Historisches aus Glyndebourne

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Ganz so alt wie Max Reinhardts Hollywood Sommernachtstraum ist Peter Halls Einrichtung von Brittens A Midsummer Night’s Dreamfür Glyndebourne nicht. Doch seine Inszenierung der Oper, die im Sommer 1981 beim Festival in Sussex Premiere hatte, ist auf ihre Weise die ultimative Inszenierung von Benjamin Brittens 20 Jahre zuvor in Aldeburgh uraufgeführten Shakespeare-Oper oder, wie The Guardian meinte, „… the definitive staging of the work“. Die vielfach veröffentlichte Aufnahme ist nun wieder bei Opus Arte greifbar (OA13731 D), wenige Woche nachdem man Peter Halls gleichfalls liebevoll retrospektive Inszenierung des Albert Herring von 1985 wiederbegegnen konnte. Beide Male dirigiert Bernard Haitink, der seinerzeit die musikalische Leitung des Festivals innehatte. Wie stets sind auch für diese Oper einige der bekanntesten britischen Sänger aufs Land gereist, Felicity Lott und Cynthia Buchan singen die Helena und Hermia, Dale Duesing – er freilich ist Amerikaner – und Ryland Davies ihre Liebhaber Demetrius und Lysander. Lott ist überragend als Helena, Duesing verleiht seinen Figuren stets eine besondere Qualität. Alle vier sind in ihren 30ern, wenngleich sie etwas reifer wirken und die Nahaufnahmen ihnen nicht immer zum Vorteil gereichen. Der schwedische Bass Curt Appelgren erlebte den Höhepunkt seiner Karriere offenbar als in Glyndebourne, wo er Rocco, Basilio und bis 1989 den Bottom sang; übrigens immer noch mit Buchan und Davies. Die berühmtesten Namen sind für das Herrscherpaar Titania und Oberon aufgeboten, die durch ihre Eifersüchteleien die Komplikationen im Wald bei Athen mit den beiden verwirrten Liebespaaren heraufbeschwören. Ileana Cotrubas ist eine exquisite Titania, der im März verstorbene James Bowman hatte seine Bühnenkarriere als Oberon begonnen und blieb stets mit dieser Partie verbunden; noch 2021 sang er bei einem allerletzten Auftritt anlässlich eines Gedenkkonzerts für Steuart Bedford Oberons Monolog ‘I know a bank’. Bemerkenswert der 14jährige Damien Nash als Puck. Alle sind mit spür- und hörbarer Freude und Hingabe bei der Sache, so dass die betuliche, betont werktreue und altmodische Aufführung nicht angestaubt wirkt, eher wie ein Erbstück – das in Glyndebourne bis zum heutigen Tag aufpoliert wird (die Presse titelte griffig, „the magic lives on“). Haitink und das London Philharmonic Orchestra lassen den Wald und die Paare flüstern und wispern, dass die Oper, die mir immer ein klein wenig zu lang erschien, selten länglich wirkt. Den Hauptverdienst am Erfolg der Aufführung hat die Mischung aus naturalistischen und phantastischen Elementen in der Ausstattung von John Bury im Stil des populären britischen Märchenillustrators Arthur Rackham. Üppige Renaissancegewänder für die Herrscher, netten Flügelputz für die kleinen Elfen in den Tudor-Kostümen, eine Eselsverkleidung, wie sie heute kein Weihnachtsmärchen mehr hinbekommt, und schließlich ein Landsitz aus der Shakespeare-Zeit. Doch die Hauptfigur scheint der im Mondlicht unmerklich sich bewegende Wald mit seinem weitarmigen Zweigen und geheimnisvollen Blättern zu sein. Es bleibt eine zauberhafte und atmosphärisch dichte Aufführung. Man kann sich sicher sein, dass dieser Traum von einer elisabethanischer Ideallandschaft auch das diesjährige Festspielpublikum, das größtenteils vielleicht noch nicht geboren war, als die Produktion ihre Premiere hatte, entzückt hat.

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Benjamin Brittens Werke wurden regelmäßig in Glyndebourne gegeben. Bereits 1946 fand die Uraufführung von The Rape of Lucretia mit Kathleen Ferrier statt. Erst 2010 rangen sich die Festspiele zu einer Produktion der spröden Männeroper Billy Budd durch, deren Uraufführung 1951 in einer vieraktigen Fassung an Covent Garden stattgefunden hatte. Mark Elder dirigierte in Glyndebourne die heute gebräuchliche Fassung in zwei Akten, die Britten 1964 ebenfalls für Covent Garden erstellt hatte. Es inszenierte der Schauspielregisseur und wenige Male als Filmregisseur hervorgetretene (2022 Der Liebhaber meines Mannes) Michael Grandage, der vielfach für seine Arbeit am dem von ihm damals geleiteten Donmar Warehouse ausgezeichnet wurde. Billy Budd war sein Operndebüt, anschließend hat er mehrfach Opern inszeniert. Grandages vorsichtige und werkdienliche Inszenierung gliedert sich insofern in die Reihe von A Midsummer Night’s Dream und Albert Herring ein als sie versucht, eine historisch getreue Abbildung von Bord der Indomitable während des englisch-französischen Seekriegs 1797 zu bieten. Vor allem die Kostüme des Ausstatters Christopher Oram bilden die strenge Hierarchie und Disziplin an Bord ab, wo Captain Vere mit seinen engsten Vertrauten über die Französische Revolution und deren Bedrohung von Disziplin und Ordnung diskutieren. Die Arbeit wirkt aber fade und uninspiriert und verpackt die Geschichte des zu Unrecht gemobbten und der Meuterei verdächtigten Stotterers Billy in blutleere Aktionen (2 DVD OA 1051 D). Musikalisch ist die Aufführung sehr gut. Der damals 32jährige Jacques Imbrailo erlebte als jugendlich-unschuldiger Billy mit dem herzzerreißenden Abschied vom Vere „Starry Vere, god bless you“ seinen Durchbruch. Mit leichtem, gedankentief einfarbigem Tenor verdeutlicht John Mark Ainsley die Erschütterungen des Captain Vere, den die Ideen der Aufklärung in moralische Bedrängnis bringen. Der kanadische Bass Philipp Ens ist ein wuchtiger Claggart, Matthew Rose und Iain Paterson profiliert als Segelmeister und Erster Leutnant. Mark Elder und das London Philharmonic Orchestra boten Brittens größte Orchesterbesetzung durchsichtig und kreieren vor allem in der Gerichtsszene, in der Billy zum Tod durch Erhängen verurteilt wird, an Spannung. Sehen muss man das nicht. Rolf Fath