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Ganz im Zeichen lesbischer Liebe standen im Jahr 2024 die Bregenzer Festspiele, als auf dem See Agathe und Ännchen in Webers Der Freischütz einander nicht nur freundschaftlich, sondern auch sexuell zugeneigt schienen und im Festspielhaus Rossinis Tancredi zur Tancreda wurde, was immerhin mit der weiblichen Stimme für die Partie begründet werden konnte. Da wurde die Tür geöffnet für eine heiße Liebe zwischen einer Romea und einer Giulietta für Bellinis I Capuleti e i Montecchi, und wenn man an das Kastratenwesen auf der Opernbühne denkt, wird es einem schier schwindlig bei der Vorstellung, welche sexuellen Orientierungen noch in die Theater Einzug halten und jede Art von Publikum bedienen können. Ein weit größerer Irrtum ist es jedoch, eine Belcantooper inszenatorisch auf Verismo trimmen zu wollen, zugegeben lange Arien durch Action um jeden Preis „auflockern“ zu wollen, wie geschehen durch den Regisseur Jan Philipp Gloger, der eine bis ins kleinste Detail fein ausgefeilte Inszenierung auf die Bretter gestellt hatte und den eine Riesenangst davor geschüttelt haben muss, das Publikum könnte sich langweilen. Er verlegt die Rittergeschichte um Sarazenen und Christen ins Mafiamilieu heutiger Zeit, heuert zur naturalistischen Kampf-, Abmurks- und Saufgelageszenerie zu den Sängern noch eine Stunt-Men-Truppe mit Fight Choreographer an und lässt Priester (der ansonsten gestrichene Roggiero) und Drogenhandelsbekämpfer erstechen oder erschießen, letzteren noch mit einem GAY-Schild versehen, während Tancreda vor dem Ferrara-Schluss noch trutzig eine Fahne mit dem doppelten Spiegel ausbreitet.
Ich erinnere mich an eine konzertante Rossini-Aufführung in der Deutschen Oper Berlin mit Caballé, Horne und Ramey- es war und blieb die bisher spannendste überhaupt, weil man aus Bewunderung für das sängerische Können der Stars kaum zu atmen wagte. Mit der detailverliebten Überinszenierung, in der auch noch neben vielem anderem vom Priester à la Padre Lorenzo ein Giftfläschchen an Amenaide gereicht wird, so handwerklich perfekt sie sein mag, werden musikalische Linien zerrissen, die Aufmerksamkeit von den Sängern abgelenkt und ein trauriges Beweisstück für mangelndes Vertrauen in Musik und Sänger geliefert. Wie gesagt, es ist eine mit Einschränkungen (Italiener trinken nicht Tag und Nacht Rotwein, sondern nur zu den Mahlzeiten.) perfekte Inszenierung, die aber nicht zur Musik passt, so wenn zu einer hochdramatischen Arie Amenaide auf das Hochzeitsbild der Eltern spuckt, es auf die Erde wirft und Argirio es aufhebt und mit dem Saum seines speckigen Bademantels sauber wischt oder sich der Charakter des Orbazzano in barbarischen Essgewohnheiten manifestiert. Es ist auch keine Lösung, den Text teilweise der Inszenierungsweise anzupassen. Dem Naturalismus der Regiearbeit entspricht die Bühne von Ben Baur, der auf der Drehbühne die Außenmauern eines vernachlässigten Palazzo mit kleinstbürgerlicher Einrichtung kombiniert, obwohl man meinen möchte, der Handel mit in Teddybären verstecktem Kokain sollte einen anspruchsvolleren Lebensstil ermöglichen.
Man weiß nicht recht, ob man es begrüßen oder bedauern soll, dass die Besetzung eine durchaus hochrangige und festspielwürdige, ihre vokalen Gaben leider an die falsche Inszenierung verschwendende ist. Rossini schrieb die Oper als Zwanzigjähriger, so verwundert nicht, dass dem Tenor noch die Vaterrolle, dem Bass die Liebhaberpartie zugeordnet ist. Antonino Siragusas Tenor passt vom Timbre her inzwischen sehr gut die erstere, und mit seiner stupenden Technik führt er allerbesten Rossinigesang mit allen Raffinessen des Ziergesangs und rasanten Cabaletten vor. Andreas Wolf imponiert eher durch die dunkle Fülle des Basses als durch vokale Raffinessen. Isaura ist hier nicht Vertraute sondern Mutter von Amenaide und findet in Laura Polverelli eine zwischen Gatten und Tochter ihre hilflose Zuneigung aufteilende Dartsellung, vokal kann sie einen leichten Wobbel nicht immer kaschieren. Kaum einen vokalen Wunsch offen lassen Mélissa Petit als Amenaide und Anna Goryachova als Tancredi. Der Sopran ist jung, frisch, klar und höchst beweglich, dazu ist die junge Sängerin noch karateerfahren. Der Mezzo ist an Ebenmaß, Geschmeidigkeit und Farbschönheit erstaunlich, das Duett „Quale per me fuesto“ ist einer der vielen akustischen Höhepunkte der DVD, aber auch die große Szene „O patria!“ samt Cabaletta „Di tanti palpiti “ wird sehr achtbar bewältigt. Yi-Chen Lin lässt es am Dirigentenpult etwas an unverzichtbarem Brio mangeln, aber insgesamt merkt man dem Orchester, den Wiener Symphonikern, an, dass sie auch mit dem italienischen Repertoire vertraut sind, genau wie der Prague Philharmonic Choir unter Lukáš Vasilek (C-Major 769208). Ingrid Wanja