Nicht aus dem Sichwundern heraus kommt man beim Genuss der Aufführung von Berlioz‘ Opéra Comique Béatrice et Bénédict von Glyndebourner Festival 2016, dem Staunen darüber, dass dieses zauberhafte Werk nicht öfter aufgeführt wird. Seine Verehrung für Shakespeare brachte der Komponist, verheiratet mit einer berühmten Shakespeare-Schauspielerin, dazu, als Libretto das Lustspiel Much Ado about nothing zu wählen, wobei viel von den geistreichen Dialogen, den Wortspielen, mit denen sich die beiden Titelfiguren beharken, im gesprochenen Text erhalten blieb, während die Arien, Duette und Terzette, aus neun wurden im Verlauf der Zeit fünfzehn Nummern, freier gestaltet und musikalisch von atemberaubender Schönheit sind, so das Duett zwischen Héro und Ursule, das es an Sinnlichkeit und romantischem Flair durchaus mit der Nuit d’ivresse aus den Trojanern aufnehmen kann.
Das Stück spielt in Messina, das die siegreich aus einem Feldzug zurückkehrenden Kämpfer, darunter Bénédict und sein Freund Claudio, erwartet. Claudio liebt glücklich und erwidert Héro, Bénédict liegt im Dauerstreit mit Béatrice, den er sofort nach seiner Rückkehr wieder aufnimmt. Durch eine List ihrer Freude werden die beiden Streithähne davon überzeugt, dass sie einander lieben, so dass am Ende nicht eine, sondern zwei Hochzeiten gefeiert werden.
Zum Vorspiel, das einige der später verwendeten Themen aufgreift, werden viele weiße, aus den verschiedensten Stilepochen stammende Stühle über die Bühne geschleppt. Trotz des Handlungsortes Messina wird die Bühne nie bunt, sondern Kulissen (Barbara de Limburg) und Kostüme (Laurent Pelly, der zugleich Regisseur ist) sind in verschiedenen Grautönen gehalten, letztere im Stil der Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts. Schachteln und Schubladen, in die sich die beiden Titelhelden auch symbolisch nicht wollen stecken lassen, sind die einzigen Kulissen, die sich beliebig aus- und zuklappen, verschieben und verstellen lassen, so dass Bewegtheit nicht durch Farbenspiel, sondern Beweglichkeit erzeugt wird.
Die Regie weiß nicht nur die Solisten espritreich zu führen, sie macht auch aus den vorzüglich singenden Chormitgliedern (Leitung Jeremy Bines) einfallsreiche Schauspieler, hält stets die Waage zwischen Poesie und Komik und lässt den Himmel im Hintergrund heiter strahlen oder düster dräuen.
Stéphanie d’Oustrac ist die quirlige, kratzbürstige Béatrice mit apart timbriertem Mezzosopran feiner Konturen, der sich im zweiten Akt zu schöner Fülle entfaltet. Die Zerrissenheit der Figur zwischen Emanzipationsstreben und dem nach Liebesglück weiß sie perfekt mitzuteilen. Eine blonde Schönheit ist Sophie Karthäuser, die der Héro nicht nur viel sanfte Anmut verleiht, sondern sie auch mit warmem, rundem Sopran singen lässt. Katarina Bradić ist beider Freundin Ursule mit sattem Mezzo. Blasser als die Damen bleiben die beiden Liebhaber: Paul Appleby, der zunächst zwischen Tenor und Bariton nagesiedelt erscheint, im zweiten Akt in seiner großen Arie aber mit einer strahlenden Höhe brillieren kann. Claudio ist der etwas konturenlos bleibende Philippe Sly. Zwei köstliche Typen gibt es mit dem Chorleiter Somarone und seiner als Parodie auf die Gattung angelegten Fuge (Lionel Lhote) und dem Herrscher Léonato, dem Georges Bigot viel Bühnenpräsenz verleiht. Der Chor glänzt außer mit der bereits erwähnten Fuge noch mit einem ebenso köstlichen Trinklied. Antonello Manacorda sorgt mit dem London Philharmonic Orchestra dafür, dass es im Orchestergraben ebenso brillant, spritzig und elegant zugeht wie auf der Bühne. Die DVD ist purer, knappe zwei Stunden dauernder Genuss (Opus Arte 1239 D). Ingrid Wanja