Weimarer Klassik: Das sind nicht nur Goethe, Schiller, Wieland und Herder. Das sind auch Scheinpflug, Krebs, Carl und Koch. Wer, bitte, sind diese Herren? Allesamt waren sie Komponisten und prägten als solche das musikalische Leben, wenn nicht in Weimar selbst, so doch im engeren Umfeld dieser Stadt, die einer kulturellen Epoche den Namen gab. Bei Ars Produktion ist eine CD erschienen, die sich ihren Werken widmet (ARS 38 833). Sie wurde bereits Mitte der 1990er Jahre produziert und war zuerst bei AMU-Records erschienen. Auf den ersten Blick wird aber nicht deutlich, was nur im Kleingedruckten des Booklets zu erfahren ist. Sei‘s drum. Die Aufnahme hat sich ihre Frische bewahrt, und das Programm schließt auch nach mehr als zwanzig Jahren noch Lücken auf dem Musikmarkt. Im Grunde wirkt die CD wie eine Neuerscheinung. Zu hören sind Sinfonien und ein Konzert. Es spielt das Thüringer Kammerorchester Weimar unter der Leitung des inzwischen Mittachtzigers Max Pommer. Er hatte 1979 in Leipzig das Neue Bachische Collegium Musicum gegründet und war damit weit über die DDR hinaus bekannt geworden. Seine Einspielung der Brandenburgischen Konzerte – um nur dieses Beispiel zu nennen – hatten seinerzeit in die DDR eine ähnliche starke und nachhaltige Wirkung wie Harnoncourt im Westen. Den Werken der Weimarer Klassik gibt er große Würde und hebt sie durch seine Interpretation in die Nähe von Haydn, dessen Zeitgenossen sie waren. Bis auf Christian Wilhelm Carl. Der wurde 1804 geboren, war erst fünf, als Haydn starb. Von ihm wurde das dreisätzige Concertino für Flöte (Wally Hase) und Waldhorn (Ralf Ludwig) übernommen. Ein Stück, das bei aller Unfertigkeit eine große Begabung ahnen lässt. Zudem ist die Besetzung mit zwei sehr unterschiedlichen Instrumenten nicht eben häufig. Carl, ein gebürtiger Thüringen, der diesem Landstrich verbunden blieb, wurde nur sechsundzwanzig Jahre alt. Er ertrank bei Rudolstadt in der Saale ohne, dass er sein Talent voll entfalten hätte können.
Am häufigsten auf Tonträgern – vor allem mit Orgelkompositionen – ist Johann Ludwig Krebs (1713-1780) anzutreffen. Von 1756 bis zu seinem Tod 1780 wirkt er als Organist in Altenburg, wo er auch starb. Er stammte aus Buttelstedt in der Nähe von Weimar, begann schon als Halbwüchsiger eine Ausbildung an der Thomasschule in Leipzig, wo er Privatschüler von Johann Sebastian Bach gewesen ist. Der soll ihn scherzhaft als den „einzigen Krebs im Bach“ genannt haben, wie im Text des Booklets von Peter Larsen nachzulesen ist. Orchesterwerke bilden in seinem Werk ehr die Ausnahme, weshalb seine Sinfonie c-Moll einen gewissen Seltenheitswert hat. Heinrich Christoph Koch ist vornehmlich Theoretiker in die Musikgeschichte eingegangen und als solcher noch immer anerkannt. Er hinterließ den Versuch einer Anleitung zur Composition, ein Musikalisches Lexikon und das Handbuch bey dem Studium der Harmonie. „Seine theoretischen Überlegungen lassen sich“ nach Auffassung von Larsen in der Sinfonie auf der CD „durchaus nachvollziehen“. Seine anderen Kompositionen sind hingegen weitgehend unbekannt, so sie nicht in seinen Schriften zitiert werden. Er lebte zwischen 1749 und 1816, wurde in Rudolstadt geboren und ist dort auch gestorben. Reisen führten ihn zu Studienzwecken nach Berlin, Dresden und Hamburg. Obwohl er zum Kammermusikus aufgestiegen sei und die Rudolstädter Hofkapelle leitete, habe er darum gebeten als „1. Vorspieler an der Violine“ ins Orchester zurückzukehren, „um sich stärker seinen theoretischen Abhandlungen widmen zu können“. Koch, der sich auch autodidaktisch bildete, war ein Schüler von Christian Gotthelf Scheinpflug, dem vierten auf der CD gleich zweifach vertretenen Komponisten. In der sächsischen Stadt Zschopau 1722 geboren, brachte auch er es zum Hofkapellmeister in Rudolstadt, wo er Koch begegnete. Zu hören sind zwei Sinfonien von erheblichem Einfallsreichtum. Insgesamt lassen sich dreißig derartige Kompositionen nachweisen, dazu Ouvertüren, Kantaten und das Passionsoratorium Die Pilgrimme auf Golgatha. Rüdiger Winter