Philippe Jaroussky und Thibaut Garcia haben sich eigentlich nicht gesucht und dennoch gefunden. Der Gitarrist war von Erato, derselben Firma unter Vertrag genommen worden, bei der auch der Counter-Tenor aufnimmt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die beiden über den Weg liefen – und bei Erato eine gemeinsame CD produzierten: A sa guitare (0190295005702). Im Booklet dieser Neuerscheinung kommen sie – moderiert von Arthur Dreyfus – auch ins Gespräch. Die Fragen sind präzise und gleichzeitig ganz bewusst etwas naiv gestellt, so dass beide Künstler viel von sich preisgeben können. Und doch unterliegen sie nicht der Versuchung, ihrem Publikum etwas erklären, es gar belehren zu müssen. Sie sprechen über Musik. Und über die Gitarre als solche. Sie sei ein uraltes Instrument, das die Zeiten überdauert habe. Bei Thibaut erkennt Jaroussky den Wunsch, „seine Gitarre völlig neu klingen zu lassen“. Er denke sich eine Klangfarbe aus, „die jede Epoche unseres Repertoires einbezieht“. Und Thibaut sagt an einer Stelle: „Aber ich mag den Gedanken, dass Musik mehr mit den Ohren als mit den Fingern gespielt wird. Dass das Instrument kein Selbstzweck ist, sondern ein Mittel, um zur Schönheit zu gelangen.“ Schönheit nicht als Bildungsziel sondern als spontane Wahrnehmung. Sie berufen sich auf die Troubadoure. Die hätten beim Singen gehen können, was einfacher gewesen sei als mit einem Tasteninstrument. „Trotzdem brechen Sie mit der Tradition, da der eine spielt und der andere singt“, wendet der Interviewer ein. Darauf Garcia: „Genau, mit Philippe zusammen bilden wir sozusagen zu zweit einen Troubadour.“ Sie seien beide jeweils ein „Halb-Troubadour“.
Das Programm ist zeitlich weit gespannt. Es beginnt bei John Dowland (1563-1626) und endet mit Luiz Bonfá (1922-2001). Das sind sechs Jahrhunderte, das siebte nur angerissen. Dazwischen Mozart, Rossini, Schubert, Garcia Lorca, Fauré, Britten und Barbara, jene legendäre französische Chansonette, die auch dichtete und komponierte. Jaroussky und Garcia spüren den Gemeinsamkeiten nach, die alle ausgewählten Stücke verbindet. Das hört man auch heraus. Schließlich hätten die Menschen zu „Mozarts Zeit die Liebe auf die gleiche Weise empfunden wie heute“, ist sich Jaroussky sicher. Bis auf drei Stücke für das Soloinstrument, darunter Sarabande pour guitara von Francis Poulenc, handelt es sich um Bearbeitungen. Auf Poulenc geht auch der Titel der CD zurück. Mit dem einschlägigen Stück wird sie eröffnet. Die CD ist nichts für Puristen, worüber sich beide Künstler auch im Klaren sind. „Es gibt Leute, die meinen, wir hätten nicht das Recht, Schubertwerke zu bearbeitet oder Chansons von Barbara zu covern“, so Jaroussky. Sie hätten sich aber immer gefragt, ob das Album ernsthaft genug wäre und ob man es anständig hinbekommen habe. Die größte Herausforderung sei Schuberts Erlkönig gewesen, der in Originalsprache dargeboten wird. Und doch ist es gelungen, die sehr variablen dramatischen Möglichkeiten Klaviers auf die Gitarre zu übertragen. Wäre diese Begleitung von Schubert, der selbst Gitarre spielte, so gewollt gewesen, sein Publikum wäre wohl nicht weniger gepackt und ergriffen gewesen. Der sängerische Part bleibt wie er ist. Lässt sich diese Ballade, die zu den unangefochtenen Meisterwerken Schuberts gehört, unvoreingenommen hören wie am ersten Tag? Wohl kaum. Ist der erste Ton erklungen, beginnt auch das Kopfkino. Dazu gehört zwangsläufig der Interpretenvergleich. Die Menge an Aufnahmen, Mitschnitten und eigenem Erleben im Konzertsaal ist nicht zu beziffern. Da hat es einer schwer, der gegen Gewohntes etwas Neues versucht. Muss das überhaupt sein? Es kann sein. Mit seiner Interpretation, bei der auch gewisse stimmliche Schärfen deutlich werden, bleibt Jaroussky im Rahmen der Genres. Er macht aus der Ballade kein Chanson, gibt Vater, Sohn und Erlkönig eigene charakteristische Stimmen. Dies geschieht ganz ohne Übertreibung. Die Geschichte wird vom Sänger mit der nötigen Distanz erzählt – und nicht selbst durchlebt. Und noch etwas spricht dafür. Die Einbettung in ein anspruchsvolles Gesamtprogramm, diesen Gelingen sich beide Künstler teilen können. Rüdiger Winter