Laser und Nebel

 

Jean-Philippe Rameaus Tragédie en cinq actes Hippolyte et Aricie stand im Zentrum der Barocktage Unter den Linden 2018 und wurde nun von EuroArts auf zwei DVDs veröffentlicht (2064318). Der dänisch-isländische Künstler Ólafur Elíasson hatte für die  Produktion eine gigantische Laser-Show erdacht, welche vor allem junge Zuschauer beeindruckte. Auf der von ihm gestalteten dunklen Bühne kreuzen sich in diffusem Nebel Lichtstrahlen, kreisen Scheinwerferverfolger, tanzen grüne Lichtpunkte, werden flackernde Lichtsignale auch in den Zuschauerraum geschickt. Eine riesige Diskokugel über dem Orchesterraben sorgt für zusätzliche Reflexe. Wie ins Universum verlegt, vollzieht sich das Geschehen oft vor einer riesigen Wand, in der sich das Publikum im Saal und das Orchester im Graben spiegeln.

In diesem Ambiente hat die Regisseurin Aletta Collins das Geschehen statuarisch arrangiert und zeichnet auch für die Choreografie verantwortlich. Da auf der Bühne vornehmlich Dunkelheit herrscht, sind die zwölf Tänzerinnen und Tänzer in ihren schwarzen Ganzkörpertrikots kaum auszumachen. Gelegentlich sieht man sie wie Insekten auf dem Boden herumkrabbeln, bemerkt ihre bizarre Körperhaltung, die an Verkrüppelte erinnert. Bis auf angedeutete Kampfszenen und Posen griechischer Recken hat die Choreografie keine erkennbare Aussage, kombiniert zeitgenössischen Duktus mit neoklassischen Elementen. Gleichwohl gibt es einige bemerkenswerte Einfälle – wenn die Tänzer in einer Linie an der Rampe mit wogenden Bewegungen Wellen imitieren oder in einem Nebelmeer aus rot/grün/blauen Farbflächen wie Ertrinkende nur halb herausragen. Am Ende wechseln sie spannungsvoll zwischen Annäherung und Aggression. Einer bleibt allein zurück, was eher eine nachdenkliche Stimmung erzeugt und das glückliche Ende zwischen Hippolyte und Aricie kontrapunktiert.

In ihrem Aktionsradius werden die Sänger durch Elíassons monströse Kostüme behindert. Wie in Goldpaper eingewickelt, können sie sich kaum bewegen, vor allem nicht die Titelheldin, die wie ein funkelnder Weihnachtsengel erscheint. Anna Prohaska singt sie mit monochromem Sopran, der vor allem in der Tiefe matt bleibt. Einzig in der Schluss-Szene, der lieblichen Nachtigallen- Arie („Rossignols amoureux“), kann sie gefallen. Als ihr Geliebter Hippolyte lässt Reinoud Van Mechelen einen wohllautenden Tenor hören, bleibt aber blass in der Ausstrahlung. Die Krone des Abends gebührt  Magdalena Kozená, die als Phèdre in glitzernder Silberrobe die Leidenschaft für ihren Stiefsohn mit charaktervollem, glühendem Mezzo und flammender Expressivität ausdrückt. Ihre Stimme ist stets präsent und blutvoll, so dass sie den einzig lebendigen Charakter auf die Bühne bringt. Vokal wechselte sie zwischen vehementen Ausbrüchen, zärtlich lockenden Tönen und unvermitteltem, harschem Sprechgesang in der unteren Lage. Einmal mehr imponierte das Ensemblemitglied Gyula Orendt mit seinem dunklen Bariton von grimmigem Ausdruck, der als Thésée in der Unterwelt seinen Freund Perithoos wieder zu finden hofft. Von der Furie Tisiphone (solide: Roman Trekel) wird er vor den Schrecken des Hades gewarnt. Beide – wie auch der in der Tiefe matte Pluton von Peter Rose –  tragen ein skugelartiges Geflecht aus bunten Neonröhren auf dem Kopf.  Die drei Parzen (Linard Vrielink/Arttu Kataja/Jan Martinik) sind in drapierte weiße Tüllbahnen eingewickelt, leuchten bei der Verkündung von Hippolytes Schicksal grün auf.  Solch visuelle Effekte sind auch den zuverlässigen Sängern des Staatsopernchores (Einstudierung: Martin Wright) zugeteilt, die in schwarzen Gewändern mit Spiegelscheiben als Kopfputz auf der Bühne und im Graben postiert sind. Gemeinsam mit den Tänzern fassen sie sich am Ende an den Händen und bilden einen Kreis um das Liebespaar.

Weit mehr überzeugt die musikalische Seite der Aufführung. Mit dem Freiburger Barockorchester erweckt Simon Rattle Rameaus farbige Musik der Version von 1757 (mit Ergänzungen aus der Fassung von 1733) zum Leben, fächert sie in ihrer Vielfalt beeindruckend auf. Die Zwischenmusiken klingen delikat, die Tänze haben Rhythmus und Drive. Phèdres Szenen sind dramatisch aufgepeitscht, die Aricies lieblich und zart. Bernd Hoppe