Stimmakrobatik

 

Einen gutgelaunten Herrn mit dem Rasiermesser im Anschlag sieht man neben einem weit weniger amüsierten Individuum mit eingeseifter unterer Gesichtsregion auf dem Cover von Nicola Alaimos Bongiovanni-CD mit dem Titel Largo al factotum und begreift sofort: Hier geht es um einen Sänger, der zwar nicht gleichzeitig, aber doch in einem überschaubaren Zeitraum unterschiedliche Rollen aus ein und derselben Oper singen kann. Das ist schon ein heikles Unterfangen, wenn der Rollentausch innerhalb weniger Tage geschieht, erscheint fast unmöglich während eines Konzerts innerhalb weniger Minuten , ist aber im Februar 2018 während eines Auftritts im Teatro della Fortuna in Fano geschehen, ja vereint nicht nur zwei, sondern drei Rollen aus Rossinis Figaro und ebenso drei aus des Komponisten Cenerentola in einer Stimme. Damit und mit Arien aus L’Italiana in Algeri und Il Viaggio a Reims wird der Stimme des Bassbaritons, der aus Liebe zu seinem bis vor einiger Zeit bevorzugten Komponisten Bürger von Pesaro wurde,  der Wechsel vom Kavaliersbariton, zum Bassbuffo und zudem noch zum  basso nobile zugemutet. Das alles, nachdem er seit einiger Zeit bereits mit Erfolg im Verdi-Fach tätig ist, Ezio, Falstaff, Luna und sowohl Paolo als Simone Boccanegra gesungen hat. Dass man bei einem derartigen Auf und Ab der Stimme, bei einem derartigen Hin und Her zwischen den Fächern an einem einzigen Abend keine herausragende Leistung, die bereits und allein in der Vielfalt besteht, erwarten kann, ist verständlich. Aber es gibt auch keine Totalausfälle.

Die Auftrittsarie des Figaro wird nicht mehr oder weniger als anständig vorgetragen, die Stimme erscheint für die Partie etwas zu dunkel und schwer, es mangelt etwas an Eleganz und Geschmeidigkeit. Besser gelingt die Arie des Bartolo, solange sie sich nicht in den berüchtigten Prestissimoteilen bewegt. Für den Basilio ist das Timbre ungewohnt hell, was dem colpo di canone das Dicke-Bertha-Format nimmt. Noch immer gut mit den Fiorituren des Dandini kommt die Stimme zurecht, die nicht mehr ganz die Rossini-Leichtigkeit hat, zwei der drei Arien des Don Magnifico werden mit Lust am Chargieren gesungen, der Alidoro überzeugt durch weitgespannte Bögen, die erwünschte balsamische Wirkung dieser schwierigen Arie stellt sich beim Zuhörer immerhin teilweise ein. Am meisten in seinem Element scheint sich der Bariton bei der Verkörperung des Taddeo aus der Italiana in Algeri zu befinden, hier wirkt er frei und will nicht vortäuschen, was er eigentlich nicht ist. Gelungen ist auch der erste Teil der Arie des Don Profondo aus Il viaggio a Reims, wenn die einzelnen Nationalitäten und ihre Sprachen, denen die Reisenden angehören, imitiert werden. Insgesamt staunt man über das doch partielle Gelingen des Vorhabens, ganz unterschiedliche Anforderungen an die Stimme und die Technik unter einen Hut zu bringen, doch die wahren Spezialisten ihres jeweiligen Fachs können so doch nicht erreicht werden. Das Orchestra Sinfonica G. Rossini unter Mirca Rosciani macht seinem Namen Ehre und begleitet hilfreich.

Das Booklet ist, wie bei Bongiovanni aus Bologna die Regel, ganz vorzüglich und sehr informativ, man fragt sich einmal mehr, warum sich das Label immer noch mit 70 Jahren Bestehens brüstet, obwohl mittlerweile bereits 113 Jahre seit der Gründung verstrichen sind (Bongiovanni GB2571 1-2). Ingrid Wanja