.
Ein gemeinsames Schicksal teilen Joachim Raff und einer seiner Helden in seiner vorletzten von sechs Opern, der deutsche Komponist Johann Adolf Hasse, miteinander: Beide waren sie zu Lebzeiten hochberühmt und viel gespielt und fielen schließlich dem Vergessenwerden anheim. Den Titel für das Werk, das eigentlich „Kunst und Liebe“ heißen sollte, verleiht allerdings ein Zeitgenosse Hasses, der wie Händel in Italien als „caro Sassone“ gefeiert wurde, dem zu Lebzeiten seines Komponisten nie aufgeführten Werk: Benedetto Marcello. Wurde Joachim Raff zu Lebzeiten in einem Atemzug mit Brahms und Schumann genannt, war er Protégé von Mendelssohn und Liszt, dessen Werke er sogar orchestrierte, mit Wagner bekannt und mit Joseph Joachim so eng befreundet, dass man sie wie Castor und Pollux einschätzte und „Raff und seinen Vornamen“ betitelte, so zog sich Benedetto Marcello früh vom Komponieren und Unterrichten zurück und ging als Gouverneur zunächst nach Pola, später, wie es auch die Oper vermeldet, nach Brescia.
.
Wenn nun doch noch, gut 140 Jahre nach ihrem Entstehen, die „lyrische Oper“ auf CD als Übernahme vom SWR als Aufnahme eines Konzertes in Bad Urach bei Sterling erscheint, nachdem sie 17 Jahre zuvor ihre konzertante Uraufführung in Bad Urach erlebt hatte, dann mit einigem Recht unter der Schweizer Flagge, denn der Komponist wurde im Kanton Schwyz geboren, nachdem sein Vater sich, um den napoleonischen Rekrutierungsmaßnahmen im verbündeten Württemberg zu entgehen, sich dorthin geflüchtet hatte. Wie der Vater wurde auch der Sohn zunächst Schulmeister, wurde mit 18 Sekretär des päpstlichen Nuntius, komponierte jedoch in jeder Minute seiner Freizeit, schickte Mendelssohn einige seiner Werke, der sie bei seinem Verleger Breitkopf drucken ließ. Der erhoffte Erfolg stellte sich nicht ein, so dass Raff zeitweise, nachdem er sich mit seinem Auch- Gönner Liszt überworfen hatte, als Musiklehrer in Stuttgart lebte, später bei einem Verlag in Hamburg, ehe er nach Weimar zu Liszt zurückkehrte, wo seine erste Oper, „König Alfred“, mit einigem Erfolg, aber ohne Folgen aufgeführt wurde. Seine finanziell erfolgreichste, aber eine kräftezehrende Zeit war die in Frankfurt, wo er das dortige Konservatorium leitete. Nach seinem Tod spendierte die dankbare Stadt ihm ein Ehrengrab.
Vom Fleiß des Komponisten, der zu seinen Lebzeiten zu den meistgespielten in Deutschland gehörte, zeugen allein 12 Sinfonien und sechs Opern, welch letzteren jedoch kein Erfolg beschieden war, wenn sie denn überhaupt ihre Uraufführungen erlebten. Viel Pech war dabei im Spiel, denn der erste Tristan, Ludwig Schnorr von Carolsfeld, war gewillt, den „Samson“ zu singen, starb jedoch vor der Umsetzung des Plans, so wie es auch Mendelssohn geschah, ehe Raff die Ausbildung an dessen Konservatorium in Leipzig antreten konnte oder dem Wiener Musikverleger, der ihm eine Anstellung versprochen hatte.
Raff war ein großer Liebhaber der Barockmusik, was verständlich macht, dass er zwei berühmte Barockkomponisten zu Helden seiner Oper machte, was aber keinesfalls bedeutet, dass er Musik im barocken Stil komponierte. Vielmehr könnte man die seine in eine Reihe mit der von Lortzing, Nicolai oder Flotow stellen, melodiöse Werke mit reicher Harmonik, aber stets der Singstimme den Vortritt lassend und ganz und gar unwagnerisch. Das Libretto hat Raff nach unliebsamen Erfahrungen mit Librettisten selbst verfasst, was nicht bedeutet, dass es ein gutes ist, vielmehr strotzt es von den zum Teil dem Bemühen um einen Reim geschuldeten Peinlichkeiten, wie sie zu seiner Zeit gang und gäbe waren. Aber selbst die mit Texten erfahrene Ehefrau, eine bekannte Schauspielerin, konnte den Komponisten nicht daran hindern, seine so angenehme Musik mit der Fracht unsagbarer literarischer Produkte zu beschweren.
Die Handlung seiner Oper hat Raff erfunden, die Personen sind durchweg historisch belegt. Dies trifft also nicht nur auf die Komponisten Hasse und Marcello zu, sondern auch auf ihre Gefährtinnen Faustina Bordoni und Rosana Scalfi. Erstere war eine tatsächlich berühmte Sängerin, die nach ihrer Heirat mit Hasse auch in Deutschland, so am Dresdner und Wiener Hof, Triumphe feierte. Letztere war nicht das arme Waisenkind der Oper, sondern stammte aus gutem Venezianer Haus, wurde aber tatsächlich die Gattin von Marcello. Fiktion ist das Treffen der beiden Musiker in Venedig, wo der jüngere Deutsche dem älteren Italiener die geliebte Frau, Faustina, ausspannt, von diesem zu Duell mit unblutigem Ausgang gefordert wird und schließlich erkennt, dass er eigentlich die ihn längst heimlich verehrende Rosana liebt. Beide ziehen nach Brescia, Hasse kehrt mit Faustina nach Deutschland zurück.
.
.
Die Beschäftigung mit Benedetto Marcello macht nicht zuletzt deswegen Freude, weil die Ausgabe eine sehr sorgfältige ist. Es gibt separat vom Booklet das vollständige Libretto in Deutsch und Englisch, und im Booklet einen sehr informationsreichen Artikel über den Komponisten von Mark Thomas, der aus dem Englischen auch ins Deutsche übersetzt worden ist. Dazu gibt es eine sehr ausführliche Inhaltsangabe.
Die Leitung des Unternehmens war 2002 Grzegorz Nowak und dem SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern anvertraut worden, die besonders in der Ouvertüre und den Vorspielen zu den einzelnen drei Akten eine romantische, dichte Atmosphäre erzeugen, so dass man nachvollziehen kann, dass Raff vor allem als Komponist von Orchesterwerken sehr erfolgreich war. Zwar ist von venezianischem Kolorit trotz des Barcarolerhythmus‘ während der Gondelfahrt des Liebespaars Hasse-Faustina wenig zu verspüren, eher kann man in der Ouvertüre Anklänge an Rossini, jedoch wohl nur als Zitat gedacht, vernehmen, aber der reiche, dabei stets durchsichtig bleibende Orchesterklang ist ein durchweg angenehmer.
Eine besonders glückliche Hand hatte der für die Besetzung der vier Partien Verantwortliche (ein Männerchor klingt nur wenige Minuten lang aus der Ferne), was die Damen betrifft. Dabei ist man zunächst verblüfft über die Zuordnung eines satten Mezzosoprans zu der Kindfrau Rosana, während ein zarter Koloratursopran der reiferen Faustina zugeordnet ist. Das lässt sich damit erklären, dass diese als gefeierte Sängerin eine Bravourarie zu absolvieren hat, außerdem die historische Faustina ein Sopran war. Margarete Joswig singt die hingebungsvoll, aber vom Meister unbemerkt Liebende Rosana mit warmer, geschmeidiger, gar nicht unerweckt klingender Mezzostimme, mit tiefer Empfindung z. B. im „denn mein Hoffen war ein Traum“. Melba Ramos ist Faustina, die sich, der Meinung Raffs, aber nicht der Mode ihrer Zeit entsprechend, für das Schlichte ausspricht, aber mit einer hochvirtuosen, brillanten, wohl absichtlich etwas „mechanisch“ klingenden Arie reüssiert. Ein Gebet, das sie im weiteren Verlauf der Handlung vorträgt, endet etwas schrill.
Der jüngere Hasse ist bei Raff einem Tenor anvertraut. Johannes Kalpers singt ihn mit recht trockener, eng geführter Stimme, zwar zur Emphase, wenn angebracht, bereit, aber doch nur mit begrenzten Mitteln ihr gerecht werdend. Dem Marcello verleiht Detlev Roth einen zwar recht dumpfen, aber dennoch über weite Strecken markanten Bariton guter Diktion. Es ist die Crux von Aufnahmen unbekannter Opern, dass man herausragende Sänger (siehe Jonas Kaufmann in frühen Jahren) nur selten oder am Beginn ihrer Karriere für so unprofitable Unternehmen gewinnen kann. Trotzdem ist die Begegnung mit dem Komponisten und mit seinem zu Unrecht erst als über Hundertjährigem zur Geburt gelangten Werk eine sehr lohnende. (Sterling CDO 1123/1124-2). Ingrid Wanja
.
.
Eine ausführliche Biographie und verschiedene Artikel zu Aspekten Raffs finden sich bei der schweizerischen Raff-Gesellschaft auf deren interessanter website; eeitere Information zu den CDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.
.
Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.