„Echt japanisch“

 

Wer möchte schon eine Oper sehen, in der eine naive Kindfrau entführt, als Ausstellungstück für ein Bordell missbraucht, vom eigenen Vater verflucht wird, sich in die Gosse stürzt und hier elendiglich verendet?! Den Erfolg eines solchen Librettos bezweifelten wohl auch Luigi Illica und Piero Mascagni,  und so stellten sie an Anfang und Schluss ihrer Oper Iris einen mit seiner Klangfülle überwältigenden Inno del Sole, der der Elendsgeschichte einen beinahe versöhnlichen Rahmen verleiht, wenn die Nicht-Heldin einzugehen scheint in eine Welt der duftenden Blumen und wärmenden Sonnenstrahlen. Dem Publikum von heute ist wohl noch weniger Misere  zuzumuten, so dass die Regie sich in der Geburtsstadt des Komponisten Livorno  entschloss, Iris, der eigentlich Lumpensammler auch noch die kostbaren Kleider vom sterbenden Leib hätten reißen müssen, in Glanz und Gloria und unversehrt  in vollem Luxus-Geisha-Ornat in eine sonnige Zukunft schreiten zu lassen, umgeben von einem Teil des Chors, jungen Mädchen, die zuvor leblos auf der Bühne gelegen hatten. Das Bordell scheint offensichtlich generell kranke und sterbende Prostituierte in der Gosse zu entsorgen, die zum Totenlager der Iris wird.

In japanische Hände hatte man die Optik der Produktion gelegt, und Regisseur  Hiroki Ihara hatte offensichtlich das Hauptaugenmerk auf die tadellose Beherrschung der Trippelschritte gelegt, die der Europäer für das Kennzeichen asiatischer Frauen hält, die angemessen wohl für das Personal des Bordells, weniger für die arbeitsamen Wäscherinnen schienen. Auch windradartiges Armeschwenken für die Erscheinung des Blinden im letzten Akt und anderer Figuren  sind kein besonders guter Einfall. Für die Szene war 2017 Sumiko Masuda verantwortlich, sorgte für phantastische Hintergrundprospekte, so im 2. Akt für riesige Irisblüten oder bedrohliche Krakenarme. Der spärliche Blütenregen zum Schluss wäre allerdings besser unterblieben. Prachtvoll sind die Kostüme von Tamao Asuka für die Geishas und besonders natürlich für die Protagonistin.

Mit Paoletta Marrocu hatte man eigentlich einen guten Namen für die Titelpartie verpflichtet, für die sie zunächst einen kindlichen Ton hat, deren Sopran in der mezza voce angenehm klingt und die mit reicher Agogik singt. Anrührend wirkt ein zartes „di lacrime ho gli occhi pieni“.  Wird es dramatischer, kann die Stimme auch unangenehm schrill werden. Paolo Antognetti kann sich zu Recht seiner voce acuta rühmen, aber damit ist schon alles Positive über seinen Tenor gesagt, der eher zu einem Goro oder einer  ähnlichen den Charaktertenor erfordernden Partie, nicht aber zum Osaka passt.  Wie der Prototyp eines Stehtenors bleibt er unbeweglich, singt scharf und durchdringend, aber auch die berühmte Serenade ohne tenoralen Schmelz. Einen strapazierfähigen Bariton setzt Carmine Monaco d’Ambrosia für den Bordellbesitzer Kyoto ein und zeigt auch darstellerisches Engagement. Rollendeckend ist Il Cieco mit dem Bass Manrico Signorini besetzt. Eine hübsche, zarte Sopranstimme hat Alessandra Rossi für die Dhia. Recht verhangen klingt der Tenor von Didier Pieri für den Cenciaiuolo. Eher durch Masse als durch Klasse können die vereinigten Chöre Coro Ars Lyrica plus ein nicht näher bezeichneter Chor unter Marco Bargagna überzeugen, das Orchestra Filarmonica Pucciniana unter Daniele Agiman zaubert feine Stimmungsbilder, so mit dem verhaltenen Vorspiel zum dritten Akt (Bongiovanni AB 20039). Ingrid Wanja