The unknown Sullivan

.

Dutton Epoch setzt in Zusammenarbeit mit der BBC seine spannende Arthur-Sullivan-Reihe fort, welcher auch abgesehen von seinen herrlichen Operetten einer der hörenswertesten britischen Komponisten des 19. Jahrhunderts für mich ist. Die Neuerscheinung (Dutton CDLX 7404), eine mit beinahe 82 Minuten prall gefüllte Disc, enthält neben der einaktigen Ballettmusik zu L’île Enchantée (1864) den Procession March (1863), die Ouvertüre zur Oper The Sapphire Necklace (1863/64) sowie Orchestrierungen von drei der insgesamt sechs Day Dreams (1867), ursprünglich Klavierstücke. Es sind also sämtliche Werke aus der Frühphase Sullivans, damals Anfang seiner Zwanziger, lange vor seinem späteren Weltruhm. Es zeichnet verantwortlich das in diesem Repertoire grandiose BBC Concert Orchestra unter der begnadeten Leitung von John Andrews.

Schon vor etwa 30 Jahren spielte Marco Polo die Musik zum Ballett L’île Enchantée erstmals ein (später bei Naxos neu aufgelegt), doch bedient sich der Bearbeiter Robin Gordon-Powell einer kritischen Edition, die den seitherigen neuen Erkenntnissen Rechnung zollt. Kleinere Unterschiede sind insofern die Folge, auch wenn für den Nichtfachmann vor allen Dingen die insgesamt noch überzeugendere Gesamtinterpretation von Belang sein dürfte. Tatsächlich profitiert das Ballett vom labeltypischen State-of-the-Art-Klangerlebnis, das keine Wünsche offenlässt. Bereits die gewöhnliche CD-Variante genügt hohen Ansprüchen; sie wird freilich durch die hybride SACD-Spur ergänzt, welche neben Stereo auch Mehrkanal anbietet. Zur Ballettmusik selbst ist zu sagen, dass sie überwiegend lyrisch daherkommt und theatralische Dramatik bis auf wenige Ausnahmen (Sturm und Scène de jalousie) ausbleibt. Der seinerzeit in England noch vorherrschende Einfluss Mendelssohns ist nicht zu überhören. Was die Orchestration anbelangt, muss Sullivan indes keine Vergleiche scheuen. Kurioserweise diente diese Ballettmusik als angehängtes Tanzdivertissement am Ende von Bellinis Oper La sonnambula, wie es seinerzeit in Covent Garden üblich war, wenn die Oper selbst kein Ballett aufwies. Erwähnenswert ist zudem, dass Teile der Sullivan’schen Musik in einigen seiner nachfolgenden Werken Wiederverwendung fanden (so in Thespis, The Merchant of Venice, The Merry Wives of Windsor, Macbeth und Victoria and Merrie England).

Der feierliche Marsch – hier in Weltersteinspielung – entstand anlässlich der Hochzeit des damaligen Prince of Wales „Bertie“, des Sohnes Königin Victorias und späteren Königs Eduard VII., mit Alexandra von Dänemark. Die Orchesterfassung wurde hierzu vom selben Robin Gordon-Powell gekonnt rekonstruiert und editiert, indem er in Drury Lane gefundene Orchesterparts mit einem existenten Blasorchester-Arrangement kombinierte. Der so bezeichnete Procession March, achteinhalb Minuten lang, erfüllt glänzend seinen zeremoniellen Zweck und reiht sich ein unter die Festmärsche des späteren 19. Jahrhunderts.

Die zehnminütige Opernouvertüre zu The Sapphire Necklace wurde zwar bereits ebenfalls durch Andrew Penny für Marco Polo eingespielt, allerdings bedient sich die Dutton-Aufnahme einer wiederum von Gordon-Powell verantworteten Neuorchestrierung, anders als die seinerzeit von Roderick Spencer besorgte. Beide griffen auf eine Bearbeitung für Militärkapelle von Charles Godfrey, Jr., zurück. Dieses glänzend komponierte Vorspiel weist bereits in die Richtung der späteren spritzigen Operettenouvertüren Sullivans.

Heiterkeit herrscht in den Day Dreams vor, welche bereits 1934 von Herman Finck für Orchester gesetzt wurden. Die hier vorliegende Bearbeitung geht ein weiteres Mal auf Arrangeur Gordon-Powell zurück. In seinen drei, jeweils etwa dreiminütigen Sätzen entspricht dieses Werk am ehesten einer Suite, wobei sich vom Höreindruck her neuerlich der Name Mendelssohn auftut.

Die 2021 im Watford Colosseum in London entstandenen Einspielungen stellen also eine sehr begrüßenswerte Diskographie-Erweiterung in Sachen Arthur Sullivan dar. Die Textbeilage ist – wie bei Dutton nicht anders zu erwarten – vorzüglich. Daniel Hauser

.

.

Bekanntlich beruht Arthur Sullivans Weltgeltung auf seinen Operetten, die im kongenialen Zusammenwirken mit W. S. Gilbert entstanden sind. Weniger bekannt ist zumindest hierzulande Sullivans große Bewunderung für William Shakespeare, die sich in der Bühnenmusik für nicht weniger als fünf Theaterstücken ausdrückte. Den Anfang machte bereits 1860/62 – Sullivan war kaum zwanzig – die Bühnenmusik zu The Tempest (Der Sturm). Die Mendelssohn-Nähe ist nicht abzustreiten und als Hommage zu begreifen. Tatsächlich entstand das einstündige Werk während eines Aufenthalts Sullivans in Leipzig und weiß durch jugendliches Feuer für sich einzunehmen. Orchestral als besonderes Highlight ist das Vorspiel zum vierten Akt hervorzuheben.

Über ein Vierteljahrhundert später, 1888, beschloss die Bühnenmusik zu Macbeth als fünfte und letzte die Shakespeare-Beschäftigung des Komponisten. Der Umfang ist mit etwa 55 Minuten ähnlich, die Umstände waren indes gänzlich andere, stand der nunmehr 46-Jährige, mittlerweile Geadelte, auf der Höhe des Lebens und Ruhmes. Einen solchen Sinn für Dramatik hätte manch einer Sullivan kaum zugetraut, doch darf gerade die Macbeth-Ouvertüre als ein Glanzpunkt in seinem Werkschaffen gelten. Die rein instrumentalen Nummern sind insgesamt am überzeugendsten, darunter die Vorspiele zu den Akten 2, 3, 4, 5 und 6.

Den Gesangspart übernehmen die bestens disponierten BBC Singers und (in The Tempest) die beiden Sopranistinnen Mary Bevan und Fflur Wyn idiomatisch. Als Sprecher fungiert Simon Callow, der sich in Macbeth – wo er alle Rollen spricht – eines zuweilen stark hervortretenden schottischen Akzents bedient und etwas übers Ziel hinausschießt. Begleitet werden sie vom BBC Concert Orchestra unter John Andrews.

Wiederum ist es Dutton Epoch und der BBC zu verdanken, dass nunmehr endlich vollständige Einspielungen der beiden Bühnenmusiken vorliegen (Dutton 2CDLX 7331). Gleichsam als Beigabe erklingt die knapp 13-minütige Marmion-Ouvertüre, ein hörenswertes Stück von 1867 zu einer Vorlage von Walter Scott, hier erstmals ungekürzt. Scotts gleichnamiges Gedicht nimmt Bezug auf die Schlacht von Flodden Field (1513) zwischen England und Schottland, die der schottische König Jakob IV. mit dem Leben bezahlte. Klanglich genügt die hybride SACD audiophilenAnsprüchen (Aufnahme: Watford Colosseum, Februar/März 2015). Die Textbeilage von Will Parry ist mustergültig. Daniel Hauser

.

.

Gilbert und Sullivan sind in England das, was Johann Strauss Sohn in Österreich und Jacques Offenbach in Frankreich darstellen. Im deutschsprachigen Raum tun sich die Bühnenwerke des berühmten Duos, die irgendwo zwischen komischen Opern und Operetten stehen, eher schwer, was mit den Eigenheiten des britischen Humors zusammenhängen mag.Arthur Sullivan (1842-1900), der 1883 von Queen Victoria zum Ritter geschlagene Komponist, hat allerdings weit mehr komponiert, was selbst in seiner Heimat zuweilen in Vergessenheit gerät. Naxos legt nun eine eigene, schon bejahrte Marco-Polo-Produktion aus dem Jahre 1992 neu auf (Naxos 8.555181).

Wie könnte es anders sein, als dass sich der Tondichter nicht auch der Werke des englischen Nationalbarden William Shakespeare hätte annehmen sollen. Mit der Bühnenmusik zu The Merchant of Venice (1871) und Henry VIII (1877) schuf Sullivan zwei seiner attraktivsten Kompositionen abseits der Opern. Erstere wurde für eine Produktion des Prince’s Theatre in Manchester geschrieben und konzentriert sich auf eine einzige Szene, ein aufwendiges Maskenspiel. Letztere entstand für das Theatre Royal in Manchester, bezieht sich auf den fünften Akt des Historiendramas und wurde in Bearbeitungen gerade bei Blas- und Militärkapellen populär.

Bei der hier ebenfalls inkludierten Ouvertüre zu The Sapphire Necklace (1864) handelt es sich um das Vorspiel zu einer gleichnamigen Oper, deren Libretto der Musikkritiker Henry Chorley beisteuerte. Sie gelangte gleichwohl nie zur Aufführung (was nicht zuletzt an der Qualität des Textes gelegen haben soll). Einzig zwei Vokalnummern sowie ein Arrangement der Ouvertüre für Militärkapelle von Charles Godfrey, Jr., wurden später publiziert. Zum Zwecke dieser Einspielung reorchestrierte Roderick Spencer das Blaskapellenarrangement neuerlich im Stile von Sullivans Originalkomposition. Das Ergebnis darf tatsächlich als durchaus authentisch klingend bezeichnet werden.

Die Disc wird beschlossen durch die Ouvertüre C-Dur „In Memoriam“ (1866), die kurz nach Sullivans Irish Symphony entstand und insofern als Hauptwerk seiner sinfonischen Frühphase zu bezeichnen ist. Sie ist seinem kurz davor verstorbenen Vater gewidmet, aber indes kein bloß tieftrauriges Stück, sondern auch ein treffliches musikalisches Abbild des viktorianischen Britannien.

 Andrew Penny und das irische RTÉ Concert Orchestra haben einen erwartbar idiomatischen Zugriff. Als Solist in den beiden Liedern der Shakespeare-Stücke agiert überzeugend der Tenor Emmanuel Lawler. Die sehr gute Klangqualität und das solide Booklet runden diese Neuauflage der vergriffenen Einspielung adäquat ab. Daniel Hauser