Jeder wird fündig in dieser Glyndebourne-Version von Madama Butterfly. Hochbetrieb in Goros Heiratsvermittlung. Die GIs können aus einer großen Zahl von Bildern in den Karteikästen an der Wand wählen. Einer der GIs, die bis 1952 in Japan stationiert waren und laut eines Kriegsbräutegesetzes ihre ausländischen Ehefrauen zu Amerikanerinnen machen durfte, ist B.F. Pinkerton. Bei „Goro’s“ schaut er sich das von einem Filmprojektor auf die kleine Leinwand geworfene Angebot „Yanks Marry Japanese Maids“ ebenso interessiert an wie die Japanerinnen, die sich durch eine solche Heirat und die praktischen Instruktionen („Learning tob e an American Wife“) ihren Traum vom American way of life zu erfüllen hoffen. „America for ever“: da grüßt die Freiheitsstatue.
Die alten schwarz-weiß Filme (Video Design: Ian William Galloway), die auch dem Liebesduett jede Sentimentalität rauben, gehören zu den gelungensten Momenten der Inszenierung. Mit allen Uneben- und Tumbheiten, die sich aus der Verlegung der Handlung in Goros Heiratsvermittlung ergeben, der gegenüber sich neben dem Tattoo-Studio praktischerweise ein Hotel befindet, erzählt Annilese Miskimmon Puccinis Japanische Tragödie in Glyndebourne, wo ihre 2016 on tour ausprobierte Inszenierung 2018 die Erstaufführung des Werks beim Festival markierte. Die Aufnahme (Opus Arte Bluray OA 807166) entstand am 21. Juni. Dabei bleibt Miskimmons Inszenierung, für die Nicky Shaw das japanische Büro mit allen historischen Büroutensilien ausstattete, reichlich hergebracht, wenngleich die irische Regisseurin zeigt, dass es sich nicht um ein Einzelschicksal handelte, wodurch der im dritten Akt von seinen Gefühlen übermannte Pinkerton nicht ganz als der skrupellose unsympathische Draufgänger erscheint. Er macht’s wie alle. Letztlich ein Geschäft mit Vorteil für beide Seiten, erhielten die ausländischen Ehefrauen der GIs doch durch den Bund die begehrte amerikanische Staatsbürgerschaft. Doch Pinkerton hat gar nicht die Absicht, seine Braut mitzunehmen, obwohl er ihr vor der unromantischen Hochzeitsnacht im Büro ein hübsches Kostüm schenkt. Also richtet sich Butterfly richtet sich in ein amerikanisches Puppenhaus ein.
Bereits 1983 hatte Ken Russel eine ähnlich amerikakritische Auffassung in seiner in den späten 1930er Jahren kurz vor Pearl Harbor spielenden und mit der Atombombe auf Nagasaki endenden Inszenierung geteilt, wobei seine theatralisch ungleich spannendere und krassere Umsetzung nicht die gebührende Aufmerksamkeit fand, da sie am Rand des Opernlebens beim Spoleto Festival in Amerika und Italien gezeigt wurde. Glyndebourne hat dafür die besseren Sänger. In der Titelrolle setzt Olga Busuioc in die Fußstapfen ihrer moldawischen Landmännin Biesu, die in den 1960er Jahren einen Preis als beste Cio-Cio-San errang. Busuioc ist im ersten Akt stimmlich noch ein bisschen flach, singt aber dann aber mit Beginn des zweiten Aktes mit großer Leidenschaft, Emphase, auch Brillanz, etwas spitz und scharf in „Un bel di vedremo“, doch üppig in „Trionfa il mio amor“ und mit zunehmender emotionaler Hingabe und Pathos, die rühren. Das ist Busuiocs Show. Joshua Guerreros Pinkerton sieht auf die Ferne ein bisschen aus wie Travolta, er singt mit Druck und Geradlinigkeit, gleicht fehlende Süße und spezifisches Timbre durch sensible Töne und gesteuerte Leidenschaft aus und punktet durch die Inbrunst, mit er vom „Fiorito asil“ Abschied nimmt. Vielleicht kommt im Duett auch noch keine richtige Stimmung auf, da sich Goro im Hintergrund herumtreibt und Geldscheine zählt,
Der Bassbariton Michael Sumuel scheint als Sharples nicht richtig besetzt, dafür ist die amerikanische Mezzosopranistin Elizabeth DeShong eine stimmlich geradezu luxuriöse, sehr fein klingende und behutsame Suzuki, und Carlo Bosi gibt dem Goro eine herrlich feiste Fratze. Omer Meir Wellber hält das streng klingende London Philharmonic Orchestra an den gefährlichen Stellen zurück, steuert aber bei den Bildern von einer Schiffsüberfahrt zu Beginn des zweiten Aktes Puccinis Melos pathetisch aus, verleiht dem Summchor eine schöne Melancholie und gibt der Musik ansonsten eine nüchterne Dringlichkeit.
Im zweiten Akt hat Cio-Cio-San den amerikanischen Lebensstil völlig angenommen, trägt offenbar ihr Hochzeitsgeschenk, ein türkisfarbenes Kostüm, und schminkt sich wie eine amerikanische Hausfrau. Überhaupt ist im Häuschen, dessen Rückseite wie eine Schwibbogen-Sägearbeit aussieht, alles in bester amerikanischer 50er Jahre Nüchternheit eingerichtet. Einschließlich der amerikanischen Flagge. Nur beim garstigen Goro fährt die sittsame Hausfrau aus der Haut und attackiert ihn mit ihren Absätzen. Wie ein Operetten-Husar wirkt Simon Mechlinskis unterbesetzter Yamadori, reizend ist der kleine Rupert Wade als Sorrow, im Kostüm mit Hütchen und Handtasche – allerdings in rot – wie eine Doppelgängerin Cio-Cio-Sans erscheint die toughe Kate von Ida Ränzlov. Aber Miskimmon schärft die Tragödie nicht weiter zu, setzt in den gesofteten Farben auf der Bühne die Ästhetik ähnlich gearteter Film-Melodramen fort. Rolf Fath