Wege zu Monteverdi

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Gerade in jüngster Zeit stapeln sich die Aufnahmen von Opern Claudio Monteverdis, ob nun als CDs oder als Live-DVDs. Man meint, dass sich beinahe jedes Kleinstfestival seiner drei Opern bemächtigt hat, von großen wie Salzburg, Aix oder Boston ganz abgesehen. Monteverdi-Zyklen werden von Berlin bis Buenos Aires gezeigt, mitgeschnitten und veröffentlicht. Vor allem aus Italien und namentlich Frankreich schwemmt es herüber, und auch Martina Franca oder San Francisco blieben nicht untätig. Total overexposure, würden die transatlantischen Freunde das nennen. Inzwischen wird Monteverdi fast so viel gespielt wie Puccini. Die nachstehenden Aufnahmen der letzten Zeit – und das sind nur einige – zeugen von dem beneidenswerten Vertrauen der Labels in seine Zugkraft. Monteverdi ovunque.

Das war nicht immer so, denn der Weg zu Monteverdi ist für den Berichterstatter mit Reminiszenzen an jene Jahre verbunden, als Monteverdi nur ein Name für erbitterte Fans war, selten und oft verfremdet aufgeführt und auf Dokumenten damals nur selten zu finden. Eben auf diese möchte ich einen Blick werfen, auch um zu beschreiben wie weit wir in unserer Wertschätzung gekommen sind und was wir zwar gewonnen, aber auch verloren haben.

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Hätte ich mir damals in den  Sechzigern diese heutige Übersättigung an Monterverdi-Aufnahmen vorstellen können, als ich in zitternder Erwartung die nach muffigen Kellern riechenden US-Pakete vom Sam Goodies oder Tower Records aus New York vom Zoll abholte? In der wie bis heute verbieterischen Baracke missgelaunte Beamte, die uns warten ließen, während sie Kaffee und Frühstück hin- und herschleppten. Egal. Diese Pakete enthielten Kostbarkeiten für uns Studenten. Darunter – und das werd´ ich nie vergessen – Monteverdis Ritorno d´Ulisse von 1966 unter Rudolf Ewerhart mit der wunderbaren Altistin Maureen Lehane und dem charaktervollen englischen Tenor Gerald English als Protagonisten (neben Eduard Wollitz und anderen), die Lehane mit der Klage der Penelope mir bis heute eine Gänsehaut der Ergriffenheit bereitend. Zudem Monteverdi pur, denn Ewerhart mit seinem Santini Kammerorchester bei Vox hatte sich auf die damals gesicherten Teile der Oper konzentriert und die lieti pezzi (also die heiteren Einschübe am Hofe Penelopes und vor allem auch den Prolog mit der Umana fragilità) fortgelassen. Diese meine erste Begegnung mit dieser Oper Monteverdis war einfach überwältigend und bleibt mir bis heute. Die Sinnlichkeit (und darum geht es mir in diesem Rückblick) der Stimmen voller natürlichem Vibrato, das unverstellte, mich direkt erreichende Pathos des Gesungenen, die sparsame, aber nicht dünne Begleitung schufen für mich ein Klangvorbild, an das für mich heutige Aufnahmen mit Gambe, Zither und Countertenören nebst dünnen Kirchen-Innenraum-Stimmen um Meilen nicht herankommen. Fans von Cencic & Co. werden entsetzt aufschreien, aber ich stehe nicht an zu behaupten, dass meine alten Aufnahmen (mir natürlich nur) mehr Spaß machen, mehr an Sinnlichkeit und Persönlichkeiten vermitteln, mehr Seele, mehr Empathie – weniger Akrobatik und Selbstverliebtheit der Dirigenten … So wie auch das Lamento der Arianna von Margarete Klose aus alten Rundfunk-/LP-Zeiten mich immer noch zu Tränen rührt …

Natürlich wurde damals auf modernen, in Teilen diskret historisch-angelehnten Instrumenten gespielt, wie schon der erste Orfeo bei Deutsche Grammophon Archiv, auf dem Fritz Wunderlich eine Mucke als Pastore machte. Dieser Aufnahme von 1957 (Wenziger, Hitzacker, Helmut Krebs) ging dem Ulisse bei Vox voraus, aber Vox hatte noch mit einer Poppea nachgelegt, ebenfalls unter Ewerhart. Der deutsche haute contre (singulär in seiner Zeit) Hans-Ulrich Mielsch sang den Nerone und Ursula Buckel, die damals Vielbeschäftigte, die Poppea mit flirrendem Sopran. Vor allem aber war dies meine erste Begegnung mit der eminenten ukrainisch-polnischen Altistin Eugenia Zareska, die eine erdene Ottavia hören ließ, sehr beeindruckend und bis heute eine der geheimnisvollsten Sängerinnen der Nachkriegszeit (man erinnert sich an ihre tolle Grand-Duchesse de Gerolstein bei Leibowitz oder ihre satte Marina neben Gedda; es wird zu ihr bei operalounge.de ein Porträt geben).

In der fernen Vergangenheit hatte es immer wieder Ansätze zu einer Monteverdi-Rehablitation gegeben. Namentlich Nadia Boulanger, Schwester der Komponistin Lilli, hatte sich vor dem Krieg seines Werkes angenommen und bei His Master´s Voice eine ganz erstaunliche LP mit Canzoni und Madrigali eingespielt (zu den Solisten gehörte auch der Schweizer haute-contre Hugues Cuenod, den man später immer wieder in der Alten Musik findet). Bei Vox kamen auch Madrigale und das Combattimento di Tancredi e Clorinda unter Günther Kehr und dem Süddeutschen Kammerorchester von ca. 1960 heraus (Rodofo Malacarne, Elisabeth Speiser und Laerte Malaguti), wie diese Firma sich überhaupt um manche frühe Musik kümmerte. Das amerikanische Label Nonesuch ebenso.

Orfeo war die häufigste der frühen Monteverdi-Anstrengungen. Carlo Felice Cillario nahm mit den Kräften des berühmten Angelicum Mailand (Sammler werden sich an die grünen LPs erinnern) einen solchen in den späten Fünfzigern auf. Der Alte-Musik-Pionier Helmut Koch spielte mit dem Kammerorchester Berlin bei der Eterna einen solchen mit Elfriede Trötschel, Max Meili und – erstaunlich – Gerda Lammers ein.

Es gab auch einen Orfeo in der Maderna-Fassung (1960 an der NYCO, Stokowski dirigierte – es gibt ein Dokument davon, wahnsinnig!), Carl Orff hatte sich um Monteverdi gekümmert, Respighi bei Claves, Hindemith 1954 bei der RAI (mit Sinimberghi, Graf und Gillesberger). Man traute dem Original nicht, vielleicht war auch die Forschung noch nicht soweit. Eine wüste Poppea kam von der RAI 1957 mit Maria Vitale, Carlo Bergonzi und Oralia Dominguez (veröffentlicht in dem schwarzen Hommage-LP-Kasten bei Cetra vom Ehemann der Sopranistin mit allen ihren Aufnahmen beim italienischen Rundfunk), absolut abgefahren und eher Mascagni als Monteverdi, aber immerhin kümmerte man sich auch in Italien um ihn, mit unterschiedlichem Erfolg, wie noch die riskanten Aufnahmen aus Martina Franca bis in die Neuzeit zeigen …

Eine absolute Rarität ist die Poppea aus Wuppertal in der substanziellen Bearbeitung von Erich Kraack 1961 in Wuppertal, italienisch zwar, aber doch drastisch verändert. Eduart Wollitz (den man aus der Ewerhart Aufnahme kennt), Annamaria Bessel, Peter Christoph Runge und andere aus der Region singen (Label Wuppertaler Bühnen). Auch die Buchclubs boten – oft in Übernahme – Monteverdi. Ich erinnere mich nicht an Walter Goehrs Aufnahme bei uns zu Hause, als mein Vater Mitglied in der Concert Hall war und wir jeden Monat eine LP abnehmen mussten. Goehrs Poppea fand ich im Katalog. Und Sylvia Graehwiller nebst Friedrich Brückner-Rüggeberg sowie das Tonhallenorchester Zürich lassen auf eine schweizerische Übernahme schließen. 1963 war´s. Sagt Discorps, wo man ganz wunderbar die alten Aufnahmen aufgelistet und zum Verkauf angeboten findet.

Ein anderer Annäherungs-Strang führt zu Michel Corboz und den Lausanner Kräften, darunter ebenfalls Eric Tappy. Ich erinnere mich genau an seinen ersten Orfeo bei Erato 1968 in der eleganten braunen, leinenbezogenen Box mit der dicken Einlage (ein weiterer folgte weniger nachdrücklich 1985, warum nehmen Dirigenten nur immer Doublettenauf?). Eric Tappys Klage des Orfeo gehört ebenfalls zu meinem unvergesslichen Eindrücken. Corboz brachte später eine dicke Box mit Madrigalen (Guerreri) und weiterer Vokalmusik heraus, zuerst in Form der mit herrlichen Blumen-Covers geschmückten, weißgrundigen Erato-LPs, später diese dann als CD-Box (alles nun bei Warner, die früh das Label aufkauften, als es nach Barenboims Mozart-Ausflügen in den Ruin wankte). Michel Corboz, der später noch bei Claves und anderen Monteverdi und Späteres einspielte, erreichte mit seinen ersten Aufnahmen für mich so etwas wie einen Prototyp der zeitgemäßen Monteverdi-Interpretation – diskret historisch, aber mit natürlichem Vibrato der gestandenen Sänger und der Instrumente. Lustvoll und sinnlich.

Es gibt weitere Stränge der Nachkriegsbemühungen um Claudio Monteverdi. Bevor wir von Nikolaus Harnoncourt hörten, der zu dieser Zeit noch als Geiger im Orchester anderer spielte, war es Edwin Loehrer beim italienischen Rundfunk der Schweiz in Lugano, der dort meterweise Madrigale aufnahm, die dann bei verschiedenen Firmen als LPs/später CDs erschienen. Weitgehend mit einem kleinen, historisch angehauchten Orchester. Dazu herausragende Solisten wie Eric Tappy oder Laerte Malagutti, Lucia Ticcinelli-Fattori, Maria Minetto oder Edward Loomis. Auch Loehrer und sein fabelhafter Chor blieben eher konventionell, sinnlich, vibratoreich. Eben Lustvoll.

Das lässt sich auch über die ersten Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt sagen, der sich in den Siebzigern zu einem Papst für Monteverdi und die Folgen entwickelte. Vor dem berühmten Ponnelle-Zyklus in Zürich und seiner Dokumentation als Film und CD (Teldec 1988, Hollweg, Schmidt, Esswood et al) hatte er bereits bei Teldec den ersten eingespielt, der mir stimmlich und instrumental-musikalisch überzeugender, konzentrierter sein will (Hansmann, Lehrer, Eliasson, Equiluz, Esswood). Beide Dreiteiler (Zürich besonders, weil Bühnenaufführung) besitzen noch diese Frische und pralle Sinnlichkeit, die man in späteren Monteverdi-Aufnahmen stark vermisst. Hier sangen noch „normale“ Sänger wie Werner Hollweg, Eric Tappy, Rotraud Hansmann und andere, die eben das „normale“ Repertoire bedienten. Ein Ulisse, der auch Idomeneo, Don Ottavio oder Max singt scheint mir bis heute geeigneter zu sein als einer, der nur mit Barockem auftritt.

Der Dirigent Jürgen Jürgens soll da nicht unerwähnt sein. Seine Sammlung von Madrigali bei Teldec, DG und anderen sind weitere Meilensteine.

Und dann schließlich war da noch René Jacobs. Selber ein nicht immer liebenswürdig klingender Counter (für mich  stets kneifend und grell), begann er zu dirigieren und stellte einen beachtlichen Monteverdi-Opernzyklus bei Harmonia Mundi France vor. Besonders der Ulisse von 1971 mit Bernarda Fink und Christoph Pregardien bleibt mir in Erinnerung. Aber auch er nimmt inzwischen Sänger mit zu kleinen, dünnen Stimmen und neigt zum „Schrappen“ im Orchester. Und verschmäht – wie sollte er auch, ein Counter selber – Falsettisten in leading roles nicht. Ein Irrtum.

Um Raymond Leppard bei EMI und Decca muss man einen weiten Bogen machen. Das war Monteverdi für Leute, die Brahms und Mahler mögen, vielleicht auch Holst und Vaughn Williams, denn Leppard war in erster Linie eine englische Angelegenheit mit kleinen Ausuferungen auf den Kontinent. Ein Irrtum der Rezeption. Seine schwammigen, aufgeblasenen Orchestrierungen erfreuten Glyndebournes rich patrons, und seine Sänger sind – bei allem Verdienst – woanders besser zu hören, Janet Baker als Penelope vielleicht ausgenommen. Andere wie Hans Werner Henze mit seiner spätromantischen UlisseBearbeitung in Salzburg, München und Köln in den Neunzigern fallen da in dieselbe Kategorie, trotz Thomas Allens (oder Thomas Hampsons) und Kathleen Kuhlmanns bewegender Darstellung.

Natürlich gab und gibt es bis heute viele, viele, die sich mit Monteverdi beschäftigten. Und auch ihnen will man Respekt, wenn nicht immer große Zuneigung zollen, sie finden nachstehend Gerechtigkeit in den Rezensionen meiner Kollegen, die Counter, Zink und „Katzendärme“ mögen.

Sinnlichkeit – nach meinem Verständnis – trat hinter dem überbordenden, oft verbissenen und diktatorischen Anspruch der historischen Korrektheit der Aufführungspraxis zurück, wie sie sich nun sowohl instrumental wie auch stimmlich ausbreitete. Counter und immer kleiner werdende Solistenstimmen soweit das Ohr reichte. Das unselige Alfred-Deller-Erbe schwappt aus Englands Kirchen zu uns auf den Kontinent herüber. Tacet mulier in ecclesiam, jajadas wird heute gerne als Entschuldigung für die Verwendung von Countern in männlichen Kastratenrollen zitiert, Unsinn! Counter in Kastratenpartien als Protagonisten einzusetzen, nur weil sie Männer darstellen sollen, ist beklagenswerter Usus. Falsch und unhistorisch. Das hätte jemand wie Monteverdi oder Händel nicht geduldet, die Altistinnen verwendeten, wenn kein Kastrat zur Verfügung stand, und die Falsettisten in die Reihe der Kleinstdarsteller verwiesen. Das Geschlecht des Sängers selbst spielte im Barock keine Rolle. Pure opera gendering. Die Mezzo-Sopranistin Cecilias Bartoli gibt eine Vorstellung von der Reichweite der Kastratenpartien auf ihrer Decca-CD Castrati. Kastraten klangen zudem – den Beschreibungen nach – wie eine Mischung aus Marilyn Horne und Joan Sutherland, waren kraftvoll in der Attacke und vor allem betörend schön im Klang, weiteiferten mit den großen Sopranen der Zeit, mit denen sie sich auch die Rollen teilten. Denn Sopran-Kastraten sangen auch weibliche Rollen so wie Altistinnen als Schwerter rasselnde Helden auftraten (da denke ich sofort an Marilyn Horne…).   

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Als der letzte Kastrat wird Alessandro Moreschi bezeichnet, der allerdings nie in Opern, sondern nur Geistliches gesungen hat; bei youtube gibt´s noch ein „Ave Maria“ und anderes mit ihm, Altersaufnahmen, die kaum Rückschlüsse auf seine spezifische Kunst zulassen/ Wikipedia

Unsere heutigen Counter (ob nun ehemals Tenor oder meist Bariton) sind ja Falsettisten, die ihre Kopfnoten nach oben in die Koloratur-Sopranlage trainiert haben, was selten gut klingt. Nur wenige schaffen einen Wohlklang wie Paul Esswood (ebenfalls ein Alto) oder Jeffrey Gall (dto), auch Philippe Jarrousky in seinen Anfängen. Das Problem ist, dass der menschliche Stimm-Apparat das nicht lange mitmacht. Und im Laufe der letzten Jahre sah man manchen ehrgeizigen Counter im Sänger-Nirwana verschwinden. Oder ins Grelle abdriften (no names)… Die für mich ideale heutige Verwirklichung einer Kastratenstimme bleibt das gelungene Beispiel der elektronischen Verschmelzung zweier Stimmen eines Alt/Derek Lee Ragin mit der eines hohen Soprans/Ewa Małas-Godlewska im Film Farinelli. So stell ich mir den alten Klang vor. Angesichts von so vielen Absurditäten auf der heutigen Bühne vielleicht eine Idee für Nur-Akustisches? 

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Es ist ja bezeichnend, dass die französische Oper keine Kastraten kannte, sondern haute contres, also sehr hohe Tenöre bevorzugte, zumal in den Kirchen des Landes auch Frauen singen durften. Man brauchte also keine Kastraten und fand sie lächerlich. Haute contres finden sich in den französischen Barockopern und der Musik der Zeit, und sind eine übliche Rollenbezeichnung bis in das neunzehnte Jahrhundert, wo selbst leichte Spieltenöre so bezeichnet werden. Rameaus Schlamm-Nymphe Platée (auf einer alten EMI-Einspielung köstlich von Michel Sénechal dargeboten) ist als haut contre ausgewiesen.  Hugues Cuenod, bereits bei Boulanger erwähnt, tritt auch bei Loehrer und Corboz auf. Und in Glyndebournes Calisto wieder mal als gemeine, lüsterne Nymphe.

Und einem ganz besonderen haute contre aus Amerika muss man unbedingt ein Denkmal errichten, das wie ein Monolith in karger Landschaft nicht nur der ameriklanischen Nachkriegszeit steht: Russell Oberlin. Seine wirklich vielen und im Repertoire so weit gestreuten Aufnahmen (dazu auch optische bei VAI) lassen ihn einen ganz ausgefallenen, einzigartigen Künstler sein. Von Händel bis zu Britten, von spanischer Renaissance bis zu Mahler spannt sich sein Repertoire und bestätigt seine künstlerische Bandbreite. Zudem ist seine Stimme einzigartig, modern und doch am Alten gebunden. Er hat unter Noah Greenberg und seiner New Yorker Musica antiqua eine ganz wundervolle Monteverdi-LP/CD bei Odyssee eingespielt, wo er im Verein mit Charles Bressler, einem weiteren hohen amerikanischen Tenor, einen absolut irrwitzigen „Zeffiro torna“ hinlegt, dessen accellerandi wie Pfeile durch den Raum schießen. Ungeheuer.  Diese Barock- und Monteverdi-Sammlung Greenberg gehört zu den absoluten Schätzen meiner Sammlung. So ist es doch ein weiter Weg von Mantua bis New York, woher meine erste Liebe zu Monteverdi kam. Geerd Heinsen

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Monteverdi und kein Ende: „Als erste Aufnahme überhaupt“ enthalten die vier CDs, die Rondeau auf den Markt gebracht hat, die vollständige, gegen über der aus Venedig umfangreichere Neapolitaner Fassung der Monteverdi-Oper L’incoronazione di Poppea und dazu noch eine Reihe kürzerer Orchesterstücke von Zeitgenossen des Komponisten, so „ein paar neue Nummern und einige sehr spannende harmonisch kühne Stellen“, weiterhin ist die Fassung aus Neapel vierstimmig, die aus Venedig lediglich dreistimmig. Dem Publikum, das auf Schloss Waldegg bei Solothurn im Sommer 2021 in den Genuss der Aufführung kam, wollte man allerdings das Stück in seiner vollen Länge nicht zumuten und kürzte um einiges.

Die historischen Instrumente  des cantus firmus consort unter Andreas Reize erfreuen durch einen vollen, warmen Klang, federnd und agogikreich, die zahlreichen Ritornelle zwischen den Gesangsnummern passen stimmungsmäßig nicht immer, sorgen aber für eine angenehme Abwechslung zwischen den Darbietungen der fast ausschließlich hohen Stimmen. Diese allerdings weisen feine, die jeweilige Figur exakt charakterisierende Farbunterschiede auf.

Die Götter spielen in diesem Werk schon keine bedeutende Rolle mehr, äußern sich nur zu Beginn und Schluss der Oper, und so ist Fortuna zugleich auch Pallade und Damigella und alle drei Damen bekommen mit der Stimme von Kathrin Hottinger einen neckischen Anstrich, während Julia Sophie Wagner nacheinander Virtù, Dusilla und Venere ist, vollmundiger als die Kollegin, als Drusilla zunächst etwas verhuscht, ehe sie zunehmend präsenter erscheint und mit „O felice Drusilla“ frisch und flirrend und damit interessant wirkt. Apart melancholisch hört sich Marion Grange als Amore an, die zudem ein spritziger Valetto ist. Erstaunen kann immer wieder das Libretto erregen, so der Sarkasmus der Soldati Michael Feyfar und Hans Jörg Mammel. Eine warme Altusstimme  setzt Jan Börner für den Ottone ein, zunächst etwas unmännlich  wehleidig klingend, mit „I miei subiti sdegni“ aber durch Empfindsamkeit erfreuend. Die Ottavia von Geneviève Tschumi verfügt über einen edlen Klageton, führt die Stimme angenehm instrumental, ehe sie in der Riesenarie „Eccomi quasi priva“ recht geschmäcklerisch wirkt. Lisandro Abadie ist Seneca, der nach raunzigem Beginn zu sanfter Resignation findet und mit „Solitudine amata“ Eindruck machen kann. Dabei steht ihm mit Tobias Wicky ein geschmeidig singender Mercurio mit guter Diktion zur Seite. Letztere lässt der Nerone von Elvira Bill leider weitgehend vermissen, vieles klingt verwaschen, erst bei der Androhung der Folterungen wird es schillernd und damit interessant. Weich, schmiegsam, schmeichelnd, dazu frisch und immer wieder aufblühend kann Pia Davilla als Poppea nicht nur Nerone verführen. Wenn sie zum Schluss das berühmte Liebesduett singen, mag man gar nicht glauben, dass ein Fußtritt in den Bauch der Schwangeren bald der Geschichte ein Ende setzen wird. Ein ganz besonderes Vergnügen bereitet Sebastian Monti dem Hörer mit seiner plärrenden Arnalta und seiner greinenden Nutrice. Insgesamt kann man sagen, dass das Hörvergnügen sicherlich dadurch erhöht wird, dass man es sich einteilen, ab und zu dazwischen eine Pause machen und mit neuer Kraft und wieder erwachtem Interesse dazu zurückkehren  kann (4 CD ROP623738-4). Ingrid Wanja    

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Weder für die Feier eines Namenstags noch eines Geburtstags taugt ein Orfeo, an dessen Ende, der kompromisslosen Tragik einer griechischen Sage angemessen, der Held von feiernden Bacchantinnen zerrissen wird. Bereits der Orfeo von Monteverdi, für die Geburtstagsfeier des Herzoges von Mantua komponiert , geht zwar nicht so weit wie später der Glucks, bei dem die Liebenden sich dank Amors noch eines langen glücklichen Erdenlebens erfreuen dürfen. Aber er lässt immerhin Orfeos Vater, den Gott der Künste Apollo, persönlich den Sohn in das griechische Himmelreich entführen, wo er sich wie einst an der Schönheit Euridices nun an der von Wolken und Himmelskörpern erfreuen kann.  

2021 führte die Pariser Opera Comique in Zusammenarbeit mit der Opera Royal-Chateau des Versailles Spectacles und der Opera Grand Avignon die nicht unumstritten erste Oper überhaupt mit Le Concert des Nations  unter Jordi Savall auf historischen Instrumenten auf. Die sorgte für einen straffen, durchsichtigen und energischen Klang, ideal passend zu den Stimmen von Chor und Solisten. Von blendender Akuratesse war auch der Chor La Capella Reial de Catalunya, eigentlich eine Gruppe von Solisten, die sowohl durch darstellerische Gemessenheit wie durch vokale Brillanz erfreuen können. Regie führte Pauline Bayle und sorgte für eine klassische Mischung aus „edler Einfalt und stiller Größe“. In sanftem Rot, Grün gelb sind die zeitlosen Kostüme gehalten, Schatten von Baumstämmen sorgen für die Düsternis des Totenreichs, knallrote Blüten feiern das Glück der Hochzeit wie sie, anders arrangiert, den Grabschmuck bildeten. Die Optik erzeugt, mit anderen Worten, den Eindruck des durch und durch Klassischen (Bühne Emmanuel Clolus, Kostüme Bernadette Villard).

Vorzüglich sind die Sängersolisten, allen voran der Orfeo von Marc Mauillon, den man auch aus Tenorpartien kennt und der seine hier als Bariton eingesetzte Stimme in deklamatorischem Stil einsetzt, sehr aufmerksam gegenüber dem Text ist, so in einem mit ebenmäßiger Stimmführung zelebriertem  „Tu sei morta“, während oft auch das Timbre gespreizt wird wie im 3. Akt. Das ungemein lange „Possente spirto“ wird nie langweilig, bleibt stets voller Spannung. Viel Sinn für die kleinen Notenwerte hat Furio Zanasi als Apollo, der zum Schluss des fünfaktigen Dramas ein Duett mit dem Sohn singen darf. Salvo Vitale hat einen tiefdunklen, geschmeidigen Bass für Caronte und Plutone, weitere Herren singen meistens zwei Partien, jeweils einen Pastore und einen Spirto. Aus der Reihe der Damen sticht besonders Sara Mingardo als Messaggiera hervor, sehr bewegend die traurige Botschaft verkündend mit schlanker und dabei farbiger  Altstimme. Als Speranza und Proserpina kann Marianne Beate Kielland auch in den berühmten Worten Lasciate ogni speranza, voi che entrate“ einen sanften Mezzosopran einsetzen. Im Hintergrund sind ab und zu Mitwirkende mit Maske zu erblicken, scheinen eine unbeabsichtigte Brücke zwischen dem Damals und dem Heute zu schlagen, die immer währende Bedrohung des Menschen und seine Verletzbarkeit anzudeuten (Naxos NBDO152V). Ingrid Wanja

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Und noch einer – diesmal bei Chateau de Versailles: Seit 2017, dem Jahr des 450. Geburtstages von Monteverdi, finden sich auf dem Musikmarkt immer wieder Neueinspielungen seiner Musikdramen. Jetzt hat das Label Château de VERSAILLES in einer Aufnahme vom Dezember 2021 Il ritorno d’Ulisse in patria herausgebracht, wie stets mit reich illustriertem und mehrsprachigem Booklet. Vor dem Hören empfiehlt sich die Lektüre des informativen Artikels von Stéphane Fuget, dem Dirigenten der Einspielung, die in der Salle des Croisades du Château de Versailles mit dem von ihm 2018 gegründeten Ensemble Les Épopées stattfand. In diesem Essay mit dem Titel „Von der Deklamation im Rezitativ“ analysiert er detailliert den Stil des recitar cantando (beim Singen zueinander oder zu sich selbst sprechen, zu deklamieren) welcher den Ulisse in hohem Maße auszeichnet. Die Dominanz des Wortes über die Musik bestimmt dann auch seine Interpretation.

Das Ensemble hat sich voll und ganz auf diesen Stil eingestellt, wie es sogleich die lebhafte Artikulation im Prologo zeigt. Hier erweist sich Die menschliche Zerbrechlichkeit (L’Humana fragilità) als der Vergänglichkeit (Tempo), dem Schicksal (Fortuna) und der Liebe (Amore) unterworfen. Der exzellente Altus Filippo Mineccia, der fabelhafte junge amerikanische Bass Alex Rosen, die aufstrebende französische Mezzosopranistin Ambroisine Bré und die reizende Sopranistin Marie Perbost machen aus dieser Eingangsszene einen spannenden Diskurs. Den wirklichen dramatischen Einstieg in die Handlung markiert jedoch Penelopes Auftritt im 1. Akt mit dem langen Monolog „Di misera Regina“. Lucile Richardot mit ihrem erdenen Alt formt die Worte in reinem Sprechgesang und mit deutlichen Vokalverfärbungen. Ihr „Torna, deh torna, Ulisse“ hört man mit Erschütterung. Gegenüber den Freiern ist sie voller Hohn  nach deren Versagen. Auf Telemacos anzügliche Erinnerungen an Helena reagiert sie als zornige Mutter, auf Eumetes Enthüllung, dass der alte Bettler, der die Freier besiegte, kein anderer ist als Ulisse, mit spöttischer Verachtung. Wenn sie schließlich selbst überzeugt ist, dass der Mann vor ihr wirklich ihr Gemahl ist, wandelt sich ihr Ton von scharfer Deklamation zu weicher Rundung und zärtlichem Ausdruck. Davon kündet auch ihr Schlussduett mit dem Geliebten („Sospirato mio sole“) in seiner Seligkeit

Der Tenor von Valerio Contaldo als Ulisse klingt etwas nasal, punktet aber mit einer charaktervollen Interpretation. Sein Auftrittsmonolog, „Dormo ancora“, ist zunächst von stockendem, gebremstem Redefluss, steigert sich später zum verzweifelten Aufschrei. Seine Szenen mit Minerva (lockend: Marieclou Jacquard), dem treuen Hirten Eumete (kompetent: Cyril Auvity) und seinem Sohn Telemaco (emphatisch: Juan Sancho) beeindrucken durch plastische Klangsprache. Ambroisine Bré  verdient es, noch einmal genannt zu werden, denn ihr Melanto mit kokettem, doch stets delikatem Ton entzückt. Auch Alex Rosen kann nach seinem Auftritt im Prologo als Nettuno noch einmal auf sein sattes Potential aufmerksam machen, ebenso wie Filippo Mineccia als Pisandro auf sein charakteristisches Timbre. Jörg Schneider gibt einen skurril meckernden oder heulenden Iro (CVS069, 3 CDs/ 17. 09-22). Bernd Hoppe       

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Monteverdi-Zyklus bei OPUS ARTE: Mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists produzierte John Eliot Gardiner im Juni 2017 anlässlich des 450. Geburtstages von Claudio Monteverdi dessen drei große Musikdramen. Aufführungsort dieser semi-konzertanten Vorstellungen, bei denen die Sänger in schlichten oder extravaganten Kostümen von Patricia Hofstede und Isabella De Sabata auftreten und auch gestisch agieren, war das Teatro La Fenice Venedig. Opus Arte hat den Zyklus auf drei DVDs bzw. Blu-ray Discs veröffentlicht. L’Orfeo hat mein Kollege Gerhard Eckels nachstehend besprochen.

Im Dramma per musica  ist Hana Blazíková in der Titelpartie zu erleben. Der Sopran ist energisch, mitunter gar keifend. In den Zwiegesängen mit Nerone findet die Sängerin aber auch zu schmeichelnden, verführerischen Tönen. Wunderbar innig beider Schlussduett „Pur ti miro“. Ein in unseren Breiten weniger bekannter Countertenor, Kangmin Justin Kim, singt den Nerone. In seiner androgynen Erscheinung ist er optisch ein Blickfang und auch die hohe Stimme, fast in der Region eines Sopranisten, besitzt Ausnahmerang. Sein Ausdrucksspektrum reicht von furiosen Ausbrüchen bis zur Hysterie. Stupend ist die Koloraturbravour in der homoerotischen Szene mit seinem Vertrauten Lucano (Zachary Wilder). Konkurrenz als Ottone macht ihm dennoch Carlo Vistoli, ein neuer Stern am Counter-Himmel, mit betörend schöner Stimme und prägnanter Artikulation. Mit Marianna Pizzolato, kompetent auch im Belcanto-Repertoire, ist die Ottavia prominent besetzt. Ihr würdevoller Auftritt als von ihrem Gatten verstoßene Kaiserin („Disprezzata regina“) profitiert von Wohlklang, aber auch starkem Ausdruck. Ähnlich eindrücklich die Szene vor ihrer Verbannung aus Rom („A Dio, Roma!“) mit stockendem Beginn und enormer Steigerung. Michal Czerniawski gibt ihre Nutrice mit farbreichem Altus. Gianluca Buratto ist ein Seneca mit profundem, resolutem Bass und autoritärer Ausstrahlung. Seine große Szene vor dem von Nerone verordneten Selbstmord („Solitudine amata“) ist von schlichter, ergreifender Größe und der Tod selbst von erhabener Würde, auch durch das vom Orchester bewegend musizierte Ritornello.

Der Prolog schildert den Götterstreit zwischen La Fortuna, La Virtù und Amore in ihrem Anspruch, die Herrschaft über die Sterblichen zu beanspruchen. Mit strengen Stimmen rivalisieren Anna Dennis (danach eine energisch reife Drusilla), Lucile Richardot (später eine fulminante Arnalta mit maskulinem Tonfall) und Silvia Frigato (danach ein munterer Valletto).

Der englische Dirigent John Eliot Gardiner ist mit dem Werk seit mehreren Jahrzehnten vertraut. Bereits 1993 produzierte er für die ARCHIV Produktion der DG eine Gesamtaufnahme mit seinem Chor und Orchester. Seine Interpretation ist nun noch reifer und wissender, findet die perfekte Balance in der Begleitung der deklamierten Passagen, der Ariosi und instrumentalen Teile. (OA 1346D). Bernd Hoppe

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2017 ging John Eliot Gardiner mit „seinem“ Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists zum 450. Geburtstag von Claudio Monteverdi auf eine internationale Tournee, bei der dessen drei wichtigsten Opern L’Orfeo, Il ritorno d’Ulisse in patria und L’incoronazione di Poppea halbszenisch aufgeführt wurden. Die Aufzeichnungen im La Fenice in Venedig hat nun OPUS ARTE als DVDs herausgebracht.

In L’Orfeo und Il ritorno d’Ulisse in patria (in der Wiener Fassung) gelingt den Solisten, dem zeitweise tänzerisch auftretenden, stets ausgewogen singenden Monteverdi Choir und den in allen Gruppen sowie den vielen Instrumentalsoli ausgezeichneten English Baroque Soloists, die auch vor lautmalerischen Effekten nicht zurückscheuen, eine beeindruckende Vielfarbigkeit des Gesamtklangs. Der vielseitige, besonders in der Musik des 17. Jahrhunderts überaus erfahrene  John Eliot Gardiner leitet das Ganze mit anspornender und präziser Zeichengebung, wobei er durchgehend dafür sorgt, dass der Gesang im Vordergrund steht. Auch für die im Ganzen unaufdringliche, manchmal auch den Zuschauerraum einbeziehende Regie, die für lebendiges Spiel aller Beteiligten gesorgt hat, ist er ebenfalls gemeinsam mit Elsa Rooke verantwortlich. Die schlichten, antikisierenden Kostüme von Isabella de Sabata und  Patricia Hofstede passen bei beiden Opern insofern zum Gesamtkonzept, als es die Musik immer ins Zentrum rückt.

Das internationale Solistenensemble besteht aus Sängerinnen und Sängern, die auf die so genannte „Alte Musik“ und darauf spezialisiert sind, fast durchweg nur begleitet durch Continuo-Akkorde zu singen. In L’Orfeo beginnt es mit der wunderbar schlanken Stimme der Tschechin Hana Blazikova als La Musica, die sich mit der Harfe teilweise selbst begleitet. Später verwandelt sie sich in Euridice, die sie ebenso wie Minerva und Fortuna in Il ritorno überzeugend darstellt und mit blitzsauberem, immer wieder schön aufblühendem Sopran adelt. Auch beim intensiv gestaltenden Sänger des Orfeo, dem Polen Krystian Adam, sind die überaus variablen Klangfarben auffällig; besonders die großen Szenen im 3. und 5. Akt gelingen eindrucksvoll, wenn Orfeo die Unterweltfürsten mit seinem Singen zu überwinden sucht und er später sein Scheitern beklagt. Sie reichen von machtvollem Auftrumpfen im Klagen über den großen Verlust bis zu kunstvoll verziertem, einschmeichelndem Gesang. Dieser ist auch als Telemaco in Il ritorno gefordert, den Adam mit seinem kräftigen, flexiblen Tenor differenzierend gestaltet.

Der italienische Bariton Furio Zanasi ist in der Titelrolle des Ulisses in Il ritorno zu erleben, den er mit prägnantem Bariton und zurückhaltender Darstellung ausfüllt. Auch als Apollo in L‘Orfeo erweist es sich, dass er gemeinsam mit Orfeo in der Schlussszene die geforderten virtuosen Koloraturen und anspruchsvollen Gesangslinien aufs Beste beherrscht. Lucile Richardot macht in Il ritorno ausdrucksstark deutlich, wie unerschütterlich Penelope in ihrer Standhaftigkeit ist. Ebenso als Botin in L’Orfeo spart die französische Mezzosopranistin nicht mit dramatischen Effekten. Sie widersteht eindrücklich den aufdringlichen Freiern, die von Antinoo angeführt werden. In dieser Partie, als Tempo und Nettuno in Il ritorno sowie als Coronte und Plutone in L’Orfeo setzt der Italiener Gianluca Buratto seinen mächtigen, profunden Bass ein, den er  auch ausgesprochen lyrisch und klar zu führen weiß. Sozusagen als das Buffo-Paar, wie sie in späterer Zeit gern in Opern auftauchen, agieren als Melanto und Eurimaco munter pure Lebensfreude ausstrahlend die englische Sopranistin Anna Dennis (auch Ninfa in L’Orfeo) und der amerikanische Tenor Zachary Wilder (auch Spirito II in L’Orfeo). Ein köstliches Kabinettstückchen mit Cola-Dose und Bockwurst bei mitreißender stimmlicher Ausgestaltung ist dem englischen Tenor Robert Burt als der verfressene Freier Iro gelungen.

Bei den Sängerinnen und Sängern in den weiteren Partien, die nicht so sehr im Vordergrund stehen, imponieren die Vielseitigkeit und die durchweg ausgezeichnete Beherrschung ihrer jeweils charaktervollen Stimmen. Deshalb wäre es  unangemessen, jemand zusätzlich hervorzuheben; sie sollen aber doch wenigstens genannt werden: Es singen und spielen die italienische Sopranistinnen Francesca Boncompagni (L’Orfeo: Proserpina; Il ritorno: Giunone) und Silvia Frigato (Il ritorno: Amore) sowie die italienische Altistin Francesca Biliotti (Il ritorno: Ericlea). Außerdem sind dabei der amerikanische Counter Kangmin Justin Kim (L’Orfeo: Speranza), der spanische Tenor Francisco Fernandez-Reieda (L’Orfeo: Pastore I; Il ritorno: Eumete), der walisische Tenor Gareth Treseder (L’Orfeo: Pastore II, Spirito I, Eco; Il ritorno: Anfinomo), der amerikanische Bariton John Taylor Ward (L’Orfeo: Pastore IV, Spirito III; Il ritorno: Giove), der polnische Counter Michal Czerniawski (L’Orfeo: Pastore III; Il ritorno: Pisandro) und schließlich der italienische Counter Carlo Vistoli (Il ritorno: Umana fragilita).

Insgesamt  sind beide halbszenisch aufgeführten Opern besonders wegen der packenden, tiefgehenden Interpretation durch den Altmeister der „alten Musik“ Sir John Eliot Gardiner und des herausragenden Niveaus aller Beteiligten nicht nur für die Freunde der Musik des 16./17. Jahrhunderts lohnend (OPUS ARTE OA1347D L’Orfeo, OA1348D Il ritorno d’Ulisse in patria). Gerhard Eckels

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Aus dem bezaubernden Teatro della Pergola in Florenz kommt eine Aufzeichnung von Monteverdis Il ritorno di Ulisse in patria, die Robert Carsen als Regisseur und Radu Boruzescu als Bühnenbildner verantwortet haben. Sie entstand im Juni 2021 im Rahmen des Maggio Musicale Fiorentino und wurde von Dynamic auf Blue-ray Disc veröffentlicht (57927). Die Wirkung der Aufnahme bezieht sich vor allem aus dem hinreißenden Ambiente des antiken Theaters, das permanent in die Optik einbezogen wird und sich mit seinen Rängen sogar auf der Bühne fortsetzt. In den Logen sind die Götter postiert, die dem Spektakel beiwohnen und es kommentieren. Die Inszenierung mixt virtuos Vergangenheit und Gegenwart, wozu auch Luis Carvalho mit seinen Kostümen beiträgt, welche gleichfalls in unterschiedlichen Zeitebenen pendeln. Historische Pracht ist da mit zeitgenössischer Alltagsprofanität konfrontiert.

Mit der Accademia Bizantina sorgt Ottavio Dantone, der nach der  kritischen Edition von Bernardo Ticci auch die praktische Fassung für die Aufführung erstellte, für ein vibrierendes Klangbild, das in seiner Kraft und Spannung bis zum Schluss des Werkes nicht nachlässt. In der Titelrolle ist Charles Workman ein reifer Interpret, der die menschliche Dimension der Figur beeindruckend umreißt. Delphine Galou gibt der Penelope sensible Züge und Arianna Venditelli, auf diesen Seiten soeben als Titelheld von Händels Serse besprochen, ist eine expressive und differenziert schattierende  Minerva. Aus der Besetzung ragen zudem Gianluca Marghelli als Giove und Miriam Albano als Melanto heraus. Bernd Hoppe