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„Kann denn ein Deutscher eine Oper komponieren?“ Aussagen wie diese des einflussreichen Wiener Polizeichefs Sedlnitzky musste sich der aus Tirol stammende Komponist Josef Netzer vermutlich häufiger anhören, als er versuchte, seine Opernkompositionen wichtigen Entscheidungsträgern vorzustellen. Aber Netzer ließ sich nicht beirren und klopfte an weitere Türen. Eine davon öffnete sich zwar nicht für eine Aufführung einer der beiden ersten Bühnenwerke Netzers, bereitete aber den Weg für seine dritte Oper: Netzer war auf die Abendgesellschaften des Staatskanzlers Metternich geladen und konnte künftig auf Unterstützung durch die Gastgeber hoffen. Über den österreichischen Schriftsteller Franz Grillparzer hatte er den Textdichter Otto Prechtler kennengelernt. Dieser verfasste das Libretto zu der Oper, die Netzers erfolgreichste werden sollte: Mara (dazu auch die Aufführungskritik vom 7. 12. 13).
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Durch Vermittlung der Fürstin Metternich wurde Netzer im Juli 1840 von Ballochino, dem Direktor des Hofoperntheaters, aufgefordert, die Partitur seiner neuen Oper abzugeben. Netzer schloss einen Vertrag mit dem Theater ab, wonach er auf jedes Honorar verzichtete. Allerdings wurde ihm darin auch zugesichert, dass die Oper in der nächsten Herbst- oder Wintersaison aufgeführt werden würde. Netzer war mit seiner Komposition zu diesem Zeitpunkt bis zum Schluss des ersten Aktes gelangt. Von Juli an arbeitete er, laut der Biographischen Skizze von Josef Keßler, täglich 18 bis 20 Stunden an seiner Mara, stellte sie in nur 25 Tagen fertig und lieferte die Partitur am 27. August bei der Theaterdirektion ab. Die Probenzeit soll, wenn man den Ausführungen Keßlers Glauben schenkt, eine „Zeit vieler Leiden“ für Netzer gewesen sein. Die Oper des österreichischen Komponisten, der es wagte, neben den vergötterten Italienern und Franzosen bestehen zu wollen, war wohl ein Opfer zahlreicher Intrigen seitens des Ensembles. Als die Mara am 16. März 1841 schließlich ihre Uraufführung am Kärntnertortheater (der späteren Hofoper) erlebte, war sie jedoch, allem Widerstand zum Trotz, ein rauschender Erfolg. (…)
Fürst Metternich setzte sich auch weiterhin für Netzer und seine Mara ein, indem er ein Empfehlungsschreiben verfasste. Mit diesem in der Tasche begab sich Netzer ab April 1842 auf eine Kunstreise durch Deutschland, mit dem Ziel, Kontakte zu knüpfen, die Mara in anderen Städten bekannt zu machen und wenn möglich zur Aufführung zu bringen. Seine erste Station war Prag, wo Mara am 10. November 1843 erstmalig zur Aufführung kam und auch beim dortigen Publikum große Erfolge feierte. In Berlin lernte Netzer Giacomo Meyerbeer kennen. Dank seiner Vermittlung konnte das Werk im Sommer 1844 an den Königlichen Schauspielen Berlins gespielt werden. Ebenso wie bereits in Wien und Prag dirigierte Netzer seine Mara in Berlin selbst. Während Netzers Anstellung als Kapellmeister in Leipzig erlebte das Werk in der Saison 1844/45 sieben Aufführungen. Im Oktober 1844 erschien sogar ein vom Komponisten erstellter Klavierauszug im Druck. Weitere Stationen der Mara waren nachweislich Braunschweig 1844, Graz 1846, während Netzers Engagement 1850 in Mainz sowie 1852 in Sondershausen. Danach verschwand das Werk von den Opernbühnen.
Dafür könnte es viele Gründe geben. (…) Einer ist möglicherweise in den überaus anspruchsvollen Gesangspartien zu finden, die dazu geführt haben könnten, dass sich keine/r der (originalen) Sänger/Innen für Wiederaufnahmen oder Neuinszenierungen der Mara an anderen Theatern einsetzte. (…) Für kleine Theater war Mara eindeutig zu groß dimensioniert. (…) Problematisch könnten auch Ähnlichkeiten des Stoffes zu Preciosa von Pius Alexander Wolff gewesen sein, für die Carl Maria von Weber eine Schauspielmusik komponiert hatte. Neben ihr konnte sich Mara nicht behaupten, obwohl die Titelrolle in Netzers Opernwerk ganz anders angelegt war.
Betrachtet man die Liste der Opernhäuser, an denen Mara zur Aufführung gelangte, so fällt auf, dass es hauptsächlich Theater waren, bei denen Netzer intervenierte (Prag), an denen er selbst tätig war (Leipzig, Mainz) oder wo ihm Protektion weiterhalf (Wien, Berlin). Aufführungen gab es nur während einer Saison oder während der Anwesenheit des Komponisten.
Anscheinend hatte Netzer kein großes Geschick darin, sich im Theaterleben zu etablieren und dadurch Kontakte und Beziehungen aufzubauen beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Nach den Recherchen von Roswitha Karpf („Die erste Tannhäuser-Aufführung in Graz“) gilt als sicher, dass Netzer der Dirigent der ersten Tannhäuser-Vorstellung in der Donaumonarchie im Jahr 1854 war. Als liberaler Künstler unterstützte er diese Vorstellungsserie sicher mit viel emotionaler Beteiligung. Wagner wurde in Verbindung mit der Revolution 1848 steckbrieflich gesucht. Es ist daher anzunehmen, dass die Tannhäuser-Serie seitens des Hauses Habsburg kritisch beobachtet wurde und somit auch Netzer als Dirigent dieser Erstaufführung in seiner Bewertung als Künstler Schaden genommen haben könnte.
Eine weitere, von Rudolf Pascher geäußerte Vermutung hinsichtlich der schlechten Quellenlage der Biographie, besonders über seinen letzten Lebensabschnitt in Graz, begründet sich in dem liberalen Kulturkampf bezüglich des dortigen Zentralfriedhofes. Nachdem dieser Friedhof zunächst als Ruhestätte für verschiedene Konfessionen genutzt wurde, wollte die römisch-katholische Kirche nach dem
Ankauf des Grundstückes nur Bekenner ihres Glaubens dort bestatten lassen. Darüber geriet man in Auseinandersetzung, zu deren Anführern auf liberaler Seite Netzer und weitere Musiker aus seinem Kreis gehörten. Ob Netzer als ursprünglich katholisch Getaufter vielleicht schon während der Leipziger Zeit konvertierte oder nur als Anführer der Gegenpartei in dieser Auseinandersetzung fungierte, bleibt Spekulation. Die Berichte aus den Tagen seines Todes belegen allerdings eindrücklich die Schwierigkeiten der Bestattung Netzers. Selbst zwei Jahre später verbot das Seckauer Fürstbischöfliche Ordinariat eine Gedenkrede anlässlich der Grabsteinenthüllung. Netzer muss also „Persona non grata“ gewesen sein.
Auch das kann das schnelle Vergessen dieses Tiroler Tonkünstlers nach seinem Tod begünstigt haben. Möglicherweise lag es aber auch einfach nur an den Gesetzmäßigkeiten des damaligen Musikmarktes, so Franz Gratl, der Kustos der Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Bei einer Unzahl von damals geschaffenen Werken konnte sich eben nur ein Bruchteil im Repertoire halten.
Eine eindeutige Begründung wird sich vermutlich nicht mehr finden lassen. Mit der Innsbrucker Aufführung soll jedoch ein Beitrag dazu geleistet werden, zu zeigen, dass es Netzers Mara verdient, wiederentdeckt zu werden. Susanne Bieler
Der Komponist: Und wieder ist ein Blick in das unentbehrliche Wikipedia lohnend: Johann Josef Netzer (* 18. März 1808 in Zams/Tirol; † 28. Mai 1864 in Graz) war ein Komponist und Kapellmeister. Netzer gehörte zu den arrivierten Künstlern Tirols, die überregional Karriere gemacht haben. Seine erste Musikausbildung erhielt er von seinem Vater, danach am Innsbrucker Musikverein. Er erhielt Unterricht beim Wiener Musiktheoretiker Simon Sechter, dem späteren Lehrer Anton Bruckners. Zusammen mit Johann Rufinatscha erregte er in Wien schnell Aufsehen mit großen symphonischen Werken. Mit Franz Schubert war Josef Netzer eng befreundet und musizierte mit ihm. Netzers Bekanntheit wurde vor allem durch seine Oper Mara begründet.
Netzer arbeitete als Kapellmeister und Komponist in Wien am Theater an der Wien, ab 1849 in Mainz beim Stadttheater, in Leipzig und von 1853 bis 1861 in Graz beim Musikverein für Steiermark. Netzer starb 1864 in Graz. Sein Nachlass wird im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und im Stift Stams verwaltet. Im Jahr 2008, seinem 200. Geburtsjahr, wurde des Komponisten mit einigen Veranstaltungen gedacht. Zu seinen Werken zählen: die Oper Mara Wien 1841; Symphonie Nr. 1 in C-Dur, Wien 1837; Symphonie Nr. 2 in E-Dur, Wien 1838; Symphonie Nr. 3 in D-Dur, Wien 1845; Symphonie Nr. 4 in Es-Dur, Leipzig ca.1849; Trio für Klavier, Violine und Violoncello in E-Dur, Wien 1838.
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Josef Netzer: Mara, Große romantische Oper in vier Akten auf ein Libretto von Otto Prechtler; UA am 16. März 1841 am Wiener Kärntnertortheater (später Hofoper). Personen: Mara, eine junge Zigeunerin – Sopran, Manuel, ein junger Adliger – Tenor; Torald, Anführer des fahrenden Volkes – Bass; Ines, Manuels Braut – Mezzosopran; Graf Cornaro, Manuels Vater – Bass; Zigeuner, Hofleute, Volk; Zeit/Ort: Italien im 18. Jahrhundert
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Die Handlung/ERSTER AKT: Der junge Adelige Manuel hat sich in die Zigeunerin Mara verliebt, die mit einem fahrenden Zirkus in der Nähe des Schlosses Quartier bezogen hat. Auch Torald, der Anführer der Truppe, ist den Reizen der leidenschaftlichen Frau verfallen. Während Mara Manuels Zuneigung erwidert, weist sie Toralds Begehren zurück. Obwohl Mara das grausame Ende ihrer Liebe zu Manuel vorhersieht, träumen beide von einer gemeinsamen Zukunft. Der Versuch, Mara aus dem Lager zu entführen, scheitert am erbitterten Widerstand des eifersüchtigen Torald. Nur Maras beherztes Eingreifen rettet den Geliebten vor dem Tod. Sie stellt sich schützend zwischen ihn und die wütenden Zigeuner. So kann Manuel fliehen, während Mara weiterhin Toralds Gefangene bleibt.
ZWEITER AKT: In den Palast zurückgekehrt, wird Manuel von den Vorbereitungen zu seiner eigenen Hochzeit überrascht: Sein Vater Cornaro plant die Heirat seines Sohnes mit der reichen Erbin Ines. Manuels Eingeständnis seiner Liebe zur nicht standesgemäßen Mara führt bei dem unbeugsamen Patriarchen zu Unverständnis und heftigen Vorwürfen. Als kurz darauf die festlich geschmückte Braut den Raum betritt, fügt sich Manuel resigniert in sein Schicksal und unterzeichnet den Ehevertrag. Sehnsüchtig wartet Mara indessen auf den Geliebten, als Torald ihr ein vermeintliches Schreiben Manuels übergibt. Darin wird sein Abschied von Mara besiegelt, sie selbst mit Goldmünzen abgefunden. Mara trifft, als sie Manuel zur Rede stellen will, auf dessen zukünftige Frau und wähnt sich endgültig verraten. In Wut und Verzweiflung verflucht sie Cornaros Haus.
DRITTER AKT: Die Trauung steht bevor. Ines versucht mit allen Mitteln, Manuels Zuneigung zu gewinnen und Mara vergessen zu machen. Die zutiefst verletzte Zigeunerin plant indes, die Braut zu töten, um sich an Manuel zu rächen. Doch überwältigt von ihren Gefühlen lässt Mara von Ines ab und stößt sich selbst den Dolch ins Herz. In den Armen Toralds stirbt sie. Manuels weiteres Schicksal bleibt ungewiss …
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(Den Artikel der Innsbrucker Dramaturgin Susanne Bieler und die Inhaltsangabe entnahmen wir mit Kürzungen dem Programmheft zur modernen Erstaufführung im vergangenen Dezember 2013 am Tiroler Landestheater, dessen hilfsbereites Pressebüro/Dagmar Grohmann auch die Szenenfotos zur Verfügung stellte. Danke! Textredaktion G. H.)
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Susanne Bielers Artikel basiert auf Informationen aus: Irmlind Capelle, Wie kann man den Weber so verhunzen, a. a. O.; Roswitha Karpf, Die erste Tannhäuser-Aufführung in Graz, in: Ein Beitrag zur Grazer Theaterpraxis im 19. Jahrhundert, Graz o. J.; Josef Keßler, Josef Netzer, a. a. O .; Rudolf Pascher, Josef Netzer (1808-1864), a. a. O .
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.