Der König liegt im Sterben. Die dutzend Tänzer der Compagnie Eastman aus Antwerpen rütteln sich und schütteln sich, führen schwingende Bewegungen aus. Der Chor spreizt bei „Non“ die Hände geziert von sich. Im klassizistischen Kastenbild, das Henrik Ahr anlässlich einer der raren Produktionen von Glucks Alceste auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper gestemmt hat, herrscht edle Einfalt und schlichte Größe (Bluray C major 756804). Dann kommt Alceste, im gelben Kleid, schreitet durch wallende schwarze Tücher, die ihr die Tänzer ausbreiten und auf die sie von diesen wie auf einer Lotusblüte drapiert und anschließend hoch gehoben wird. Der Belgier Sidi Larbi Cherkaoui arrangiert Schmerz in edlen Posen, zelebriert die Trauer der Monarchin, deren Gatte Admète im Sterben liegt, mit wohlgefälligen Bildern und Schattenspielen unter fast durchgängiger Beteiligung des weiß- khaki-tarnfarbenen gekleideten Tanzensembles (Kostüme Jan-Jan van Esche), dem sein Hauptaugenmerk gilt, dabei jedes sinfonische Zwischenspiel, Pantomime, ausnützend. Gluck hatte die erste Fassung seiner Alceste 1766 mit dem italienischen Text des Calzabigi in Wien als Reaktion auf den Tod des Kaisers geschrieben und Alceste, die ihr Leben für das des Gatten opfern will, mit Maria Theresia assoziiert. Zwei Jahre nach der 1767 erfolgten Uraufführung stellte er der gedruckten Partitur einige Aussagen voran, die sie zu einem bedeutenden Manifest seiner Opernreform werden ließen, die sich in der französischen Zweitfassung mit dem Text von Du Roullet verwirklicht, „Ich dachte die Musik wieder auf ihre wahre Bestimmung zu beschränken, der Poesie durch den Ausdruck und durch die Situationen der Fabel zu dienen, ohne die Handlung zu unterbrechen oder sie durch unnütze, überflüssige Verzierungen zu erkälten.“
Ein Orakel verkündet der thessalischen Königin Alceste, dass ihr Gatte Admetos/ Admète am Leben bleibe, wenn sich ein anderer an seiner Stelle opfere. Alceste ist dazu bereit. Der König wird gesund, erfährt vom Opfer seiner Gattin und ist bestürzt. Ein Ehekonflikt bahnt sich an. Gastfreund Herakles/ Hercule richtet die Sache, worauf Apoll selbst eingreift und das Königspaar schont. So ziel- und ideenlos die Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper, so engagiert die musikalische Umsetzung der französischen Fassung von 1776 unter Antonello Manacorda, durch die Glucks Musik breit aufgefächert zwischen Schlichtheit und Pathos in dunkelleuchtenden Farben erscheint. Vor allem ist Dorothea Röschmann eine überzeugende Alceste. Mit ebenmäßig sattem Sopran, reifem Timbre und guter Diktion ist sie eine interessante Interpretin, wenngleich ihr die Partie nicht immer ideal liegt. Ich höre ihr gerne zu: fesselnd die Selbstverständlichkeit in ihrer großen Szene im ersten Akt mit der Arie „Non, ce n’est point un sacrifice“ und der nach einem Einwurf des Oberpriesters zum Ende des ersten Aktes anschließenden Arie „Divinités du styx“ mit pfeilscharf angepeilter Höhe und bemühter Tiefe. Gut sind Michael Nagy als Oberpriester und Hercule, der feine Manuel Günther als Évandre, Sean Michael Plumb als Herold und Apoll, gerne höre ich auch den ansonsten im französischen und italienischen Repertoire tätigen Charles Castronovo als beherzten, sicherlich nicht ganz stilechten Admète. Personenregie findet übrigens nicht statt. Dafür viel Rampensteherei. Zum Finale pure Hilfslosigkeit.
Leider dekoriert Sidi Larbi Cherkaoui diese handlungsarme Leidensgeschichte mit bestürzend platten Tanzaktionen und ärgerlich einlullendem Augenfutter der Eastman Truppe und herzigen Chorszenen, lässt den König über kniehohe Stufen schreiten oder bettet ihn wiegend auf die Arme der Tänzer und sorgt erst am Eingang zur Unterwelt mit den auf Stelzen staksenden Höllenhunden für magische Momente in der ansonsten enttäuschenden Aufführung (Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Rolf Fath