WONDER WOMEN

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Forschungen der Musik der Spätrenaissance im Übergang zum Frühbarock haben ergeben, dass es eine ganze Reihe ansprechender Werke von Komponistinnen gibt, die entsprechend den gesellschaftlichen Gegebenheiten eher im Stillen gewirkt haben. Stücke dieser Frauen hat.

Christina Pluhar mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata in den Mittelpunkt ihrer neuesten CD mit dem Titel WONDER WOMENMusic by and about women gestellt. Im sehr instruktiven Beiheft weist die kompetente Lautenistin darauf hin, dass es bereits im 17. Jahrhundert „wundervolle“ Komponistinnen“ gegeben habe, „von denen Lieder hier interpretiert werden.“ Außerdem habe man sich Inspiration aus der traditionellen Musik Mexikos und Italiens geholt; so erklingen Lieder über „außergewöhnliche, starke, mutige, aber auch traurige Frauen“.  So hört man Lieder der venezianischen Sängerin und Komponistin Barbara Strozzi (1619-1677), von Francesca Caccini (1587-1641) aus der florentinischen Musikerfamilie sowie je ein Lied von Antonia Bembo (1640-1720) aus Venedig, Isabella Leonarda (1620-1704), einer Nonne aus Norditalien, und Francesca Campana (1615-1665). Zusätzlich enthält die CD mehrere, von Christina Pluhar arrangierte Traditionals aus Mexiko und Italien, die sich dem Stil der Alten Musik gut anpassen. Im Übrigen sind drei Instrumentalstücke von männlichen Komponisten dabei, und zwar vom neapolitanischen Lautenisten Andrea Falconieri (1586-1678) und Maurizio Cazzati (1616-1678), der hauptsächlich in Bologna als Kirchenmusiker tätig war. Bei den rein instrumentalen Stücken, aber natürlich auch bei der Begleitung in den vokalen Werke fällt besonders positiv auf, wie stilsicher und gut durchhörbar das Instrumentalensemble L’Arpeggiata unter seiner Gründerin musiziert. Das schon länger mit Christina Pluhar zusammen arbeitende Gesangsensemble ist eine Klasse für sich: Alle wissen ihre Stimmen dem Stil der Spätrenaissance entsprechend schlank zu führen, was die Verständlichkeit der Lieder erheblich erleichtert, obwohl der Abdruck auch in deutscher Sprache hilfreich gewesen wäre. Die belgische Sängerin Céline Scheen verfügt über einen volltimbrierten Sopran mit großer Ausdruckspalette, die sie überzeugend einzusetzen weiß. Ein dunkel getönter Mezzosopran ist der Schwedin mit chilenischen Wurzeln Luciana Mancini eigen, der bestens zu mexikanischen Traditionals wie La Bruja (Die Zauberin) oder den Vorwürfen gegenüber Alcina (Cosi, perfida Alcina von Francesca Caccini) passt. Die andere Mezzosopranistin der Aufnahme ist Benedetta Mazzucato, deren helle Stimme ebenfalls über unterschiedliche, geschickt eingesetzte Farben verfügt. Ausgesprochen feminin klingt der Altus von Vincenzo Capezzato, wodurch das italienische Traditional La Canzone di Cecilia angenehm authentisch wirkt. Insgesamt ist die CD allen zu empfehlen, nicht nur den ausgemachten Liebhabern dieser Alten Musik (ERATO 5054197959163).

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Unter dem Titel Mélodies d’ailleurs ist bei Carpe Diem Records eine CD erschienen, die spätromantische Lieder enthält, die die schweizerischen Künstlerinnen Viviane Hasler (Sopran) und Maren Gamper (Klavier) präsentieren. Im Kontrast dazu enthält die CD den Zyklus Ophelia sings von Wolfgang Rihm. Bereits in den sechs fast durchgängig melancholischen Ariettes oubliées nach Gedichten von Paul Verlaine von Claude Debussy zeigen sich die Vorzüge der jungen Sopranistin, die mit den teilweise extremen Intervallsprüngen keine Probleme hat. Mit den lautmalerischen Effekten im Klavier (Regen und Pferde-Karussell auf dem Jahrmarkt) werden die jeweiligen Stimmungen überzeugend nachempfunden. Das setzt sich in fünf gegenüber Debussy etwas schlichteren Liedern von Ernest Chausson fort, wenn hier unterschiedliche Gemütslagen ebenfalls mit perfektem Legato und damit ausgesprochen weicher Stimmführung wiedergegeben werden. Dazwischen erklingt der erste der drei Gesänge Ophelias, deren zum Wahnsinn führende Zerrissenheit mit hohen technischen Anforderungen an die Sängerin darzustellen ist. Wie diese im von ihr verfassten, sehr instruktiven Beiheft schreibt, erfordern die drei eingestreuten Lieder „schnelle Wechsel in Lagen, Dynamik und Gestus und umfassen einen weiten Ambitus“. Trotz dieser enormen Schwierigkeiten, zu denen auch gesprochene Einwürfe im Klavierpart gehören, gelingen den kompetenten Musikerinnen eindrucksvolle Seelenbeschreibungen. Mit sprudelnder Leichtigkeit und auch zurückhaltender Verträumtheit werden vier feine Miniaturen von Cécile Chaminade gestaltet. Den Abschluss der gut gelungenen CD bilden fünf Lieder von Raynaldo Hahn, die wieder mit wie selbstverständlicher Intonationsreinheit und leichter Stimmführung in exzellentem, partnerschaftlichem Zusammenspiel musiziert werden (CARPE DIEM RECORDS 11792009).

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Schwarze Erde ist eine neue CD übertitelt, die Solo MUSICA herausgebracht hat. Der Titel weist auf das erste der Acht ungarischen Volkslieder von Béla Bartók hin, der diese  sozusagen zu Kunstliedern erhoben hat. Ähnlich ist Zoltán Kodály vorgegangen, indem er in den Verspäteten Liedern op. 6 ebenfalls auf ungarische Volksmusik zurückgegriffen hat. Die aus einer deutsch-ungarischen Familie stammende Sängerin Corinna Scheurle und die Pianistin Klara Hornig interpretieren diese Lieder sowie auch die frühen Lieder op. 2 von Alban Berg, die fast alle tiefe Traurigkeit atmen. Zusätzlich enthält die CD als kompositorisch krassen Gegensatz zu den Anfang des 20. Jahrhunderts komponierten Werken die romantischen Fünf Lieder op. 40 von Robert Schumann, die allerdings thematisch passen, indem auch sie um unglückliche Liebe und die Nähe von Liebe und Tod kreisen. Bestechend an den ausgefeilten Deutungen der Lieder ist die klare, prägnante Tongebung der zur Zeit im Ensemble des Staatstheaters Nürnberg tätigen Mezzosopranistin, die ihre charakteristisch timbrierte Stimme abgerundet durch alle Lagen zu führen weiß. Allgemein ist bei der Liedgestaltung die Textverständlichkeit immens wichtig, die wohl wegen ihrer Abstammung auch in den ungarischen Liedern geradezu perfekt ist. Außerdem setzt die Sängerin den Farbenreichtum ihres Mezzos dem jeweiligen Inhalt der melancholischen Lieder angepasst gekonnt ein. Schließlich ist ihr die Pianistin, die den anspruchsvollen Klavierpart sicher beherrscht, jeweils eine gleichrangige Partnerin, so dass jeweils ungemein eindrucksvolle Stimmungsbilder entstanden sind (Solo MUSICA SM435). Gerhard Eckels