Tiefsinniges

 

Dass der Bariton Christian Gerhaher ein nachdenklicher Sänger ist, das wusste man längst, dass er geradezu ins Grübeln, so über die Anordnung einzelner Lieder in einem Liederkreis, kommen kann, zeigt sich bei seinen Ausführungen im Booklet zu seiner neuen CD mit dem Titel Frage. Hier sind ausschließlich Schumann-Lieder und zwar vornehmlich der unbekannteren Art versammelt. Besonders die Ironie, durchaus ein romantisches Stilmittel, hat es Gerhaher angetan, auch wenn sie in Heines Die beiden Grenadiere und Fröhlichs „Die Nonne“ schwer auszumachen ist, noch weniger in den Vertonungen Schumanns. Allein den  Dominantseptakkord am Schluss eines kurzen Lieds als ironisches Stilmittel anzusehen, ist gewagt. Geheimnisvolles in die Anzahl 12 für den  Liederkreis auf Texte von Kerner aufgrund der 24 für die Winterreise zu deuten, eventuelle 11 (Fußball – die Profanität in Person!) Lieder als Unmöglichkeit anzusehen, heißt die Interpretationssucht aufs Äußerste treiben.

Das Booklet ist die eine, die Interpretation kann eine ganz andere Sache sein. Allerdings unterscheidet sich Christian Gerhaher auch hier von den meisten anderen Sängern, indem der Text das für die Interpretation Maßgebliche zu sein scheint, wobei nicht die durch ihn erzeugte Gesamtstimmung gemeint sein muss, sondern manchmal auch nur ein einziges Wort. Weniger wichtig scheint ihm hingegen die musikalische Linie zu sein. Allerdings wechseln einander Lieder, in denen zugunsten der Melodie über Zeilenende hinweg in die nächste Zeile gesprungen wird, mit solchen ab, in denen am Ende eines Verses eine noch längere Pause eingehalten wird, als der Text es nahelegt.

Es beginnt mit den sechs Gesängen opus 107. In „Herzeleid“ (Ophelia) wechseln Verhangenes und Auffahrendes einander ab, in „Die Fensterscheibe“ wird die Andersartigkeit der jeweils letzten Zeile einer Strophe  besonders stark betont, in „Der Gärtner“ werden die Extreme Zartheit und Leidenschaft ausgelotet, was in „Die Spinnerin“ auf die von Behändem und Verharrendem zutrifft. Die Betonung der Gegensätze setzt sich in „Im Wald“ fort, wenn es einmal hurtig, einmal getragen zugeht, in „Abendlied“ hell und dunkel miteinander kontrastieren.

Der strahlende „Kaiser“ in den beiden Grenadieren widerspricht eigentlich der Behauptung, Heine und Schumann verhielten sich gegenüber dem Thema ironisch, insbesondere der Schluss und das Nachspiel geben sich ausgesprochen elegisch.

In „Warnung“ kommt der Tod fast lautlos daher, in Drei Gesänge opus 83 werden in „Resignation“ Metrum und Gesangslinie gesprengt, was dem Stück nur gut tut, so wie in „Die Blume der Ergebung“ durch ein verhuscht klingendes Singen Peinlichkeiten des Textes erträglich werden. Eine andere literarische Qualität hat Eichendorffs „Der Einsiedler“, so dass die virile Bedächtigkeit die angemessene Haltung ist.

Auch in den Liedern nach Texten von Kerner zeigt sich der Sänger als Freund von Gegensätzen, so zwischen dem einheitlichen Trübsinn von „Stirb, Lieb‘ und Freud‘“ und  den unterschiedlichen Farben für die einzelnen Strophen von „Sehnsucht nach der Waldgegend“. Immer wieder fällt auf, dass weniger die Gesamtstimmung eines Liedes als einzelne Worte bestimmend sind, so das extrem hervorgehobene „teuerem Blute“ und das „tönt nach“ wie ein Echo in „Auf das Trinkglas eines verstorbenen Freundes“. Auch in „Wanderung“ erfolgt der plötzliche Ausbruch aus der Versonnenheit überraschend. Insgesamt legt der Bariton mehr Wert auf interpretatorischen Tiefsinn als auf gesangliche Schönheit.  Vier Gesänge opus 142 beschließen die CD, Heines „Mein Wagen rollet langsam“ charakterisiert sehr schön die „Schattengestalten“ mit verhauchendem Gesang. Gerold Huber begleitet den eigenwilligen Sänger einfühlsam am Klavier (Sony 19075889192). Ingrid Wanja