Rollentausch

 

Was Bayreuth für Richard Wagner und Pesaro für Giacchino Rossini ist, das bedeutet Bergamo für Gaetano Donizetti, dessen Werke jedes Jahr im September im Rahmen eines Festivals aufgeführt werden. Angesichts des umfangreichen Oeuvres  des Komponisten kommt es immer wieder zur Wiederentdeckung fast nie oder äußerst selten gespielter Werke, zu denen auch Torquato Tasso gehört, der der oberitalienischen Stadt auch deshalb besonders nahe steht, weil er zwar in Sorrent geboren wurde, seine Familie aber  aus Bergamo stammt. Die Geschichte des wahrscheinlich von Wahnvorstellungen geplagten Dichters von La Gerusalemme liberata, der an vielen italienischen Fürstenhöfen, darunter auch an dem von Ferrara und sieben Jahre lang in einem Gefängnis lebte, hat viele Dichter inspiriert, darunter auch Goldoni und Goethe, mit deren Werken sich Donizetti beschäftigte. In Goethes gleichnamigem Drama kommen auch die beiden Eleonoren vor, die eine die Schwester des regierenden Fürsten, die andere ihre Hofdame. Ungewöhnlich ist die Besetzung des Helden mit einem Bariton und darauf zurückzuführen, dass Donizetti begeistert von den Talenten und der Physis des Baritons Giorgio Ronconi war und ihm vor dem Tasso bereits die führende Partie im Vorläufer Il Furioso all’isola di San Domingo anvertraut hatte. Weiterhin auffällig ist die Verbindung der eigentlich tragischen Handlung: Torquato Tasso wird zwar nach sieben Jahren Kerker befreit und als Künstler hoch geehrt, muss aber erfahren, dass die geliebte Eleonora seit Jahren tot ist, mit einer Figur der Buffa, dem intriganten Don Gherardo,  die aberwitzig virtuose Prestissimi wie ein Don Bartolo oder Don Pasquale zu singen hat.

Die DVD von Torquato Tasso stammt aus dem Jahre 2014, die Regie führte Federico Bertolani, der die Sänger nicht unnötig durch inszenatorische Geniestückchen beansprucht, sondern einen würdigen Rahmen für ihre Auftritte schafft, sie  in den sparsamen, aber die unterschiedlichen Schauplätze stilisiert verdeutlichenden Bühnenbildern von Angelo Sala agieren lässt. Die historisch korrekten Kostüme stammen von Alfredo Corno. Bemerkenswert sind die unzähligen Blättern offensichtlich vom Dichter Tasso beschrieben und von roter Farbe, wenn der Geliebten zugedacht, die den Boden aller Schauplätze bedecken, sogar an den Säulen kleben und die der plötzlich zu Ruhm und Ansehen Gelangte am Schluss zusammenrafft so gut es geht, um sein neues Leben als Dichterfürst zu beginnen.

Waren es die ungewöhnlichen Fähigkeiten als Sänger wie Schauspieler des Baritons, die diesem einst zur Titelpartie verhalfen, so ist die Optik des Koreaners Leo An nicht die eines immerhin auch  noch jugendlichen Helden und die Stimme, die sich bereits an Kalibern wie Scarpia erprobt hat, zwar eine furchtlos alle Tücken der Partie meisternde, die mezza voce  farbig und er kann durchaus ein schönes Piano singen, doch bevorzugt  er zu oft ein donnerndes Forte und singt damit die anderen Beteiligten an die Wand. Das andere Extrem vertritt der Tenor Giorgio Misseri als Roberto Geraldini, eine zarte, leicht meckernde Rossinistimme mit guter Technik, die sich den irrwitzigen Schwierigkeiten des „Quel tuo sorriso“ und den häufigen Intervallsprüngen furchtlos stellt. So wie dieser ist auch der zweite Tenor Alessandro Viola, der die kleine Partie des Ambrogio schüchtern angeht, ein attraktiver Mann, was der Optik des Tasso zusätzlich schadet. Alle Register eines erfahrenen, unerschütterlichen Buffo zieht Marzio Giossi als Don Gherardo. Gabriele Sagona stützt mit reifem Bass als Alfonso II. Eine sehr schöne, farbige, geschmeidig eingesetzte Sopranstimme setzt Gilda Fiume für die Eleonora d’Este ein, ihre Klage ist wunderschön gesungen und damit sehr berührend. Annunziata Vestri ist die „andere“ Eleonora di Scandiano mit angenehmem Mezzosopran. Orchester und Herrenchor des Bergamo Musica Festival kennen natürlich ihren Donizetti und erstere begleiten unter Sebastiano Rolli einfühlsam (Bongiovanni AB 20040)Ingrid Wanja