Nach dem Erleiden von psychisch schwer gestörten (Scala) oder als schleimig-betrügerische Politfunktionäre (Berlin) auftretenden Lohengrinen kann man den Skandal um den biederen Zimmermann, als der der Gralsritter 2009 in München erschien, um am Häusle-Erbauen seiner Elsa in Latzhose behilflich zu sein, gar nicht mehr verstehen, umso mehr als man dort zu dieser Zeit an Spießigkeit und Biedersinn nebst Blümchentapete und Stehlampe in Götter- wie Heldenkreisen durchaus gewöhnt war. Zudem war das Hohe Handwerkerpaar mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros (nun als Blu-ray neu aufgelegt bei Decca) so attraktiv besetzt, dass ihm Kostüme kaum etwas anhaben konnten, da schmückten dieselben nicht ihre Träger, sondern umgekehrt.
Regisseur Richard Jones hatte sich von Ultz (und nichts weiter) eine Baustelle für ein Einfamilienhaus entwerfen lassen, vor das sich, um unvorstellbar rasant vor sich gehende Fortschritte dem Zuschauer vorzuenthalten, eine Zwischenwand mit Türen und darin Sehschlitzen für das spionierende Intrigantenpaar senken konnte. Voreilig war man mit dem Bereitstellen von Wiege und Kinderwagen bereits für die Hochzeitsnacht, mittelalterlich sollte es zugehen, als Elsa bereits auf dem mit Benzin übergossenen Scheiterhaufen stand, ehe Lohengrin endlich erschien, ebensolches fand dann doch noch Verwendung beim Abfackeln von Wiege und Brautbett durch den enttäuschten Titelhelden. Die Kostüme in Mostrich für die Brabanter, BDM-Aufmachung für die Gefolgschaft Elsas und die Folklorehaartracht für das weibliche Personal konnte so unbefangen wohl nur ein
um drei Ecken herum ironisch denkender Engländer erdacht haben – man wartet, zum Glück vergeblich, auf die Verwandlung des bieder bleibenden König Heinrich in eine weit weniger sympathische Führerfigur.
Einerseits banalisiert die Regie das mythische Geschehen, andererseits treibt sie es auf die Spitze mit einem sich putzenden Schwan, der zu Gottfried, dem Knaben, wird, und einem Lohengrin, der mit graziösem Tanz und beim zweiten Aufeinandertreffen
Telramund allein durch eine leichte Berührung zur Strecke bringt. Da die Charaktere sich treu bleiben dürfen, ist das alles zweitrangig und sollte gut vom Zuschauer zu verkraften sein. Inzwischen ist einiges Wasser die Schelde hinabgeflossen, und das Werk hat schlimmere Deutungen erfahren müssen.
Für den Reichssender Brabant scheint Heerrufer Evgenij Nikitin mit geschmeidigem Bariton ohne jede hörbare Angestrengtheit tätig zu sein. Beeindruckend sich steigernd bekundet Telramund Wolfgang Koch „mein Ehr ist hin“ und hat auch noch für seinen Auftritt vor dem Dom, der hier nur durch einen Resopaltisch mit drei Stühlen vertreten ist, genügend Kraft für einen gewaltigen Ausbruch. In dieser Szene genießt der Besitzer der Blu-ray ein Vorrecht gegenüber dem Opernhausbesucher: Er sieht, dass Lohengrin die Heiratsurkunde nicht unterschreibt!!! Michaela Schuster ist eine Ortrud auch der leisen, gleisnerischen Töne, ohne um dramatische Ausbrüche verlegen zu sein. Trotz jugendlichen Alters des Sängers wirkt der König Heinrich von Christof Fischesser wie ein harmloser Teddybär, gemütvoll und hilflos ob all der Intrigen und nicht einmal böse, wenn die Untertanen mit den Händen in den Hosentaschen vor ihm herumlümmeln. Vokal kann er davon überzeugen, ein Trostspender für die verängstigte Elsa zu sein. Diese findet in Anja Harteros eine ideale Verkörperung, obwohl man wie bei ihrem Partner zunächst keine rollentypische Stimme in der ihren zu hören vermeinte. Aber ihr inniger Gesangsausdruck, ihre strahlenden Höhen, die feinen Farben, aber auch das ausdrucksvolle Mienenspiel so bei der wie entrückt klingenden Traumerzählung sind einfach zum Entzücken. Jonas Kaufmann ist ein charmanter Lohengrin, dem die Zimmermannstracht vorzüglich steht, dessen dunkles Timbre zur Optik besser passt als zu den akustischen Vorstellungen, die man von dem Wagner-Helden hat, der aber hier einfach besser nicht sein könnte mit penibler Beherrschung aller agogischen Anweisungen des Komponisten bis hin zu ätherischem „eine Taube“ oder „bei dem Ringe sollt ihr mein gedenken“. Mit einem weniger charismatischen Protagonistenpaar hätte diese Produktion zu einer peinlichen Angelegenheit werden können. Kent Nagano zaubert ein zartes silbriges Vorspiel zum ersten und einen schönen Jubelton für das zum 3. Akt, verhält sich ansonsten eher zurückhaltend (Decca 074 3829).
Ingrid Wanja