Encore les Mélodies

 

Flégier? Nie gehört?! Kann man auch nicht. Die von Toccata Classics vorgelegte Aufnahme mit 13 Mélodies ist so etwas wie eine erste Fährte, die auf die Spur des 1846 in Marseille geborenen und 1927 in Martigues gestorbenen Komponisten Ange Flégier führt. Erstaunlicherweise ist sie nicht in Frankreich, sondern in Dallas entstanden, wo sich der Bassist Jared Schwartz im April 2016 diesen Liedern zuwandte. Gleich das erste, als Poème pittoresque bezeichnet, Le Cor/ Das Horn nach einem Gedicht von Alfred de Vigny ist eine mehr als fünfminütige – alle Lieder sind ausgesprochen umfangreich – mittelalterliche Jagdschilderung, bei der Schwartz seinen dunkelschwer grobkörnigen, dabei geschmeidigen und liederprobten Bass dramatisch ausreizen kann, eine effektvolle Salonkomposition, die bereits Schaljapin gesungen hatte und die offenbar aufgrund ihrer Beschwörung einer glanzvollen Epoche bis in die 1960er Jahre populär war. Flégier begann am Konservatorium in Marseille, gelangte irgendwie nach Paris, an dessen Konservatorium er u.a. bei Ambroise Thomas studierte. Um 1868 begann er mit Mélodies, die ihm eine gewisse Aufmerksamkeit verschafften, beteiligte sich (erfolglos) mit einer von den Stars der Opéra Marie Sasse und Victor Maurel gesungenen Komposition am Prix de Rome, erlebte 1875 die Uraufführung seiner komischen Oper Fatma, erzielte mit dem bereits genannten Le Cor 1880 einen Sensationserfolg, betätigte sich als Kritiker und ab

den 1890er Jahren zunehmend auch als Dichter und Graphiker, während er weiterhin wegen seiner Kammermusik und Chorwerke geschätzt wurde und 1903 zum Chevalier der Légion d’ Honneur ernannt wurde. Rasch wurde Flégier, der sich nach 1900 wieder in die Provinz, sprich nach Marseille, zurückgezogen hatte, nach seinem Tod vergessen. Große Opern hat er nicht hinterlassen, den modernden Trends eiferte er nicht nach. Sicherlich sind seine Lieder, wie wir sie nach dieser Aufnahme einschätzen können (TOCC 0306) ganz dem 19. Jahrhundert verhaftet, rührend altmodisch, doch sie sind melodiös, Flégier wurde als der „Massenet des armen Mannes“ beschrieben, leicht zugänglich, ein wenig schlicht zwar, was mit Flégiers einfacher Herkunft erklärt wurde, aber sie besitzen eine plastische Eindringlichkeit, das ist keine Salonmusik, eher für das bürgerliche Wohnzimmer. In La Poèsie kann Schwartz der Wirkung seines Legatos vertrauen, wie denn die meisten Lieder weit ausschwingende Naturbilder sind darunter L’ Homme et la Mer nach Baudelaire, wo die Stimme die Worte intensiv nachmalt und in dem opernhaften Schluss auch einen weiten Tonumfang meistern muss. Stets versucht Flégier auf den Text zu reagieren, was sich in den teils ausordentlichen Herausforderungen zeigt, die er an den Solisten und die von Mary Dibbern souverän gemeisterte Klavierbegleitung stellt. Das Lamento Les Larmes ist ebenfalls solch eine packende Opernszene, Flégiers Vertonung von Verlaines Apaisement mit Viola (Thomas Demer) und Klavier kann mit Reynaldo Hahns Version mithalten, mit dem gefühlvoll-melodiösen Gebet O Salutaris stellt er sich in die Tradition französischer Kirchenmusik von Gounods bis Franck und die spanischen Reminiszenzen Au Crépuscule und Ma Coupe, vor allem letztes mit seinen Anklängen an die Trinklieder aus Don Giovanni und Hamlet mit seiner Aufforderung „donne-moi l’ ivresse, qui rend hereux!“ („mach mich trunken, damit ich glücklich werde“), sind ausgesprochen ansprechend. Nette 64 Minuten. Schwartz traf eine gute Wahl.

Tassis Christoyannis Saint-Saeens Ediciones Palazetto Bru ZaneEin Großmeister der Mélodies ist Camille Saint-Säens, rund 150 hat er dem französischen Liederbuch beigesteuert. Vier Zyklen hat AparteMusic (AP 132) mit dem vom koproduzierenden Palazzetto Bru Zane regelmäßig eingesetzten Tassis Christoyannis im Théâtre Saint-Bonnet aufgenommen: die sechs Mélodies persanes von 1870 sowie die späteren Cinq Poèmes de Ronsard (1907-21), die drei Vieilles Chansons aus Saint-Säens‘ letztem Lebensjahr und die zehn Lieder La Cendre rouge von 1914, wobei eigentlich nur Mélodies persanes und La Cendre rouge Zyklen im engen Sinn sind. Christoyannis singt – von Jeff Cohen sensibel begleitet – mit Morbidezza und Empfindung, vielleicht nicht klangschwelgerisch und tonschön, die Stimme scheint mir auch nicht immer beweglich genug, doch der griechische Bariton, der sich bereits für Lieder von Félicien David, Édouard Lalo und Benjamin Godard eingesetzt hat, agiert immer mit Gefühl für den Text, ausdrucksstark und höhensicher. Rolf Fath