Grossräumig und zeremoniell

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Anders als das Stabat Mater und die Petite Messe Solennelle, den beiden viel aufgeführten geistlichen Werken aus Rossinis später und sehr später Phase, nachdem er sich längst von der Bühne zurückgezogen hatte, war seine Messa di Gloria, das einzige geistliche Werk aus seiner Zeit als aktiver Opernkomponist, eineinhalb Jahrhunderte lang in Vergessenheit geraten. Als Antonio Pappano als Musikdirektor von Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia im Januar 2022 die Messa di Gloria auf das Programm setzte und mit seiner Aufnahme (Warner Classics 5054197234521) in Konkurrenz zu Neville Marriners Großtat von 1992 (mit Jo, Murray, Gimenez, Araiza und Raimondi) trat, handelte es sich beispielsweise um die erste in Rom seit 30 Jahren.

Erstmals erklang die von der Erzbrüderschaft von San Luigi in Auftrag gegebene neunteilige Messa di Gloria mit der Vertonung der Texte des „Kyrie“ und des „Gloria“ am 24. März 1820 in der Chiesa di San Ferdinando in Neapel. „Das Gratias wurde für jene Art von Stimme geschrieben, die wir mit Giovanni David verbinden, von hoher Tessitur und großer Flexibilität. Das Qui tollis dagegen erfordert eine kraftvollere Stimme von tiefer reichendem Umfang, die mühelos extreme Sprünge bewältigt und dem Vokalstil in den für Andrea Nozzari geschriebenen Partien ähnelt“, resümierte Philip Gossett. „Dass sowohl David als auch Nozzari am 19. März 1820 im Teatro San Carlo in Pietro Raimondis Ciro in Babilonia auftraten, lässt den Schluss zu, dass sie wahrscheinlich auch an der Erstaufführung von Rossinis Messa di Gloria mitwirkten“. In Pappanos exquisitem Ensemble singen zwei der großen Rossini-Tenöre unserer Zeit, Lawrence Brownlee bzw. Michael Spyres, diese Abschnitte. Brownlee mit süßem einheitlichem Ton das „Gratias agimus tibi“, Spyres virtuos im extremen, sehr dramatischen und in einer Cabaletta opernhaft gipfelnden „Qui tollis“, betörend beider von den „Kyrie“-Chören umrahmtes Duett („Christe, eleison“). Kaum weniger eindrucksvoll der sicher schwebende und doch volle Ton der musikalischen Eleonora Buratto in der zweiteiligen Arie „Laudamus te“, dazu die feste Bass-Linie von Carlo Lepore im Solo „Quoniam tu“ und die prägnante Teresa Iervolino im „Domine Deus“-Terzett mit Sopran und Bass. Überragend der Chor, der vom kraftvollen „Kyrie“ bis zum abschließenden „Cum Sancto Spirtu“ nachdrücklich die theatralische Wucht des Werkes unterstreicht. Ebenso ausgezeichnet das Orchestra dell’accademia Nazionale di Santa Cecilia, das nicht nur die zahlreichen mit obligaten Instrumenten ausgezierten Passagen, wirkungsvoll einstreut. Pappano breitet das liturgische Gewicht der reizvollen einstündigen Messa aus Rossinis aufregender Opernphase in Neapel breit und zeremoniell aus.  Rolf Fath