Michel Hampes Comédie humaine 

 


Die einen lieben Austen-Verfilmungen oder Downtown Abbey, die anderen möglicherweise die Ausgabe von fünf Rossini-Opern, die Michael Hampe zwischen 1988 und 1992 als Zusammenarbeit der Kölner Oper und Schwetzinger Festspiele inszenierte. Aufgenommen im Schwetzinger Schlosstheater, bieten sie genau die Qualitäten der britischen Serien oder Literaturverfilmungen: akribische historische Genauigkeit, Stilgefühl und feinfühlige Charakterzeichnungen. Die fünf frühen Rossinis, also vier Farsen – in der Reihenfolge ihrer Uraufführung: Il cambiale di matrimonio von 1810, La scala di seta und L‘ occasione fa il ladro beide 1812, Il Signor Bruschino von 1813 – und der der nicht dazu passende Barbiere (leider nicht die fünfte Farsa L’inganno felice von 1812) bilden so etwas wie einen Zyklus, sozusagen Rossinis (und Michael Hampes) Comédie humaine. Das mag etwas hoch gegriffen sein. Auf jeden Fall liebäugeln sie nicht mehr mit den zappelnden Harlekinaden der Commedia dell‘ arte, sondern wenden sich dem französischen Lustspiel und der bürgerlichen Gesellschaftskomödie des 19. Jahrhunderts zu.

Ehrlich gesagt, hatte ich mir von dieser Box Rossini Early Operas (EuroArts 5 DVD 2057388, vorher bei verschiedenen Firmen wie Arthaus etc.) nicht allzu viel erwartet. Hatte ich Michael Hampe nicht richtig eingeschätzt oder früher einfach das Falsche gesehen? Doch mit welchem Ernst und Seriosität er die frühen Werke Rossinis behandelte, war vor dreißig Jahren, als sie hierzulande nicht all zu oft anzutreffen waren, etwas Besonders. Das ist heute noch etwas Besonders. Erlebt man doch gerade die Kurzopern als klamottige Fingerübungen, scheinbar witzig, töricht aktualisiert. Es sind aber, wie Hampe und Gelmetti – beim Barbiere stand noch Ferro am Pult – beweisen, ausgezeichnete Charakterkomödien, an denen man sich schier nicht satt sehen kann. Es gilt genau das, was Sebastian Rother im Beiheft zu La Cambiale di matrimonio befindet,Im Grunde handelt es sich bei diese Stoff um eine typische bürgerliche Charakterkomödie mit dezent sozialkritischem Anstrich, wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Mode kamen – wenn auch einzig der galanten, geistreichen Unterhaltung verpflichtet und fern jeder moralisierenden und aufklärerischen Ambitionen wie sie in de Folge der Französischen Revolution allerorten anzutreffen waren“.

Die Aussage mag ein Gemeinplatz sein, doch selten erlebt man diese Komödien so genau und ernsthaft in Szene gesetzt, eben großes Theater wie Gaudenzio in Il Signor Bruschino festhält, „Nel teatro del gran mondo“/ „Im großen Welttheater“. Es ist eine pure Freude. Hampe standen erste Kräfte zu Verfügung, die diese Einsichten vom Kaufmanns-Kontor und britischen Herrenzimmer über das Damenboudoir und Aussichtsidyllen bis zum Salon des Ancien Régime samt Tapetentüren und Terrassen zu einer Stilkunde des gesellschaftlichen Miteinanders der besseren Stände machen: Carlo Diappi, den durch die Strehler-Schule gegangenen Ezio Frigerio und Carlo Tommasi sowie Mauro Pagano. Da stimmt alles vom Muster der Tapeten, der Draperien, den Lüstern, den Kanapees, den Kostümen, Rüschen, dem Frühstücksgeschirr, Wohlfühl-Einraum-Bühnenbilder für die 90-minütigen Einakter, farblich gut abgestimmt, kommod eingerichtet, mit Ausblich auf die Santa Maria della Salute oder den Triumphbogen, auf die Berge, das Meer (L ‚occasione braucht den Szenenwechsel) oder die italienische Landschaft, in Schuss gehalten von wuselnden mehr oder weniger aufdringlichen Dienstboten. Schöner Wohnen zu Rossinis Zeiten. Immer geht es um Geld und Liebe bzw. Liebe und Geld, reiche Geldsäcke hüten ihren Besitz und wollen ihn durch die Verheiratung der Töchter und Mündel mehren. Den Jungen geht es um Liebe statt Geld – und letzteres kommt dann dazu. Wie Hampe und seine Bühnenbildner und Kostümbildner das Thema variieren hat große Klasse, dieser Zyklus, der wegen des fehlenden L’inganno felice leider nicht ganz rund ist, ist ein theatralisches Ereignis. Regiehandwerk versteckt sich hinter Menschenbeobachtung. Hampe reiht nie Arien an Arien, sondern bezieht die beobachtenden, wartenden oder nur Stichworte liefernden Figuren stets mit ein.  Aus einer Arie oder einem Duett wird eine komplexe Szene, ein Gesellschaftsbild en minature. Ein Kosmos.

Da ist er wieder: der fabelfafte „Barbiere di Siviglia“ mit der jungen Bartoli aus Schwetzingen 1988, natürlich inszeniert von Michael Hampe in Ezio Frigerios hinreissender Ausstatung, nun bei Euroarts (im Vertrieb von Warner, 200118), eine der schönsten Video-Opern überhaupt – nichts wie haben wollen. G. H.

Gianluigi Gelmetti, ein Mittdreißiger und noch vor seiner Zeit beim SWR Radio Sinfonieorchester Stuttgart, war damals noch nicht die Koryphäe, als die er kürzlich bei Rossini in Wildbad wieder nach Baden-Württemberg zurückkehrte, aber eine gute Wahl. Er liebt diese Musik und die Sänger. Wie uns in diesen Werken immer wieder die gleichen Verhaltensmuster und Charaktere begegnen, treffen wir auf immer wieder die gleichen Sänger, die vor rund 30 Jahren unser Rossini-Bild prägten und bestimmten: voran viermal der jungenhaft schlanke und smarte, seine Fräcke mit Eleganz tragende, als Almaviva allerdings etwas penetrante David Kuebler, der nicht ganz so smarte, später  zum Heldentenor gewandelte Robert Gambill (Conte Alberto in L’occasione fa il ladro). Alle Wandlungen des Dieners und Begleiters und Freundes bis zum Gaudenzio durchläuft Alessandro Corbelli als glänzender Singdarsteller und singender Akrobat, der im Barbiere vermisst wird. Weniger Buffo als Liebhaber ist Natale de Carolis, dessen Karriere irgendwann eingeschlafen ist, ein präsenter vielseitiger Gestalter Alberto Rinaldi als Bruschino padre sowie Slook in La cambiale und Blansac in der Seidenen Leiter.  Man weiß gar nicht, in welcher Reihenfolge man alle nennen soll. Klar ist, es sind alles Sänger, die etwas vermitteln, den Gefühlsreichtum und die Abgründe aufzeigen, damit Mozart näherstehen als den italienischen Intermezzo-Drollerien. Stuart Kale ist ein runder Eusebio in L’occasione, Amelia Felle – ungleich divenhafter als Sofia in dem im gleichen Jahr aufgezeichneten Bruschino – und Carlos Feller, haben nicht die tollsten Stimmen, sind aber hinreißend zum Zuschauen in La cambiale di matrimonio (Feller dann auch als Bartolo). Luciana Serra hatte auch damals schon die nicht unbedingt charmanteste Stimme, aber mit unbestrittener Technik und Zierfreude singt sie die Giulia in La scala di seta und hat mehr Klasse als die sanftstimmig langweilige Susan Patterson als Berenice in Occasione, die sich leicht von ihrer Zofe Monica Bacelli als Ernestina ausstechen lässt. Wir treffen noch auf Janice Hall als Fanny in La cambiale, Edith Kertész-Gabry als Berta. Im dem von Daniele Ferro vibrierend dirigierten, 1988 offenbar als Versuchsballon gezündeten Barbiere,  ist die 22jährige Cecilia Bartoli als Rosina noch fern von der ratternden Koloraturmaschine späterer Jahre. Gino Quilico ist der draufgängerisch fesche good guy Figaro, der heftig akklamierte Robert Lloyd hinreichend zwielichtig als Basilio (Foto oben Ausschnitt aus dem „Baribiere“/ Euroarts).  Rolf Fath