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Selbst wer die Canzoni von Francesco Paolo Tosti gar nicht mag und sie als Salonmusik abqualifziert, muss die bei Tactus erschienene CD mit dessen Vertonungen von Texten Gabriele D’Annunzios mögen, denn sie werden von einer der schönsten und technisch versiertesten italienischen Bassstimmen dargeboten, die augenblicklich auf dem Opernmarkt sind. Diese gehört Michele Pertusi, der seinen Bass von einer mit Rossini und dem Belcanto vertrauten zu einer profunden Verdistimme entwickelt hat und der augenblicklich im Zenit seiner Karriere stehen dürfte. Wem also zu einem vollkommenen Kunstgenuss nicht nur die zugegeben gefällige Musik, sondern vielleicht noch mehr die manchmal schwülstigen Texte des zudem noch wegen seiner politischen Haltung, seines Umgangs mit Frauen und seiner Hinterlassenschaft Vittoriale am westlichen Gardaseeufer hinderlich sind, kann sich davon überzeugen, dass durch die noble Art der Interpretation durch Pertusi die Stücke geradezu geadelt werden.
D’Annunzio und Tosti fühlten einander schon einmal durch die Herkunft aus den italienischen Abruzzen verbunden, auf die auch das Cover mit einer Gebirgsszene mit Hirtinnen und Ziegen hinweist. Allerdings begegneten sie einander nach den gemeinsam in einem Circolo verbrachten Jahren nur noch selten, denn Tosti lebte lange Zeit in England, hatte auch die britische Staatsbürgerschaft, was man ihm in Italien übel nahm, und D’Annunzio stürzte sich in politische und sogar militärische Abenteuer, so dass er 1916 nach langer Zusammenarbeit mit dem Komponisten zu dessen Tod nur ein Telegramm an die Witwe schickte.
Die Zusammenarbeit begann nicht mit einem Text, den D’Annunzio Tosti überließ, sondern umgekehrt mit zwei Melodien zur Auswahl, für deren eine der Komponist um einen Text des jungen Dichters bat. Es handelt sich um die 1880 entstandene Visione!, die auch den ersten Track auf den beiden CDs ausmacht und die die Möglichkeit bietet, eine Stimme mit einem ohne Registerbruch einheitlichen, noblen, balsamischen Timbre zu bewundern, ein tragfähiges Piano, dazu eine Maßstäbe setzende Textverständlichkeit. Auch wird bereits hier deutlich, wie sensibel das Klavier den Intentionen des Sängers nachspürt.
Im auf die erste Zusammenarbeit von Dichter und Komponist folgenden Vierteljahrhundert entstanden 36 Musikstücke, alle bis auf das erste, bei dem auch ein Cello mitwirkte, mit reiner Klavierbegleitung. Allerdings ist die Vaterschaft D’Annunzios nicht durchweg sicher belegt, da er seine Texte nicht zu signieren pflegte.
Aus den Achtzigern stammen außer Visione! Noch der Zyklus Malinconia und einige Gelegenheitswerke wie Vuoi note o bancanote als Bezahlung für ein Abonnement oder das ironische Buon Capo d’Anno, bei dem in Pertusis Stimme der Schalk aufblitzt, während das folgende Bimbi e neve durch seine Schlichtheit besticht. Vorrei , aber auch Notte bianca erfreuen durch ein perfektes Legato und eine ebensolche Phrasierung. In Dorme la selva aus dem Zyklus Malinconia macht Pertusi hörbar, wie ein Naturerleben, gefiltert durch Kultur, eine neue Dimension gewinnt. Nicht Sentimentalität, sondern Einfühlsamkeit zeichnet die Interpretation des Italieners aus. Das populäre `A Vucchella besticht durch Schlichtheit und Intimität, die beiden Piccoli Notturni durch sanfte Melancholie.
Es folgen die eigentlich für Mezzosopran geschriebenen Quattro Canzoni d’Amaranta, die einfühlsam dargeboten werden,
Auf der zweiten CD kann man noch einmal bewundern, wie eine an sich große Stimme allen Intentionen bei der Gestaltung der kleinen Form folgt, so bei den beiden Poemette La Sera und Consolazione. Aber sie kann auch hämmernd und stählern klingen wie in E quale casa eguaglia ne la vita.
Der Pianist Raffaele Cortesi bewährt sich nicht nur als sensibler Begleiter, sondern hat im Vorspiel zu La Sera auch die Möglichkeit, als Solist zu glänzen (Tactus TC 842090). Ingrid Wanja