Vielgesichtig

 

Schon mit seinem Debütalbum bei Erato, Anima Sacra, das barocke Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts vorstellt, sorgte der polnische Countertenor Jakub Józef Orlinski für Aufmerksamkeit wegen seiner individuellen Stimme und der hohen Musikalität. Nun legt die Plattenfirma eine neue Platte vor mit dem Titel Facce d’amore ( 0190295423384), welche Opernarien männlicher Liebhaber dieser Epoche versammelt, darunter sieben Weltpremieren. Die Auswahl bietet ein breites Spektrum an Emotionen – Liebe, Zorn, Enttäuschung Eifersucht, Wahnsinn… Sie beginnt mit einer Szene aus Francesco Cavallis La Calisto („Lucidissima face“), in welcher der Solist seine weiche, klangschöne Stimme wirkungsvoll ausstellen kann. Nachfolger dieses Komponisten sind Giovanni Antonio Boretti und Giovanni Bononcini. Vom ersteren hört man aus Eliogabalo die Arie „Chi scherza con Amor“, die in ihrer koketten Munterkeit einen schönen Kontrast zum Auftakt darstellt, und zwei Szenen aus Claudio Cesare – die nachdenklich-getragene Arie „Crudo Amor“ und die Sinfonia. Hier hat das in der Barockwelt renommierte Ensemble Il Pomo d’Oro unter seinem Leiter Maxim Emelyanychev, das den Solisten inspirierend begleitet, Gelegenheit, als Orchester zu glänzen – wie später auch in der filigranen Sinfonia aus Bononcinis La nemica d’Amore fatta amante und dem rhythmisch auftrumpfenden Ballo dei bagatelli von Nicola Matteis. Heroischer Aplomb bestimmt die Arie „Fra gl’assalti di Cupido“ aus Alessandro Scarlattis Pirro e Demetrio. Mit zwei Ausschnitten aus seinem Scipione il giovane ist Luca Antonio Predieri vertreten – „Dovrian quest’occhi piangere“ in lieblich-wiegendem Melos und „Finche salve è l’amor suo“ in sanft kosendem Duktus. Reizvoll im Spiel mit den Registern der Stimme gibt sich „Che m’ami ti prego“ aus dem Nerone von Johann Mattheson, der 1723 in Hamburg zur Premiere kam. Kämpferisch ertönt „Odio, vendetta, amore“ aus Don Chisciotte in Sierra Morena von Francesco Bartolomeo Conti und gibt dem Solisten zudem Gelegenheit für energische und bravouröse Koloraturpassagen.

Mit  vier Titeln ist Georg Friedrich Händel der prominenteste Komponist der Anthologie. Aus Agrippina sind das Rezitativ und die Arie des Ottone zu hören, den Orlinski auch in der jüngst erschienen Gesamtaufnahme der Oper bei Erato mit Joyce DiDonato verkörpert und hier erneut mit seiner klagenden Expression berührt. Aus Amadigi di Gaula erklingt die aus Rinaldo („Lascia ch’io pianga“) bekannte gefühlvolle Arie „Pena tiranna“, aus dem Fragment Muzio ScevolaSpera, che tra le care gioie“, in welchem der Sänger mit kultivierten Koloraturläufen aufwartet, und aus Orlando die große Szene des Titelhelden „Ah stigie larve/Vaghe pupille“. Sie markiert den Höhepunkt der CD, denn nach dem Rezitativ zwischen rasendem Furor und umnachteten Lauten ist die Arie von besonderer Klangschönheit. Mit dem Stück eines weiteren barocken Großmeisters endet das Programm sehr stimmungsvoll – „Sempre a so vaghi rai“ aus Johann Adolf Hasses Orfeo. Orlinski erfreut hier noch einmal mit schmeichelndem Gesang und empfiehlt sich mit dieser CD für weitere Projekte in diesem Genre. Bernd Hoppe