Gemeinsame Mission

 

Normalerweise berichten wir in operalolunge.de – wie es unser Name ja vorgibt – über Stimmen und Opern und Chorwerke, gelegentlich über Lieder und Liedsänger. Ungewöhnlich ist deshalb – für uns – ein Interview mit einem Liedbegleiter, in diesem Fall der Pianist Daniel Beskow, der mit „seinem“ Sänger Johannes Held eine enge künstlerische Symbiose eingegangen ist. Stefan Pieper hat ihn anlässlich der neuen Winterreise bei Ars (Franz Schubert: Winterreise; Johannes Held: Bariton ; Daniel Beskow: Klavier ; ARS Produktion 2019) zu einem Gespräch getroffen: In Johannes Held fand Daniel Beskow seinen idealen Weggefährten für eine spannende Reise (die in operalounge.de besprochen wurde). G. H.

 

Daniel Beskow (r) und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Es war im Fall von Johannes Held und Daniel Beskow eben nicht so, dass ein Sänger sich einen Pianisten als „Begleiter“ sucht. Im vorliegenden Fall waren der Pianist und der Sänger gleichermaßen auf der Suche nach einem Partner, um die für sie großen Werke des Liedgenres anzugehen. Als Beskow in Kopenhagen den Sänger Johannes Held hörte, hatten sich zwei gefunden. Die Zeit war für  einen gemeinsamen Weg richtig. In ihren ambitionierten Lieder-Programmen wollen die beiden seitdem ein kulturelles Erbe weiter geben. Dabei kommen auch unkonventionalle visuelle Darstellungsformen ergänzend zum Einsatz. Davon abgesehen fühlt sich Daniel Beskow gerade in solchen Lied-Besetzungen pianistisch zuhause. Denn auch für einen Pianisten sind nicht die Noten alles. Denn jedes Wort aus dem Liedertext findet im Klavierpart unmittelbare Abbildung.

 Neben Ihrer Karriere als Solist ist Ihre Rolle als Kammermusikpartner und eben auch Duopartner beim Liedgesang zum zentralen Aspekt geworden. Wie kam es dazu? Ich möchte mit meinem Spiel Sängerinnen und Sänger inspirieren und umgekehrt von diesen inspiriert werden. Der Gesang wurde zum Hauptaspekt. Ich habe bis ins Jahr 2012 meist solo und mit Orchester gespielt, ebenso im Trio mit Cellisten, Violinisten und dann immer mehr in Gesangsbesetzungen. Die Arbeit mit Gesang erweitert meinen Horizont ungemein. Immer mehr komme ich dabei zur Erkenntnis, dass das Piano genauso viel vom Text transportiert wie der Gesang. Alles, was ich im Piano spiele ist im Text enthalten, sämtliche Symbole kommen hier vor. Genau das fasziniert mich sehr.

 

Im Booklet zur CD-Ausgabe bei Ars schreibt Johannes Held, dass sie beide unabhängig voneinander schon lange mit Schuberts Winterreise befasst waren. Was war Ihr persönlicher Zugang?  Ich habe die Winterreise durch meinen Großvater kennen gelernt. Der hat diese Lieder zuhause gesungen und ich war sehr beeindruckt davon. Als ich Teenager war, haben wir den Text zusammen studiert. Ich habe die ganze Bedeutung erfasst und war infiziert. Es sind auch persönliche Erlebnisse aus der Vergangenheit mit eingeflossen, da haben Johannes und ich durchaus mal ähnliche Erfahrungen mit gebrochenen Herzen gehabt. Aber das ist lange her und rangiert unter Jugenderlebnissen. Heute leben wir beide in glücklichen Beziehungen. (lacht)

Als ich viel später dann meine Karriere vorantrieb und dafür auch in Kopenhagen studierte, aber damals hauptsächlich Solistenkonzerte gab, habe ich Johannes in der Opernakademie Kopenhagen getroffen. Wir tauschten uns aus und erkannten, dass Schuberts Winterreise auch für ihn eine tiefe persönliche Bedeutung hatte. Auch er war sehr tief darin involviert. Wir kamen immer mehr ins Gespräch und haben endlos darüber geredet. Letztlich brauchte es aber noch bis ins Jahr 2013, das die Zeit für ein gemeinsames Projekt reif war. Es kam aber erst nach unserem Examen zu einer Aufnahme der Winterreise.

 

Ihre Aufführungen markieren ja schon etwas Ungewöhnliches, wenn Sie optische darstellerische Elemente mit einbeziehen. Was war die Idee dahinter? Schon bald hatten wir den Impuls, etwas anderes und Neues aufzubauen. Johannes entwickelte das Konzept einer Bühnenversion, bei der die Musik um Bilder von Jörn Kaspuhl erweitert wird. Er ist ein deutscher Illustrator und arbeitet hauptsächlich für Printmedien. Im Konzert präsentieren wir Bilder, die 2 mal 3 Meter groß sind und als optische Erzählebene die Geschichte bereichern. Regisseur Ebbe Støvring Knudsen half uns bei der Umsetzung und durch ihn konnten wir auch eine erste, nicht-öffentliche Vorstellung in den Räumen der königlich-dänischen Oper in Kopenhagen machen. Mittlerweile haben wir die Winterreise – sowohl szenisch, als auch konzertant circa 60 mal in Skandinavien, Deutschland und Österreich aufgeführt. Unser Anliegen ist es, ein jüngeres, breiteres Publikum ansprechen und mehr Leute in Skandinavien neugierig machen. Die Bilder helfen einmal mehr, in die erzählte Geschichte hineinzuziehen, auch bei Menschen, die des Deutschen vielleicht nicht so mächtig sind.

 

Daniel Beskow (r) und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Welche elementaren psychologischen Inhalte der Winterreise sind für die Menschen in heutiger Zeit von Bedeutung? Je mehr wir uns eingearbeitet haben, desto vieldeutiger erschien uns dieser Stoff. Schuberts Winterreise ist viel universeller, als dass man sie nur auf die Leidensgeschichte eines Verlassenen reduzieren mag. Die geschilderte Einsamkeit könnte auch auf jemand bezogen sein, den die Gesellschaft ausstößt – oder ist es die Empfindungswelt eines Flüchtlings? Es steckt sehr viel drin, was auf die Welt von heute passt. Außerdem sind da diese rätselhaften, mystischen Aspekte: Im letzten Lied taucht dieser merkwürdige Leiermann auf. Keiner weiß, wer diese obskure Gestalt wirklich ist. Die meisten sagen, es ist der Tod, aber das ist keineswegs eindeutig fest geschrieben. Überhaupt passieren viele Dinge nur in der Imagination. Auch das ist psychologisch sehr interessant.

 

Gibt es eine Botschaft, die Sie Ihrem Publikum vermitteln wollen?  Wir suchen nach zeitgemäßen Wegen, den Reichtum dieser Lieder auf lebendige, spannende Weise zu vermitteln. Da ist so viel Inhalt und Ausdruck enthalten, der jeden unmittelbar berührt. Egal ob Die schöne Müllerin oder die Winterreise. Die größten Meisterwerke ihrer Zeit haben für heute noch so viel zu sagen. Leider sind die Wege der Vermittlung im Konzert etwas trocken und steif, einfach zu konservativ.

 

Daniel Beskow (links) und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Das Foto im Booklet von Ihnen beiden drückt sehr viel aus: Sie beide wandern durch eine Winterlandschaft. Ihr Gesichtsausdruck spricht eine tiefe, ernste Verbundenheit. Widerspiegelt Sie Ihr gemeinsames Anliegen? Die Fotos entstanden in Österreich aufgenommen, als wir morgens laufen waren. Ja, es widerspiegelt eine sehr konzentrierte Stimmung in den Tagen der Aufnahme. Wir wollen ehrlich mit dem Text umgehen. Aber auch eine persönliche Freiheit, darin zu leben und alles mit unserem Leben zu füllen. In diesen Liedern ist so viel drin und wir sind auf einer tiefen Ebene damit verbunden. Die gemeinsame Wellenlänge ist hier alles: Wir bewundern uns gegenseitig und hatten von Kleinauf diese tiefe Verbindung. Die Zusammenarbeit kam erst später. Wir haben viel Zeit zusammen verbracht, nicht zuletzt auf unseren Reisen. Wir ergänzen uns, gehen einen gemeinsamen Weg voran. Und es ist wichtig, an so einem Prozess Spaß zu haben. Wir haben uns schon in verschiedenen Zyklen bewährt, einschließlich der Schönen Müllerin, Heine-Lieder von Schubert und Schumann, Beethovens An die ferne Geliebte, und zuletzt Lieder von Finzi nach Texten von William Shakespeare. Die Winterreise steht aber über allem. Sie war unser Debüt und ist immer noch unser zentrales Projekt.

 

Gibt es Reibungen und Differenzen? Wir ticken schon etwas unterschiedlich: Ich bin sehr zielorientiert und habe ein konkretes Bild im Kopf. Johannes ist eher darauf aus, alles sehr offen zu empfinden. Der Weg ist gewissermaßen das Ziel. Gerade aus dieser Spannung erwächst eine produktive Symbiose.

 

Daniel Beskow und Johannes Held: „Die Winterreise“ bei Ars/ (c) Andrej Grilc/Ars

Welche Bedeutung hat Schuberts Winterreise in Skandinavien? Die Winterreise ist auch in Skandinavien ein sehr berühmter Liederzyklus – auch, wenn sie natürlich hier nicht so ganz zentraler Bestandteil der Kultur ist wie in Deutschland und Österreich. In Skandinavien ist auf jeden Fall noch viel Luft nach oben, um diesen Zyklus bekannter zu machen.

 

Was sind Ihre Zukunftspläne? Und wie denken Sie über das heutige Konzertpublikum? Das Durchschnittsalter wächst nach oben. Zugleich gibt es immer mehr junge Musiker wie Sie, die hungrig danach sind, sich auf der Bühne auszudrücken. möchten diese großen Meisterwerke aufführen und noch mehr CDs zusammen aufnehmen. Es ist eine große Freude, zum Teil dieser großen Stücke zu werden und an diesen zu arbeiten und durch diesen Prozess durchzugehen. Wir sind auf einem guten Weg und es gibt noch viel zu tun. Eigentlich sind wir erst am Anfang.

Ich sehe diesen Zwiespalt zwischen alterndem Publikum und jungen Musikern genauso – vor allem wenn man den Kern der Winterreise betrachtet: Diese Musik und die Texte von Wilhelm Müller handeln von einem Menschen in einem jungen Lebensabschnitt. Es geht um tiefe, innerliche Gefühle. Um Romantik. In der Winterreise ist dies alles enthalten. Ich bin zuversichtlich, dass diese Emotionalität wiederkommt. Trotz so vieler Ablenkungen durch Internet, Soziale Medien etc. geht der Hunger danach nicht verloren – uns geht es darum, hier Fenster zu öffnen. Ich sehe also eine Chance für neues Publikum. Dieses zu begeistern, ist ein ganz wichtiger Teil unserer Mission.