwerk von 1851, Frankfurt) ist ebenfalls eines jener EMI-Projekte, die Humor dokumentieren sollen und nur Erzenes bieten. 1971 dirigiert Otmar Suitner mit deutsch-schwerer Hand die Kräfte des BR (warum? er zeichnete sich doch nun wirklich nicht für dieses Fach aus), und wieder findet sich Gisela Litz neben Nicolai Gedda und (diesmal) Walter Berry (hatte Prey nun genug?), verstärkt durch Klaus Hirte, Kari Lövaas und Regina Marheinecken (eine kurze Karriere). Also, da kann man wirklich nur noch gähnen. Probe abbrechen! Munteres (wie ich das Wort hasse – es bezeichnet alles, was ich an soubrettigem Stadttheatern nicht liebe) steuert Lisa Otto auf der Walhall-Aufnahme von 1951 in Berlin bei, Fried Walter dirigiert mit rundfunkgewohnter Hand, Sonja Schöner ist als Klassesopran hier verschenkt, Helmut Krebs und Herbert Bauer steuern Regionales bei, das hat was und mehr als der spätere Nachfolger. (Aber beim Nachschauen ob der Verfügbarkeit kichere ich nun wirklich, weil ich da lese: Besuchen Sie den Walter Fried-Shop bei Amazon.de, das hat auch was!). Uff, Gottseidank fallen mir keine weiteren Opernproben-Aufnahmen ein. Ist ja auch nur ein Einakter.
Hans Sachs (Leipzig 1840) wird sehr selten aufgeführt (zuletzt 2000 in Freiberg, Hort einer gezielten und phantasievollen Lortzing-Pflege unter Intendant Ingolf Huhn, der das nun via Plauen-Döbeln in Annaberg-Buchholz fortsetzt und dem man einfach nicht genug Kränze flechten kann; davor erinnere ich mich an eine konzertante Aufführung in Berlin mit der jungen Gaby Ronge und dem von mir so geschätzten Jörn W. Wilsing unter 1983 Fritz Weise). Auf CD gibt‘ s als einzige „moderne“ Aufnahme die von 2007 aus Osnabrück bei Ars mit zumindest soliden Kräften, akustisch etwas dunkel-unbestimmt, gut ausgestattet aber strunzlangweilig. Hans Sachs ist ja nicht wirklich eine heitere Oper, sondern nun wirklich eine deutsche Spieloper mit Happy-end und braucht vor allem ein Ensemble, das die Verbindungen zwischen den Figuren trägt. Mit Ulrich Wand, Kate Radmilovic, Marlene Mild, Mark Hamman und anderen ist die sprachliche Seite mehr oder auch mal weniger überzeugend gesichert, aber im Ganzen bin ich nicht wirklich hingerissen und habe Mühe, bis zum Schluss der Live-Aufführung durchzuhalten (und ein Auszug aus einer Leserreaktion bei Amazon bestätigt meinen Eindruck: „Provinz pur. Amateurleistung von dem Dirigent…!“). Da war das bereits erwähnte Berliner Konzert mit Wilsing wesentlich spannender, und auch ein Ohr in einen Radio-Mitschnitt aus der Stadthalle Bayreuth 1983 mit der erwähnten Gaby Ronge und diesmal Rainer Weiss unter Erich Waglechner macht mehr Spaß. Selbst die barbarisch gekürzte Aufnahme von „Radio Frankenland“ 1950 (um in der Region zu bleiben) unter Max Loy macht mehr Vergnügen, denn Karl Schmidt-Walter und Friederike Sailer kennen ihr Geschäft und machen mit den Kollegen viel daraus (Walhall). Diese Nachkriegsaufnahmen haben ja was Gewisses in Sprache und Musikalität, das den späteren Versionen abgeht: Die Darsteller glauben einfach an das, was sie machen, das merkt man einem mundigen Albert Vogler ebenso an wie Max Kohl, Margot Weindl oder Karl Mikorey – es macht ihnen Vergnügen und damit auch uns! So einfach ist das.
Im „serösen“ Bereich wird’s lichter, weil Undine (Magdeburg 1845) auf Tonträgern besser weggekommen ist. Die ältere Einspielung der EMI folgt zwar dem bewährten Haus-Casting-Muster mit Prey, Schreier, Rothenberger, Frick und einer ziemlich gewöhnungsbedürftigen Berthalda von Ruth-Margaret Pütz, aber die Rothenberger fügt der Undine eine Dimension an Ernsthaftigkeit (vielleicht wie Gundel J. zuviel Damenhaftigkeit) hinzu, die der Rolle doch gut bekommt. Peter Schreier bleibt als Veit in seinem Buffo-Bereich. Robert Heger dirigiert mit weiter Hand (diesmal gewinnbringend beim Rias Berlin), einzig Gedda bleibt androgyn-kühl und wie meist außerhalb seiner Rolle: Er ist eben immer ein wirklich fabelhaft technischer Sänger und kein Gestalter gewesen, und rein klanglich weder Fisch noch Fleisch – seinen Operetten-Helden fehlen die cohones, pardon. Die Capriccio-Aufnahme ist für mich die Alternative: Hier stimmt vieles, und es findet sich auch das gekürzte Ballett am Hofe Berthaldas (aber was für eine abenteuerliche Dramaturgie herrscht da doch bei Lortzing…). Monika Krause hatte 1990 eine schöne deutsche, etwas unruhige Stimme voller jugendlicher Dramatik, voller Aplomb, voller Melancholie und ist bis heute ideal für die Rolle der Undine. Christiane Hampe war damals ein viel verprechender Name, und ihre etwas höhenknappe Berthalda wirkt solide-kompetent. Josef Protschka galt in jenen Jahren als der ideale und kommende Zwischenfachtenor und kann für die tückische Partie des Hugo Material und Stamina aufbieten. Heinz Kruse, John Janssen, Klaus Häger, Andreas Schmidt und Günter Wewel stehen als gültige Stimmen dieses Repertoires (und dieser Zeit) zur Verfügung, und die Musiker/Chor vom WDR machen unter dem sehr romantisch aufspielenden Kurt Eichhorn einen idiomatischen Job, wenngleich die Schulfunk-Atmosphäre der Dialoge mit zu langen Pausen den Fluss hemmt. Die Aufnahme gehört zu den Lichtblicken, namentlich im orchestral-symphonischen Bereich (Ouvertüre, Schluss).
Einen Querschnitt der DG aus den Sechzigern mit Anny Schlemm und Walther Ludwig unter Victor Reinshagen kann man nur als bizarr abbuchen, denn es fehlen so viele Teile, dass man ganz wirr wird. Er zeichnet sich aber durch die sonst fehlende komplette Ballettmusik aus (man kann nur munkeln, dass es sich hier um eine früh abgebrochene Gesamtaufnahme handelt), die von den Bambergern mit avec gespielt wird. Bei Eurodisc gab es einen Querschnitt mit Lisa Otto (viel zu klein besetzt), Ursula Schirrmacher und Rudi Schock unter Wilhelm Schüchter aus den strengen Sechzigern und recht unzusammenhängend, die Oper eignet sich nicht wirklich für Querschnitte, finde ich. Eine weitere RAI-Aufnahme kann man inzwischen mp3-mäßig bei Amazon einzeln herunterladen (RAI-Orchester, erlebnisreich Traxel, die Bak/Heger; The Art Of Singing), aber sie ist erstens nicht nett im Klang und zweitens barbarisch zusammengestrichen. Der Rundfunkmitschnitt mit Trude Eipperle und der schon damals präpotent wirkenden Christa Ludwig als Berthalda (es gibt sogar eine Cenerentola mit ihr aus Wien!) ist bei Relief gelandet – was man alles findet.
Noch vor zwei Jahren hätte ich geschrieben: Was es alles nicht gibt, zeigte ein Blick auf die wenigen ernsthaften Opern Lortzing, vor allem auf die Regina. Es war doch eine Affenschande, dass es Zauberflöten oder Bohèmes en masse gab, bis einem das Soufflée hochkam, aber keine Regina. In Wuppertal und Gelsenkirchen liefen bis zur neuen cpo-Aufnahme unter Ulf Schirmer die letzten Versuche. Die RAI hatte eine im ganzen sehr gelungene Ehrenrettung (in der Originalfassung ohne Dialoge/Arkadia u. a.) unter Dieter Berneth 1968 gebracht, die in Berlin im Rahmen der Opernanthologie des SFB übertragen wurde (das waren noch Zeiten) – neben Julia Conwells mauliger Regina nicht so viele deutsche Mannen, aber alle doch sehr bemüht. Eine rudimenäre DDR-Rundfunk-Aufnahme von 1951 unter Walter Schartner (Irmgard Klein, Gerhard Frei, Karl-Heinz-Stracke und Ernst Kozub sind unter den bekannteren Sängern) gibt´s bei Walhall in einer wirklich hochverdächtigen Fassung mit einer abenteuerlichen Genesis.
Und nun – oh Wunder – die wirklich sehr anständige Regina aus München unter Schirmer mit einer nahezu idealen Besetzung: Johanna Stojkovic, Daniel Kirch, Rolf Simon, Detlef Roth, Peter Schöne und andere mehr – cpo sei´s gedankt. Der jugendliche Sopran kann jubeln, die Herren sind mehr als angenehm, und die Live-Atmosphäre sorgt für Spontanität. Das ganze kommt vom Boden hoch und allen meinen Vorbehalten gegen diese angeblich als revolutionär geltende Oper zum Trotz ist dies der defintive Lortzingbeitrag unserer Tage. Hier mischt sich erfolgreich Kleines und Großes, Junges singt auch jung, und Ulf Schirmer holt aus der Musik geraus, was möglich ist. Beilage und Klang sind gut, Dialoge auch, zudem das Ganze live. Also eine wirklich empfehlenswerte Aufnahme in dieser Lortzing-Disko-Revue.
Und wo bleibt der Casanova Lortzings (Leipzig 1841)? Nix da. Wieder muss der Rundfunk einspringen, aber es gibt m. W. keine offiziellen Dokumente davon. Eine Aufnahme aus Prag scheidet aus wegen der Sprache, eine weitere von 1941 (anderen Quellen zufolge1958) aus dem Berner Radio hat Zwischentexte von Kurt Blaukopf, der Sammlern wegen seiner unschätzbaren Auflistung historischer Opernaufnahmen ein Begriff ist. Aber ob nun der von mir so geliebte Petre Munteanu der richtige Casanova ist? Sonst machen die damaligen Berner Kräfte mit: Chloe Owens, Gottfried Fehr und weitere. Der Clou ist die leichte Hand von Otto Ackermann. Aus Oberhausen hat mancher Sammler einen weiteren Casanova im Besitz – nicht so nett gesungen von William Pugh, aber Frank Schneiders, Ursula Berg und andere machen einen ordentlichen Job unter Konstantin Schenks Hand (1985). Nur eben – offiziell tut sich hier nichts.
Der Berliner RBB hatte im Lortzing-Jahr 2001 (200. Geburstag und 150. Todestag) vollmundig angekündigt, nun alles (!!!) von Lortzing senden zu wollen. Bis auf den Großadmiral in einer mehr als verdächtigen, klanglich gewöhnungsbedürftigen Berliner Funkfassung aus der Nazizeit von 1937 hat sich da bislang nichts gerührt. Hessen brachte die eigene Konserve der Beiden Schützen – armer Lortzing. Bis auf die neu hinzugekommene Münchner Regina von cpo 2013 hat sich auch theatermäßig wirklich nichts Innovatives getan, und da sind doch die Verdienste von Herrn Huhn in Annaberg geradezu als gigantisch einzustufen, dem interessierten und von weither angereisten Publikum den Andreas Hofer (Leipzig 1832) vorzustellen, so wie er in vergangenen Jahren den Polen und sein Kind, den Weihnachtsabend und Rolands Knappen (Leipzig 1848) an den verschiedenen Theatern seiner Intendantenlaufbahn zur Diskussion gestellt hat. In Berlin, wo Lortzing geboren und in Armnut gestorben ist, gab´s und gibt’s nichts. Was für eine Schande! Dafür Doubletten der Bekannten: Tosca, Ring, Jenufa, Traviata – was weiß ich…
Insofern hat Herr Lodemann (Jürgen Lodemann: Albert Lortzing, Steidl Göttingen, ISBN-13: 978-3882437331) mit seiner Jeremiade über das Vergessen/Verkennen Lortzings vielleicht doch Recht. Zumindest die Ouvertüre zum Polen und sein Kind ist auf der Marco-Polo-CD mit vermischten Vorspielen Lortzings und vermischten Orchestern/Dirigenten zu hören, ebenso die für Regina, Hans Sachs und den heiteren Werken. Immerhin.
Dank an Rüdiger Winter für die Hilfe beim Nachschlagen in Büchern und in seinem fabelhaften Gedächtnis wie auch Archiv-Festplatte. Zudem belehrt ein Blick in die Website von Amazon, was es alles – in großer Vervielfältigung desselben – gegenwärtig auf dem Markt gibt.
Foto oben: Lortzings Grab in Berlin/privat