Lortzings „Weihnachtsabend“ & „Andreas Hofer“

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Zum Fest der eher kindlichen Liebe und Freude fällt dem journalistischen Opernfreund beim ersten Nachdenken nicht viel anderes ein als die übliche Referenz zu Hänsel und Gretel Humperdincks (was sich gar nicht für Kinder eignet und keine Kinderoper ist). Weihnachten gibt’s vielleicht noch in Massenets Werther oder in Menottis Ahmal and the nightly visitors, vielleicht noch Wagners Tannenbaum, dann wird es schon nachdenklicher und schwieriger.

Albert Lortzing und sein Librettist Philipp Reger, Daguerrographie 1848/H. Chr. Worbs/ Lortzing-Gesellschaft

Vergessen ist Albert Lortzings bezaubernde Kurzoper Der Weihnachtsabend, die es m. W. bislang in moderner Zeit nur in Freiberg/Döbeln 2001 (gekoppelt mit Der Pole und sein Kind) sowie 2014  in Annaberg-Buchholz am dortigen Eduard von Winterstein-Theater (hier nun mit Andreas Hofer), beide in der verdienstvollen Intendanz Ingolf Huhns, gegeben hat ( operalounge.de).

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Damals (2014) schrieb unser Korrespondent Rolf Fath zur Aufführung: Genauso könnte es gewesen sein, als Ludwig Richter seine biedermeierlichen Familienalben entwarf oder eben Albert Lortzing in seiner Detmolder Zeit mit seiner stetig wachsenden Familie Weihnachten feierte. In dem „launige Szenen aus dem Familienleben und Vaudeville“ bezeichneten Singspiel in einem Akt Der Weihnachtsabend stellte Lortzing, laut Jürgen Lodemann, „in jeder Weise seine persönliche Umgebung auf die Bühne, seine Detmolder Welt, ja, seine eigene Familie, und das sehr konkret.

"Der Weihnachtsabend" von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

„Der Weihnachtsabend“ von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

Es entsteht, so muss man es heute werten, ein Dokument, eines, das in die Geschichte der deutschen Familie und ihrer Rituale gehört“. Mit Der Weihnachtsabend traf Ingolf Huhn eine ausgezeichnete Wahl für sein Eduard von Winterstein-Theater, entspricht doch Weihnachten, so wie wir es uns erträumen, nirgendwo so genau unseren Vorstellungen wie im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz, wo der Weihnachtsmarkt auf dem historischen Markt, der Blick auf die St.Anna-Kirche und die von Schwibbögen illuminierten Fenster der Altstadt eine ganz besondere und einzigartige Weihnachtsatmosphäre schaffen (14. Dezember). In Tilo Staudtes lindgrünem Raum mit überdimensionierter Tür und mannshohem Fenster, an dessen Brüstung das sehnsüchtig seinen Geliebten Gottlieb herbeiwünschende Suschen kaum hinaufreicht, wirken die Figuren wie in eine Puppenstube gestellt. Niedliche Gestalten aus einer Zeit, die so harmlos nicht war, wie sie uns heute scheinen mag. Es handelt sich um die Figuren und Standardsituationen der Komödien und Lustspiele der Lortzing-Zeit, darunter der ganz in seinen Sammlungen ausgestopfter Tiere aufgehende Privatgelehrte Käferling, seine die allgemeine Teuerung beklagende Frau und ihre Besucher, der gehbehinderte Kaserneninspektor Sommer, der sich Hoffnungen auf Suschen macht, und der gütige Vetter Michel, der Suschen beisteht und Käferling und Sommer übertölpelt , indem er Gottlieb kurzerhand in einem Korb als Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum schiebt.

Andreas Hofer/Postkarte/OBA

Andreas Hofer/Postkarte/OBA

Das ist unaufwendig liebreizend, völlig banal, zeigt aber Lortzings eminentes Gespür im Umgang mit solch typischen Bühnensituationen und seine feine Charakterisierung der Figuren, etwa des sich in Sprichwörtern ergehenden Sommer („Es sind nicht alle Engel, die weiße Gewänder tragen“, „Ein mutiges Pferd will jeder reiten“ uva.), die pralles Theaterwissen verraten und bereits auf seine volkstümlich gewordenen Figuren im Wildschütz, Zar und Zimmermann oder der Undine vorausweisen. Huhn hat die Vorbereitung für den Weihnachtsabend liebevoll umgesetzt, macht aus der Szene zwischen Suschen und ihren beiden Verehren sowie Vetter Michel eine handfeste Kasperliade, ohne dass die derbe Reminiszenz an die Commedia dell’ arte die Formen sprengt, und zeigt ein anmutiges Zeitbild. Ich fand das ganz süß. Vor allem passt das so ausgesprochen gut in das Annaberger Ambiente.

"Andreas Hofer" von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

„Andreas Hofer“ von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

Lortzings Liederspiele waren Vaudevilles, deren Sprech- und Gesangstexte von ihm stammten, bei deren Musik er aber auf bekannte Opernmelodien zurückgriff und somit eine Art Wunschkonzert oder Best of schuf. Zu den zehn unaufwendig zu singenden Nummern, fünf Solonummern, zwei Duettchen und dem obligaten Vaudeville-Reihengesang am Schluss, gehören u. a. drei Ausschnitte aus dem Don Giovanni und der Zauberflöte sowie etwas aus Isouards Cendrillon .

 

Von Ingolf Huhn, der seinem Theater mit Ausgrabungen von Goldmark und Mangold Aufmerksamkeit sicherte, erwartet man mehr: Andreas Hofer, zu Lortzings Lebzeiten nie aufgeführt, später, etwa unter Emil Nikolaus von Reznicek in einer Bearbeitung, erlebte jetzt in Annaberg seine Uraufführung. Im Gegensatz zum Weihnachtsabend handelt es sich bei Andreas Hofer um kein Stück im eigentlichen Sinne, eher um eine Episode, ein Stimmungsbild, eine höchst merkwürdige Mischung aus Kampfgetümmel und – am Tag der Verlobung von Hofers Tochter Else mit seinem Adjutanten Conrad – wiederum häuslicher Idylle.

"Andreas Hofer" von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

„Andreas Hofer“ von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

Dazu lesen wir in Band 2 der von der Albert-Lortzing-Gesellschaft herausgegebenen Schriftenreihe. „1832 und 1833 schrieb Albert Lortzing während seines Engagements als Schauspieler und Sänger am Detmolder Hoftheater vier sog. Vaudevilles, d.h. einaktige Schauspiele mit Gesang, bei denen die Musikstücke meist auf bekannte Melodien oder Kompositionen zurückgreifen. Wie bei allen seinen Singspielen und Opern schreibt Lortzing den Text zu diesen Einaktern selbst. Haben zwei der Vaudevilles, Der Weihnachtsabend und Szenen aus Mozarts Leben, für dieses Genre eher gewöhnliche Inhalte, so greift Lortzing in den anderen beiden, Der Pole und sein Kind und Andreas Hofer, dagegen  die allgemeine politische Diskussion und emotionale Stimmung der frühen 30er Jahre des 19. Jahrhunderts auf.“  Das nach dem Wiener Frieden von 1809 spielende Stück endet nach Aufdeckung eines Verrats, „mit einem Dank an den Allmächtigen und einem Lob auf den österreichischen Kaiser“. Letzteres mit Haydns „Gott erhalte Franz, den Kaiser“. Neben Ausschnitten aus der Schöpfung, einem Brösel aus Die Stumme von Portici sowie Beispielen von Spohr und Weber, ist der Anteil von Lortzings Musik, die in den dramatisch geballten Revolutionsszenen ungewohnte Dramatik annimmt, in den – Chor- und Ensemblestücken – in Andreas Hofer gibt es nur einer Arie und ein Duett – umfangreicher und gewichtiger. Das beginnt mit der Ouvertüre, die von pastoraler Idylle zu kämpferischer Entschlossenheit führt und das Orchester mit allen Farben romantischer Stimmungsbildnerei beschäftigt.

"Andreas Hofer" von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

„Andreas Hofer“ von Lortzing in Annaberg-Bucholz/ Foto Dirk Roeckschloss/Eduard-von-Winterstein-Theater

GMD Naoshi Takahashi hat die engagiert spielende Erzgebirgische Philharmonie glänzend instruiert, wie denn die Einstudierung beider Werke von der liebevollen Hingabe zeugt, mit dem an diesem Haus gearbeitet wird. Beide Singspiele, die zum Großteil aus Sprechszenen bestehen, lassen sich auch nur mit einem Ensemble bewerkstelligen, das noch mit dem Genre der Spieloper und Operette vertraut ist und Sprechtexte punktgenau und pointensicher liefert. Huhn hat beste Arbeit geleistet, so dass selbst die patriotischen Wechselrufe von Hofer und seinen Vertrauten ohne größere Peinlichkeit abgehen.  Leander de Marel verfügt als Käferling, aber vor allem als Hofer, nicht mehr über die vokalen Möglichkeiten für eine solche Partie, und wird im Duett mit dem Anführer Speckbacher von dem mit gravitätischer Bassgewalt lustvoll auftrumpfenden László Varga ausgestochen. Madeleine Vogt wirkt als Suschen und Else etwas nadelspitz und streng, Marcus Sandmann versieht als Gottlieb und Conrad die Rolle des Verlobten zweimal mit spieltenoraler Wendigkeit; Michael Junge als Sommer und Pater Joachim sowie Matthias Stephan Hildebrandt als Vetter Michel und Meyer beweisen sicheren Bühneninstinkt. In die anfängliche Wohnstube stellt Tilo Staudte für den Andreas Hofer hinterleuchtete Bergwipfel, vor deren Spielzimmerpanorama Ingolf Huhn das Singspiel in einer Mischung aus Bauerntheater – die Tiroler Bauern mit Heugabeln und Dreschflegeln Statur, dazu mächtige, angeklebte Bärte –  Kriegs- und Lagerfeuerromantik und Befreiungsstück ausbreitet.  Das Stück dürfte heute kaum mehr Anhänger finden. Und trotzdem: Annaberg hat’s gewagt. Rolf Fath