Die Vögel zwitschern in Stereo

In der Krabbelkiste auf einem Flohmarkt fiel mir vor Jahren eine Electrola-Single in die Hände, die meine Aufmerksamkeit weniger durch das Werk als vielmehr durch das Cover auf sich zog. Es zeigt einen verehrten Sänger in gewagter Gewandung, nämlich in kurzer Lederhose, dazu noch in Hockstellung, in der niemand gut aussieht: Josef Traxel als Vogelhändler Adam! Diese Platte hatte Seltenheitswert. Inzwischen weiß ich sehr gut, dass sie nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich – also der Musik wegen – von einiger Bedeutung ist. Das unverhoffte Wiedersehen und Wiederhören mit der fast sechzig Jahre alten Aufnahme beschert eine Operettensammlung mit sechs CDs, die bei Warner Classics erschienen ist (50999 4 31280 2 0). Der ursprüngliche Produzent, zwischenzeitlich mit der EMI fusioniert, ist nun unterm Dach von Warner gelandet, die alten ruhmreichen Namen der alten Labels sind verflogen, die der Mitwirkenden nicht. Traxel bleibt Traxel, egal unter welchem Firmenzeichen. Auch Anneliese Rothenberger bleibt, wer sie ist, und Rudolf Schock und Hermann Prey, Erika Köth, Fritz Wunderlich, Nicolai Gedda, Marcel Cordes oder Benno Kusche. Sie alle wirken in diesen Querschnitten mit, sie alle bleiben auch in der Erinnerung unabhängig. Sie sind alle auf ihre unverwechselbare Weise zu Eigenmarken geworden.

„Glücklich ist, wer vergisst . . .“ Das berühmte Zitat auf der Fledermaus von Johann Strauss will zwar nicht zu dem eben Gesagten passen. Es ist auch gegenläufig zu den wunderbaren Erinnerungen, die angesichts dieser alten Querschnitte wach werden. Das Zitat in dieser Verwendung als Motto der Box ist zwar gut gemeint, in Wahrheit aber ein Irrtum, weil es Operette zu dem macht, was sie nie sein wollte und auch nie war, nämlich Traumland, Ort des Vergessens. Operette ist frech, unanständig, an Tabus kratzend – und zumindest aus heutiger Sicht politisch oft gar nicht korrekt.

Josef Traxel als Vogelhändler Adam auf einem Cover in der Box

Josef Traxel als Vogelhändler Adam auf einem Cover in der Box

Elf Operetten  sind in die Edition eingegangen. Szenenfolgen wie der Single-Vogelhändler brauchen weniger Platz als jene, denen einst eine ganze LP gewidmet war. Hinzu kommen zwei Boni, die die Rothenberger und Marco Bakker mit Strauß-Melodien bestreiten. Ja, der Bakker, den gibt es ja auch. Ein niederländischer Sänger und Radiomoderator, der nicht nur mit Kunst Schlagzeilen machte. Er ist der lebendige Beweis dafür, dass Schmalz sehr haltbar ist. Nichts desto trotz, in seiner Zeit war Bakker mit seinem gefälligen Bariton sehr beliebt. Gefälligkeit ist das Stichwort. Es scheint die Vorgabe für alle hier versammelten Produktionen zu sein: Fledermaus, Nacht in Venedig, Bettelstudent, Gasparone, Schwarzwaldmädel, Vetter aus Dingsda, Boccaccio, Wiener Blut und den schon erwähnten Vogelhändler. Den gibt es gleich zweimal. Neben Traxel auch noch mit Heinz Hoppe in der Titelrolle. Bei ihm zwitschern die Vögel schon in Stereo. Nicht nur deshalb schneidet Hoppe bestens ab. Er bringt mit Diktion, Leichtigkeit und Charme die allerbesten Voraussetzungen als Operettensänger mit, die Traxel, bei dem man immer den Evangelisten hört, so nicht hat. Zum Glück ist Hoppe auch noch in einer etwas unorthodoxen Melodienfolge aus Boccaccio zu hören sowie als Benozzo in Gasparone.

Nach meinem Eindruck bei der durchaus lustvollen Beschäftigung mit der Box überzeugen die Sänger aus der zweiten Reihe oft mehr als die mit den berühmten Namen. Sonja Knittel zum Beispiel ist eine hinreißende Kurfürstin, Christine Görner eine entzückende Christel von der Post, Sari Barabás eine flotte Rosalinde. Sie scheinen zufrieden mit dem, was sie sind, legen sich mächtig ins Zeug und ziehen sich nicht auf die Rolle der Primadonna zurück. Deshalb überzeugen sie auch so stark. Sie sind authentischer. Nein, nein, dieses Lob soll nicht auf Kosten der Primadonnen gehen, wirklich nicht. Es nimmt ihnen nichts weg. Die Rothenberger erzeugt die der Knittel eigene Natürlichkeit durch höchste Professionalität, was auch Eindruck hinterlässt. Die Köth ist betörend als Julia, Laura und Saffi. Ihr leicht tremolierender Sopran, der aus tausend Stimmen herauszuhören ist, mischt den Stücken, in denen sie mitwirkt, einen gehörigen Schuss Erotik bei, wie es denn bitte schön auch sein soll in der Operette. Das ist ihr großer Vorzug gegenüber der Rothenberger, die viel anständiger und reservierter herüber kommt. Insgesamt eine schöne Ausgrabung, die ihr Publikum finden wird.

Rüdiger Winter