Kaum zu glauben, aber „Peter‘s Operncafé Hartauer“ im 1. Wiener Gemeindebezirk kann– allen Veränderungen und städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen der österreichischen Metropole zum Trotz – auf mehr als 30 Jahre zurückblicken. Die große Martha Mödl, mit der das Café am 25. September 1981 nach der Staatsopernpremiere von Friedrich Cerhas Oper Baal eröffnet wurde (Foto oben/Jansky), ist nicht mehr, ebenso wie viele der großen Stars der Oper der Nachkriegszeit, die hier mit Autogrammen und Photographien an den Wänden verewigt sind: Ljuba Welitsch, Rita Streich, Leonie Rysanek und viele andere mehr. (Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, es gibt auch Photographien von Alfredo Kraus und Franco Corelli, aber die von Martha Mödl sind einfach am größten.) Im Operncafé sind sie durch ihre Aufnahmen lebendig geblieben, abends spielt der Betreiber (österreichisch: Cafétier) Peter Jansky die Schätze aus seiner Schallplatten- Tonband- und CD-Sammlung für seine Gäste. Es sind wahre Trouvaillen darunter, selten zu hörende Live-Mitschnitte und Aufnahmen, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt – beispielsweise von der unvergessenen Hilde Güdendargebotene Kinderlieder. Letztere ist übrigens ein Genuss für alle Freunde des High Camp.
Es ist das Vorrecht älter werdender Menschen, Veränderungen wahrzunehmen. In „Peter‘s Operncafé“ gibt es immer wieder Gelegenheit festzustellen, wie reich die letzten Jahrzehnte des Operngesangs waren. Wer kann heute noch auf gleichzeitig frivole und geschmackvolle Weise eine Operettenarie perlen lassen, wie Rita Streich es konnte? Bei wem hört man rasendes, vom eigenen Erleben geprägtes Singen wie bei Leonie Rysanek? Wo erfährt man eine Wahrhaftigkeit des Singens wie bei Martha Mödl? Tempi passati. Auch in Wien haben sich die Zeiten verändert: Elina Garanca und Anna Netrebko sahen in der diesjährigen Staatsoperninszenierung von Anna Bolena zwar aus wie Supermodels (sogar ein gestrenger Kritiker wie Jürgen Kesting wurde darob altersmilde), aber die beiden wirkten weniger wie Damen vom Hofe denn wie freundliche Hostessen, die sich bei ihren Gästen erkundigen, ob Wein oder Bier gewünscht wird. Die einzig wahren Töne waren von Anna Netrebko zu hören, als sie „Guidici ad Anna“ sang – und da dachte sie wahrscheinlich gerade an ihre nächste Vertragsunterzeichnung.
In einem Gedicht von August Kopisch heißt es: „Ach dass es doch wie damals wär, doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her.“ Es ist wahr, diese Zeiten werden sich nicht wiederholen und gerade darum ist es wundervoll, dass es „Peters Operncafé Hartauer“ gibt, um sich diesen Erinnerungen voller Empathie hingeben zu können: Dem Empfindsamen öffnet sich eine ganze Erlebniswelt. Da die Damen und Herren Kammersänger beileibe keine unnahbaren Götter waren, bekommt der Gast zwischen zwei Achteln Zweigelt auch die ein oder andere Anekdote des Hausherrn aus erster Hand präsentiert. Doch das Besondere und das besonders Schöne an Peter Jansky ist, er blickt zwar zurück und kümmert sich um das Andenken der von ihm Verehrten – die Sammlung für den Grabstein fürLjuba Welitsch, der „Salome des Jahrhunderts“, etwa ist seiner Initiative zu verdanken –, doch er hat sich auch lange Jahre seines Lebens dem Nachwuchs gewidmet, nicht zuletzt durch zahlreiche Sängerwettbewerbe.
Das ist der eigentliche Wesenskern des Traditionalisten: Er bewahrt, um daraus Neues entstehen zu lassen. In diesem Sinne wünschen wir alles Gute zum Jubiläum und allen Gästen noch viele wunderbare Jahre mit Aufnahmen aus der Welt der Oper von gestern und heute im einzig wahren (Opern-)Kaffeehaus von Wien (ab 19 Uhr in der Riemergasse 9, 1010 Wien, Tel.: 0043 1 512 89 81, www.petersoperncafé.at)
Christoph Dompke
(Christoph Dompke lebt als Musikwissenschaftler und Journalist in Berlin, ist Autor verschiedener Publikationen und hat ein breites Comedy Publikum mit seiner Kunstfigur „Frau Emmi“.)