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1990 gab es eine bemerkenswerte Initiative der Stockholmer Königlichen Oper, als sich das Todesdatum des schwedischen Königs Gustav III (* 13. Januar./ 24. Januar 1746; gest. in Stockholm; † 29. März 1792 ebenda und Abb. oben: Alexander Roslin – King Gustav III of Sweden and his Brothers/ Wikipedia) zum 200. Mal näherte und zu seinen Ehren einige Opern aus der Zeit seiner Herrschaft wiederbelebt wurden – so Haeffners Electra, Naumanns Gustav Wasa, Proserpin von Kaus und als Wiederaufnahme der Produktion von 1973 Abbé Voglers Schwedendrama Gustaf Adolf och Ebba Brahe, das damals unter dem Pionier Charles Farncombe im reizenden Schlosstheater von Drottningholm gegeben wurde und dann mit Anita Soldh als böser Königin sowie Thomas Sunngardh und Solveig Faringer als Liebespaar unter Thomas Schuback im Sommer 1990 erneut gezeigt wurde. Ein toller Abend, denn die originalen Kulissen nebst Windmaschinen und Sturmgewitter machten bei der Kerzenbeleuchtung einen ganz wunderbaren Eindruck, der bei mir eine tiefe Liebe zu dieser spannenden kurzen Periode schwedisch-europäischer entente cordial festsetzte. Diese klassizistischen Werke in der Folge oder des Umfelds von Gluck und Mozart haben eine besonders Faszination des Übergangs in die Klassik, sind der Vergangenheit verpflichtet, schauen aber auch sehr neugierig in die Neuzeit eines Beethoven und Auber. Namentlich Joseph Martin Kraus – von Gustav auf eine Studienreise durch Europa geschickt – kam mit einer Fülle an musikalischen Entdeckungen zurück, die er in seine Opern – namentlich Aeneas in Carthago – einarbeitete. Man kann nur spekulieren, was aus dieser schwedischen Initiative geworden wäre, hätte nicht der Mord an Gustav III. dieser Entwicklung ein Ende gesetzt. 1990 nahm man in Stockholm nun das Todesdatum dieses Königs zum Anlass, neben der Wiederaufnahme von Voglers Oper für ein interessantes Symposium zum Thema der spannenden Bestrebungen Gustavs, Politik und Kultur zu verbinden. Namentlich in den Opern verfolgte er – wie sein Kollege Friedrich III. – pädagogisch-aufklärerische Ziele, nutzte Kunst als Propaganda und rief die wichtigsten und bedeutendsten Komponisten seiner Zeit an seinen Hof, dem Preußenkönig gleich.
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Schon 1973 hatte Charles Farncombe Voglers Oper in Drottningholm aufgeführt, aber an Joseph Martin Kraus wurde bereits 1971 gedacht, als Newell Jenkins den 3. Akt seiner großen Oper Aeneas in Carthago mit Elisabeth Söderström konzertant in Stockholm gab, 1979 folgte ebenfalls konzertant die gesamte Oper erneut mit der Söderström und Johnny Blanc. Thomas Schuback und andere schwedische Musikwissenschaftler versuchten zum Gedenkjahr 1992 eine szenische Aufführung der Oper zu erreichen, und Naxos stand bereits zur Aufnahme in den Startlöchern, aber daraus wurde bis heute nichts – die schwedische Oper macht lieber Aida und das bekannte internationale Repertoire, statt sich um die Großen ihrer eigenen Vergangenheit zu kümmern. Man wartet noch immer auf eine Einspielung dieses opus summum der schwedischen Operngeschichte (wenngleich natürlich die Sammler…)
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Zurück zu Vogler: Diese Aufführung von 1973 war für das Radio mitgeschnitten worden und kursierte unter Fans (wie ich) als schwarze LP-Ausgabe auf MRF (mit Booklet und Libretto). Nun ist sie – oh Wunder – bei Sterling (2 CD CDO 1121/22) in tadelloser Akustik und üppiger Ausstattung in einer 2-CD-Box mit Libretto (schwedisch-englisch) und einem klugen Aufsatz von Martin Tegen (von 1973 apropos der Aufführung, wenngleich auch der Text von Niels Jörgensen aus dem Booklet bei MRF sehr lesenswert ist) zum Werk und den politischen Umständen der Entstehungszeit herausgekommen. Laila Anderson-Palme war zu ihrer Zeit eine bedeutende schwedische Sopranistin und gibt der Ebba Brahe (zu) großformatige Kontur, Johnny Blanc war der kraftvolle Tenor fürs Große in jener Zeit und vermittelt die Zerrissenheit Gustaf Adolfs zwischen Geliebter und Ehefrau (eine strenge Margereta Hallin) überzeugend. Hans Johansson als betrogener Ehemann und Adolfs Freund zeigt einen schönen Bariton, Dorit Kleimert (langlebig und noch 1990 in gleicher Rolle) ist die Freundin Märta Banert. Daneben singen viele Reguläre der Königlichen Oper, darunter aus Rolf Björling (den ich noch 1990 als Cavaradossi neben Berit Lindholms sportiver Tosca an der Stockholmer Oper erlebte, und fast alle auf der Bühne hießen Björling…). Charles Farncombe hat bei dieser stilistisch eher recht allgemein besetzen Aufführung fest die Zügel des königlichen Opernorchesters und -Chores in der Hand, und Gottseidank sind wir noch von Originalinstrumenten weit entfernt. Er breitet das musikalisch so interessante wie auch aktionsreiche Drama vor uns überzeugend aus. Eine habenswerte, hochspannende Aufnahme also.
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Ein paar Worte zur Oper selbst – der Komponist: Georg Joseph Vogler, genannt Abbé Vogler wegen seiner niederen Weihen zur katholischen Priesterschaft, wurde 1749 in Würzburg geboren und starb 1814 in Darmstadt. Seine Bedeutung als Komponist ist wesentlich geringer als die vieler seiner Schüler, von denen Meyerbeer, Spohr oder Weber die prominentesten sind. Er ist eine der enigmatischsten Kulturpersönlichkeiten seiner Zeit, und in ihm vereinen sich die musikalischen und musiktheoretischen Strömungen seiner Epoche wie in kaum einem anderen. Als junger Mann in Jura und Theologie ausgebildet (zeitweise auch in Rom), erhielt er 1771 Anstellung am Hof von Mannheim, wo er – später als Kaplan – die Hofkapelle gründete und damit eine neue Musikschule in Deutschland etablierte. Ein Stipendium seines Arbeitgebers ermöglichte ihm einen weiteren, längeren Aufenthalt in Italien, namentlich in Bologna, wo er in fruchtbringenden Kontakt mit der italienischen Säule des Musiklebens, mit Padre Giovanni Battista Martini, dem Padre Martini, kam, der seinerseits viele der Komponisten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu seinen Schülern rechnete. Zurück in Deutschland gründete er 1776 die Mannheimer Tonschule und folgte seinem prinzlichen Gönner Karl Theodor 1784 nach München. Reisen hatten mittlerweile seinen Namen in den europäischen Hauptstädten bekannt gemacht. Die Pariser Musikakademie und die Londoner Royal Society bewunderten ihn gleichermaßen; und so war es nicht erstaunlich, dass ihn der Ruf des schwedischen Königs Gustaf III. erreichte, der für seine Pläne einer schwedischen Nationalmusik Musiker internationalen Ranges „sammelte“. Bemerkenswerten Ruf genoss Vogler auch als Orgel- und Klaviervirtuose, vergleichbar nur mit dem Liszts später; und in dieser Eigenschaft und als Arrangeur musikalischer Stücke hatte er einen bedeutenden Unterhaltungswert für den europäischen Musikset. 1792 ging er erneut auf große Reise, diesmal bis nach Portugal, Nordafrika und Griechenland.
Nach der Ermordung Gustafs III. erneuerte dessen Sohn Gustav IV. Adolf den Vertrag mit Vogler und zahlte noch zusätzlich eine hohe Staatspension, bis 1806, als Vogler nach Hause zurück wollte. Nach längerer Wanderschaft durch verschiedene deutschen Staaten und Österreich wurde er 1807 zum Hofkapellmeister von Hessen-Darmstadt ernannt; er blieb dort. Allerdings wurden seine letzten Jahre von finanziellen Sorgen überschattet, weil er sein Vermögen in die Entwicklung von Orgeln investierte. Ein Schlaganfall setzte seinem Leben 1814 ein Ende.
Wie schon erwähnt, zählt Vogler zu den musikalischen Schlüsselfiguren des Europas vor der Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert zwischen Gluck und Mozart. Er war der erste, der die Musikwissenschaft als solche betrieb und der eine komparatistische Wissenschaft nach historischen und analytischen Aspekten aufstellte. Aufgrund seiner ästhetischen Ausführungen wurde er maßgeblich für die Begründung der Romantik in der Musik. Seine Aufsätze der Instrumentierung und Harmonie gaben hierzu bedeutende Anstöße. Und als Pädagoge kann man ihn kaum überschätzen, wie seine Nachfolge zeigt. Auch Kraus und Winter zählten, neben den bereits erwähnten, zu seinen Schülern. Als Komponist genoss er an den Opernhäusern keinen guten Ruf, schon weil er auf zahlreichen Proben bestand, wie zum Beispiel in Wien, wo seine Oper Samori 45 Proben hatte. Neben Samori und Gustaf Adolf schrieb er an Opern noch Der Kaufmann von Smyrna, La Kermesse, das Melodram Lampedo, viele Schauspielmusiken, kirchliche Vokalmusik, zahlreiche Lieder, Kammermusik und vor allem theoretische Schriften – er war im Sinne seiner Zeit ein Universalgelehrter, wichtiger durch seine Wirkung als durch eigene Werke.
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Die Musik: Voglers musikalisches Idiom ist recht unindividuell, eher an Mozart angelehnt, namentlich an Don Giovanni. In der Führung der Rezitative erinnert er in vielem an Gluck, vor allem an die bedeutungsvolle Deklamation, die Accompagniato-Übergänge in Arien (große Arie der Königin im ersten Akt) weisen auf die Verhaftung und Bewunderung zu Gluck hin. Die Arien als solche sind recht kurz, nur seltener finden sich Dacapi, Rezitative und Arien geht oft ineinander über. Die melodische Erfindung steckt eher im Detail, in schönen harmonischen Wendungen, in hervorragend gearbeiteten musiktechnischen Einzelheiten. Tonartenwechsel innerhalb eines begleiteten Rezitativs, gewisse suggestive Motive, die wiederkehren und eine oft pastorale Schlichtheit – neben den leidenschaftlichen Wendungen der Königin – ordnen Vogler als einen typischen Komponisten seiner Zeit ein, ähnlich Kraus, der erst in seiner posthumen Oper zu einem wirklich eigenen Idiom kommt.
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Das Libretto: Der Begriff „politisches Theater“ war Gustaf III. und seinen Zeitgenossen nicht bekannt. Trotzdem lag dem Schauspiel Gustaf Adolf und Ebba Brahe – von dem schwedischen König entworfen und von dem Dichter John Henrik Kellgren 1788 für den Operngebrauch in Verse gesetzt – (genau wie das andere Musikdrama Gustaf Wasa) eine politische Absicht zugrunde. Gustaf bezweckte damit, Politik auf die Bühne zu bringen. Gestalten einer großen historischen Vergangenheit wurden zur Schau gestellt, gewissermaßen um die öffentliche Meinung für Gustafs Politik günstig zu stimmen und das Ansehen der Königsmacht zu stärken. Das Theaterpublikum sollte Gustaf III. mit seinen großen Vorgängern identifizieren. In Gustaf Adolf und Ebba Brahe spiegelt sich auch deutlich Gustafs politischer Flirt mit den niederen Ständen wider, ein bewusstes politisches Spiel, nachdem der König zuvor mit dem Hochadel in Konflikt geraten war.
Mit dem Vorrecht des Dichters behandelt Gustaf sein historisches Material mit großer Freiheit. Geschichtlich bewahrheitet ist jedoch die Jugendliebe zwischen Ebba Brahe und Gustaf Adolf; Gustafs Mutter, die verwitwete Königin Kristina, verhinderte indessen eine Ehe der beiden, stattdessen wurde Ebba mit dem Reichsmarschall Jacob de la Gardie verheiratet. Mit historischen Tatschen übereinstimmend ist ebenfalls der Krieg mit Dänemark, den Gustaf Adolf als Siebzehnjähriger bei seinem Thronantritt 1611 erbte und der erst im Frieden zu Knäred zwei Jahre später seinen Abschluss fand. Während dieses Krieges hielten die Dänen sowohl Öland als auch Kalmar besetzt. Geschichtlich ist ferner Jacob de la Gardies erfolgreicher russischer Feldzug. Er eroberte 1610 Moskau und setzte sich dafür ein, dass Gustaf Adolfs jüngerer Bruder Karl Filip zum russischen Zar ernannt werden sollte. Diese Pläne wurden jedoch vereitelt und zwar durch einen Zusammenschluss russischer Nationalisten um Mikael Romanov, der stattdessen die Zarenkrone erhielt. Der russische Krieg wurde 1617 beendet.
Nach den Theaterforderungen, die Einheit von Zeit, Raum und Handlung zu wahren, lässt Gustaf III. sein Drama im Laufe eines Tages abrollen. Er verlegt das Geschehen auf beide Seiten des Sunds von Kalmar. G. H.
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.