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Die Oper Les Barbares von Saint-Saens nach Sardou hatte 1901 im Pariser Palais Garnier ihre Premiere, nachdem sie eigentlich für das Riesenrund der Chorégie in Orange vorgesehen war, was sich auch in ihrem dramaturgischen Konzept widerspiegelt. Der Plot fokussiert sich weniger auf das zu erwartende Blutvergießen und Abschlachten, das assoziativ mit dem Wort „Barbaren“ einherging, sondern konzentriert sich Norma-gleich auf die Beziehung zwischen der Obervestalin Floria und Marcomir, dem Anführer der Barbaren. Das musikalische Interesse kulminiert in deren prachtvollem Duett am Ende von Akt II. Wie ebenfalls Massenet in dieser Zeit demonstriert Saint-Saens seine Fähigkeit, seinen Stil den Erfordernissen des Sujets/Librettos anzupassen, um von der Vorlage inspiriert zu werden. Les Barbares stehen in derselben Tradition wie die Troyens von Berlioz und sind zeitgleich mit Faurés Pénelope. Der Komponist scheut sich nicht, seine Oper eine tragédie lyrique zu nennen, weil sie eben alle Merkmale des Genres aus dem 18. Jahrhundert aufweist.
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Zudem lässt sich ein Hinweis auf den Franco-Preußischen Krieg von 1870 feststellen. Auslöser war der Streit zwischen Frankreich und Preußen um die Frage der spanischen Thronkandidatur eines Hohenzollernprinzen. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck ließ die Emser Depesche, mit der er darüber informiert worden war, dass König Wilhelm I. die französische Forderungen abgelehnt hatte, in provokant verkürzter Form veröffentlichen. Dies erregte auf beiden Seiten nationalistische Empörung und veranlasste den französischen Kaiser Napoléon III. am 19. Juli 1870 zur Kriegserklärung an Preußen. Entgegen Napoléons Erwartung traten die vier süddeutschen Staaten in Erfüllung ihrer so genannten Schutz- und Trutzbündnisse mit dem Norddeutschen Bund auf dessen Seite in den Krieg ein. Währenddessen blieb das übrige Europa neutral, da es Frankreichs Angriff als unbegründet ansah. Innerhalb weniger Wochen des Spätsommers 1870 wurden die französischen Armeen besiegt und Napoléon III. gefangen genommen. Die „Dritte Republik“, die sich daraufhin in Frankreich bildete, führte den Krieg fort und fand sich erst im Februar 1871, nach dem Fall von Paris, zumVorfrieden von Versailles bereit. Offiziell endete der Krieg am 10. Mai 1871 mit dem Frieden von Frankfurt, der hohe Reparationen sowie die Abtretung Elsass-Lothringens durch Frankreich vorsah. (Quelle Wikipedia)
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Die neue Aufnahme bei Ediciones Singolares (im schönen, wenngleich unpraktischen Buchformat mit spannenden Aufsätzen und interessanten Abbildungen und den 2 CDs einliegend) steht wiederum unter der schützenden Hand des Palazetto Bru Zane und stammt von einem Konzert in Saint-Etienne im vergangenen Februar (2014). Laurent Camepellone dirigiert mit Macht die Kräfte des Choeur Lyrique und des Orchestre Symphonique Saint-Etienne Loire, und zu den Solisten zählen die bereits aus diesem Palazetto-Projekt bekannten Stimmen von Catherine Hunold, Julia Gertseva, Edgaras Montvidas, Phlippe Rouillon und anderen. G. H.
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Nun also der Text unseres französischen Kollegen Etienne Lafont: Ausgrabungen sind ja stets so eine Sache – nicht immer werden goldene Schätze ans Tageslicht gefördert, manches entpuppt sich dann auch als mehr als lässlich. Glücklicherweise gehört die soeben auf CD erschienene Oper Les Barbares von Camille Saint-Saens zu den lohnenden Funden der Opern-Antike. Sie ist eine erstaunliche Komposition, die mit einem umfangreichen Prolog beginnt. Diese gut zwanzig Minuten Musik überraschen durch den Einsatz eines Rezitanten (der wie der antike Chor die Handlung erzählt), aber vor allem durch den Reichtum eines üppigen Musik-Materials: Saint-Saëns führt mit einer Überfülle an musikalischen Farben die Hauptmotive vor, die man später wiederfindet: eine einleitende Betonung der zentralen Rolle, die das Orchester in der gesamten höchst überzeugenden Partitur spielt, wobei die Opulenz der Orchestrierung nie belanglos-dick wird. Saint-Saëns kennt seinen Wagner, kennt die symphonische Musik von Strauss und die ersten Opern von Puccini zur der Zeit, als er Les Barbares komponierte. Aber er bleibt stets und eindeutig unabhängig und einer französischen Linie verpflichtet. Offenbar hatte er das Beispiel der Troyens ebenso wie das von Gluck vor Augen, weniger Spontini. Diese Oper, Les Barbares, entstammt einer Tradition der französischen Musik, die die Wagnerschen Richtlinien verinnerlicht, sich zu eigen gemacht hat und abwandelt (man denkt dabei besonders an den späten Massenet und an Reyer). Ganz eindeutig hat die Beschäftigung mit dem Sujet den Komponisten zu einer Suche nach neuen Klangfarben, nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten angeregt – so wie Reyer mit seiner kurz zuvor erschienenen Salâmmbo nach Flaubert.
Das heute sommerlich genutzte Riesenrund der Chorégies in Orange existierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht als Publikumsmagnet, aber es war mit dem Projekt einer Opern-Aufführung im antiken Theater, dass die Direktion der Beaux-Arts Anfang 1900 Camille Saint-Saëns den Auftrag für eine Oper nach einem Libretto von Victorien Sardou und Pierre-Barthélémy Gheusi gab: Les Barbares. Die geringe Begeisterung des Komponisten für die – Saint-Saëns eher ungeeignet scheinende – Spielstätte und die avisierten Kosten für dies Unterfangen führten dazu, dass die Idee einer Aufführung vor der antiken Mauer aufgegeben wurde. Schließlich war die Uraufführung am 23. Oktober 1901 im Pariser Palais Garnier unter der Leitung von Paul Taffanel und in einer Inszenierung von Pedro Gailhard und Victorien Sardou sehr erfolgreich. Seither wurde die Oper jedoch nie wieder aufgeführt. Ganz wie Massenet in derselben Epoche demonstriert hier Saint-Saëns mit dieser Oper seine Fähigkeit, seinen kompositorischen Stil seinen literarischen Vorlagen zu anzupassen. Im Fahrwasser der Troyens von Berlioz – und zur Zeit der Komposition von Faurés Pénelope –, geniert er sich nicht, seine Verbeugung vor dem Genre des 17. Jahrhunderts eine tragédie lyrique zu nennen.
Seine neue, interessante Orchestrierung ist in diesem neuen Werk von ungefähr drei Stunden Musik (zwei Pausen einschließlich, ungefähr 40 Minuten ausschließlich orchestraler Musik) besonders erfolgreich . Der Prolog, der die Hauptthemen der Partitur vorwegnimmt, ist erstaunlich, angefüllt mit eigenartigen Modulationen, bei denen man sich fragt, welcher Akkord welchem anderen folgt. Das ist ein wenig nervig, aber spannend. Die szenische Aktion verzichtet auf ausufernde blutrünstige Effekte, um sich auf die Entwicklung der Liebesbeziehung zwischen der Vestalin Floria und dem Barbarenherrscher Marcomir zu konzentrieren. Die Musik hat zweifellos ihren Höhepunkt in deren wunderbaren Duett, das den 2. Akt beendet. Im 3. Akt gibt es eine Ballettmusik mit mehr oder weniger Überbrückungsfunktion, die mit einer Art mediterranem Volkstanz beginnt (wie bei Bizet!), gefolgt von einigen weniger interessanten Stücken, um mit einem seltsamen spanischen Tanz zu enden, der scheinbar endlos hintereinander dieselben vier Takte wiederholt, unter einem Klangteppich von wirklich erstaunlichen Dissonanzen.
Die Story dreht sich um die problematische Liebe der römischen Vestalin Floria zu Marcomir, einem germanischen Eroberer die Goten statten Rom gerade einen vorübergehenden Besuch ab. Die Handelnden in der Oper sind vom Libretto her zu wenig entwickelt, denn was hier zählt, sind die Klimaxe der Situationen und der Affekte. Dies dank einer gewaltigen, leidenschaftlichen Musiksprache, die wirklich Spannung verbreitet. Der 1. Akt ist eine einfache Exposition der Situation, aber die Solisten müssenang an alles geben, was nicht eben sängerfreundlich ist. Im 2. Akt sieht man die Ankunft der Barbaren im Tempel der Vesta (beeindruckender Chor), was einzig der Oper den Titel gibt, denn der Rest ist nur eine Liebesgeschichte. Der Anführer der Krieger, Marcomir, erweist sich sogar als besonders zartfühlend, weil er es ablehnt, Floria mit Gewalt zu nehmen und ihr die freie Entscheidung lässt. Sie verliebt sich natürlich in ihn.
Norma und Spontinis Vestalin grüßen herüber. Das sehr schöne Liebesduett am Ende des 2. Aktes ist der eindrucksvollste Teil der Komposition, und trotz einer machtvollen Orchestrierung lässt es die Stimmen sich entfalten und gibt Gelegenheit zu gefühlvollen Piani. Im 3. Akt, nach den oben erwähnten Balletten, löst sich die Handlung rasch auf: Nach einer Szene der allgemeinen Freude des Volkes über den Abzug der Angreifer kündigt Floria ihren Entschluss an, ihrem Geliebten zu folgen. Ihre Freundin Livia schlägt vor, sie zu begleiten, aber das ist eine List, um den, der ihren Gatten im Kampf getötet hat, zu entlarven. Es handelt sich natürlich um Marcomir, sie stößt ihm eine Waffe mitten ins Herz, und Floria sinkt verzweifelt zu Boden.
Die Besetzung weist einige der bereits aus anderen Veranstaltungen und Aufnahmen des Palazetto-Bru-Projektes zur Wiederbelebung der romantischen französischen Oper bekannte Sänger auf. Cathérine Hunold gibt eine viel zu lyrische Vesta-.Priesterin Floria mit Wissen um die Partie und enormem Einsatz, und der Raubbau an der zu kleinen Stimme macht sich mit deutlichem Vibrato bemerkbar. Der Fund der Einspielung ist der lettische Tenor Edgaras Montvidas als superber Germanen-Anführer Marcomir mit überraschend exzellenter Diktion und stentoralen Tönen. Leider hat die Aufnahme in der Vestalin Livie in Gestalt von Julia Gertseva eine akute Graustelle – sie klingt matt und unterbelichtet. Jean Teitgen dagegen, als Recitant des Prologs und als römischer Krieger Scaurus, ist mit seinem markanten Bariton eine Wucht.
Das gilt auch für die herbe, sonore Bass-Stimme von Philippe Rouillon als Germanenführer Hildibrath bzw. Oberpriester (le Grand Sacrificateur). In kleineren Rollen gefallen Tigran Guiragosyan, Laurent Pouliade und Ghezlane Hanzazi. Star der Aufnahme ist jedoch der Dirigent Laurent Campellone am Pult der wirklich überzeugenden Kräfte aus Saint-Etienne (Le Choeur Lyrique und das Orchestre Symphonique Saint-Etienne Loire). Etienne Lafont (Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung der obigen Texte/Redaktion G. H.)
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Charles Joly, ein Pariser Kritiker, berichtet von der Urauffürung der Barbares 1901: Der „Figaro“ erweist mir die Ehre, vom heutigen Tag an über die Musikangelegenheiten zu berichten, eine äußerst schwierige Aufgabe, weil sie sieben Jahre lang durch einen wichtigen Komponisten erfüllt wurde, dessen Ehrlichkeit und gewaltige Persönlichkeit den Respekt und die Wertschätzung aller geboten hat: Ich spreche von M. Alfred Bruneau. Wenn es auch gefährlich für einen Kritiker ist, der Nachfolger eines so lebensstarken und persönlichen Künstlers zu sein, so hoffe ich doch wenigstens, dass man meine Bemühungen, meine Aufgabe für eine so wichtige Zeitung wie den „Figaro“auf würdige Weise zu erfüllen, berücksichtigen wird. Bevor ich beginne, lege ich Wert darauf, meinem Vorgänger meine freundschaftliche Sympathie auszusprechen. Mein Lehrer und Freund Herr Gustave Larroumet hat eben hier vor zwei Tagen erzählt, wie das Werk der Herren Sardou, Gheusi und Saint-Saëns, das zuerst für das römische Theater von Orange konzipiert war, danach umgeformt wurde, um an der Oper aufgeführt zu werden. Jeder hat auf die von den Autoren bezüglich des Theaters von Orange, das erst unter Marc Aurel erbaut wurde, beabsichtigten Anachronismen hingewiesen. Alle haben die Gelegenheit ergriffen, die römische Geschichte in den Händen, über den Einfall der Zimbern und Teutonen, die ein Jahrhundert vor dem christlichen Zeitalter, aus ihrem Land durch den Einfall der Völker aus dem Baltikum, nach Süden ziehen, sechs Legionärs-Armeen ausgelöscht haben und, auf ihrem Weg alles zerstörend, bis Orange kamen. Alles wurde schon über das Werk gesagt, also kann ich darauf verzichten, noch einmal darauf zurückzukommen.
Ich erwähne nur, dass den Barbares ein Prolog vorangesetzt ist, der, nach antiker Art rezitierend ebenfalls das Drama in großen Zügen zusammenfasst. Ich stelle ein anderes Detail fest, das noch nicht erwähnt wurde, das die Ruhe Florias erklärt, die im Widerspruch zu dem Schrecken steht, der bei der Ankunft der wilden Horden in dem Theater um sie herrscht, von denen man annimmt, dass sie ein schreckliches Blutbad anrichten werden: Es haben nicht nur die Vorzeichen der Vesta Floria die Befreiung der Stadt versprochen, die Priesterin weiß auch, dass die Barbaren das Feuer anbeten. Also facht die Vestalin, als diese über die gallischen Römer herfallen, das heilige Feuer ihrer goldenen Stäbe an: Die daraus entspringenden Flammen erfüllen die Germanen mit einem religiösen Schauder; sie sehen darin eine Offenbarung von Thor, dem Gott des Feuers, und sie wagen es nicht, weiterzugehen. Man kennt den Rest. Marcomir, der Anführer der Barbaren ist von der Schönheit Florias gefesselt: Er gesteht ihr seine Liebe; die Vestalin lässt sich nach und nach erweichen und sinkt schließlich in die Arme ihres Besiegers. Floria wird orange verlassen, um Marcomir zu folgen; aber Livia hat in dem Germanenführer den Mörder des Konsuls Euryale, ihres Gatten, der am Vortag in der schrecklichen Schlacht gefallen ist,erkannt; sie sticht ihn in dem Moment, als er mit Floria wegziehen will, ins Herz. So hat Vesta die Beleidigung, die ihrem Kult zugefügt wurde, gerächt.
Die Protagonisten der Oper werden ihr sicher seine zu große Einfachheit vorwerfen. Die Handlung reduziert sich tatsächlich auf eine von zweitrangigen Vorfällen begleitete Katastrophe: Die Situationen sind manchmal sogar schwach verbunden; und, um die Wahrheit zu sagen, man würde wünschen, das eine flexiblere Bewegung des Lebens von Zeit zu Zeit die Strenge der Situationen ersetzen würde. Man muss außerdem auf die sehr konventionelle Seite hinweisen, die diese lyrische Tragödie manchmal einer Oper der guten alten Zeit ähneln lässt. Alle diese kritischen Einwände hätten Bedeutung, wenn das Drama der Herren Sardou und Gheusi die Inspiration von Herrn Saint- Saëns in irgendeiner Weise behindert hätte. Im Gegenteil, die Partitur des Meisters erhellt es mit einem heiteren Licht. Nichts Unzulängliches findet sich in dem Werk, so dass nichts in der Partitur uns stört, deren Transparenz, solider und gleichzeitig weicher Stil attische Anklänge hervorruft. Also was wollen Sie? Ich lasse mich von dem kostbaren Charme gewinnen, den diese Musik verströmt, und mein Herz und Geist sind so entzückt, dass ich, wenn ich sie höre, diese Diskussionen, die um diese Oper geführt wurden, vergesse.
Übrigens, wer hat Recht, die, die zwar voll Talent, aber von ihrer Anhängerschaft zu dem mächtigen Meister jenseits des Rheins völlig besessen sind und uns nur Abglanzwerke geben können, oder jene wie Saint- Saëns, die den reinen Traditionen unserer Rasse treu bleiben? Wer hat Recht, diejenigen, die unter dem Deckmantel einer falschen Psychologie und unter dem Vorwand, uns einen „Teile echten Lebens“ zu bieten, die Musikkunst in die Sackgasse des tiefen und hässlichen Realismus geführt haben, oder jene, die, wieder wie Saint-Saëns, Anbeter der Form und der Schönheit geblieben sind? Ich zögere nicht, ich stimme für Saint-Saëns; ich stimme für den Meister, der die große klassische Linie von Haydn und Mozart weitergeführt hat, für den besten Musiker, den wir seit Berlioz in Frankreich haben, für den untadeligen Künstler, der so großartig die französische Schule repräsentiert, auch außerhalb unserer Grenzen. Und wenn wir uns auf das Gebiet der absoluten Kunst begeben, so kenne ich nicht viele Komponisten, die seit den großen Meistern, in der Lage waren, in dem gleichen Maße, wie es Saint-Saëns getan hat, ein so exklusives Werk an Form und Idee zu schaffen wie ein Septett, ein Quintett, ein Trio oder eine Symphonie.
Aber jetzt haben wir uns von den Barbaren weit entfernt. Kommen wir darauf zurück. Eine Meisterschaft, die an ein Wunder grenzt, eine fast eben solche Inspiration, eine große Reinheit der Form und eine sehr französische Klarheit, das sind die wichtigsten Charakteristika der Oper. Das Werk beginnt mit einem breiten Prolog, einer wunderbaren Symphonie, die das Repertoire der großen Konzerte bereichern wird, und in dem das Drama uns als eine Art instrumentale Synthese erscheint. Denn, ich habe es Ihnen noch nicht verraten, es gibt Leitmotive in den Barbares, nur vier oder fünf, und keineswegs Leitmotive, die auf kleinste Proportionen reduziert sind, die uns zwingen würden, sie wie ein Logogriph oder ein Rätsel zu entschlüsseln, sondern wirklich Themen, rein und ausdrucksvoll, und auf diesen mit unendlicher Kunst nuancierten, variierten und einander gegenübergestellten Themen ist der Prolog aufgebaut. Der ganze Teil des ersten Akts, der gewissermaßen als Exposition des Dramas dient, ist von einer großen Nüchternheit und gleichzeitig von einer von einer beabsichtigten Strenge, was bewirkt, dass man Hörer ihn langsam finden. Man könnte tatsächlich sagen, dass der Komponist die ersten Szenen absichtlich düster gehalten hat, um einen glücklichen Kontrast mit der Begegnung von Marcomir und Floria zu erreichen. Doch von da an wirkt der musikalische Charme. Hören Sie die kostbare Violinphrase, die die Frage Macomirs an Floria begleitet, die nicht weniger exquisite der Oboe und des Horns, die die Antwort der Priesterin der Vesta unterstreicht, und vor allem die breite Melodie des Orchesters, als Macomir seine Krieger aus dem Theater verjagt hat und der Held und die Vestalin sich still betrachten. Nicht nur der gesunde klassische Stil ist es, der sein Quintett belebt und nicht nur die bewundernswerte Anordnung der akustischen Gruppen, sondern in den kleinen Details der harmonischen Färbung, wie eine Note des Horns, der Oboe oder eine Harfenpassage, die immer ein Gefühl oder eine Empfindung hervorrufen, erweist sich Saint-Saëns als der erste Symphoniker unserer Zeit.
Dennoch sind diese heiteren Schönheiten des ersten Akts nichts, wenn man sie mit denen vergleicht, von denen die Liebesszene überfließt, die den 2. Akt beendet. Die Todesschreie in der Stadt sind verstummt und Marcomir gesteht Floria seine Liebe. Der Schrecken ist noch im Herzen der Vestalin und das Orchester hat das Motiv, leicht abgewandelt, wieder aufgegriffen, das wir gehört haben, als Scaurus den blutige Körper von Euryale gebracht hat; aber das Vertrauen erwacht nach und nach im Geist der Priesterin, die steigende Zärtlichkeit des Helden erweicht ihr Herz; das Orchester schmilzt dahin und sie sinkt in die Arme ihres Siegers. Nun wird die Anrufung von Freia, die Marcomir und Floria singen, mit einer wunderbaren technischen Geschicklichkeit von der Anrufung der Venus, die Livia zuvor gesungen hat, begleitet; eine Atmosphäre der Liebe steigt aus dem wärmer, zärtlicher gewordenen Orchester,; der Himmel ist voll von Sternen; die beiden Liebenden können sich lieben. Dieser Teil ist die unschätzbare Perle dieser Partitur, die auch andere Werte enthält, wie die Arie des Erzählers, die traurigen Melodien von Livia, deren letzte im 3. Akt als Thema des Trauermarsches dient, der den Leichenzug von Euryale begleitet; und auch im 3. Akt die interessante symphonische Stelle, die den Abzug der Barbaren beschreibt, die Männer- und Frauenchöre, die Ballettmusiken, schließlich die pittoreske Farandole, die nach den romanischen Riten nachgebildet ist und die Querpfeifen, Oboen, Kastagnetten und Tamburin beleben und in eine schwindelerregende Bewegung treiben. Dieser Tanz hatte einen enormen Erfolg, aber noch weniger groß als der, den die wunderbare Schlussszene des 2. Akts davongetragen hat.
Es bleibt mir nur, alle Interpreten dieses schönen Werks, das der französischen Kunst zur Ehre gereicht, zu loben: Fräulein Hatto, feierlich in der Rolle der Floria und mit einer Stimme, die geschmeidiger geworden ist und an Volumen gewonnen hat; Madame Héglon, äußerst dramatisch, mit großartiger Attitude als Livia, die mit vollendeter Kunst die Strophen an Venus und den Abschied von Euryale gesungen hat; M. Delmas, der wenig zu singen hat, obwohl er die beiden Rollen des Erzählers und des Scaurus darstellt, aber dieses Wenige ist so schön, vor allem im Prolog, dass wir wieder einmal die Großzügigkeit seiner Stimme und die Klarheit der Diktion dieses großen Künstlers bewundern; M. Vaguet, der Macomir verkörperte und der uns durch die Schönheit seines Stils und den Charme bezaubert hat, mit dem er alles singt. Die Herren Riddez und Rousselière sind beide bemerkenswert in den Rollen von Hildebrath und des Wächters. Nicht zu vergessen Herr Taffanel, der das Orchester perfekt leitet; Herr Paul Puget, der die Chöre einstudiert hat; Catherine und André Gailhard, die die Gesangseinstudierung vorbereitet haben; Herr Lapissida, der geschickt die Inszenierung gestaltet hat; das Ballet von Herrn Hansen, die Bühnenbilde von Herrn Jambon und die Kostüme von Herrn Bianchini. Zuletzt wollen wir Herrn Gailhard beglückwünschen, den Direktor der Oper, der die Seele der Einstudierung der Barbares war und sie vom ersten bis zum letzten Tag überwachte, dass er dieses Werk mit aller Sorgfalt, die es verdient auf die Bühne gebracht hat, in dessen hoher Qualität sich die reine musikalische Schönheit manifestiert, so wie sie die großen Meister verstanden haben und wie sie die wirklichen Künstler immer aufrecht erhalten werden.
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(Dank an Ingrid Englitsch für die Übersetzung dieses langwierigen, historischen Textes, den wir dem Booklet zur Neuaufnahme bei Ediciones Singolares entnommen haben. )
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Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier