Sardous „Tosca“ als Vorlage

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Am 14. Januar 1900, ein Jahr vor Verdis Tod, wurde in Rom die Oper Tosca uraufgeführt. An der Schwelle eines neuen Jahrhunderts, das an Grausamkeit alle früheren übertreffen sollte, konfrontierte Giacomo Puccini sein Publikum mit einem Werk, dessen Brutalität ebenso schockierte wie seine musikalische Leidenschaft entzückte. Die Verwirrung, die Tosca ausgelöst hat, war seitdem mehrfacher Wandlung unterworfen. Aber sie ist geblieben bis zum heutigen Tage: ‚Tosca‘ wird unausstehlich“, schrieb Oskar Bie in seinem Standardwerk „Die Oper“, und er änderte seine Meinung auch nicht in den späteren Auflagen, die nach dem ersten Weltkrieg erschienen. „Die Sensation schlägt durch. Ein ekelhafter Text, blutig nicht bloß im Stoff, auch in der Behandlung. Eine Musik, Glocken, Chöre, Konzerte, heimliche Tänze, ekstatische Phrasen, Schlächterarbeit im Kleide des Liebenswürdigen, lächelnder Mord. Zehn verstreute Schönheiten, im Liebesduett, in den beiden großen Arien, geopfert dem Moloch der Kinodramatik. Aber man merkt es nicht gleich. Die Musik überwältigt, sie ist raffiniert. Nachdem der Butterfly der Staub von den Flügeln gewischt war, kam die schreckliche Erkenntnis, und diese Attraktion von Europa stand in ihrer Nacktheit da.“

Der Dichter und Theaterschriftsteller Victorien Sardoiu/Wikipedia

Giacomo Puccini  komponierte seine Tosca nach dem italienischen Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa. Sie wurde am 14. Januar 1900 am Teatro Costanzi in Rom uraufgeführt. Das Werk, das auf dem französischsprachigen Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou aus dem Jahr 1887 basiert, ist ein melodramatisches Stück, das im Juni 1800 in Rom spielt, wo die Kontrolle des Königreichs Neapel über Rom durch den Einmarsch Napoleons in Italien bedroht ist. Es enthält Darstellungen von Folter, Mord und Selbstmord sowie einige von Puccinis bekanntesten lyrischen Arien.

Puccini sah Sardous Stück, als es 1889 in Italien auf Tournee war, in italienischer Übersetzung und erwarb nach einigem Zögern 1895 die Rechte, das Werk in eine Oper umzuwandeln. Die Umwandlung des wortreichen französischen Stücks in eine prägnante italienische Oper dauerte vier Jahre, in denen sich der Komponist wiederholt mit seinen Librettisten und seinem Verleger stritt. Die Uraufführung von Tosca fiel in eine Zeit der Unruhen in Rom, und die erste Aufführung wurde aus Angst vor Unruhen um einen Tag verschoben. Trotz der gleichgültigen Kritiken der Kritiker war die Oper ein sofortiger Publikumserfolg.

Aber wer kennt eigentlich die Vorlage zu Puccinis Erfolgsoper, das vor allem durch die große Sarah Bernhardt berühmte Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou? Die Bernhardt war zu ihrer Zeit die bedeutendste Schauspielerin der Welt, mit ausgedehnten Tourneen durch Europa und Nord- wie Südamerika, auch als Tosca. Ganz sicher hat kaum, jemand außerhalb Frankreichs das Stück von Sardou gelesen, in Paris wurde es sehr vereinzelt nach dem letzten krieg aufgeführt. Wir bringen zum Puccini-Jahr 2024 Auszüge aus dem Stück in deutscher Sprache in der Übersetzung von Martha Feist.

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(A1: Die Kirchenszene in Sant‘ Andrea della Valle mit dem berühmten „Te Deum“ Scarpias plus Chor sieht bei Sardou ganz anders aus – es fällt aus. Dafür gibt es eine Audienz bei der neapolitanischen Königin Marie-Caroline, während der sich die andernorts geschilderte Begegnung zwischen Tosca und Scarpia ereignet. Die im 1. Akt der Tosca Puccinis dargestellte Eifersuchtsszene zwischen Tosca und Cavaradossi findet bei Sardou auf einer Soiree Toscas statt.)

Sc.: Und worin Sie sich täuschen sollten?

FL: Ich mich täuschen? Sie werden sehen! (zum Grafen Attavanti) Marquis! Auf zwei Worte. ich bitte. Kennen Sie diesen Fächer?

Attavanti: Diesen Fächer? (…) Ja, er gehört meiner Frau. (…) Aber die Marquise ist nicht hier, sie ist noch in di Frascati“

Fl. (zu Scarpia): Oh, Frascati. Das gibt sie nur vor… Ich verstehe, sie ist bei ihm, dem Abscheulichen. Dort unten, um gemeinsam zu soupieren und die Nacht miteinander zu verbringen.

Sc.: Dort unten – wo dennn?

Fl. (zu Scarpia): Oh, Frascati. Das gibt sie nur vor… Ich verstehe, sie ist bei ihm. dem Abscheulichen. Dort unten, um gemein- sam zu soupieren und die Nacht mit- einander zu verbringen. Sc.: Dort unten – wo denn?

Akt 2, Szene IV (Prunksaal. Die Königin IVIarie-Caroline von Neapel, der Prinz von Aragon, Generäle, neapolitanische und österreichische Offiziere, der Graf Attavanti, der Herzog von Ascoli, der Komponist Paisiello. der Polizeichef Scarpia, die Sängerin Floria Tosca) (…)

Marie-Caroline: Guten Tag meine Liebe, ich hoffe, Sie sind heute bei Stimme?

Tosca: ich werde alles tun, damit Majestät nicht allzu unzufrieden mit Ihrer untertänigen Dienerin ist.

Victorien Sardou: „Tosca“/Sarah Bernhardt/Foto Nadar/BNF

M-C.: Ist diese Kantate wenigstens geglückt? Paisiello hat genügend Dummheiten gemacht, um sich entschuldigen zu müssen. (zu Attavanti) Guten Abend, Marquis! (zu Scarpia) Ach, bist Du es Scarpia? Was gibt es für Neuigkeiten über Angelotti?? Sei vorsichtig, Du hast Feinde. Man stellte fest, dass Angelotti bereits acht Tage nach Deiner Ankunft entkommen ist.

Scarpia: Man klagt mich an?

M-C.: Seine Schwester ist reich und schön. (Rufe von draußen) Hörst Du. Scarpia? Sie fordern den Kopf von Angelotti – und den Deinen! (Die Hofgesellschaft lacht.)

Scarpia (für sich; betrachtet stolz die Gruppe der höhnisch Lachen-den): Natürlich, das römische Gesindel wäre das schlimmste von allen, wenn es nicht auch noch das neapolitanische gäbe. Nun, wenn Angelotti entkommt, bedeutet das schnelle Ungnade, man macht sich bereits auf meine Kosten lustig. (…) (erblickt Tosca, die mit Paisiello plaudert) Mindestens gegen die Attavanti hätte ich eine Waffe: dieser Fächer, aber hier – hier? Warum nicht sie selbst? Vielleicht… vielleicht… eine überaus verliebte, leidenschaftliche Frau… mit dem Taschentuch hat Jago seinen Erfolg erzielt… entweder sie weiß etwas und ich bringe sie zum Reden, oder sie weiß nichts… und bei Gott: Dann wird sie ihn finden, finden für uns. Eine eifersüchtige Frau ist ein ehrgeiziger Polizist. (lehnt sich über das Canapee und über Floria, nimmt ihre Hand und drückt sie leicht mit seinen beiden eigenen Händen, lächelnd) Wissen Sie, Signorina, dass ich um dieses hübsche Handgelenk eigentlich Handschellen legen und Sie auf das Schloss Saint-Agathe in Verwahrung schicken könnte?

Floria (ganz ruhig, mit ihrem Notenblatt beschäftigt, ohne ihre Hand zurückzuziehen): Mich festnehmen?

Sc.: Ja!

Fl.: Warum?

Sc.: Wegen des Tragens aufrührerischer Farben! Das Kleid, dieses Armband… Rubine, Diamanten und Saphire: die Tricolore, ohne weiteres. (…) Niemand außer mir hat davon Notiz genommen. Sie sind ja bekannt für Ihre Ergebenheit gegenüber der Kirche und der Königin. Ich hätte aber zu gerne das Vergnügen, Sie als meine Gefangene zu sehen. Mit dreifachen Riegeln, um Sie an der Flucht zu hindern. Bis Sie mich lieben würden. Die Frauen verabscheuen ein wenig Gewalt keineswegs.

Fl.: Das ist wahr, es kursieren genügend schlimme Gerüchte, was mit Frauen dort unten geschieht.

Sc.: Ach was sagt man nicht alles… Ist diese Kantate von Paisiello gut? Fl.: Er hätte sie ebenso gut der Romanelli geben können…

Sc.: Und Sie nicht bei Ihrer Andacht in der Kirche von Sant‘ Andrea stören sollen.

Fl.: Oh, Sie wissen? Das ist auch kein großes Kunststück, ich verberge mich kaum.

Sc.: Das ist wahr. Er ist ja auch sehr charmant, dieser Franzose.

Fl.: Franzose? Er ist Römer!

Sc.: Wie können Sie da (als loyale Tochter Neapels) drei Worte mit diesem Voltaire-Anhänger wechseln, ohne ihm die Augen auszukratzen?

Fl.: Weil diese drei Worte heißen: Ich liebe Dich!

Sc.: Aber man liebt sich doch nicht die ganze Zeit. Schließlich plaudern Sie doch auch ein wenig, und er mit seinen revolutionären Ideen… Fl.: Die Liebe denkt anders darüber. (Und) er ist mir völlig ergeben.

Sc.: Sind Sie sich da ganz sicher?

Fl.: Warum fragen Sie das? Sie wissen etwas. Was? Was wissen Sie? So reden Sie doch. (…)

Sc.: Ich bin selbst so sehr von seiner Ergebenheit gegen Sie überzeugt, dass ich nicht mehr zögere, Ihnen diesen Fächer hier zurückzugeben. Der Zufall führte mich vorhin in die Kirche, der Herr war gerade gegangen; auf dem Gerüst mit der Staffelei… Ich nahm ihn an mich, um ihn an Sie zurückzugeben. Ich zögerte zwar, aber Sie sind sich seiner ja sicher… Oh, mein Gott, Signorina, was haben Sie denn?

Victorien Sardou: „Tosca“/Film mit Rosanno Brazzi und Cecile Perrin/FilmeCin

Fl. (inzwischen wieder mit Fassung): Aber dieser Fächer gehört mir gar nicht. Wem kann er gehören? Eine Marquisenkrone .. Marquise … Marquise.. Die Attavanti! (wieder außer sich) Er gehört der Attavanti! Sie ist es, sie ist es… Ich ahne es, ich fühle es in meinen Fingerspitzen. Sie kam, als ich gegangen war, wie gestern!

Sc.: Wie gestern?

Fl.: Oder nein: Sie war dort, als ich kam, sie hatte sich versteckt. Und sein Zögern, mir zu öffnen, das Geflüster, seine Verlegenheit, sein Drängen mich fortzuschicken. Ach, zum Teufel, sie war dort, sie hat mich gesehen. Und als ich fort war, hat sie sich in seine Arme geworfen und über mich gelacht. Über mich, mit ihm, in seinen Armen. Dieser Schurke, ich reiße dir dein Herz heraus…

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Victorien Sardou: „Tosca“/Theaterszenen 1887/Victrola Book of Opera

Seitdem hat Tosca die Attribute „Kinodramatik“. „Schauerballade“ und „Hinter-treppenromantik“ nicht mehr verloren, mit denen ja auch Manon Lescaut, La Bohème und Madama Butterfly verziert worden sind. Puccini müsste, hätten die Opernhäuser nur den Kritikern und Experten geglaubt, längst vergessen sein, und doch steht Puccinis Werk heute noch unangefochten auf der ganzen Erde in der Spitzengruppe der erfolgreichsten Musiktheater-Komponisten. Mag sein, dass Puccini, ohne es zu wissen und zu wollen, dazu beigetragen hat, den Typ des in unserer Zeit modern gewordenen reflektierenden, reproduzierenden Autors zu begründen. Wagners Leitmotivik bewunderte er, also bediente er sich ihrer, wenn auch etwas oberflächlich. Um für seine Butterfly die japanische Klangfarbe zu studieren, nahm er die Hilfe der jungen Schallplattentechnik in Anspruch. Aber er hatte Substanz genug, um jede Entlehnung in eigener Ausdrucksweise zu formulieren. Es ist nicht unberechtigt, ihn als einen der letzten großen Opernkomponisten zu bezeichnen. Hier wird der Verismus, so könnte man sagen, überwunden. Cavalleria rusticana und Pagliacci, die berühmten Vorreiter einer Gattung, die die „schaurige Wahrheit“ auf die Bühne bringen wollten, die Darstellung des Lebens, „wie es wirklich ist“, und damit die Anprangerung einer brüchigen Gesellschaftsordnung, sind nicht zufällig Mascagnis bzw. Leoncavallos einzige wesentliche Werke geblieben. Die Reaktion auf die Themen der weltfremden Romantik und der idealistischen „Erlösungsoper“ war nicht revolutionär genug, war kürzer, als es zunächst den Anschein hatte. Im Fahrwasser der Bahnbrecher schwammen mindere Talente, auch fehlte es am Mut zur konsequenten Steigerung des Verismo. Und Puccinis Wahrheits-Fanatismus erschöpfte sich in der Schilderung des traurigen Loses einer Mimì, ohne die soziale Bestandsaufnahme zur Anklage werden zu lassen. Stefan Lauter

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Den Sardou-Text stellte Curt A. Roesler (renommierter Musik- und Opernkenner und -Autor und ehemaliger Chefdramaturg der Deutschen Oper Berlin) zur Verfügung. Die Textredaktion hatte Geerd Heinsen auf der Grundlage der Fassung von Martha Feist.

Carl Roesler schreibt uns dazu: Martha Feist (die ND-Journalistin, die über Befreiungsbewegungen in Afrika und über die sich ab 1975 verbreitende Anerkennung der DDR berichtete) hat die Übersetzung vermutlich für Götz Friedrichs erste Tosca 1965 an der Komischen Oper angefertigt. Der zugrundeliegende Schreibmaschinendurchschlag hat somit wohl Mitte der 70er Jahre die schwerbewachte deutsch-deutsche Grenze passiert, ehe er in München wieder zurate gezogen wurde. Dank an Carl Roesler, Martha Feist und Sabine Sonntag!!!