Unsterblich weniger durch seine Dichtkunst als durch die gleichnamige Oper von Umberto Giordano wurde Andrea (André) Chénier, eines der letzten Opfer des Terrors Robespierres, ehe dieser selbst die Guillotine besteigen musste. Aus Covent Garden gibt es jetzt eine DVD/Blu-ray, die dem geplagten Opernfreund die seltene Möglichkeit gibt, mit den Personen des Stücks zu fühlen, zu leiden, ja zu weinen, seinem vielleicht bisher für das Nonplusultra gehaltenen Ideal Franco Corelli als Dichter-Revolutionär nun Jonas Kaufmann zur Seite zu stellen, zumindest was die Optik und die Darstellung betrifft. Der deutsche Tenor weiß im ersten Akt den Abscheu vor dem Adelstreiben wie das Fasziniertsein durch die junge Maddalena, im zweiten den trunkenen Übermut wie im dritten die Verachtung gegenüber der Mordmaschinerie des Revolutionstribunals und schließlich im letzten Akt die Poesie des „bel di di maggio“ wie die Entrücktheit des „morir insieme“ zu vermitteln und sieht immer blendend aus. Vokal überzeugt er durch die heldentenorale Kraft und die mühelosen Spitzentöne sowie das leidenschaftliche Singen; dass er dunkler klingt als berühmte Tenöre vor ihm in der Partie, ist nur festzustellen, nicht zu verurteilen. Wie einst Celestina Casapietra ist Eva-Maria Westbroek eine eher mütterliche als mädchenhafte Maddalena mit leuchtenden Höhen, und nur in der Mittellage wünscht man sich auch mehr dunkle Schattierungen. Zeljko Lučić hat kein besonders nobles Timbre und keinen baritonalen Höhenglanz, braucht sie für den Gérard aber auch nicht, vielmehr die Durchschlagskraft und die vokale Autorität sowie das derbe Charisma des Revolutionsführers.
Auch die kleineren Partien sind gut besetzt, so die Bersi mit einer verführerischen Denyce Graves mit auch erotischer Stimmfärbung, die Madelon mit der Dauercomprimaria Elena Zilio oder Rosalind Plowright als zickige Contessa di Coigny. Bei den Herren fallen Carlo Bosi als schmieriger Incredibile mit scharfem Charaktertenor, Adrian Clarke als treusorgender Freund Mathieu und Peter Hoare als wieseliger Abbé auf.
David McVicar hat das Werk libretto- und musikgetreu auf die Bühne gebracht, lässt zusätzlich Robespierre über die Bühne geistern und Ida Legray aus der Hand Gérards ihr Kind wieder in Empfang nehmen. Dem Verismo gehuldigt wird mit vielen Einfällen für den Chor, so den strickenden oder futternden Marktweibern oder dem vorbeiziehenden Karren mit den Verurteilten, die mit allerlei Obst und Gemüse beworfen werden. Die Bühne ist von Robert Jones für den ersten Akt üppig, für die weiteren eher leicht stilisiert ausgestattet worden, Jenny Tiramani schwelgt mit den Zuschauern in phantasiereichen, leicht ironisierenden Kostümen für die Festgesellschaft. Und es gibt keine Videos! Ehrlich!!!!!!!
Antonio Pappano ist natürlich im Orchestergraben der richtige Anwalt für die leidenschaftliche Musik, die er von einem atemberaubenden Höhepunkt zum nächsten sicher und sängerorientiert führt. Ein kleines Manko hat die Blu-ray: Der Beifall setzt im Vergleich mit der Optik immer um Sekunden verzögert ein, aber wenn man so weit gekommen ist, mag man schön gar nicht mehr mäkeln (Warner Classics 0190295937799). Ingrid Wanja