Was ein rechter Wagnerianer ist, der findet sich in dieser Inszenierung sofort zurecht, kennt er sich doch im Gartensaal von Wahnfried so gut wie im eigenen Wohnzimmer aus. Auf diesem Wiedererkennungseffekt baut die aktuelle Bayreuther Inszenierung der Meistersinger (von 2017), in der Barrie Kosky zum Tee bei den Wagners lädt. Während der Meister noch die Hunde im Hofgarten ausführt, haben sich schon einige Freunde eingefunden, darunter Liszt und Levi. Es gibt unendlich viel zu sehen. Hier macht die DVD Sinn. Wie Wagner eine Batterie an Parfums auspackt und die Freunde einnebelt, diese mit ihren Teetassen klappern, Cosima bei seinem Getöse am Klavier die Fingerspitzen an die Schläfen hält und nach ihrer Medizin verlangt und die Miniaturwagners nacheinander dem Flügel entsteigen, das alles ergibt eine putzige Familienszene wie von einem Genremaler des 19. Jahrhunderts entworfen und wird von der Kamera dicht eingefangen, manchmal aus einem merkwürdigen Blickwinkel von schräg oben. Kosky macht aus diesem ersten Akt eine köstliche Gesellschafts-, Familien- und Sittenkomödie, bei der die Versammlung andächtig dem Choral aus der Nürnberger Katharinenkirche lauscht, Cosima, Richard und Liszt kniend, Levi erst nach heftigem Drängen Wagners ebenfalls auf die Knie sinkt, bis endlich eine der im Hause Wagner so beliebten Scharaden anfängt und der junge Wagner alias Walther von Stolzing Cosima, die sich für die Eva ein Tuch umwirft, den Hof macht. So geht es ständig hin und her zwischen Wagners Haushalt und seiner Schöpfung, von Kosky klug und gewitzt in geschäftige, teils intime und teils polternde Bilder gefasst, dass man mehr hinschaut als hinhört. Dabei sorgt Philippe Jordan für einen federleichten, quecksilbriges Parlandoton, als werfen sich Bühne und Graben ständig die Bälle zu. Im Lauf des kurzweilig langen Abends fehlen der Blick aufs Ganze, die erfüllte Ruhe für die kontemplativen Momente und das rechte Gewicht für die Festwiese.
Die bei ihrer Reprise im zweiten Festspieljahr eingehend auf operalounge.de beschriebene Aufführung ist auch auf der DVD (DG 2 DVD 004400735450) aus dem Premierenjahr 2017 ein großes Vergnügen. Das liegt auch an Kosky, der nicht einfach ein Famiilienalbum aufschlägt oder einen Tag im Jahr 1875 nachbildet, bei dem die berühmten Porträts Richards und Cosimas präsentiert werden, sondern von Wahnfried und dem mittelalterlichen Nürnberg aus Wagners Phantasie in seinem inszenierten Exkurs über „Das Judentum in der Musik“ weiterschreitet ins 20. Jahrhundert mit den „Stürmer“-Fratzen im zweiten Akt und schließlich dem Saal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse am Ende (Bühne Rebecca Ringst). Alles ist handwerklich souverän, geradezu operettenartig leicht und kühn umgesetzt. Die Aufführung, die Geschichte schreiben wird, erlebt man mit diesen DVDs nochmals mit Gewinn. Michael Volles farbenreich gestalteter, weiser, aber auch selbstgefälliger Sachs und der seraphimkeusche Stolzing Klaus Florian Vogts sind bereits klassische Interpretationen. Beckmesser war, allen Besetzungshöhen und -tiefen zum Trotz im Bayreuth stets gut besetzt. Der eminente Singdarsteller Johannes Martin Kränzle reiht sich nach Prey, Andreas Schmidt, Volle, Eröd würdig in die Beckmesser-Statistik ein, singt mit präziser Diktion und spielt alle Facetten dieser Figur aus. Günther Groissböck ist ein praller Pogner. Neu war Daniel Behle, der sich nicht lange mit dem Lehrbuben David aufhalten wird. Anne Schwanewilms war verständlicherweise nur im ersten Jahr der Inszenierung dabei, die Besetzung der Eva bereitet Schwierigkeiten. Rolf Fath