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Was ist eigentlich mit den Lebensgefährten berühmter Sänger und Musiker, die im Schatten der Großen von der Öffentlichkeit unbekannt gern vernachlässigt werden und ein Dasein im Schatten führen? Wie oft sind besonders sie es, die den Illustren Halt und die Haftung an der Realität geben. Es ist ein schwieriges Leben für eben diese. Die Ehemänner werden gerne als „Kofferträger“ belächelt, und die Frauen bleiben zu oft (mit und ohne Kinder) zu Hause während der auswärtigen Auftritte oder verbringen zu viel Zeit in Hotels.
Und natürlich gibt es Beziehungen des Gebens und Nehmens, liebevolles Miteinander, enge Verbindungen der intimen Freundschaft bei Nichtverheirateten, Lebensgemeinschaften wie sie die berühmte Sängerin Frida Leider und Hilde Bahl gelebt haben. Ich hatte das ganz große Glück beide noch kennnengelernt zu haben, die Leider kurz vor ihrem Tod und Hilde Bahl in den Jahren danach hin und wieder besucht.
Anlass für meine Wiedererinnerung dieser Begegnungen ist der neue Symposiumsbericht Musik und Homosexualitäten im Testrem Verlag, das Dieter David Scholz für uns rezensierte und in dem Eva Rieger, bekennende lesbische Frauenforscherin und Professorin, sich zwar für die Rehabilitierung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen einsetzt, gleichzeitig aber eine intime Beziehung zwischen Leider und Bahl vehement und im Vorfeld auch legalistisch bedrohend abstreitet. Das Kompendium von Eva Rieger über Frida Leider, das Rüdiger Winter bei operalounge.de besprach (Himmel, ist das Buch banal!), verärgerte neben einer Vielzahl von sachlichen Fehlern auch durch akute Auslassungen eines ganzen Lebens-Bereiches von Frida Leider. Diese betreffen ihre Lebens-Gefährtin Hildegard Bahl, die hier unter die Räder des Nicht-Wahrhabenwollens und Vergessenmachens geraten ist. Sie hat rund 30 Jahre mit der Leider engstens zusammengelebt. Nicht als „Haushälterin“ (wie Frau Rieger en passant erwähnt: in einer 3-Zimmer-Wohnung?). Kein Foto von Hilde im Rieger-Buch natürlich. Aber ein Stein mit dem Namen „Hilde“ steht auf dem Grab der Leider und Gatte Deman auf dem Friedhof am Berliner Olympiastadion! Eben!
Was ich miterlebte, war es eine liebe-volle Beziehung, wie sie sich mir bei meinen Besuchen bei Frida Leider und später bei Hilde Bahl in ihrer gemeinsamen 3-Zimmer-Wohnung in der Oldenburgallee im Berliner Westend offenbarte. Andere Zeitzeugen wurden von der Rieger offenbar ebenso wenig gehört wie ich: Schüler, Freundinnen, Hochschulkollegen oder besonders Liva Lagger, die Frau des Berliner Bassisten, die mit beiden Frauen eng befreundet war und die die Übersiedlung von Hilde Bahl ins Altersheim, die Beerdigung der Bahl und den ganzen Nachlass regelte. Auch sie hätte erhellende Details zum Leben der Leider und der Bahl beibringen können…. Dies aber war ganz offensichtlich nicht gewollt.
Ich lernte Frida Leider durch meine Gesangslehrerin Elisabeth Grümmer kennen. Man nahm mich zu einer Geburtstagsfeier mit, wo ich auch Hilde Bahl traf – eine bezaubernde Frau, die wie eine alt gewordene Lillian Harvey aussah und sich auch so mädchenhaft bewegte –, die jugendlich-helle Stimme wie ein Vögelchen, ganz reizend. Ich wurde der Leider vorgestellt und kam mit ihr ins Gespräch, aber da war Sympathie zwischen uns.
Sie lud mich jungen Musikjournalisten sehr liebenswürdig ein, ohne den Trubel wieder zu kommen. Was ich tat. Otto Gebühr frappierend ähnlich öffnete sie mit Stock und Hochfrisur die Tür (Musikfans erinnern sich an ihren TV-Auftritt beim Bayerischen Rundfunk mit dunkelbraunem Putz auf dem Haupt), sehr herzlich. Es gab Kaffee und Streuselkuchen („Hildchen, die Herren haben sicher Kaffeedurst“, sagte sie mit ihrer dunklen Sprechstimme). Wir saßen in dem kleinen Besuchszimmer vorne links mit den unbequemen 50er-Jahre-Möbeln um den dto. schrägbeinigen Couchtisch herum, die Leider mit tragendem, fabelhaft artikulierendem Alt von der Nachkriegszeit und deren Widernissen erzählend (kein gutes Wort über Konkurrentin Tiana Lemnitz), achselzuckend die Fehlschläge von eigenen Regiebemühungen kommentierend, ganz Generelles zum heutigen/damaligen Opernbetrieb (sie neigte zum Generellen, gab aber doch verschlüsselt Details preis). Sie hatte ein paar vielversprechende Schüler gehabt, wollte eine Stiftung für den Nachwuchs einrichten (die es dann ja auch wohl gab/gibt). Ich war beeindruckt von ihrer sehr starken Persönlichkeit, vor allem aber von der liebevollen und fast etwas amüsierten Nachsicht gegenüber der Bahl. Die zwischen Küche und Zimmer hin und her sauste („Hildchen, nun setz dich doch mal hin!“) und diente. Man spürte die intime, liebevolle Beziehung zwischen beiden. Das war eine gewachsene, enge Verbindung. Ich schied mit einem Kuchenpaket („Nehmen Sie nur, Sie können´s brauchen!“ sagte Otto Gebühr mütterlich, während die Bahl mit dem Staniol knisterte). „Kommen Sie doch wieder!“, was zu zwei weiteren Besuchen und zu einem schönen Interview führte.
Dann war die Leider gestorben (am 4. Juni 1975). Mitte der Achtziger wollte ich einen Artikel über diese große Sängerin schreiben (vielleicht kamen bei Preiser gerade die umgeschnittenen LPs als CDs heraus?), und ich kontaktierte Hilde Bahl. Die sich freute und erinnerte sich an mich. Sie lud mich wieder zu sich nach Hause in die Oldenburgallee ein. Die Wohnung war unverändert. Dasselbe kleine Zimmer, dieselben Fünfziger-Möbel. Fast derselbe Streuselkuchen. Nur der Kaffee diesmal dünner … An der Wand hing wie schon beim ersten Besuch ein Großfoto von Gundula Janowitz („Eine sehr gute Freundin! Brigitte Fassbaender auch“). Es war nicht schwierig, die Bahl zum Sprechen zu bringen – sie gehörte zwar der diskreten Generation an, aber sie sprach doch über manches Persönliche, das ich hier nicht wiedergeben möchte. Sie sprach über ihr langes Zusammenleben mit der Leider (stets „Frau Professor“ oder „Frau Kammersängerin“), dass sie mit ihr den kranken Leider-Ehemann Deman nach dem Krieg gepflegt hätte (Hilde Bahl erinnerte sich an die Hühnerbrühe zur Stärkung). Wie sie die Leider nach dem Tod der Mutter und später Demans gestützt hatte, auch als die Erfahrungen an der Staatsoper weniger nett wurden und die Opernklasse sowie die Regiearbeiten aufgegeben werden mussten. (Tiana Lemnitz hob wieder einmal ihr Haupt – parallel zur kleinen Vogelstimme der Bahl).
Hilde Bahl, die ich im Ganzen über die Jahre dreimal besuchte und von der es auf der Website der Frida-Leider-Gesellschaft ein schönes Altersfoto gibt, war eine wirklich entzückende alte Dame, deren funkelnde Augen bei schräggelegtem Kopf viel Humor verrieten, die ihrer Generation entsprechend zwar zurückhaltend blieb, aber doch auch über ihre Beziehung zur Leider sprach und durchscheinen ließ, wie eng sie beide verbunden gewesen waren. Da kamen viele Details des gemeinsamen Lebens zur Sprache…
Hildegard Bahl (1908 – 2013) kam aus gutem Hause. Der Vater Johannes Bahl war Ingenieur mit Professoren-Titel bei Siemens gewesen – wenn ich mich recht erinnere, die Familie lebte eine Zeitlang in Japan, wo Bahl-Vater für Siemens arbeitete. Sie wurde – höhere Tochter, die sie war – als Sekretärin ausgebildet (sie sprach Englisch und Französisch und war stolz auf ihre Steno) und arbeitete in einer Anwaltskanzlei, später als Gesellschafterin bei einer Sängerin (Altistin? ich kann mich nicht genau erinnern), bis sie das Ehepaar Leider-Deman kennenlernte und – ostentativ als Sekretärin – 1948 nach dem Tod der Leider-Mutter deren Gesellschafterin wurde (Ehemann Deman starb erst 1960). „Hausdame“ las ich bei der Rieger, was absurd ist angesichts der kleinen Wohnung. Sie war die Freundin, gar kein Zweifel. Nach dem Tod der Leider 1975 blieb sie in der gemeinsamen Wohnung und bewahrte sozusagen das Leidersche Erbe. Es gab ja Dokumente, von der Leider gemalte Bilder, manches mehr, das sie mir zeigte und mit dem sie sich verbunden fühlte.
Und sie wies noch beim letzten Besuch auf die liebevolle Betreuung durch Liva Lagger hin, die für sie alles regelte, die das kleine Haus im Brandenburgischen Pausin verkauft hatte und die (als spätere Universalerbin nach der Bahl?) das Geld für sie zusammen hielt. Ihr hat sie einen relativ unbeschwerten Lebensabend und die letzten Monate im Altersheim zu verdanken (sie starb 2013 und liegt bei ihrer Familie auf dem Dorffriedhof in Berlin-Schmargendorf, während auf Frida Leiders Efeu-überwachsenem Grab auf dem Friedhof am Olympia-Stadion immer noch der Stein mit dem Namen „Hilde“ die Nähe der beiden auch nach dem Tode dokumentiert). Dass Hilde Bahl und Liva Lagger, die ja im Komplex Frida Leider eine so große Rolle gespielt haben, in Eva Riegers Buch nur ganz nebenbei vorkommen, ist mir unverständlich. Das hat Hilde Bahl auch nicht verdient. Weshalb es mir ein Bedürfnis ist, ihr hier einen Kranz zu winden. Danke für den Streuselkuchen, liebe Frau Bahl. Ich denke gerne und mit Rührung an Sie zurück. Geerd Heinsen
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(Abbildung oben: „In den Dünen. Solkinsdaag paa Stranden“ im Historischen Museum Speyer, Postkartensammlung: Die Vorderseite der Postkarte zeigt den Druck eines Gemäldes von Paul Fischer mit dem Titel aus der Reihe „Dänische Kunst“. Dargestellt sind zwei Frauen in einer Dünenlandschaft am Meer. Auf der Rückseite befindet sich eine handschriftlich verfasste Nachricht von einer gewissen Pauline, in Speyer (unleserlich), an Fräulein Liesel Leonhardt in Landau (Pfalz) vom 7.8.1917. Der Poststempel ist ebenfalls vom 7.8.1917. Verlag Arthur Schürer & Co., B.-Schöneberg).